TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/2 W276 2189810-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.09.2020
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Entscheidungsdatum

02.09.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W276 2189810-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Gert WALLISCH als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.02.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 09.07.2020 zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer („BF“) reiste unter Umgehung der Einreisebestimmungen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 18.02.2016 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

I.2. Bei seiner Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 19.02.2016 gab er zu seinen Fluchtgründen an, dass er ein paar Freunde gehabt habe, die in Europa lebten. Sie hätten ihm gesagt, dass Europa sehr schön sei und er hier weiterstudieren könne. Im Iran habe er kein Leben gehabt, weil man nicht bis zur Bäckerei gehen könne, um ein Brot zu kaufen. Man müsse immer damit rechnen, kontrolliert und nach Afghanistan zurückgeschoben zu werden.

I.3. Bei seiner Einvernahme am 30.06.2017 gab der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion XXXX („BFA“) an, dass er aus dem Dorf XXXX im Distrikt Sar-e Pul in der Provinz Sar-e Pul stamme. Er sei im Alter von neun Jahren gemeinsam mit seiner Familie in den Iran gezogen. Er sei einmal mit elf und einmal mit fünfzehn Jahren nach Afghanistan abgeschoben worden. Er sei als Moslem geboren worden, aber faste und bete nicht, weshalb es auch Diskussionen mit seinem Vater gegeben habe. Er sei ohne Religionsbekenntnis. Er habe für kurze Zeit eine Koranschule besucht und Arbeitserfahrung als Teppichknüpfer, in einer Motorradwerkstatt und auf der Baustelle gesammelt.

Zu den Gründen für das Verlassen des Heimatstaates gab er an, dass nach dem Einmarsch der Amerikaner in Afghanistan Krieg geherrscht und es keine Arbeit gegeben habe. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan habe er Angst vor dem Tod und Hunger. Es gebe jeden Tag Anschläge in Kabul und auch in anderen Orten. Er sei ohne Glauben und sei mit Juden und Christen befreundet. Sie würden ihn in Afghanistan dafür köpfen.

I.4. Mit angefochtenem Bescheid der belangten Behörde vom 05.02.2018, Zl. XXXX , wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit vierzehn Tagen festgelegt (Spruchpunkt VI).

Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die vom BF vorgebrachten Fluchtgründe nicht asylrelevant bzw. glaubhaft gewesen seien.

I.5. Gegen den genannten Bescheid richtet sich die vorliegende, rechtzeitig eingebrachte Beschwerde. In dieser wurde versucht, die Beweiswürdigung des BFA zu entkräften.

I.6. Am 21.06.2018 erging ein Verbesserungsauftrag vom BVwG an den BF, dem mit Stellungnahme vom 06.07.2018 nachgekommen wurde.

I.7. Aufgrund der Verfügungen des Geschäftsverteilungsausschusses vom 19.09.2019 und vom 15.04.2020 wurde die gegenständliche Rechtssache zuerst der Gerichtsabteilung W230 und dann der Gerichtsabteilung W249 abgenommen und der Gerichtsabteilung W276 neu zugewiesen.

I.8. Am 03.07.2020 langte die Vollmachtsbekanntgabe des Verein Menschenrechte Österreich und eine Beschwerdeergänzung beim BVwG ein.

I.9. Am 09.07.2020 fand vor dem erkennenden Richter eine mündliche Beschwerdeverhandlung im Beisein des BF und seiner Rechtsvertretung statt. Die belangte Behörde verzichtete auf die Durchführung und Teilnahme an der mündlichen Beschwerdeverhandlung. Auf die Verlesung des gesamten Akteninhalts sowie Akteneinsicht wurde verzichtet. Der BF legte weitere Bescheinigungsmittel vor. Von dem erkennenden Richter wurden Länderberichte und zahlreiche weitere Länderinformationen in das Verfahren eingebracht (vgl Pkt II.2 dieses Erkenntnisses). Der BF und seine Rechtsvertretung verzichteten auf eine Stellungnahme.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

II. 1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der BF führt den im Spruch genannten Namen, ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Hazara an. Die Muttersprache des BF ist Farsi, er spricht auch Dari. Die Feststellungen zur Identität des BF gelten ausschließlich für die Identifizierung seiner Person im Asylverfahren.

Der BF stammt aus dem Dorf XXXX in der Provinz Sar-e Pul. Er ist im Kleinkindalter gemeinsam mit seiner Familie in den Iran gezogen und dort aufgewachsen. Er besuchte lediglich zwei bis drei Jahre lang eine Koranschule. Dann arbeitete er drei Jahre als Mechaniker und Fliesenleger. Er hat auch mit seinem Bruder und seiner Schwester Teppiche geknüpft. Er wurde im Alter von elf und fünfzehn Jahren aus dem Iran nach Afghanistan abgeschoben, wo er allerdings nicht länger als sechs Monate verbrachte. Bei seiner ersten Abschiebung kam er in einem Camp einer Hilfsorganisation unter, bis ihn sein Vater wieder in den Iran begleitete. Seine zweite Abschiebung und Rückkehr in den Iran organisierte der BF, mit finanzieller Hilfe seines Arbeitgebers, alleine.

Die Eltern, der älteste Bruder und zwei verheiratete Schwestern des BF leben im Iran. Er steht zu seiner Mutter in Kontakt. Selten ruft ihn auch sein ältester Bruder an. Sein jüngerer Bruder ist weggelaufen und der BF kennt seinen Aufenthaltsort nicht. Eine Tante und zwei Onkel mütterlicherseits des BF leben in Afghanistan, zu ihnen besteht kein Kontakt.

Der BF reiste im Jahr 2016 aus Afghanistan aus und stellte am 18.02.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Der BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Er hat in Österreich zuletzt die ÖSD-Integrationsprüfung für das Niveau B1 bestanden. Er hat an einem Basisbildungskurs teilgenommen und die Pflichtschulabschluss-Prüfung bestanden. Er ist seit 12.07.2019 ehrenamtlich in einem Pflegezentrum für hochbetagte und an Demenz erkrankte Menschen tätig. Er besucht einen Lehrgang für die Begleitung von Menschen mit Demenz, um sich als ehrenamtlicher Demenzwegbegleiter zu qualifizieren.

II.1.2. Zur Konversion des Beschwerdeführers:

II.1.2.1. Der BF wuchs als Angehöriger der muslimischen Religion schiitischer Ausrichtung auf, wobei er schon im Iran daran zweifelte, ob der Islam die richtige Religion für ihn ist. Er wurde von seinem Vater zum Fasten und Beten gezwungen, weshalb es ab seinem vierzehnten Lebensjahr öfters Streitigkeiten zwischen den beiden gab, die sogar in Gewalt ausarteten.

Nunmehr ist er bekennender Christ. Der BF hat begonnen, sich durch den Kontakt zu anderen Christen in Österreich für das Christentum zu interessieren. Vor ca. zwei Jahren fasste er den Entschluss, zum Christentum zu konvertieren. Er hat an einem Taufvorbereitungskurs der römisch-katholischen Kirche teilgenommen und wurde am 07.03.2019 zu den Sakramenten der Eingliederung zugelassen. Am 06.01.2020 wurde er nach reiflicher Überlegung in der römisch-katholischen Kirche getauft. Er besucht regelmäßig die Gottesdienste seiner Pfarrgemeinde, nimmt an den anschließenden Treffen teil und engagiert sich bei verschiedenen Veranstaltungen als freiwilliger Helfer.

Der BF befürchtet, im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan, auf Grund seiner Konversion vom Islam zum Christentum von anderen Personen getötet zu werden, weil er nach der dort allgemein vorherrschenden Ansicht als Moslem nicht die Religion wechseln hätte dürfen. Der BF ist jedoch gewillt, auch im Fall der Rückkehr seinen christlichen Glauben offen und nach außen hin erkennbar auszuüben, seine Konversion zum Christentum nicht zu widerrufen und nicht wieder zum Islam überzutreten.

Es liegen keine Gründe vor, nach denen der BF von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ausschließen ist. Solche Gründe sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

II.1.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

II.1.3.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2019, letzte Kurzinformation eingefügt am 18.05.2020:

Allgemeine Sicherheitslage:

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil, nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten. Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni. Nichtsdestotrotz, hat die afghanische Regierung wichtige Transitrouten verloren

Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten. Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens ist

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten. Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand.

Für den Berichtszeitraum 8.11.2019-6.2.2020 verzeichnete die UNAMA 4.907 sicherheitsrelevante Vorfälle – ähnlich dem Vorjahreswert. Die Sicherheitslage blieb nach wie vor volatil. Die höchste Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle wurden in der südlichen Region, gefolgt von den nördlichen und östlichen Regionen, registriert, die alle samt 68% der Zwischenfälle ausmachten. Die aktivsten Konfliktregionen waren in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden. Entsprechend saisonaler Trends, gingen die Kämpfe in den Wintermonaten – Ende 2019 und Anfang 2020 – zurück.

Die geographische Verteilung aufständischer Aktivitäten innerhalb Afghanistans blieb, im Vergleich der beiden Jahre 2018 und 2019, weitgehend konstant. Im Jahr 2019 fanden auch weiterhin im Süden und Westen Afghanistans weiterhin schwere Kampfhandlungen statt; feindliche Aktivitäten nahmen zu und breiteten sich in größeren Gebieten des Nordens und Ostens aus. Mit einer hohen Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen – speziell in den südlichen, nördlichen und östlichen Regionen – blieb die Sicherheitslage vorerst volatil, bevor ein Zeitraum der Reduzierung der Gewalt registriert werden konnte. Die UNAMA registrierte für das gesamte Jahr 2019 10.392 zivile Opfer, was einem Rückgang von 5% gegenüber 2018 entspricht, aber auch die niedrigste Anzahl an zivilen Opfern seit dem Jahr 2013 bedeutet. Nachdem die Anzahl der durch ISKP verursachten zivilen Opfer zurückgegangen war, konnte ein Rückgang aller zivilen Opfer registriert werden, wenngleich die Anzahl ziviler Opfer speziell durch Taliban und internationale Streitkräfte zugenommen hatte. Im Laufe des Jahres 2019 war das Gewaltniveau erheblichen Schwankungen unterworfen, was auf Erfolge und Misserfolge im Rahmen der Friedensverhandlungen zwischen Taliban und den US-Amerikanern zurückzuführen war.

Seit Ende des Jahres 2019 haben Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente erheblich zugenommen. Im September 2019 fanden die afghanischen Präsidentschaftswahlen statt, in diesem Monat wurde auch die höchste Anzahl feindlicher Angriffe eines einzelnen Monats seit Juni 2012 und die höchste Anzahl effektiver feindlicher Angriffe seit Beginn der Aufzeichnung der RS-Mission im Januar 2010 registriert. Dieses Ausmaß an Gewalt setzte sich auch nach den Präsidentschaftswahlen fort, denn im Oktober 2019 wurde die zweithöchste Anzahl feindlicher Angriffe in einem Monat seit Juli 2013 dokumentiert. Betrachtet man jedoch das Jahr 2019 in dessen Gesamtheit, so waren scheinbar feindliche Angriffe, seit Anfang des Jahres, im Zuge der laufenden Friedensgespräche zurückgegangen. Nichtsdestotrotz führte ein turbulentes letztes Halbjahr zu verstärkten Angriffen feindlicher Elemente von insgesamt 6% und effektiver Angriffe von 4% im Jahr 2019 im Vergleich zu den bereits hohen Werten des Jahres 2018.

Sowohl im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen. Zwischen 1.6.2019 und 31.10.2019 fanden 19 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 17), landesweit betrug die Zahl 88. Öffentlichkeitswirksame Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente setzten sich im Berichtszeitraum (8.11.2019-6.2.2020) fort: 8 Selbstmordanschläge wurden verzeichnet; im Berichtszeitraum davor (9.8.-7.11.2019) wurden 31 und im Vergleichszeitraum des Vorjahres 12 Selbstmordanschläge verzeichnet. Der Großteil der Anschläge richtetet sich gegen die ANDSF (afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte) und die internationalen Streitkräfte.

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Nach Unterzeichnung des Abkommens zwischen den USA und den Taliban war es bereits Anfang März 2020 zu einem ersten großen Angriff des ISKP gekommen. Der ISKP bekannte sich zu dem Angriff auf eine Gedenkfeier eines schiitischen Führers; Schätzungen zufolge wurden dabei mindestens 32 Menschen getötet und 60 Personen verletzt. Am 25.3.2020 kam es zu einem tödlichen Angriff des ISKP auf eine Gebetsstätte der Sikh (Dharamshala) in Kabul. Dabei starben 25 Menschen, 8 weitere wurden verletzt. Regierungsnahe Quellen in Afghanistan machen das Haqqani-Netzwerk für diesen Angriff verantwortlich.

Sar-e Pul

Die Provinz Sar-e Pul befindet sich im Norden Afghanistans. Sie wurde 1988 als eigene Provinz von Jawzjan abgeteilt (PAJ o.D.sp). Sar-e Pul grenzt an die Provinzen Jawzjan im Norden, Balkh im Nordosten, Samangan im Osten, Bamyan und Ghor im Süden und Faryab im Westen (UNOCHA 4.2014sp). Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Balkhab, Gosfandi, Kohistanat, Sancharak, der Provinzhauptstadt Sar-e-Pul, Sayyad und Sozma Qala (CSO 2019; vgl. IEC 2018sp, UNOCHA 4.2014sp, OPr 1.2.2017sp). Die afghanische zentrale Statistikorganisation (CSO) schätzte die Bevölkerung von Sar-e-Pul für den Zeitraum 2019-20 auf 609.986 Personen (CSO 2019). Sie besteht hauptsächlich aus Usbeken (NPS o.D.sp; vgl. AAN 17.3.2017), gefolgt von Hazara, Tadschiken, Paschtunen, Arabern, Aimaq und Belutschen (OPr 1.2.2017sp).

Eine Autobahn aus Sheberghan, Provinz Jawzjan, verbindet die Provinzhauptstadt Sar-e Pul mit Sheberghan, der Provinzhautstadt Jawzjans, am Abschnitt der Ring Road (Highway One) Mazar-e Sharif - Herat (MoPW 16.10.2015; vgl. UNOCHA 4.2014sp). Auf diesem Abschnitt kommt es manchmal zu sicherheitsrelevanten Vorfällen wie z.B. Angriffen durch Taliban-Aufständische (TN 1.1.2019; vgl. MENA FN 2.1.2019) und bewaffneten Zusammenstößen zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften (LWJ 10.9.2018). In einem Fall errichteten Taliban-Kämpfer Kontrollpunkte (LWJ 10.9.2018; vgl. TN 10.9.2018; REU 10.9.2018).

Laut UNODC Opium Survey 2018 sank die Schlafmohnanbaufläche in der Provinz Sar-e-Pul 2018 um 81% gegenüber 2017. Die Distrikte mit der größten Anbaufläche waren Sayad, Sancharak und das Provinzzentrum Sar-e Pul (UNODC/MCN 11.2018).

Eine wichtige Einnahmequelle für die Provinz sind Ölquellen in der Nähe der Stadt Sar-e Pul. Die Taliban versuchen sie entweder zu kontrollieren oder zu zerstören (REU 4.1.2019; vgl. TN 3.1.2019; VOA 1.1.2019).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Neben den Taliban sind seit 2015 Kämpfer der Islamic Jihad Union (IJU) in der Provinz Sar-e Pul aktiv. IJU-Kämpfer sind hauptsächlich Usbeken aus Usbekistan, die sich im Distrikt Kohestanat niedergelassen haben. Ihre Haupttätigkeit in der Provinz bestand darin, neuen Taliban-Rekruten eine militärische Ausbildung anzubieten (AAN 7.9.2018). Laut mehreren Quellen waren Kämpfer des islamischen Staates in Teilen der Provinz aktiv (TASS 23.8.2018; LWJ 18.7.2018; JF 6.4.2018; RE 19.3.2018; BBC 31.1.2018). Im Widerspruch dazu fand eine andere Quelle im September 2018 keine Hinweise für die Anwesenheit von Kämpfern des IS oder ISKP in der Provinz Sar-e Pul. Die Quelle erklärte, dass bestehende Berichte und Einheimische den IS mit der IJU verwechselt haben könnten (AAN 7.9.2018).

In Bezug auf die Anwesenheit von staatlichen Sicherheitskräften liegt die Provinz Sar-e Pul in der Verantwortung des 209. ANA-Korps (USDOD 6.2019; vgl. KP 4.8.2019), das unter der Führung deutscher Streitkräfte der NATO-Mission Train Advise Assist Command-North (TAAC-N) untersteht (USDOD 6.2019).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 217 zivile Opfer (48 Tote und 169 Verletzte) in der Provinz Sar-e Pul. Dies entspricht einer Steigerung von 115% gegenüber 2018. Die Hauptursachen für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von nicht explodierten Kampfmitteln (unexploded ordnance, UXO), Landminen und improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) (UNAMA 2.2020).

Die Sicherheitslage in der Provinz hat sich in manchen Distrikten in den letzten Jahren verschlechtert (KP 11.6.2019; vgl. TN 1.1.2019; MENA FN 2.1.2019 AAN 7.9.2018; RY 11.10.2018; TN 10.9.2018; REU 10.9.2018). In der Provinz kam es regelmäßig zu Sicherheitsoperationen durch die afghanischen Sicherheitskräfte (z.B. ANI 19.7.2019; KP 17.7.2019; MENA FN 15.7.2019; KP 13.7.2019; KP 11.7.2019; KP 13.6.2019; KP 12.6.2019; KP 25.2.2019 KP 17.2.2019). In manchen Fällen wurden Aufständische verhaftet (z.B. ANI 19.7.2019; KP 17.7.2019) oder getötet (z.B. KP 13.6.2019; KP 12.6.2019; KP 25.2.2019). Auch kam es zu bewaffneten Zusammenstößen oder Angriffen von Aufständischen gegen die afghanischen Sicherheitskräfte (z.B. PAJ 7.8.2019; PAJ 24.5.2019; PAJ 15.4.2019; SN 10.4.2019; PAJ 16.3.2019; PAJ 2.3.2019; PAJ 9.2.2019; TN 4.12.2018) bzw. lokalen Verteidigungskräften (PAJ 3.2.2019). Unter anderem griffen die Taliban auch einen Kontrollposten in Sar-e-Pul-Stadt an (PAJ 16.3.2019). Bei manchen Vorfällen kamen auch Zivilisten ums Leben (z.B. ST 8.3.2019; PAJ 17.7.2018; TN 7.7.2018).

Religionsfreiheit:

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt. Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha´i und Christen machen weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus; in Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben. Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist. Im Laufe des Untersuchungsjahres 2018 gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen aufgrund von Blasphemie oder Apostasie. Auch im Berichtszeitraum davor gab es keine Berichte zur staatlichen Strafverfolgung von Apostasie und Blasphemie.

Konvertiten vom Islam zu anderen Religionen berichteten, dass sie weiterhin vor Bestrafung durch Regierung sowie Repressalien durch Familie und Gesellschaft fürchteten. Das Gesetz verbietet die Produktion und Veröffentlichung von Werken, die gegen die Prinzipien des Islam oder gegen andere Religionen verstoßen. Das neue Strafgesetzbuch 2017, welches im Februar 2018 in Kraft getreten ist, sieht Strafen für verbale und körperliche Angriffe auf Anhänger jedweder Religion und Strafen für Beleidigungen oder Verzerrungen gegen den Islam vor.

Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung. Mitglieder der Taliban und des Islamischen Staates (IS) töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung. Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen. Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Konvertiten vom Islam riskieren die Annullierung ihrer Ehe.

Der Anteil schiitischer Muslime an der Bevölkerung wird auf 10 bis 19% geschätzt (CIA 30.4.2019; vgl. AA 2.9.2019). Zuverlässige Zahlen zur Größe der schiitischen Gemeinschaft sind nicht verfügbar und werden vom Statistikamt nicht erfasst. Gemäß Gemeindeleitern sind die Schiiten Afghanistans mehrheitlich Jafari-Schiiten (Zwölfer-Schiiten), 90% von ihnen gehören zur ethnischen Gruppe der Hazara. Unter den Schiiten gibt es auch Ismailiten (USDOS 21.6.2019).

Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten (AA 2.9.2019). Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen. Gemäß Zahlen von UNAMA gab es im Jahr 2018 19 Fälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten, bei denen 223 Menschen getötet und 524 Menschen verletzt wurden; ein zahlenmäßiger Anstieg der zivilen Opfer um 34% (USDOS 21.6.2019). In den Jahren 2016, 2017 und 2018 wurden durch den Islamischen Staat (IS) und die Taliban 51 terroristischen Angriffe auf Glaubensstätten und religiöse Anführer der Schiiten bzw. Hazara durchgeführt (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 21.6.2019, CRS 1.5.2019). Im Jahr 2018 wurde die Intensität der Attacken in urbanen Räumen durch den IS verstärkt (HRW 17.1.2019).

Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen (FH 4.2.2019). Obwohl einige schiitische Muslime höhere Regierungsposten bekleiden, behaupten Mitglieder der schiitischen Minderheit, dass die Anzahl dieser Stellen die demografischen Verhältnisse des Landes nicht reflektiert. Vertreter der Sunniten hingegen geben an, dass Schiiten im Vergleich zur Bevölkerungszahl in den Behörden überrepräsentiert seien. Einige Mitglieder der ismailitischen Gemeinschaft beanstanden die vermeintliche Vorenthaltung von politischen Posten; wenngleich vier Parlamentssitze für Ismailiten reserviert sind (USDOS 21.6.2019).

Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime 25 bis 30% (AB 7.6.2017; vgl. USIP 14.6.2018, AA 2.9.2019). Des Weiteren tagen regelmäßig rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern (USDOS 21.6.2019).

Das afghanische Ministry of Hajj and Religious Affairs (MOHRA) erlaubt sowohl Sunniten als auch Schiiten Pilgerfahrten zu unternehmen (USDOS 21.6.2019).

Christentum und Konversion zum Christentum

Nichtmuslimische Gruppierungen wie Sikhs, Baha‘i, Hindus und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Genaue Angaben zur Größe der christlichen Gemeinschaft sind nicht vorhanden (USDOS 21.6.2019). USDOS schätzte im Jahresbericht zur Religionsfreiheit 2009 die Größe der geheimen christlichen Gemeinschaft auf 500 bis 8.000 Personen (USDOS 26.10.2009). Religiöse Freiheit für Christen in Afghanistan existiert; gemäß der afghanischen Verfassung ist es Gläubigen erlaubt, ihre Religion in Afghanistan im Rahmen der Gesetze frei auszuüben. Dennoch gibt es unterschiedliche Interpretationen zu religiöser Freiheit, da konvertierte Christen im Gegensatz zu originären Christen vielen Einschränkungen ausgesetzt sind. Religiöse Freiheit beinhaltet nicht die Konversion (RA KBL 1.6.2017).

Tausende ausländische Christen und einige wenige Afghanen, die originäre Christen und nicht vom Islam konvertiert sind, werden normal und fair behandelt. Es gibt kleine Unterschiede zwischen Stadt und Land. In den ländlichen Gesellschaften ist man tendenziell feindseliger (RA KBL 1.6.2017).

Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert. Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen (AA 2.9.2019). Bei der Konversion vom Islam zum Christentum wird in erster Linie nicht das Christentum als problematisch gesehen, sondern die Abkehr vom und der Austritt aus dem Islam (LIFOS 21.12.2017). Laut islamischer Rechtsprechung soll jeder Konvertit drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken (USDOS 21.6.2019).

Konvertiten vom Islam zum Christentum werden von der Gesellschaft nicht gut behandelt, weswegen sie sich meist nicht öffentlich bekennen. Zur Zahl der Konvertiten gibt es keine Statistik. In den meisten Fällen versuchen die Behörden Konvertiten gegen die schlechte Behandlung durch die Gesellschaft zu unterstützen, zumindest um potenzielles Chaos und Misshandlung zu vermeiden (RA KBL 1.6.2019).

Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens (AA 2.9.2019; vgl. USCIRF 4.2018, USDOS 21.6.2019), da es keine öffentlich zugänglichen Kirchen im Land gibt (USDOS 21.6.2019; vgl. AA 2.9.2019). Einzelne christliche Andachtsstätten befinden sich in ausländischen Militärbasen. Die einzige legale christliche Kirche im Land befindet sich am Gelände der italienischen Botschaft in Kabul (WA 11.12.2018; vgl. AA 2.9.2019). Die afghanischen Behörden erlaubten die Errichtung dieser katholischen Kapelle unter der Bedingung, dass sie ausschließlich ausländischen Christen diene und jegliche Missionierung vermieden werde (KatM KBL 8.11.2017).

Gemäß hanafitischer Rechtsprechung ist Missionierung illegal; Christen berichten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber. Es gibt keine Berichte zu staatlicher Verfolgung aufgrund von Apostasie oder Blasphemie (USDOS 21.6.2019).

Beobachtern zufolge hegen muslimische Ortsansässige den Verdacht, Entwicklungsprojekte würden das Christentum verbreiten und missionieren (USDOS 21.6.2019). Ein christliches Krankenhaus ist seit 2005 in Kabul aktiv (CURE 8.2018); bei einem Angriff durch einen Mitarbeiter des eigenen Wachdienstes wurden im Jahr 2014 drei ausländische Ärzte dieses Krankenhauses getötet (NYP 24.4.2014). Auch gibt es in Kabul den Verein „Pro Bambini di Kabul“, der aus Mitgliedern verschiedener christlicher Orden besteht. Dieser betreibt eine Schule für Kinder mit Behinderung (PBdK o.D.; vgl. AF 4.1.2019).

Apostasie, Blasphemie, Konversion

Glaubensfreiheit, die auch eine freie Religionswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan de facto nur eingeschränkt. Die Abkehr vom Islam (Apostasie) wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht (AA 2.9.2019).

Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtsprechung Missionierung illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtsprechung unter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 21.6.2019) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung „religionsbeleidigende Verbrechen“ verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323).

Es gibt keine Berichte über die Verhängung der Todesstrafe aufgrund von Apostasie (AA 2.9.2019); auch auf höchster Ebene scheint die afghanische Regierung kein Interesse zu haben, negative Reaktionen oder Druck hervorzurufen – weder vom konservativen Teil der afghanischen Gesellschaft, noch von den liberalen internationalen Kräften, die solche Fälle verfolgt haben (LIFOS 21.12.2017; vgl. USDOS 21.6.2019) und Auch zur Strafverfolgung von Blasphemie existieren keine Berichte (USDOS 21.6.2019).

Es kann jedoch einzelne Lokalpolitiker geben, die streng gegen mutmaßliche Apostaten vorgehen und es kann auch im Interesse einzelner Politiker sein, Fälle von Konversion oder Blasphemie für ihre eigenen Ziele auszunutzen (LIFOS 21.12.2017).

Gefahr bis hin zur Ermordung droht Konvertiten hingegen oft aus dem familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld (AA 2.9.2019). Die afghanische Gesellschaft hat generell eine sehr geringe Toleranz gegenüber Menschen, die als den Islam beleidigend oder zurückweisend wahrgenommen werden (LIFOS 21.12.2017; vgl. FH 4.2.2019). Obwohl es auch säkulare Bevölkerungsgruppen gibt, sind Personen, die der Apostasie beschuldigt werden, Reaktionen von Familie, Gemeinschaften oder in einzelnen Gebieten von Aufständischen ausgesetzt, aber eher nicht von staatlichen Akteuren (LIFOS 21.12.2017). Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 4.2.2019).

Abtrünnige haben Zugang zu staatlichen Leistungen; es existiert kein Gesetz, Präzedenzfall oder Gewohnheiten, die Leistungen für Abtrünnige durch den Staat aufheben oder einschränken. Sofern sie nicht verurteilt und frei sind, können sie Leistungen der Behörden in Anspruch nehmen (RA KBL 1.6.2017).

Schiiten

Ethnische Minderheiten:

In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 32 und 35 Millionen Menschen. Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht. Schätzungen zufolge, sind: 40 bis 42% Pashtunen, 27 bis 30% Tadschiken, 9 bis 10% Hazara, 9% Usbeken, ca. 4% Aimaken, 3% Turkmenen und 2% Belutschen (LIB 13.11.2019, S. 287).

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (LIB 13.11.2019, S. 287-288).

Hazara

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 9 bis 10% der Bevölkerung aus (GIZ 4.2019; vgl. CIA 2012). Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt; der Hazaradjat [zentrales Hochland] umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz (Maidan) Wardak sowie Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul. Jahrzehntelange Kriege und schwierige Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (BFA 7.2016). Hazara leben hauptsächlich in den zentralen und westlichen Provinzen sowie in Kabul (USDOS 21.6.2019).

Die Stadt Kabul ist in den letzten Jahrzehnten rasant gewachsen und ethnisch gesehen vielfältig. Neuankömmlinge aus den Provinzen tendieren dazu, sich in Gegenden niederzulassen, wo sie ein gewisses Maß an Unterstützung ihrer Gemeinschaft erwarten können (sofern sie solche Kontakte haben) oder sich in jenem Stadtteil niederzulassen, der für sie am praktischen sie ist, da viele von ihnen – zumindest anfangs – regelmäßig zurück in ihre Heimatprovinzen pendeln. Die Auswirkungen neuer Bewohner auf die Stadt sind schwer zu evaluieren. Bewohner der zentralen Stadtbereiche neigen zu öfteren Wohnortwechseln, um näher bei ihrer Arbeitsstätte zu wohnen oder um wirtschaftlichen Möglichkeiten und sicherheitsrelevanten Trends zu folgen. Diese ständigen Wohnortwechsel haben einen störenden Effekt auf soziale Netzwerke, was sich oftmals in der Beschwerde bemerkbar macht „man kenne seine Nachbarn nicht mehr“ (AAN 19.3.2019). Viele Hazara leben unter anderem in Stadtvierteln im Westen der Stadt, insbesondere in Kart-e Se, Dasht-e Barchi sowie in den Stadtteilen Kart-e Chahar, Deh Buri , Afshar und Kart-e Mamurin (AAN 19.3.2019).

Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild (BFA 7.2016). Ethnische Hazara sind mehrheitlich Zwölfer-Schiiten (BFA 7.2016; vgl. MRG o.D.c), auch bekannt als Jafari Schiiten (USDOS 21.6.2019). Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradjat lebt, ist ismailitisch (BFA 7.2016). Ismailische Muslime, die vor allem, aber nicht ausschließlich, Hazara sind (GS 21.8.2012), leben hauptsächlich in Kabul sowie den zentralen und nördlichen Provinzen Afghanistans (USDOS 21.6.2019).

Die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, hat sich grundsätzlich verbessert (AA 2.9.2019; vgl. FH 4.2.2019) und Hazara bekleiden inzwischen auch prominente Stellen in der Regierung und im öffentlichen Leben, sind jedoch in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert (AA 2.9.2019). Hazara werden am Arbeitsmarkt diskriminiert. Soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara, basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten, finden ihre Fortsetzung in Erpressung (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Inhaftierung (USDOS 13.3.2019). Nichtsdestotrotz, genießt die traditionell marginalisierte schiitische muslimische Minderheit, zu der die meisten ethnischen Hazara gehören, seit 2001 eine zunehmende politische Repräsentation und Beteiligung an nationalen Institutionen (FH 4.2.2019; vgl. WP 21.3.2018).

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Kernfamilie bzw. dem Klan (BFA 7.2016; vgl. MRG o.D.c). Sollte der Haushalts vorstehende Mann versterben, wird die Witwe Haushaltsvorständin, bis der älteste Sohn volljährig ist (MRG o.D.c). Es bestehen keine sozialen und politischen Stammesstrukturen (BFA 7.2016).

Hazara neigen sowohl in ihren sozialen, als auch politischen Ansichten dazu, liberal zu sein, was im Gegensatz zu den Ansichten sunnitischer Militanter steht (WP 21.3.2018). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen führen weiterhin zu Konflikten und Tötungen (USDOS 13.3.2019). Berichten zufolge halten Angriffe durch den ISKP und andere aufständische Gruppierungen auf spezifische religiöse und ethno-religiöse Gruppen – inklusive der schiitischen Hazara – an (USDOS 21.6.2019).

Während des Jahres 2018 intensivierte der IS Angriffe gegen die Hazara. Angriffe gegen Schiiten, davon vorwiegend gegen Hazara, forderten im Zeitraum 1.1.2018 bis 30.9.2018 211 Todesopfer (USDOS 13.3.2019). Das von schiitischen Hazara bewohnte Gebiet Dasht-e Barchi in Westkabul ist immer wieder Ziel von Angriffen. Die Regierung hat Pläne zur Verstärkung der Präsenz der afghanischen Sicherheitskräfte verlautbart (USDOS 21.6.2019). Angriffe werden auch als Vergeltung gegen mutmaßliche schiitische Unterstützung der iranischen Aktivitäten in Syrien durchgeführt(MEI 10.2018; vgl. WP 21.3.2018).

In Randgebieten des Hazaradjat kommt es immer wieder zu Spannungen und teilweise gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Nomaden und sesshaften Landwirten, oftmals Hazara (AREU 1.2018).

Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (BI 29.9.2017). NGOs berichten, dass Polizeibeamte, die der Hazara-Gemeinschaft angehören, öfter als andere Ethnien in unsicheren Gebieten eingesetzt werden oder im Innenministerium an symbolische Positionen ohne Kompetenzen befördert werden (USDOS 13.3.2019).

II.2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt sowie in den Gerichtsakt, durch Einvernahme des BF in der mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die zum Akt genommenen Urkunden Beilage ./1 bis ./18 (Konvolut ZMR, GVS, Strafregister, Schengener Informationssystem Beilage ./1; Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über Afghanistan vom 13.11.2019, letzte Information eingefügt am 29.06.2020, Beilage ./2; UNHCR - Richtlinien zur Beurteilung internationaler Schutzbedürftigkeit von AsylwerberInnen aus Afghanistan (Entwicklungen in Afghanistan; Sicherheitslage; Auswirkungen des Konflikts auf ZivilistInnen; Menschenrechtslage; humanitäre Lage; Risikoprofile; interne Fluchtalternative; Ausschlussgründe, etc) vom 30.08.2018 in deutscher Übersetzung, Beilage ./3; EASO-Leitlinien zu Afghanistan (Verfolger; Flüchtlingsstatus; subsidiärer Schutz; staatlicher Schutz; interne Schutzalternative; Ausschlussgründe) vom Juni 2019, Beilage ./4; Bericht Landinfo, Afghanistan, Organisation und Struktur der Taliban, 23.08.2017, Beilage ./5; Bericht Landinfo, Afghanistan, der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne, 23.08.2017, Beilage ./6; Bericht Landinfo, Afghanistan, Rekrutierung durch die Taliban, 29.06.2017, Beilage ./7; Bericht EASO, Afghanistan Netzwerke, Jänner 2018, Beilage ./8; Accord, Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation, Allg. Sicherheitslage in Afghanistan und Chronologie für Kabul 18.01.2019, Beilage ./9; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Afghanistan Lage in Herat-Stadt und Mazar-e Sharif aufgrund anhaltender Dürre, vom 13.09.2018, Beilage ./10; Entwicklung der wirtschaftlichen Situation sowie der Sicherheits- und Versorgungslage in Kabul, Mazar e-Sharif und Herat 2010 bis 2018, Stand 7.12.2018, Beilage ./11; ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage der Stadt Masar-e Scharif und Umgebung: Sicherheitslage in den einzelnen Vierteln bzw. der Peripherie; Wohnregionen mit den meisten Binnenvertriebenen, RückkehrerInnen; Unterscheidungen hinsichtlich der Volksgruppenzugehörigkeit; sichere Erreichbarkeit der Innenstadt auf dem Landweg (insbesondere vom Flughafen bzw. den informellen Siedlungen außerhalb der Stadt aus); Besonderheiten aufgrund der Corona-Pandemie [a-11210-2 (11211)] vom 30. April 2020; Beilage ./12; ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage der Stadt Herat: Sicherheitslage in den einzelnen Vierteln bzw. der Peripherie; Wohnregionen mit den meisten IDPs, RückkehrerInnen; Unterscheidungen hinsichtlich der Volksgruppenzugehörigkeit; sichere Erreichbarkeit der Innenstadt auf dem Landweg (insbesondere vom Flughafen bzw. den informellen Siedlungen außerhalb der Stadt aus); Besonderheiten aufgrund der Corona-Pandemie [a-11210-1] vom 23. April 2020, Beilage ./13; ecoi.net-Themendossier zu Afghanistan: Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in Herat und Masar-e Scharif vom 26. Mai 2020, Beilage ./14; ACCORD Afghanistan: Covid-19 (allgemeine Informationen; Lockdown-Maßnahmen; Proteste; Auswirkungen auf Gesundheitssystem, Versorgungslage, Lage von Frauen und RückkehrerInnen; Reaktionen der Taliban, Stigmatisierung) vom 5. Juni 2020; Beilage ./15; Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Situation für AfghanInnen (insbesondere Hazara), die ihr ganzes Leben im Iran verbracht haben und dann nach Afghanistan kommen (u.a. mögliche Ausgrenzung oder Belästigungen); Verhalten der Taliban gegenüber Hazara, die aus dem Iran zurückkehren [a-9219] vom 12. Juni 2015, Beilage ./16; Konvolut bestehend aus: Bestätigung Pfarre XXXX betr Erstkontakt vom 06.07.2020; Bestätigung Anmeldung Deutschkurs XXXX am 08.05.2017, diverse Teilnahmebestätigungen XXXX ; Bestätigung diverse Kursbesuche XXXX aus 2017/2018; Bestätigung Lehrgang Pflichtschulabschluss, VHS vom 05.12.2017; Sozialbericht XXXX vom 28.06.2017; Bestätigung XXXX vom 11.09.2019; Bestätigung diverse Integrationskurse; Energieführerschein Zertifikat vom 23.07.2018; Teilnahmebestätigung Verein XXXX ; Zertifikat Deutschprüfung B1; Zeugnis Pflichtschulabschlussprüfung vom 31.01.2019; Bestätigungen Teilnahme diverse Workshops; diverse Bestätigungen Teilnahme Kurse VHS; Bewerbung Maschinenbautechniker vom 18.12.2018, Beilage ./17; Taufschein Erzdiözese XXXX betreffend Taufe des BF vom 06.01.2020, Beilage ./18)).

II.2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Identität des BF ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem BFA, in der Beschwerde und vor dem BVwG. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum des BF gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person des BF im Asylverfahren.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des BF, seiner Volksgruppenzugehörigkeit sowie seiner Muttersprache gründen sich auf seine diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben. Das BVwG hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussagen des BF zu zweifeln.

Die Feststellungen zur persönlichen und familiären Situation des BF in Afghanistan und im Iran, insbesondere zu seinen Lebensumständen in Afghanistan und im Iran, ergeben sich aus seinen weitgehend widerspruchsfreien und schlüssigen Angaben im Rahmen des Verfahrens vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung.

Die Feststellungen zu seinen Familienangehörigen, ihrem derzeitigen Aufenthaltsort und dem Kontakt zu ihnen gründet auf seinen gleichbleibenden Äußerungen dazu vor der belangten Behörde und in der Beschwerdeverhandlung.

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des BF ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister (Beilage ./1).

Die Feststellung zum Antragstellungszeitpunkt stützt sich auf die Aussagen des BF bei seiner Erstbefragung (AS. 13.).

Die Feststellungen zu den Lebensumständen des BF in Österreich, insbesondere seinen integrativen Aktivitäten, stützen sich auf seine Angaben dazu in der mündlichen Verhandlung und den von ihm im Laufe des Verfahrens vorgelegten Unterlagen (OZ 9, 11; VHS S. 19 f., Beilage ./17-18).

II.2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG liegt es am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht. Mit der Glaubhaftmachung ist auch die Pflicht der Verfahrenspartei verbunden, initiativ alles darzulegen, was für das Zutreffen der behaupteten Voraussetzungen spricht und diesbezüglich konkrete Umstände anzuführen, die objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Voraussetzung liefern. Insoweit trifft die Partei eine erhöhte Mitwirkungspflicht. Allgemein gehaltene Behauptungen reichen für eine Glaubhaftmachung nicht aus (vgl. VwGH 17.10.2007, 2006/07/0007).

Der BF führte im verwaltungsbehördlichen Verfahren gleichbleibend aus, dass er als schiitischer Muslim aufgewachsen sei (AS. 11, 59). Seinen anschaulichen Schilderungen zu seiner Religionsausübung im Iran war allerdings zu entnehmen, dass er sich dem Islam nie richtig verbunden gefühlt hat (VHS S. 16). In seiner Glaubensbiografie vom 20.02.2019 beschrieb der BF die Situation in Afghanistan oder im Iran so, dass man dort von Geburt an automatisch Muslim sei. Es sei gefährlich, wenn man sich nicht zum Islam bekenne. Es sei nicht Gott, der einen dafür verurteile, sondern die Menschen, die einen dann bedrohten. Wenn man in diesen Ländern die falschen Fragen über Gott stelle und Dinge anzweifle, sei das sehr gefährlich. Ihm habe nicht gefallen, dass der Islam so brutal und intolerant sei (OZ 9). In der mündlichen Verhandlung erklärte er näher zum Verhältnis zu seinem Vater befragt, dass es im Iran immer wieder Diskussionen mit seinem Vater wegen des Betens und Fastens gegeben habe. Ab dem vierzehnten oder fünfzehnten Lebensjahr sei der Kontakt zu seinem Vater nicht mehr so gut gewesen, weil dieser den BF immer zum Beten und Fasten gedrängt habe (VHS S. 14). Er sei von seinem Lehrer in der Koranschule und seinem Vater mit Stöcken geschlagen worden, damit er bete (VHS S. 15). Diese detaillierten Aussagen ließen die Abwendung des BF vom islamischen Glauben glaubwürdig erscheinen.

Die getroffene Feststellung betreffend die Konversion des BF zum Christentum ergibt sich aus den glaubwürdigen Angaben des BF und der einvernommenen Zeugen, dem Pfarrer und der stellvertretenden Pfarrgemeinderats-Vorsitzenden, anlässlich der Beschwerdeverhandlung. Er konnte sein Interesse und seinen Entschluss, zum Christentum zu konvertieren, vor dem erkennenden Richter nachvollziehbar und begründet darlegen. Er habe durch seinen Kontakt zu Christen, wie seiner Vertrauensperson und Freunden aus dem Park, die ihm gegenüber aufgeschlossen und nett gewesen seien, begonnen, sich für das Christentum zu interessieren. Den Entschluss selbst, zum Christentum zu konvertieren, habe er nach der Teilnahme bei der Taufe der Tochter seiner Vertrauensperson gefasst. Er habe den Pfarrer kennengelernt, der ihm sehr viel geholfen und mit ihm gesprochen habe (VHS S. 15).

Dass er an einem Taufvorbereitungskurs teilgenommen hat und am 07.03.2019 zu den Sakramenten der Eingliederung zugelassen wurde, ergibt sich aus den Äußerungen des BF und des Pfarrers in der mündlichen Verhandlung sowie der vorgelegten Bestätigung (OZ 9, VHS S. 16, 23). Die Feststellung, dass der BF am 06.01.2020 in der römisch-katholischen Kirche getauft wurde, beruht auf dem von ihm vorgelegten Taufschein (Beilage ./18).

Aus den stringenten Ausführungen des BF, des Pfarrers und der stellvertretenden Pfarrgemeinde-Vorsitzenden geht hervor, dass er zu einem wertvollen und aktiven Mitglied der Pfarrgemeinde geworden ist. Er besuche jeden Sonntag den Gottesdienst und die anschließenden Treffen. Darüber hinaus habe er sich, wo immer er konnte, bei verschiedenen Veranstaltungen der Pfarre als freiwilliger und unbezahlter Helfer engagiert, wie zum Beispiel bei den Flohmärkten im Frühjahr und Herbst 2019 sowie zuletzt beim XXXX -Projekt „Not-Wärmestube“ bzw. „Klimaoase“ (VHS S. 18, Beilage ./17).

Im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung vermittelte der BF sein Wissen um den christlichen Glauben und vermochte schlüssig darzutun, was ihn dazu bewegte, zum Christentum zu konvertieren. Dieser Eindruck wurde durch die Erläuterungen der einvernommenen Zeugen bestätigt.

Ein besonders starkes Indiz für die Hinwendung zum Christentum aus innerer religiöser Überzeugung und nicht bloß zum Schein aus Asylzwecken, war für den erkennenden Richter, dass der BF bereits im Rahmen des Pfingstfestes im Jahr 2019 zur Taufe zugelassen war, aber den Termin, aufgrund seiner Angst vor der zu erwartenden Ablehnung durch seine Familie verschoben hat, wobei er weiterhin am Pfarrgemeindeleben teilnahm. Erst nach reiflicher Überlegung entschied er sich, trotz der möglichen negativen Konsequenzen für sein Verhältnis zu seinen Eltern, für den Eintritt in die katholische Kirche. Diese Entwicklung in seiner religiösen Einstellung wurde durch den Pfarrer und die stellvertretende Pfarrgemeinde-Vorsitzende sehr lebensnah dargestellt (VHS S. 23 f., 26 f.). Die beiden Zeugen attestierten dem BF, dass er die Taufe aus voller Überzeugung vollzogen hat und sein ernsthafter Wunsch nach Vertiefung seines Glaubens, auch nach seiner Taufe besteht (Beilage ./17).

Der BF hat im Verfahren vor dem BVwG glaubhaft dargelegt, dass er aus freier persönlicher Überzeugung vom schiitischen Islam zum Christentum konvertiert ist, und er seinen Glauben nunmehr offen lebt. Der BF hat im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung glaubhaft dargelegt, dass er sich auf Grund einer persönlichen Entscheidung vom Islam abgewendet und aus innerer religiöser Überzeugung dem Christentum zugewendet hat. Er hat seine Familie auch schon darüber informiert, dass er nun Christ ist. Auf Grund der nunmehrigen Lebensumstände und der glaubhaften Angaben des BF kann daher davon ausgegangen werden, dass die Konversion des BF zum Christentum über das persönliche Umfeld des BF hinaus auch nach außen hin bekannt geworden ist.

Das Vorbringen des BF hinsichtlich seiner Furcht vor Verfolgung im Fall der Rückkehr nach Afghanistan auf Grund seiner Konversion vom Islam zum Christentum war in ganzheitlicher Würdigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, insbesondere unter Berücksichtigung der diesbezüglich vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage von Christen und Konvertiten in Afghanistan, insgesamt als glaubhaft zu beurteilen. So war das Vorbringen des BF zur möglichen Furcht vor Verfolgung im Fall der Rückkehr nach Afghanistan ausreichend substantiiert, umfassend, in sich schlüssig und im Hinblick auf die besonderen Umstände des BF und die allgemeine Situation in Afghanistan plausibel.

Zusammenfassend erscheint aus den dargelegten Erwägungen das Vorbringen des BF in der mündlichen Beschwerdeverhandlung zu seiner Furcht vor Verfolgung in Afghanistan aus Gründen der Konversion vom Islam zum Christentum insgesamt glaubhaft.

Im gesamten Verfahren sind keine Gründe zu Tage getreten, die den BF von der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ausschließen.

II.2.2. Die Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF ergeben sich aus den jeweils darunter angeführten aktuellen Berichten diverser anerkannter staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen bzw. Organisationen und bieten ein in inhaltlicher Hinsicht grundsätzlich übereinstimmendes und ausgewogenes Bild zur Situation in Afghanistan. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem BVwG von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation fallrelevant nicht wesentlich geändert haben. Die Berichte, auf denen die Länderfeststellungen basieren, sind damit nicht als veraltet zu bewerten.

Der BF hatte im Verfahren vor dem Gericht Gelegenheit, zu den angeführten Berichten Stellung zu nehmen. Der BF verzichtete im Wege seiner Rechtsvertretung auf eine Stellungnahme zu den wiedergegebenen Länderberichten und Erkenntnisquellen und trat diesen daher nicht entgegen.

II.3. Rechtliche Beurteilung:

II.3.1. Gemäß § 6 BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da in den anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen keine gegenteiligen Bestimmungen enthalten sind, liegt gegenständlich somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 17 VwGVG (BGBl. I Nr. 33/2013), sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

II.3.2. Zu Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016, ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/011; VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031). Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.02.1997, 95/01/0454; VwGH 09.04.1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH 18.04.1996, 95/20/0239; vgl. auch VwGH 16.02.2000, 99/01/097), sondern erfordert eine Prognose.

Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. dazu VwGH 09.03.1999, 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; VwGH 15.03.2001, 99720/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorherigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.06.1994, 94/19/0183; VwGH 18.02.1999, 98/20/0468). Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, 94/18/0263; VwGH 01.02.1995, 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256).

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative"

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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