TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/10 G314 2202069-1

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Veröffentlicht am 10.09.2020
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Entscheidungsdatum

10.09.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6

Spruch

G314 2202069-1 /6E
G314 2202066-1 /6E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerden 1.) des XXXX , geboren am XXXX und 2.) der XXXX , geboren am XXXX , beide Staatsangehörige von Bosnien und Herzegowina, beide vertreten durch die ARGE Rechtsberatung (Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH), gegen Spruchpunkt VIII. der Bescheide des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .06.2018, Zl. XXXX und XXXX , zu Recht:

A)       Den Beschwerden wird teilweise Folge gegeben und Spruchpunkt VIII. der angefochtenen Bescheide dahingehend abgeändert, dass es zu lauten hat: „Gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 2 Z 6 FPG wird gegen die Beschwerdeführer jeweils ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.“

B)       Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Shodno ?lanu 133 odlomak 4 Saveznog ustavnog zakona revizija nije dozvoljena.


Text


Entscheidungsgründe:

Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführer (BF) wurden am XXXX .02.2018 in XXXX im Zuge einer fremdenpolizeilichen Kontrolle festgenommen. Bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zur beabsichtigten Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbots am selben Tag beantragten sie internationalen Schutz.

Nach der Erstbefragung und der Einvernahme der BF am 07.02.2018 wies das BFA mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden die Anträge der BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten und von subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkte I. und II.), sprach aus, dass ihnen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt werde (Spruchpunkt III.), erließ jeweils eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte die Zulässigkeit der Abschiebung nach Bosnien und Herzegowina fest (Spruchpunkt V.). Einer Beschwerde wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.), keine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt (Spruchpunkt VII.) und gegen beide BF gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 2 Z 6 FPG ein auf fünf Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VIII.). Das Einreiseverbot wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die BF mittellos seien und ihren Unterhalt nicht selbst finanzieren könnten. Außerdem hätten sie sich ein halbes Jahr ohne Meldung im Bundesgebiet aufgehalten und seien untergetaucht, um sich den Behörden zu entziehen. Sie hätten ihren Aufenthalt durch Bettelei finanziert und der Republik „enormen wirtschaftlichen Schaden“ zugefügt. Private und familiäre Anknüpfungspunkte der BF im Bundesgebiet stünden dem Einreiseverbot nicht entgegen.

Ausdrücklich nur gegen Spruchpunkt VIII. des Bescheids richtet sich die wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und der Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene gemeinsame Beschwerde der BF mit den Anträgen, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, den angefochtenen Spruchpunkt ersatzlos zu beheben, in eventu, die Dauer des Einreiseverbots zu reduzieren und dieses auf Österreich zu beschränken. Die BF begründen die Beschwerde zusammengefasst damit, dass keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit anzunehmen sei. Zwar verfügten sie über beschränkte Eigenmittel, hätten aber von Freunden und Bekannten Unterkunft und finanzielle Unterstützung erhalten. Sie hätten ihren Lebensunterhalt teilweise durch Bettelei finanziert; da es sich dabei um private Zuwendungen handle, sei kein wirtschaftlicher Schaden für die Republik Österreich entstanden. Sie seien nicht bewusst untergetaucht, um sich den Behörden zu entziehen, sondern hätten in Österreich keine Unterkunft gehabt, um sich anzumelden. Sie hätten sich nach dem ersten Behördenkontakt kooperativ verhalten, seien bemüht, sich an die österreichischen Gesetze zu halten und würden freiwillig nach Bosnien und Herzegowina zurückkehren. Asylwerber seien geradezu typischerweise mittellos. Ein Einreiseverbot in der Maximaldauer von fünf Jahren sei unverhältnismäßig. Da die BF Verwandte in Norwegen hätten, hätte das BFA das Einreiseverbot auf Österreich beschränken müssen.

Die BF stimmten einer freiwilligen Rückkehr in ihre Heimat zu und verließen das Bundesgebiet am XXXX .07.2018.

Das BFA legte die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor.

Feststellungen:

Die kinderlosen BF, die seit XXXX miteinander verheiratet sind, sind Staatsangehörige von Bosnien und Herzegowina und lebten vor ihrer nunmehrigen Einreise in das Bundesgebiet in der Gemeinde XXXX (Föderation Bosnien und Herzegowina). Beide gehören zur bosniakischen Volksgruppe, sind muslimisch-sunnitischen Glaubens und beherrschen ausschließlich ihre bosnische Muttersprache.

Der Erstbeschwerdeführer (BF1) wurde am XXXX in der bosnisch-herzegowinischen Stadt XXXX geboren. In seiner Heimat besuchte er acht Jahre lang die Grundschule und begann danach eine Ausbildung zum XXXX , die er jedoch nicht abschloss. Zuletzt verdiente er mit Gelegenheitsarbeiten ca. EUR 10 pro Monat. Seine Mutter, eine Schwester sowie Onkel und Tanten leben in Bosnien und Herzegowina; sein Vater ist bereits verstorben. Der BF1 verfügt über einen biometrischen Reisepass mit Gültigkeit von XXXX .10.2015 bis XXXX .10.2025.

Die Zweitbeschwerdeführerin (BF2) wurde am XXXX in der bosnisch-herzegowinischen Stadt XXXX geboren. In ihrer Heimat besuchte sie acht Jahre lang die Grundschule, machte aber keine weiterführende (Berufs-) Ausbildung und arbeitete zuletzt im familiären Haushalt. Ihre Eltern, eine Schwester sowie Onkel und Tanten leben in Bosnien und Herzegowina, eine andere Schwester in Kroatien. Die BF2 verfügt über einen biometrischen Reisepass mit Gültigkeit von XXXX 06.2017 bis XXXX .06.2027.

Am XXXX 07.2017 reisten die BF gemeinsam ohne ausreichende Mittel zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts über Kroatien in den Schengenraum und in der Folge nach Österreich ein. Weder der BF1 noch die BF2 verfügten über einen Aufenthaltstitel. Zweck der Einreise war, dass die BF2 für drei Monate eine Beschäftigung als XXXX bei einer Familie in XXXX gefunden hatte; danach wollten die BF in Österreich eine andere Arbeit suchen. Sie wohnten zunächst an derselben Adresse wie die Arbeitgeber der BF2, wo letztere im Zeitraum XXXX .08.2017 bis XXXX .02.2018 mit Nebenwohnsitz gemeldet war. Der BF1 hielt sich dort ohne Wohnsitzmeldung auf. Nach ca. eineinhalb Monaten beendeten die Arbeitgeber der BF2 deren Tätigkeit, für die weder eine arbeitsmarktbehördliche Bewilligung noch eine Anmeldung zur Sozialversicherung vorlag. Die BF verblieben im Bundesgebiet, wo sie ohne Wohnsitzmeldung bei einer entfernten Verwandten des BF1 oder bei Freunden Unterkunft nahmen. Sie finanzierten ihren weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet durch Bettelei (BF1) und gelegentliche XXXX (BF2) sowie durch Zuwendungen von Freunden. Sie gingen nie einer legalen Erwerbstätigkeit nach.

Bei einer polizeilichen Kontrolle der BF am XXXX 02.2018 am XXXX wurde festgestellt, dass sie sich bereits seit XXXX 07.2017 durchgehend im Bundesgebiet aufhielten und somit die erlaubte visumfreie Aufenthaltsdauer von 90 Tagen in 180 Tagen überschritten hatten. Sie waren zum Zeitpunkt der Kontrolle abgesehen von geringen Barmitteln (EUR 20) mittellos.

Beide BF sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten. Der BF1 ist gesund und arbeitsfähig. Bei der BF2 bestehen eine Wirbelsäulenverkrümmung, Magenprobleme und Beinschmerzen; sie ist jedoch nicht auf die Einnahme von Medikamenten angewiesen. Abgesehen davon ist sie gesund und (zumindest eingeschränkt) arbeitsfähig. Die BF haben keine wesentlichen familiären, privaten, beruflichen oder anderen sozialen Bindungen zu Österreich oder zu anderen Staaten, für die das Einreiseverbot gilt. Von XXXX 02.2018 bis zu ihrer Ausreise am XXXX 07.2018 bezogen sie Grundversorgungsleistungen als Asylwerber, hielten sich in einem Grundversorgungsquartier auf und waren im Rahmen der Grundversorgung auch krankenversichert.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten. Die freiwillige Ausreise der BF am XXXX 07.2018 ist im Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR) dokumentiert.

Name, Geburtsdatum, Geburtsort und Staatsangehörigkeit der BF gehen aus den Kopien aus ihren Reisepässen, deren Echtheit nicht in Zweifel steht, hervor. Dies steht im Einklang mit ihren Ausssagen bei der Erstbefragung und vor dem BFA, bei denen sie auch plausible Angaben zu Volksgruppenzughörigkeit, Religionszugehörigkeit und ihrem Wohnsitz in Bosnien und Herzegowina machten. Bosnische Sprachkenntnisse sind aufgrund ihrer Herkunft naheliegend und können auch deshalb festgestellt werden, weil eine Verständigung mit dem vom BFA beigezogenen Dolmetsch für Bosnisch problemlos möglich war. Weitere Sprachkenntnisse verneinten beide BF.

Die Ausbildung und Erwerbstätigkeit der BF in ihrem Herkunftsstaat werden anhand ihrer insoweit glaubhaften und konsistenten Angaben festgestellt.

Die Feststellungen zum Familienstand der BF und zu ihren in Bosnien und Herzegowina, Österreich sowie Kroatien lebenden Angehörigen beruhen auf ihren insoweit plausiblen und nachvollziehbaren Angaben. Abgesehen von der entfernten Verwandten des BF1, bei der sie in XXXX zeitweise nächtigten, gibt es keine Anhaltspunkte für Angehörige, die in Österreich leben. Erstmals in der Beschwerde behaupten die BF familiäre Anknüpfungen in Norwegen. Dazu werden mangels entsprechender Beweismittel keine Feststellungen getroffen, zumal diese für die vorliegende Entscheidung nicht relevant sind.

Die Einreise der BF in das Bundesgebiet wird anhand ihrer Darstellung und entsprechender Einreisestempel in ihren Reisepässen festgestellt. Es gibt keine Hinweise darauf, dass sie zwischen XXXX 07.2017 und XXXX .07.2018 ausgereist wären. Das Fehlen ausreichender Unterhaltsmittel ergibt sich aus dem Umstand, dass der BF1 in Bosnien und Herzegowina zuletzt nur ein äußerst geringes Einkommen bezog (wobei seiner Behauptung, er habe für die Finanzierung der Ausreise etwas gespart, angesichts eines Monatseinkommens von EUR 10 nicht gefolgt werden kann) und erklärte, er habe dort „gar nichts“, dass die BF einreisten, um hier zu arbeiten bzw. eine Arbeit zu suchen, dass sie ihren Lebensunterhalt in der Folge mit Betteln, gelegentlichen Reinigungsarbeiten und Zuwendungen von Bekannten finanzierten und bei der Kontrolle am XXXX .02.2018 nur EUR 20 bei sich hatten. Es gibt keine Hinweise auf das Vorhandensein weiterer finanzieller Mittel (wofür letztlich auch der Bezug von Grundversorgungsleistungen spricht).

Die Feststellungen zur Tätigkeit der BF2 als XXXX folgen den übereinstimmenden Angaben der BF dazu. Aus dem Zentralen Melderegister (ZMR) geht hervor, dass an der Adresse XXXX , wo die BF2 von August 2017 bis Februar 2018 mit Nebenwohnsitz gemeldet war, auch XXXX und XXXX sowie drei minderjährige Kinder mit Hauptwohnsitz gemeldet sind, was die Schilderung der BF untermauert. Für den BF1 geht (neben einer Nebenwohnsitzmeldung 2013) aus dem ZMR erst wieder ab April 2018 eine Wohnsitzmeldung in einem Grundversorgungsquartier hervor, wo beide BF dann bis zu ihrer Ausreise gemeldet waren.

Weder den Verwaltungsakten noch dem IZR ist zu entnehmen, dass den BF je ein Aufenthaltstitel erteilt worden wäre; dies wird von ihnen auch nicht behauptet. Es liegen auch keine Beweisergebnisse für das Vorliegen einer arbeitsmarktbehördlichen Bewilligung für die von der BF2 ausgeübte Tätigkeit als XXXX und XXXX vor, sodass von deren Fehlen auszugehen ist. Aus dem Versicherungsdatenauszug ergibt sich lediglich die Krankenversicherung als Asylwerber, aber keine der Sozialversicherung gemeldete Erwerbstätigkeit der BF im Bundesgebiet.

Der BF1 schilderte dem BFA die Absicht, nach der Beschäftigung seiner Frau als XXXX in Österreich zu bleiben und hier eine Arbeit zu suchen, was angesichts des Verbleibs der BF im Bundesgebiet nach der Beendigung dieser Tätigkeit glaubhaft ist. Wenn in der Beschwerde vorgebracht wird, das BFA hätte berücksichtigen müssen, dass die BF zum Zwecke der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz eingereist seien, ist dem entgegenzuhalten, dass beide BF übereinstimmend angaben, zum Zwecke der Arbeitsaufnahme der BF2 als XXXX und zur Arbeitsuche eingereist zu sein. Der (mangels asylrelevanter Verfolgung unbekämpft abgewiesene) Antrag auf internationalen Schutz erfolgte erst im Rahmen der Festnahme der BF sechs Monate später.

Die Feststellung, dass die BF ihren weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet durch Betteln, Zuwendungen von Bekannten und „ XXXX “ finanzierten, ergibt sich aus ihren insoweit glaubhaften und plausiblen Aussagen vor dem BFA.

Es gibt keine Hinweise auf signifikante Erkrankungen oder Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit des BF1, der sich vor dem BFA als gesund bezeichnete und in einem arbeitsfähigen Alter ist. Die BF2 gab an, seit ihrer Geburt unter einer Wirbelsäulenverkrümmung zu leiden (was durch die Aussage des BF1, sie habe ein krankes Rückgrat bestätigt wird) sowie Probleme mit dem Magen und Schmerzen in den Beinen zu haben. Da sie jedoch auch erklärte, dass sie sich „gut“ fühle, keiner Medikamenteneinnahme bedürfe und gerne arbeiten würde, ist von ihrer (zumindest teilweisen) Arbeitsfähigkeit auszugehen, zumal sie in Österreich als XXXX und XXXX arbeitete.

Die strafgerichtliche Unbescholtenheit der BF in Österreich wird durch die Einsicht in das Strafregister, in dem keine Verurteilungen aufscheinen, belegt. Der Bezug von Grundversorgungsleistungen geht aus den Auszügen aus dem GVS-Betreuungsinformationssystem hervor.

Es sind keine Anhaltspunkte für eine über die Feststellungen hinausgehende Integration der BF in Österreich oder in einem anderen Mitgliedstaat zutage getreten, zumal sich ihr Lebensmittelpunkt bislang in ihrem Herkunftsstaat befand, wo ihre Herkunftsfamilien leben, und sie sich nur knapp ein Jahr lang im Bundesgebiet aufhielten.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Die Beschwerde richtet sich ausdrücklich nur gegen das jeweils in Spruchpunkt VIII. der angefochtenen Bescheide erlassene fünfjährige Einreiseverbot.

Bosnisch-herzegowinische Staatsangehörige, die Inhaber eines biometrischen Reisepasses sind, sind gemäß Art 4 Abs 1 iVm Anhang II der Visumpflichtverordnung (Verordnung [EU] 2018/1806) von der Visumpflicht für einen Aufenthalt, der 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen nicht überschreitet, befreit. Die BF durften daher unter den Einreisevoraussetzungen des Art 6 Abs 1 lit a, c, d und e SGK (Schengener Grenzkodex, Verordnung [EU] 2016/399) in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einreisen und sich dort gemäß Art 20 SDÜ (Schengener Durchführungsübereinkommen; vgl § 2 Abs 4 Z 6 FPG) unter den Voraussetzungen des Art 5 Abs 1 lit a, c, d und e SDÜ frei bewegen. Dazu gehört unter anderem, dass sie über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts sowohl für die Dauer des beabsichtigten Aufenthalts als auch für die Rückreise in den Herkunftsstaat oder für die Durchreise in einen Drittstaat, in dem ihre Zulassung gewährleistet ist, verfügen oder in der Lage sind, diese Mittel rechtmäßig zu erwerben. Gemäß Art 6 Abs 4 SGK werden die Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts nach der Dauer und dem Zweck des Aufenthalts und unter Zugrundelegung der Ausgaben für Unterkunft und Verpflegung in dem betreffenden Mitgliedstaat nach Maßgabe eines mittleren Preisniveaus für preisgünstige Unterkünfte bewertet, die um die Zahl der Aufenthaltstage multipliziert werden. Die Feststellung ausreichender Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts kann anhand von Bargeld, Reiseschecks und Kreditkarten erfolgen, die sich im Besitz des Drittstaatsangehörigen befinden. Sofern in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehen, können auch Verpflichtungserklärungen und — im Falle des Aufenthalts eines Drittstaatsangehörigen bei einem Gastgeber — Bürgschaften von Gastgebern im Sinne des nationalen Rechts Nachweise für das Vorhandensein ausreichender Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts darstellen.

Gemäß § 53 FPG kann das BFA mit einer Rückkehrentscheidung ein Einreiseverbot, also die Anweisung Drittstaatsangehörige, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der EU (außer Irlands), Islands, Norwegens, der Schweiz und Liechtensteins einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten, erlassen, wenn diese die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährden. Die Dauer des Einreiseverbots ist abhängig vom bisherigen Verhalten. Dabei ist zu berücksichtigen, inwieweit der Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art 8 Abs 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. § 53 Abs 2 FPG enthält eine demonstrative Aufzählung von Tatbeständen, deren Vorliegen eine Gefährdung öffentlicher Interessen indiziert. Dies ist demnach z.B. dann anzunehmen, wenn ein Drittstaatsangehöriger den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen vermag (§ 53 Abs 2 Z 6 FPG). In diesem Fall kann ein Einreiseverbot für die Dauer von höchstens fünf Jahren erlassen werden.

Ein Einreiseverbot ist nicht zwingend mit jeder Rückkehrentscheidung zu verbinden, sondern steht im Ermessen der Behörde. Es soll bestimmte, mit dem Aufenthalt des betroffenen Fremden potentiell verbundene Gefährdungen öffentlicher Interessen hintanhalten. Dabei ist im Rahmen einer Interessenabwägung zu prüfen, inwiefern private und familiäre Interessen des Fremden der Verhängung des Einreiseverbots in der konkreten Dauer allenfalls entgegenstehen. Ein Einreiseverbot ist dann zu verhängen, wenn die Gefährdungsprognose eine zukünftige Gefährdung relevanter öffentlicher Interessen ergibt und eine Interessenabwägung nach Art 8 EMRK zu Lasten des betroffenen Drittstaatsangehörigen ausgeht (vgl Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht § 53 FPG K 10 ff; vgl. auch VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0062).

In Bezug auf die für ein Einreiseverbot zu treffende Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten der Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (siehe VwGH 25.05.2020, Ra 2019/19/0116).

Aus der Mittellosigkeit von Fremden resultiert die Gefahr der Beschaffung der Unterhaltsmittel aus illegalen Quellen und der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft, weshalb im Fall des Fehlens ausreichender Unterhaltsmittel die Annahme einer Gefährdung iSd § 53 Abs 2 FPG gerechtfertigt ist. Dies gilt auch für ein in einem Verfahren über den ersten Antrag auf internationalen Schutz erlassenes Einreiseverbot (vgl. VwGH 12.07.2019, Ra 2018/14/0282). Nach § 53 Abs 2 Z 6 FPG hat ein Fremder initiativ, untermauert durch Vorlage entsprechender Bescheinigungsmittel, nachzuweisen, dass er nicht bloß über Mittel zur kurzfristigen Bestreitung seines Unterhalts verfügt, sondern sein Unterhalt für die beabsichtigte Dauer seines Aufenthalts gesichert erscheint. Die Verpflichtung, die Herkunft der für den Unterhalt zur Verfügung stehenden Mittel nachzuweisen, besteht insoweit, als für die Behörde ersichtlich sein muss, dass der Fremde einen Rechtsanspruch darauf hat und die Mittel nicht aus illegalen Quellen stammen (siehe zuletzt VwGH 27.04.2020, Ra 2019/21/0277). Der Umstand, dass einem Fremden Grundversorgung gewährt wird, bestätigt geradezu die Beurteilung, dass der auf die Mittellosigkeit abstellende Tatbestand des § 53 Abs 2 Z 6 FPG erfüllt ist (siehe VwGH 27.06.2019, Ra 2019/14/0030).

Die BF haben demnach keine ausreichenden Unterhaltsmittel nachgewiesen, zumal kein Rechtsanspruch auf die finanzielle Unterstützung durch Bekannte oder auf durch Betteln erworbene Mittel besteht und sie keine Möglichkeit hatten, in Österreich auf legalem Weg weitere Unterhaltsmittel zu erwerben. Sie haben weder dargelegt, wie lange sie noch im Gebiet der Mitgliedstaaten bleiben wollten, noch, wie sie die Rückreise finanzieren wollten, und auch kein (bereits bezahltes) Ticket dafür vorgelegt, sodass das BFA zu Recht von ihrer Mittellosigkeit ausging. Die damit verbundenen Gefahren der Beschaffung von Mitteln aus illegalen Quellen und der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft haben sich hier bereits durch die unerlaubte Tätigkeit der BF2 als XXXX und XXXX sowie durch die Gewährung von Grundversorgungsleistungen infolge eines unbegründeten Antrags auf internationalen Schutz verwirklicht.

Da die BF schon mit der Absicht, in Österreich zu arbeiten bzw. eine Arbeit zu suchen, einreisten (was nicht von den Bedingungen des visumfreien Aufenthalts umfasst ist), die zulässige Aufenthaltsdauer massiv überschritten und melderechtliche Vorschriften missachteten, indem sie bei den Arbeitgebern der BF2, der Verwandten des BF1 und bei Bekannten ohne Wohnsitzmeldung Unterkunft nahmen, liegt auch die für die Erlassung eines Einreiseverbots erforderliche Gefährdung öffentlicher Interessen vor (ohne dass gesagt werden kann, dass sie der Republik einen „enormen wirtschaftlichen Schaden“ zugefügt hätten). Dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Bestimmungen kommt zum Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit und zur Verhinderung von Schäden für die österreichische Wirtschaft ein hoher Stellenwert zu. Dieses öffentliche Interesse überwiegt in der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung das private Interesse der BF an einem Aufenthalt in den vom Einreiseverbot umfassten Staaten, zumal ihr Lebensmittelpunkt in Bosnien und Herzegowina liegt und keine Integrationsmomente vorliegen. Die Kontakte zu Angehörigen (außerhalb der Kernfamilie der BF) in Österreich, Kroatien und allenfalls auch Norwegen können sie auch durch Kommunikationsmittel wie Telefon und Internet sowie bei Besuchen in Bosnien und Herzegowina (oder in anderen, nicht vom Einreiseverbot umfassten Staaten) pflegen, sodass diese Kontakte der Erlassung eines Einreiseverbots nicht entgegenstehen.

Trotz der Erfüllung des Tatbestands des § 53 Abs 2 Z 6 FPG und der dadurch indizierten Gefährdung der öffentlichen Ordnung ist die Erlassung eines Einreiseverbots in der Maximaldauer von fünf Jahren zusätzlich zur Rückkehrentscheidung nicht notwendig. Das Ausschöpfen der vorgesehenen Höchstfristen darf nicht regelmäßig schon dann erfolgen, wenn einer der Fälle des § 53 Abs 2 oder Abs 3 FPG vorliegt; eine einzelfallbezogene Bemessung ist vielmehr unabdingbar (vgl. VwGH 30.06.2015, Ra 2015/21/0002). Die Dauer des Einreiseverbots ist daher auf drei Jahre zu reduzieren, weil dies dem Fehlverhalten der strafgerichtlich unbescholtenen BF und der von ihnen ausgehenden Gefährdung entspricht. Dadurch bleibt auch eine Steigerung der Sanktion bei einem neuerlichen Fehlverhalten möglich. Eine weitere Reduktion scheitert daran, dass die BF die Bedingungen und Befristungen des visumfreien Aufenthalts nicht einhielten und mehrere Verstöße gegen die öffentliche Ordnung (unrechtmäßiger Aufenthalt, Verstoß gegen melderechtliche Vorschriften, unerlaubte Erwerbstätigkeit) vorliegen. Spruchpunkt VIII. des angefochtenen Bescheids ist in diesem Sinn in teilweiser Stattgebung der Beschwerde abzuändern.

Zum Antrag auf Beschränkung des Geltungsbereiches des Einreiseverbots:

Das Einreiseverbot gemäß § 53 Abs 1 FPG ist von Gesetzes wegen die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, "für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten". Eine Beschränkung der Maßnahme nur auf Österreich ist gesetzlich nicht vorgesehen (vgl. zuletzt VwGH 09.07.2020, Ra 2020/21/0257). Für die beantragte Einschränkung des räumlichen Geltungsbereiches des Einreiseverbots auf Österreich gibt es daher keine gesetzliche Grundlage. Vielmehr sind allfällige Konsequenzen des Einreiseverbots – z.B. die mögliche zeitweilige Trennung von Angehörigen – im großen öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen. Davon unabhängig ist die Frage, ob das Einreiseverbot überhaupt zu einer entsprechenden Ausschreibung im Schengener Informationssystem führt und ob die nationalen Behörden ungeachtet einer allfälligen solchen Ausschreibung Fremden die Wiedereinreise in ihr Hoheitsgebiet wegen dort bestehender Bindungen gestatten (siehe dazu EuGH 31.12.2006, Kommission gegen Königreich Spanien, Rs C-503/03).

Die Gültigkeit des Einreiseverbots für den gesamten Schengenraum ist eine (mögliche) Rechtsfolge, die sich unmittelbar aus dem Schengen-Vertrag und dem SGK ergibt. Durch das Einreiseverbot wurde nicht abschließend über die Einreisemöglichkeit in einen anderen Staat als Österreich entschieden, über die letztlich die Behörden des Mitgliedstaates, in den der mit einem von einer österreichischen Behörde erlassenen Einreiseverbot belegte Drittstaatsangehörige einzureisen beabsichtigt, entscheiden müssen. Daher sind auch allfällige (in der Beschwerde nur vage behauptete) Kontakte der BF zu Verwandten in Norwegen nicht entscheidungswesentlich.

Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:

Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt werden konnte, ist die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG nicht erforderlich.

Zu Spruchteil B)

Die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose und die Bemessung der Dauer eines Einreise- oder Aufenthaltsverbots sind im Allgemeinen nicht revisibel (VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0284 und 10.07.2019, Ra 2019/19/0186). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG im vorliegenden Einzelfall an der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.

Schlagworte

Einreiseverbot Herabsetzung Milderungsgründe Unbescholtenheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G314.2202069.1.01

Im RIS seit

18.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

18.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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