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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Bachler, Dr. Rigler und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Mag. Unterer, über die Beschwerde des Chuks Aigbe, geboren am 10. August 1965, vertreten durch Dr. Klaus Kocher, Rechtsanwalt in Graz, Sackstraße 36, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 30. September 1996, Zl. 4.347.819/1-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Nigerias, der am 15. November 1995 in das Bundesgebiet eingereist ist, hat den Bescheid des Bundesasylamtes vom 20. November 1995, mit dem sein Asylantrag abgewiesen worden war, mit Berufung bekämpft.
Mit Bescheid vom 30. September 1996 wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Der Beschwerdeführer hat bei seiner niederschriftlichen Einvernahme durch die Behörde erster Instanz am 17. November 1995 angegeben, er sei, weil er Mitglied der nationalen Jugendbewegung in Ogoni gewesen sei, vom 24. Mai 1994 bis 14. November 1995 (dem Tag vor seinem Abflug aus Nigeria) ohne Verurteilung inhaftiert gewesen. Er sei durch Hilfe eines ihn bewachenden Polizisten freigekommen. Dieser habe ihn zur Hintertüre hinausgeführt; der Beschwerdeführer sei dann drei Minuten gelaufen, worauf er seinen auf ihn wartenden Onkel erblickt habe, der ihn zunächst zu einem Freund gebracht habe. Am nächsten Tag habe der Beschwerdeführer "weg gemußt". Von seinem Onkel habe er einen Paß und das Flugticket erhalten. Auf den Vorhalt, seine Angaben seien unglaubwürdig, weil sein Führerschein mit 4. Juli 1994 datiert sei und er ein "Flinserl" am linken Ohr trage, erwiderte der Beschwerdeführer, der Führerschein sei seinem Onkel mit der Post geschickt worden und "der Polizist mußte es" (offenbar gemeint: den Ohrschmuck) "mir zurückgeben". Hinsichtlich seines Reiseweges führte der Beschwerdeführer aus, er sei am 15. November 1995 von Lagos nach Österreich geflogen. Über Anordnung seines Onkels habe der Beschwerdeführer von Graz aus "alles" per Post zurückgeschickt, weil dieser den Paß seinem Eigentümer habe zurückgeben müssen; einen Nachweis besitze der Beschwerdeführer nicht. Über die benutzte Fluglinie, die Dauer des Fluges, die Frage, ob es sich um einen Direktflug gehandelt habe, und darüber, wie er vom Flughafen nach Graz gelangt sei, vermochte der Beschwerdeführer zunächst keine Angaben zu machen. Lediglich hinsichtlich des Ortes seiner Einreise führte er aus, er sei nach dem Aussteigen in einer Schlange gestanden und habe dann das getan, was sein Onkel gesagt habe. Über Vorhalt, daß seine Angaben als völlig absurd und unwahr zu qualifizieren seien und daß die Vernehmung abgebrochen würde, wenn er nicht bereit sei, die Wahrheit zu sagen, brachte der Beschwerdeführer vor, sein Onkel habe ihn im Flugzeug von Lagos nach Österreich geschickt. Als der Beschwerdeführer aus dem Flugzeug ausgestiegen sei, habe er sich in der Reihe angestellt und sei "mit diesen Leuten" in einen Zug gestiegen. Er habe vorher gelogen; er habe bereits ein Kuvert bei sich gehabt und den Reisepaß sofort nach dem Aussteigen aus dem Flugzeug zurückgeschickt. Über Befragen stellte der Beschwerdeführer die Paßkontrolle dergestalt dar, daß er aus dem Flugzeug ausgestiegen und die Treppe hinuntergegangen sei; am Fuß der Treppe seien zwei Uniformierte gestanden, die den Paß kontrolliert hätten. Anschließend habe der Beschwerdeführer den Paß zurückgeschickt und sei dann in den Zug gestiegen. Mit diesem sei er einen Tag lang gefahren.
Die Behörde erster Instanz sprach in der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides den Angaben des Beschwerdeführers auf Grund deren Widersprüchlichkeit und wegen der mangelnden Nachvollziehbarkeit des dargestellten Fluchtweges jegliche Glaubwürdigkeit ab. Es sei geradezu absurd, daß der Führerschein eines politischen Häftlings an dessen Verwandten geschickt werde. Es könne nur entweder das Dokument gefälscht sein, oder der Beschwerdeführer sei im Zeitpunkt der Ausstellung des Führerscheines nicht in Haft gewesen. Beide Annahmen führten dazu, daß der Beschwerdeführer unwahre Angaben mache. Hinsichtlich des Ohrschmuckes sei davon auszugehen, daß die primären Sorgen eines aus einer Haftanstalt Entflohenen der weiteren Flucht und nicht der Wiedererlangung eines nahezu wertlosen Schmuckstückes gelten müßten. Was den Fluchtweg anbelange, entspreche die vom Beschwerdeführer geschilderte Art der Abfertigung keiner auf einem österreichischen Flugplatz bestehenden Situation. Diese Angaben seien daher als frei erfunden zu werten.
In seiner Berufung wandte sich der Beschwerdeführer gegen die von der Behörde erster Instanz für seine Unglaubwürdigkeit herangezogenen Argumente und machte geltend, alle von ihm geschilderten Umstände entsprächen tatsächlich Erlebtem. Der Beschwerdeführer sei durch das Verhalten des die Einvernahme durchführenden Behördenorgans und die von diesem offenbar vorweggenommene Beweiswürdigung in einer ohnedies angespannten psychischen Situation weiter belastet worden. Der Inhalt der Niederschrift sei dem Beschwerdeführer nicht wörtlich zur Kenntnis gebracht worden; bei richtiger Wiedergabe des vom Beschwerdeführer geschilderten Sachverhaltes wäre zutage gekommen, daß er von Lagos mit Balkan Air nach Sofia und von dort mit einer unbekannten Fluglinie nach Wien geflogen sei. Ein Reisepaß mit einem österreichischen Visum sei ihm von dritter Seite zur Verfügung gestellt worden; diesen habe er unmittelbar nach seiner Ankunft in Österreich nach Nigeria zurückgeschickt. Die Kontrolle auf dem Flughafen Wien sei nicht in der in der Niederschrift festgehaltenen Weise erfolgt. Vielmehr habe sich vor dem Abfertigungsschalter eine Schlange gebildet. Mit weiteren Afrikanern habe der Beschwerdeführer sodann einen Bus bestiegen, der ihn zum Bahnhof gebracht habe. Von dort sei er mit der Eisenbahn nach Graz gelangt. Den Führerschein, dessen Verlängerung der Beschwerdeführer rechtzeitig beantragt habe, habe der Onkel des Beschwerdeführers über dessen Ersuchen abgeholt. Die Gefangennahme des Beschwerdeführers sei grundlos erfolgt, weil er an keinen gewaltsamen Handlungen teilgenommen habe.
Die belangte Behörde hat den die Angaben des Beschwerdeführers wiedergebenden Teil des erstinstanzlichen Bescheides zum Inhalt des angefochtenen Bescheides erhoben. Zu den in der Bescheidbegründung unter Hinweis auf Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes gemachten Ausführungen über die mangelnde Asylrelevanz von auschließlich auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppierung gestützten Fluchtgründen ist der belangten Behörde zunächst entgegenzuhalten, daß diese im Beschwerdefall nicht zielführend sind, weil der Beschwerdeführer ja nicht behauptet hat, lediglich wegen seiner Zugehörigkeit zu einer Gruppierung geflohen zu sein, sondern vielmehr geltend gemacht hat, wegen dieser Zugehörigkeit eineinhalb Jahre inhaftiert gewesen zu sein. Damit erweisen sich auch die Darlegungen über die mangelnde Intensität der vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Maßnahmen und über die dem Beschwerdeführer - so wie allen übrigen Staatsbürgern - drohende Bestrafung wegen der sich nach Ansicht der belangten Behörde als kriminelles Delikt darstellenden Flucht aus dem Polizeigewahrsam als der Problematik des Beschwerdefalles nicht gerecht werdend.
Der belangten Behörde ist aber insoweit zu folgen, als sie den Angaben des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner Inhaftierung Glaubwürdigkeit nicht zugesprochen hat, weil es unwahrscheinlich sei, daß ihm als politischen Häftling ein Dokument - gemeint: die Verlängerung seiner Lenkerberechtigung während seiner Inhaftierung - überhaupt ausgestellt worden sei. Auch kann der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie deshalb, weil den Ausführungen des Beschwerdeführers nicht zu entnehmen sei, daß er sich aktiv für diese Organisation (offenbar gemeint: die vom Beschwerdeführer angeführte nationale Jugendbewegung in Ogoni) eingesetzt habe, zu dem Schluß gekommen ist, daß auch aus diesem Grund eine Inhaftierung lediglich auf Grund der Zugehörigkeit zu dieser Gruppierung - ob überhaupt und wie diese Zugehörigkeit den Behörden im Heimatland des Beschwerdeführers bekannt geworden wäre, kann den Ausführungen des Beschwerdeführers nicht entnommen werden - unglaubwürdig sei. Der Verwaltungsgerichtshof kann hiebei im Rahmen seiner Prüfungsbefugnis nur die Schlüssigkeit der Erwägungen innerhalb der Beweiswürdigung, nicht aber ihre konkrete Richtigkeit nachprüfen (vgl. die in Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, S. 550ff angeführte Judikatur).
Soweit der Beschwerdeführer die Art und Weise rügt, in der seine Einvernahme erfolgt sei, hat bereits die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheid ausgeführt, es sei nicht nur seine Fluchtgeschichte aufgenommen, sondern seien auch zusätzlich klärende, rein sachliche Fragen gestellt worden, um einen entsprechenden Eindruck von der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers zu erhalten und seine Ausreisegründe vollständig zu ermitteln. Der Leiter der Vernehmung, welcher der englischen Sprache sehr gut mächtig sei, habe eine wörtliche Rückübersetzung des Dolmetschers mit seiner Unterschrift bestätigt. Ebenso habe der Beschwerdeführer am Schluß der Einvernahme mit seiner Unterschrift bestätigt, daß ihm der Inhalt der Niederschrift zur Kenntnis gebracht worden sei und er nichts hinzuzufügen habe. Diese Ausführungen der belangten Behörde finden in der Niederschrift, deren Richtigkeit der Beschwerdeführer nicht angezweifelt hat, Deckung. Daß dem Beschwerdeführer im Zuge der Vernehmung zu seinem Fluchtweg zunächst gedroht wurde, die Einvernahme abzubrechen, ist offenbar - wie aus der Niederschrift ersichtlich ist - darauf zurückzuführen, daß der Beschwerdeführer auf ihm in dieser Hinsicht gestellte Fragen, deren Antworten ihm zumindest in groben Umrissen hätten bekannt sein müssen, lediglich geantwortet hat, eine Antwort nicht zu wissen. Daß nach seiner Einvernahme zu seinen Fluchtgründen "aufgrund dieser völlig unwahren Angaben keine weitere Einvernahme durchgeführt" wurde, hat der Beschwerdeführer in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid nicht vorgebracht, sodaß er mit seinem nunmehrigen, diese Vorgangsweise der Behörde rügenden Vorwurf dem gemäß § 41 Abs. 1 VwGG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden Neuerungsverbot unterliegt.
Soweit der Beschwerdeführer der belangten Behörde vorwirft, sie wäre der ihr aufgegebenen Ermittlungspflicht nicht nachgekommen, ist festzuhalten, daß der für den Umfang der Ermittlungspflicht maßgebliche § 16 Abs. 1 Asylgesetz 1991 wohl bestimmt, daß die Asylbehörden in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen durch Fragestellung oder in anderer geeigneter Weise darauf hinzuwirken haben, daß die für die Entscheidung erheblichen Angaben über die zur Begründung des Asylantrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Asylantrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen. Diese Gesetzesstelle, die eine Konkretisierung der aus § 37 AVG in Verbindung mit § 39 Abs. 2 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörden, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen, darstellt, begründet aber keine über den Rahmen der angeführten Vorschriften hinausgehende Ermittlungspflicht. Nur im Fall hinreichend deutlicher Hinweise im Vorbringen eines Asylwerbers auf einen Sachverhalt, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention in Frage kommt, hat die Behörde gemäß § 16 Abs. 1 Asylgesetz 1991 in geeigneter Weise auf eine Konkretisierung der Angaben des Asylwerbers zu dringen. Aus dieser Gesetzesstelle kann aber keine Verpflichtung der Behörde abgeleitet werden, Asylgründe, die der Asylwerber gar nicht behauptet hat, zu ermitteln (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. November 1992, Zlen. 92/01/0800-0803). Da im Beschwerdefall über die bereits oben behandelten Angaben hinausgehende, hinreichend deutliche Hinweise auf das Vorliegen weiterer Gründe im Sinne der Flüchtlingskonvention im Vorbringen des Beschwerdeführers vor der Behörde erster Instanz nicht enthalten waren, liegt der behauptete Verfahrensmangel nicht vor. Da auch sonst ein für die Entscheidung wesentlicher Mangel des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz nicht hervorgekommen und vom Beschwerdeführer insoweit in seiner Berufung auch nicht geltend gemacht wurde, war die belangte Behörde nicht verpflichtet, gemäß § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 die Ergänzung oder Wiederholung dieses Verfahrens anzuordnen.
Die sich sohin als unbegründet erweisende Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1996011038.X00Im RIS seit
20.11.2000