TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/15 G314 2220617-1

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Veröffentlicht am 15.09.2020
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Entscheidungsdatum

15.09.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3

Spruch

G314 2220617-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde der slowakischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX 06.2019, Zl. XXXX , betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu Recht:

A)       Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene Bescheid dahin abgeändert, dass es in vollständiger Neufassung zu lauten hat:

„I. Gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG wird gegen die Beschwerdeführerin ein für die Dauer von 18 Monaten befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

II. Gemäß § 70 Abs 3 FPG wird der Beschwerdeführerin ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt. “

B)       Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Revízia je pod?a ?lánku 133 ods. 4 Spolkového správneho zákona neprípustná.


Text


Entscheidungsgründe:

Verfahrensgang:

Mit dem Schreiben des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 20.06.2018 wurde die Beschwerdeführerin (BF) aufgefordert, sich zu der wegen ihrer strafgerichtlichen Verurteilung wegen des Eingehens einer Aufenthaltsehe beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu äußern. Sie erstattete keine Stellungnahme.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid erließ das BFA gegen die BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein für die Dauer von drei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I.), erließ gemäß § 70 Abs 3 FPG keinen Durchsetzungsaufschub (Spruchpunkt II.) und erkannte einer Beschwerde gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt III.). Dieser Bescheid wurde im Wesentlichen mit der strafgerichtlichen Verurteilung der BF und dem Fehlen eines Privat- oder Familienlebens im Inland begründet. Die Spruchpunkte II. und III. wurden damit begründet, dass ihr weiterer Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle, weil sie durch das Eingehen einer Aufenthaltsehe Einwanderungsvorschriften verletzt und den illegalen Zuzug eines Fremden maßgeblich unterstützt habe.

Dagegen richtet sich die Beschwerde mit den Anträgen, dieser die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, eine Beschwerdeverhandlung durchzuführen und das Aufenthaltsverbot aufzuheben, in eventu, die Dauer zu reduzieren. Dies wird im Wesentlichen damit begründet, dass sich die Behörde nicht mit dem Privat- und Familienleben der BF auseinandergesetzt habe. Sie lebe seit mehreren Jahren im Bundesgebiet, wo auch ihre Tochter und deren Kinder sowie weitere Bekannte wohnten. Sie habe zwischen 2013 und 2018 bei verschiedenen Unternehmen legal gearbeitet. Von ihr gehe keine Gefährdung für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit, die ein Aufenthaltsverbot rechtfertige, aus.

Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem Erkenntnis vom 02.07.2019 Folge und es behob den Bescheid des BFA ersatzlos (Spruchpunkt B.). Den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wies es als unzulässig zurück (Spruchpunkt A.). Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hob Spruchpunkt B. dieses Erkenntnisses aufgrund einer Amtsrevision wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit auf (VwGH XXXX ).

Feststellungen:

Die BF, eine XXXX geborene slowakische Staatsangehörige, ist seit Oktober 2013 durchgehend mit Hauptwohnsitz in XXXX gemeldet. Sie besuchte in ihrem Herkunftsstaat die Schule und spricht Slowakisch. Bis Ende September 2017 und wieder seit Ende September 2018 lebt sie in einem gemeinsamen Haushalt mit ihrer volljährigen Tochter sowie deren Ehemann und Töchtern in XXXX . Drei weitere erwachsene Kinder der BF leben in der Slowakei.

Am XXXX .08.2015 wurde der BF erstmals eine Anmeldebescheinigung als Arbeitnehmerin ausgestellt. Sie war im Bundesgebiet ab November 2013 immer wieder – teils geringfügig – beschäftigt und bezog (erstmals im August 2017) zeitweilig Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe.

Am XXXX ging die BF die Ehe mit einem bosnisch-herzegowinischen Staatsangehörigen ein, ohne ein gemeinsames Familienleben führen zu wollen, wobei sie wusste, dass er sich für die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, für den Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft oder zur Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf diese Ehe berufen wollte. Die BF führte mit ihrem Ehemann kein gemeinsames Familienleben. Wegen des Eingehens einer Aufenthaltsehe wurde sie mit dem Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX , wegen des Vergehens nach § 117 Abs 1 FPG – bei einer möglichen Geldstrafe von bis zu 360 Tagessätzen - zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen á EUR 4 verurteilt, die bis XXXX .04.2018 vollständig entrichtet wurde. Bei der Strafbemessung wurde ihre Unbescholtenheit als mildernd gewertet; besondere Erschwerungsgründe lagen nicht vor. Es handelt sich um die erste und bislang einzige strafgerichtliche Verurteilung der BF. Die Aufenthaltsehe wurde mittlerweile geschieden.


Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und der entscheidungswesentliche Sachverhalt ergeben sich aus den vorgelegten Verwaltungsakten und dem Gerichtsakt des BVwG.

Die Feststellungen basieren auf den vom BVwG im Erkenntnis vom 02.07.2019 getroffenen Sachverhaltsannahmen, denen die Revision nicht substantiiert entgegentrat und die auch der VwGH seiner Entscheidung zugrunde legte.

Die Identität der BF wird durch die entsprechenden Angaben im Strafurteil und im polizeilichen Abschlussbericht, insbesondere der Beschuldigtenvernehmung, belegt.

Die Wohnsitzmeldungen der BF und der gemeinsame Haushalt mit ihrer Tochter und deren Familie gehen aus dem Zentralen Melderegister (ZMR) hervor.

Die Schulbildung der BF und ihre Familienverhältnisse werden anhand ihre Angaben bei der Beschuldigtenvernehmung festgestellt. Slowakischkenntnisse sind aufgrund ihrer Herkunft und Ausbildung plausibel; nachvollziehbare Beweisergebnisse für Deutschkenntnisse liegen nicht vor.

Die Anmeldebescheinigung ist im Fremdenregister dokumentiert; die Beschäftigungsverhältnisse und der Bezug von Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe gehen aus dem Versicherungsdatenauszug hervor.

Die Feststellungen zur Aufenthaltsehe der BF, der dadurch begangenen Straftat, ihrer strafgerichtlichen Verurteilung und den Strafzumessungsgründen basieren auf dem Strafurteil und dem polizeilichen Abschlussbericht. Die Rechtskraft der Verurteilung und der Vollzug der Geldstrafe gehen aus dem Strafregister hervor. Anhaltspunkte für weitere strafgerichtliche Verurteilungen der BF bestehen nicht, zumal ihre Unbescholtenheit als Milderungsgrund berücksichtigt wurde.

Rechtliche Beurteilung:

Aufgrund der Aufhebung des Erkenntnisses des BVwG vom 02.07.2019 durch das Erkenntnis des VwGH vom 16.07.2020 tritt die Rechtssache gemäß § 42 Abs 3 VwGG in die Lage zurück, in der sie sich vor Erlassung der Entscheidung befunden hat. Die Herstellung des der Rechtsanschauung des VwGH entsprechenden Rechtszustands erfolgt durch die Erlassung einer Ersatzentscheidung des BVwG (Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht10 Rz 1407 ff).

Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen die BF als unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürgerin iSd § 2 Abs 4 Z 8 FPG zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen EWR-Bürger, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Bei einer besonders schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit (so etwa, wenn der EWR-Bürger zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren verurteilt wurde), kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs 3 FPG auch unbefristet erlassen werden.

Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung oder Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen oder verwaltungsrechtliche Bestrafungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 19.05.2015, Ra 2014/21/0057).

Die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots nach § 67 Abs 1 erster und zweiter Satz FPG liegen vor, wenn ein Fremder – im Sinn des Tatbestands des § 53 Abs 2 Z 8 FPG – eine Aufenthaltsehe geschlossen, also mit dem Ehegatten ein gemeinsames Familienleben iSd Art 8 EMRK nicht geführt und sich trotzdem für den Erwerb eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts oder zur Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf diese Ehe berufen hat. In diesem Fall beträgt die Höchstdauer eines Aufenthaltsverbots – abweichend von § 67 Abs 2 FPG – allerdings nicht zehn, sondern nur fünf Jahre (VwGH 23.03.2017, Ra 2016/21/0349). Ehegatten, die kein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art 8 EMRK führen, dürfen sich gemäß § 30 NAG für die Erteilung und Beibehaltung von Aufenthaltstiteln bzw. für den Erwerb und die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts nicht auf die Ehe berufen.

Bei der Festsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbotes ist gemäß § 67 Abs 4 FPG auf alle für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen, insbesondere auch auf die privaten und familiären Verhältnisse (VwGH 24.05.2016, Ra 2016/21/0075).

Gemäß Art 8 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Art 8 Abs 2 EMRK legt fest, dass der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft ist, soweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Gemäß § 9 BFA-VG ist (ua) die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 67 FPG, durch das in das Privat- und Familienleben eines Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration
(Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9), zu berücksichtigen.

Da die BF eine Aufenthaltsehe einging, ist von einer Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit iSd § 55 Abs 3 NAG auszugehen und der Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts gemäß § 53a NAG zu verneinen, zumal sie bereits im dritten Jahr ihres Aufenthalts ein strafrechtliches Fehlverhalten setzte. Für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist daher der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 erster bis vierter Satz FPG maßgeblich.

Die BF schloss eine Aufenthaltsehe ohne die Absicht, mit ihrem Ehemann ein gemeinsames Familienleben iSd Art 8 EMRK zu führen, mit der nur der Zweck verfolgt wurde, letzterem ein Aufenthaltsrecht zu verschaffen, auf das er als Nicht-EWR-Bürger sonst keinen Anspruch gehabt hätte. Sie wurde deshalb strafgerichtlich verurteilt; die Scheinehe wurde geschieden. Daher liegen die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen sie vor, zumal insoweit ein Missbrauch des unionsrechtlichen Rechts auf Freizügigkeit zur Umgehung fremdenrechtlicher Vorschriften vorliegt.

Ein Gesinnungswandel einer Straftäterin ist grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange sie sich in Freiheit wohlverhalten hat. Dieser Zeitraum ist nach den Grundsätzen der Judikatur umso länger anzusetzen, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit - etwa in Hinblick auf das der strafgerichtlichen Verurteilung zu Grunde liegende Verhalten oder einen raschen Rückfall - manifestiert hat (VwGH 30.04.2020, Ra 2019/20/0399). Für die BF kann demnach noch keine positive Zukunftsprognose erstellt werden, zumal die seit ihrem strafbaren Verhalten und dem Vollzug der Geldstrafe verstrichene Zeit dafür nicht ausreicht. Ein Aufenthaltsverbot gegen sie ist zum Schutz und zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung geboten, insbesondere, weil der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften in diesem Zusammenhang ein hoher Stellenwert zukommt.

Weitere Voraussetzung für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist, dass der damit verbundene Eingriff in das Familien- und Privatleben der BF verhältnismäßig sein muss. Auch diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Die BF lebt zwar in einem gemeinsamen Haushalt mit ihrer erwachsenen Tochter und deren Familie, es gibt aber keine Hinweise auf ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis. Aufgrund ihres Aufenthalts in Österreich seit 2013 und der immer wieder ausgeübten Erwerbstätigkeit ist sie zwar im Bundesgebiet verankert, hat aber auch noch Bindungen zu ihrem Herkunftsstaat, wo sie den Großteil ihres Lebens verbrachte und familiäre Anknüpfungen hat. Aufgrund der strafgerichtlichen Verurteilung wegen einer Aufenthaltsehe und der damit verbunden rechtsmissbräuchlichen Vermittlung einer Aufenthaltsberechtigung besteht aber ein so großes öffentliches Interesse an der Beendigung ihres Aufenthalts, dass ihre privaten und familiären Interessen an einem Verbleib in Österreich zurücktreten müssen. Die erheblichen öffentlichen Interessen an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften, insbesondere an der Verhinderung strafrechtlich verpönter Scheinehen, überwiegen das gegenläufige persönliche Interesse der BF. Das BFA hat somit zu Recht die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots bejaht.

Da der BF aber kein weiteres Fehlverhalten zur Last fällt und das Strafgericht den Strafrahmen nur zur Hälfte ausschöpfte, ist die Dauer des Aufenthaltsverbots auf 18 Monate zu reduzieren, weil dies dem vorliegenden Verstoß gegen die österreichische Rechtsordnung entspricht. Durch diese Reduktion wird auch den persönlichen und familiären Verhältnissen der BF Rechnung getragen. Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ist in teilweiser Stattgebung der Beschwerde insoweit abzuändern.

Gemäß § 70 Abs 3 FPG ist EWR-Bürgern bei der Erlassung einer Ausweisung von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich. Gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG kann die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot aberkannt werden, wenn deren sofortige Ausreise oder die sofortige Durchsetzbarkeit im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist.

Überlegungen, die schon bei der Entscheidung über die Verhängung eines Aufenthaltsverbots anzustellen sind, können die Begründung für die Versagung eines Durchsetzungsaufschubes und für die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nicht ersetzen. Es genügt in diesem Zusammenhang nicht, auf eine - die Aufenthaltsbeendigung als solche rechtfertigende - Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Fremden zu verweisen, sondern es ist darüber hinaus darzutun, warum die Aufenthaltsbeendigung sofort - ohne Aufschub und unabhängig vom Ergebnis des Beschwerdeverfahrens - zu erfolgen hat. Dazu ist es nicht ausreichend, jene Überlegungen ins Treffen zu führen, die schon bei der Entscheidung über die Verhängung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme selbst maßgeblich gewesen sind. Es bedarf daher einer über die Erwägungen für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes nach § 67 FPG hinausgehenden besonderen Begründung, weshalb die Annahme gerechtfertigt ist, der weitere Aufenthalt des Fremden während der Dauer des Beschwerdeverfahrens gefährde die öffentliche Ordnung oder Sicherheit derart, dass die sofortige Ausreise bzw. Abschiebung schon nach Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides - ohne Aufschub und unabhängig vom Ergebnis des Beschwerdeverfahrens - erforderlich ist (siehe VwGH 16.01.2020, Ra 2019/21/0360). Solche Gründe liegen hier nicht vor, zumal der BF nur eine einzelne Straftat zur Last liegt, seit ihrer Verurteilung bereits geraume Zeit verstrichen ist und die Geldstrafe vollständig beglichen wurde. Ihr ist daher – in Abänderung der Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheids – ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen.

Die beantragte Beschwerdeverhandlung unterbleibt gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint und dem Beschwerdevorbringen der BF zu ihrem Privat- und Familienleben gefolgt werden konnte. Bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen kommt der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zwar besondere Bedeutung zu, und zwar sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art 8 EMRK sonst relevanten Umstände. Daraus ist aber noch keine generelle Pflicht zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Verfahren über aufenthaltsbeendende Maßnahmen abzuleiten. In eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das BVwG von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann auch eine beantragte Verhandlung unterbleiben (VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0233).

Die Revision nach Art 133 Abs 4 B-VG ist nicht zuzulassen, weil das BVwG (insbesondere aufgrund der Bindung an die für das Erkenntnis des VwGH vom XXXX ausschlaggebenden Entscheidungsgründe) keine grundsätzlichen Rechtsfragen im Sinne dieser Gesetzesstelle zu lösen hatte.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot Herabsetzung Milderungsgründe Privat- und Familienleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G314.2220617.1.00

Im RIS seit

18.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

18.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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