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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Mag. Unterer, über die Beschwerde des Ahmet Hanic in Linz, geboren am 24. Juli 1962, vertreten durch Dr. Hermann Löckher, Rechtsanwalt in Perg, Hauptplatz 9, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 7. Dezember 1995, Zl. 4.344.554/1-III/13/94, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 7. Dezember 1995 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen der "Jugosl. Föderation", der am 4. Mai 1994 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 11. Mai 1994 den Asylantrag gestellt hat, gegen den den Asylantrag abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes vom 27. Mai 1994 abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hatte anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme am 13. Mai 1994 angegeben, er stamme aus dem Sandzak und sei Moslem. Er gab zu seinen Fluchtgründen an:
"Am 16.2.1994 übernahm mein Vater für mich einen Einberufungsbefehl zur serbischen Armee, da ich nicht zu Hause war.
Mein Vater nahm den Befehl und ging in Prijepolje zum Gemeindeamt. Da mein Bruder im Februar 1993 von den serbischen Soldaten in eine unbekannte Richtung weggebracht wurde, weigerte sich mein Vater, den Aufenthaltsort preiszugeben. Er sagte, daß ich mich melden würde, wenn mein Bruder wieder auftauchen sollte.
Etwa 5 Tage später, spät in der Nacht, kamen mehrere serbische Soldaten in unser Haus. Sie brachten mich mit einem Militärfahrzeug mit noch zwei anderen Männern aus dem Ort nach Belgrad. Wir wurden dort in eine Militärkaserne gebracht. In den folgenden sieben Tagen übten wir mit Waffen umzugehen. Wir bekamen auch eine Nummer und es wurde uns gesagt, daß wir demnächst in ein Kampfgebiet gebracht werden. Anfang März 1993, das genauere Datum weiß ich nicht mehr, gelang mir die Flucht aus der Kaserne. Danach hielt ich mich bei einem entfernten Verwandten in Belgrad auf. Ich bekam von ihm neues Gewand. Er holte meinen Reisepaß von zu Hause. Es gelang ihm, für mich bei der österreichischen Botschaft in Belgrad ein Visum zu besorgen. Mein Vater erzählte mir dann fernmündlich, daß ich schon von der serbischen Militärstreife gesucht würde. Aus diesen Gründen entschloß ich mich, nach Deutschland zu fahren und dort bei meinen Verwandten Unterschlupf zu suchen."
Des weiteren sei sein Bruder während einer Zugfahrt zwischen Belgrad und Bar von serbischen Soldaten verschleppt worden. Es seien 28 Männer, alle Moslems aus Montenegro und Serbien, aus dem Zug gezerrt worden. Seither habe er von seinem Bruder nichts mehr gehört. In der Folge habe die Polizei ein Foto seines Bruders und eine Beschreibung seiner Kleidung, welche er zuletzt getragen habe, verlangt. Ob die Polizei etwas unternommen habe, wisse er nicht. Im Sandzak würden die dort wohnenden Moslems wie Serben behandelt, die echten Serben würden von den Behörden bevorzugt. Die Moslems fühlten sich dem bosnischen Staat zugehörig. Als Grund für seine Desertion gab er an, er wolle "nicht in den Krieg geschickt werden und dort nicht auf die moslemischen Landsleute schießen". Weder sein Bruder noch er hätten vorher Schwierigkeiten mit den Serben gehabt. Solang der Krieg herrsche, möchte er nicht zurückkehren. Er würde nach Bosnien zurückkehren, nicht aber in den Sandzak.
Das Bundesasylamt wies den Antrag des Beschwerdeführers unter anderem deswegen ab, weil er nicht Flüchtling sei. Es begründete nach Zusammenfassung des Inhaltes der niederschriftlichen Einvernahme zu den Fluchtgründen und allgemeinen Ausführungen zur Situation im Sandzak diese Ansicht folgendermaßen:
"Sie sind Staatsangehöriger der jugoslawischen Föderation. Sie erhielten einen Einberufungsbefehl zur serbischen Armee. Von dieser sind Sie jedoch desertiert, da Sie nicht an die Front geschickt werden wollten, um gegen Ihre moslemischen Landsleute zu kämpfen.
Die Flucht eines Asylwerbers von einem ihm drohenden Militärdienst (mag dieser z.B. auch aus religiösen Gründen abgelehnt werden) ist ebensowenig ein Grund für die Anerkennung als Flüchtling (VwGH 10.2.1988, 86/01/0250; 4.10.1989, 89/01/0230), wie die Furcht vor einer wegen Desertion oder Wehrdienstverweigerung drohenden (unter Umständen) auch strengen Bestrafung (VwGH 31.5.1989, 89/01/0059).
Sie konnten nicht einmal ansatzweise Umstände anführen, aus denen abgeleitet werden könnte, daß Sie eine Verfolgung in irgendeiner Form durch Behörden Ihres Heimatlandes zu befürchten hatten bzw. im Falle einer Rückkehr eine solche zu befürchten hätten.
Sie wurden als Bürger Ihres Staates zum Militärdienst einberufen. Sie wurden in Belgrad stationiert. Hinsichtlich eines Einsatzes in Bosnien-Herzegowina äußerten Sie höchstpersönliche Annahmen und Mutmaßungen, die objektiv nicht verifizierbar sind.
Voraussetzungen für die Asylgewährung ist die Glaubhaftmachung eines in der Genfer Flüchtlingskonvention oder im § 1 Ziffer 1 Asylgesetz 1991 genannten Verfolgungsgründe.
Da Sie jedoch nicht einmal eine solche Verfolgung ernsthaft zu behaupten vermochten, konnte Ihnen auch nicht Asyl gewährt werden."
Die dagegen erhobene Berufung lautet:
"Als erstes möchte ich Ihnen sagen, daß ich zu meinen Verwandten nach Deutschland wollte. Ich habe es zweimal versucht, konnte aber nicht einreisen.
Wieso schreiben Sie alle meine Angaben in Möglichkeitsform (hätte, würde usw.). Was Sandzak ist wissen Sie"s selbst. Ich bin nicht einfach zum Militärdienst einbezogen worden. Meinen Militärdienst habe ich vom 08.07.1981 bis Nov. 1982 abgeleistet.
Aus Serbien kommen die ganze Zeit Soldaten nach Bosnien. Uns wurde auch gesagt, daß eine Offensive für Gorazde vorbereitet wird. Ich habe das bei meiner Befragung in Traiskirchen anfangs gesagt. Wie aus den internationalen Medien zu hören war, hatte die Offensive Ende März 1994 begonnen.
Ich bin nicht aus der Armee wegen dem Militärdienst geflohen, sondern wegen dem Einsatz in Bosnien und Herzegowina. Mein Bruder ist aus dem Zug in Serbien verschwunden. Bis jetzt gibt es keine Spur von ihm.
Ich kann nach Serbien auf keinen Fall zurück. Ich habe mir das alles nicht ausgesucht und wußte auch nicht was mich in anderen Staaten Europas erwartet. Meine Frau und meine drei Kinder sind im Sandzak. Wegen meiner Flucht sind jetzt sie allen Repressalien ausgesetzt."
Daraufhin erließ die belangte Behörde den nunmehr angefochtenen Bescheid.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Die belangte Behörde erhob die vom Bundesasylamt wiedergegebenen niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers zum Inhalt des angefochtenen Bescheides. Sie ging von der Anwendbarkeit des § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 aus und legte der Abweisung der Berufung und damit der Versagung von Asyl die im erstinstanzlichen Bescheid zusammengefaßten Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die maßgebenden Erwägungen der Beweiswürdigung und die Beurteilung der Rechtsfrage durch das Bundesasylamt vollinhaltlich zugrunde und erhob diese Ausführungen im erstinstanzlichen Bescheid zum Inhalt des angefochtenen Bescheides, wozu sie, ohne diese wiederholen zu müssen, berechtigt war (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 4. Oktober 1995, Zl. 95/01/0045).
Insofern der Beschwerdeführer in der Beschwerde behauptet, er habe "im vorliegenden Verwaltungsverfahren schon ganz konkrete Umstände" vorgebracht, wonach er "als Zugehöriger der moslemischen Volksgruppe im Sandzak, noch dazu als Angehöriger der "Partei der Demokratischen Aktion (SDA)" ganz massiv und konkret Verfolgung zu erleiden" gehabt hätte, so ist dies eine aktenwidrige Behauptung. Da er nicht die unrichtige Übersetzung seiner Angaben anläßlich ihrer Aufnahme oder sonstige Mängel beim Zustandekommen der Niederschrift behauptet, unterliegt sein nunmehriges Vorbringen dem im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltenden Neuerungsverbot des § 41 Abs. 1 VwGG. Gleiches gilt für das Beschwerdevorbringen, es sei nicht so, daß er nur wegen seiner Ablehnung, den Militärdienst zu versehen und in Bosnien-Herzegowina kämpferisch gegen seine Glaubensbrüder vorgehen zu müssen, geflüchtet sei, sondern "grundlegend" wegen seiner "Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse und zu einer bestimmten Religion" verfolgt werde. Da der Beschwerdeführer bei beiden Sachverhaltsvorbringen auf die allgemeinen Ausführungen der Behörde erster Instanz zur Situation im Sandzak verweist, vermischt er offensichtlich sein persönliches Vorbringen zu der ihn individuell konkret betreffenden Situation mit den Ausführungen der Behörde erster Instanz zur allgemeinen Situation. Denn der Beschwerdeführer hat anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme ausdrücklich angegeben, vor seiner Desertion vom Militär selbst keine Schwierigkeiten mit den Serben gehabt zu haben.
Der Beschwerdeführer hat seine Furcht im wesentlichen auf den befürchteten Militäreinsatz in Bosnien und Herzegowina gegründet, weil er dort nicht auf die moslemischen Landsleute habe schießen wollen. Darüber hinaus wies der Beschwerdeführer auf das Verschwinden seines Bruders hin.
Der belangten Behörde ist zunächst insoweit beizupflichten, als die Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes - sei es durch Nichtbefolgung eines Einberufungsbefehls, sei es durch Desertion - nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für sich allein nicht die Anerkennung eines Asylwerbers als Flüchtling rechtfertigt. Der Verwaltungsgerichtshof geht allerdings von einer asylrechtlich relevanten Furcht vor Verfolgung in solchen Fällen aus, in denen die Einberufung aus einem der in § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 (übereinstimmend mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) angeführten Gründe erfolgt, in denen damit gerechnet werden müßte, daß ein Asylwerber hinsichtlich seiner Behandlung oder seines Einsatzes während des Militärdienstes aus diesen Gründen im Vergleich zu Angehörigen anderer Gruppierungen in erheblicher, die Intensität einer Verfolgung erreichenden Weise benachteiligt würde oder in denen davon auszugehen ist, daß eine dem Asylwerber wegen Wehrdienstverweigerung drohende Strafe aus diesen Gründen gegen ihn schwerer als gegenüber anderen Staatsangehörigen verhängt würde (vgl. insbesondere das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377 = Slg. Nr. 14.089/A). Anders als in dem Fall, der dem angeführten Erkenntnis dieses verstärkten Senates zugrundelag, hat der Beschwerdeführer bei seiner Ersteinvernahme keine Ausführungen, die auf das Vorliegen von Verfolgung im Sinne obiger Judikatur hindeuten würden, gemacht und insbesondere aus seiner Zugehörigkeit zur moslemischen Volksgruppe im Sandzak nicht abgeleitet, er müsse wegen dieser Volkszugehörigkeit Verfolgung während der Ableistung des Militärdienstes bzw. nach der Desertion aus dem Militärdienst befürchten. Denn er hat seine Furcht auf einen vermuteten Einsatz in Bosnien gestützt. Auf die vom Bundesasylamt herangezogene und von der belangten Behörde übernommene Begründung, der Beschwerdeführer habe hinsichtlich eines Einsatzes in Bosnien-Herzegowina nur höchstpersönliche Annahmen und Mutmaßungen geäußert, die objektiv nicht verifizierbar seien, geht der Beschwerdeführer in der Beschwerde nicht ein.
Schicksale von Familienangehörigen sind in der Regel nicht geeignet, die individuell einem Beschwerdeführer drohende Verfolgung zu belegen; sie sind aber im Rahmen der Beurteilung der Gesamtsituation heranzuziehen. Da der Beschwerdeführer eine ihm individuell drohende Verfolgung nur in der Furcht vor einem ihm drohenden Militäreinsatz in Bosnien behauptet hat und dieser Grund - wie oben dargelegt - keine Verfolgung im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 darstellt, kann das Schicksal des Bruders des Beschwerdeführers keine andere Beurteilung herbeiführen. Der Beschwerdeführer hat nur den Einsatz in einem Kampfgebiet befürchtet, nicht aber vorgebracht, daß ihm ein Schicksal wie das seines Bruders drohe.
Es war daher nicht rechtswidrig, daß die belangte Behörde dem Beschwerdeführer kein Asyl gewährte, weil er mangels wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung nicht Flüchtling im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 sei.
Insoferne der Beschwerdeführer aus dem Umstand, daß die belangte Behörde die Flüchtlingseigenschaft bei ihm nicht als gegeben ansah, ableitet, daß der vorliegende Beschwerdefall in allen für die Entscheidung relevanten Einzelheiten (Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 Asylgesetz durch den Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 1. Juli 1994) jenem gleiche, "der dem hg. Erkenntnis vom 25. August 1994, Zl. 94/19/0435, zugrunde" gelegen sei, so ist diese Ansicht unverständlich. Denn die belangte Behörde hat § 20 Abs. 2 AsylG 1991 bereits in der bereinigten Fassung angewendet.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Damit erübrigt sich eine Befassung mit der darüber hinausgehenden Begründung des angefochtenen Bescheides (Sicherheit des Beschwerdeführers vor Verfolgung in Ungarn und der Slowakei) sowie mit dem hiegegen erstatteten Beschwerdevorbringen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1996010467.X00Im RIS seit
20.11.2000