Index
41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Bachler, Dr. Rigler und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Mag. Unterer, über die Beschwerde des Raphael Owie in St. Pölten, geboren am 13. November 1960, vertreten durch Dr. Peter Kaliwoda, Rechtsanwalt in St. Pölten-Spratzern, Freiligrathstraße 1, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 1. Juli 1996, Zl. 4.336.514/8-III/13/96, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Nigerias, der am 22. März 1992 in das Bundesgebiet eingereist ist, hat den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 16. April 1992, mit dem festgestellt worden war, daß er die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht erfülle, mit Berufung bekämpft.
Mit Bescheid vom 29. Juni 1994 wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab.
Dieser Bescheid wurde mit dem hg. Erkenntnis vom 28. März 1995, Zl. 94/19/1383, infolge Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 1. Juli 1994, G 92, 93/94, aufgehoben. In der Folge wies die belangte Behörde mit Bescheid vom 1. Juli 1996 die Berufung abermals gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Der Beschwerdeführer hat bei seiner niederschriftlichen Einvernahme durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 6. April 1992 angegeben, er sei Mitglied der "Young Man Christian Association" und sei mit weiteren 32 Brüdern nach Kano - diese Stadt liege im Norden Nigerias und sei hauptsächlich von Moslems bewohnt - zu einer für den 14. November 1991 angesetzten Prozession, zu der auch ein deutscher Priester erwartet worden sei, entsandt worden. Dort angekommen hätten sie zur Vorbereitung der Veranstaltung sofort Flugblätter verteilt, Plakate angeschlagen und Mundpropaganda betrieben. Bei einer dieser Tätigkeiten sei der Bruder des Beschwerdeführers von bewaffneten Moslems angegriffen und vor den Augen des Beschwerdeführers mit einer Machete getötet worden. Ein anderer Mitbruder, der in einer anderen Ortschaft solche Tätigkeiten verrichtet habe, sei ebenfalls von Moslems angegriffen, aber nicht getötet worden. Am 14. November 1991 habe dann die Prozession auf einem Parkplatz in Kano stattgefunden. Im Laufe der Prozession hätten bewaffnete Moslems angegriffen und mehrere Christen getötet. Noch am gleichen Tag hätten sie an den Moslems Rache genommen und ein Parkhaus sowie mehrere Polizeiautos angezündet. Der Beschwerdeführer sei zusammen mit 74 anderen Christen festgenommen und auf der Polizeistation in Kano für zwei Tage ohne Essen inhaftiert worden. In der Folge sei er im Gefangenenhaus in Lagos eingesperrt worden, wo er am 11. Jänner 1992 von seinem Rechtsanwalt erfahren habe, daß er auf Grund seiner Beteiligung an den Ausschreitungen in Kano mit lebenslanger Haft zu rechnen habe. Er sei darauf in den Hungerstreik getreten und habe seinen Selbstmord angekündigt. Am 13. März 1992 sei der Beschwerdeführer, weil er infolge des Hungerstreiks krank geworden sei, in das Krankenhaus verbracht worden. Dort sei ihm nach einer Kontrolle durch einen Wächter um 24,00 Uhr die Flucht gelungen. Als Grund für die Flucht gab er an, sich der zu erwartenden Strafe entziehen zu wollen.
In seiner Berufung gegen den seine Flüchtlingseigenschaft verneinenden erstinstanzlichen Bescheid bekräftigte der Beschwerdeführer sein bisheriges Vorbringen.
Die belangte Behörde verwies zunächst darauf, daß sie dem Beschwerdeführer nach Aufhebung ihres Bescheides vom 29. Juni 1994 ein "Manuduktionsschreiben" zur Ermöglichung der Geltendmachung allfälliger einfacher Verfahrenmängel durch Hinterlegung zugestellt habe, welches aber nicht behoben worden sei. Die Abweisung der Berufung begründete die belangte Behörde im wesentlichen damit, daß die Inhaftierung des Beschwerdeführers auf seine Beteiligung an den Racheaktionen gegen Moslems zurückzuführen sei. Auch in anderen Staaten schreite die Polizei bei handgreiflichen Auseinandersetzungen oder sonstigen Ausschreitungen zwischen rivalisierenden Gruppen ein, wobei solche Polizeimaßnahmen nicht als gegen die religiöse Überzeugung der gegeneinander kämpfenden Bürger gerichtet, sondern als auf die Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung abzielend gewertet werden müßten. Mit dieser Argumentation befindet sich die belangte Behörde auf dem Boden der hg. Judikatur. So hat der Verwaltungsgerichtshof schon zu wiederholten Malen ausgeführt, daß aus der Verfolgung von Delikten, die der allgemeinen Kriminalität zuzurechnen seien - um solche handelt es sich bei den Straftaten, an denen der Beschwerdeführer seinen Angaben nach beteiligt war - ein Asylgrund im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 (übereinstimmend mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) nicht abgeleitet werden könne. Dies allerdings nur insoweit, als die Tat nicht in einem derartigen Naheverhältnis zu einer politischen Tätigkeit oder politischen Meinung bzw. religiösen Gesinnung steht, welches es rechtfertigen würde, die wegen der Tat drohende Strafverfolgung als Verfolgung wegen politischer oder religiöser Gesinnung (oder aus einem anderen der in der angeführten Gesetzesstelle enthaltenen Gründe) anzusehen (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 26. November 1993, Zl. 93/01/0846, und vom 24. April 1996, Zl. 95/01/0514). Von einem derartigen Naheverhältnis kann aber bei Straftaten, die aus Rache für von einer religiösen Gruppierung verübte Ausschreitungen begangen werden, nicht ausgegangen werden.
Soweit in der Beschwerde erstmals geltend gemacht wird, der nigerianische Staat ergreife einseitig die Partei der Angehörigen des islamischen Glaubens, was sich darin zeige, daß nur Christen angeklagt worden seien, unterliegt er mit diesem Vorbringen dem gemäß § 41 Abs. 1 VwGG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden Neuerungsverbot.
Daß dieser Staat Übergriffe der Moslems, die nach der im angefochtenen Bescheid dargelegten Ansicht der belangten Behörde nicht als staatliche oder dem Staat zurechenbare Verfolgung zu werten seien, dulde, findet im gemäß § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 der Entscheidung der belangten Behörde zugrunde zu legenden Vorbringen des Beschwerdeführers vor der Behörde erster Instanz keine Deckung.
Wenn auch dem Beschwerdeführer beizupflichten ist, daß Furcht vor Verfolgung nicht unbedingt auf eigener persönlicher Erfahrung beruhen muß, kann doch der belangten Behörde nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie die vom Beschwerdeführer selbst miterlebte Ermordung seines Bruders durch Moslems nicht als Umstand angesehen hat, der geeignet wäre, begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 auszulösen. Denn einerseits kann die von einzelnen Moslems verübte Ermordung des Bruders des Beschwerdeführers - daß es sich hiebei etwa um einen vom Staat geduldeten oder gebilligten Akt gehandelt habe, wurde nicht vorgebracht - nicht als Verfolgung im Sinne der angeführten Gesetzesstelle gewertet werden und andererseits hat der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt erkannt, daß aus Maßnahmen, die sich gegen einen Angehörigen richten, für sich allein nicht auf die Verfolgung eines dieser Familie angehörenden Asylwerbers geschlossen werden kann (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 27. März 1996, Zl. 95/01/0479, mit weiteren Judikaturhinweisen).
Daß dem Beschwerdeführer die Todesstrafe drohe, hat er im Verwaltungsverfahren nicht vorgebracht. Diese Frage könnte aber in einem gemäß §§ 37 und 54 Fremdengesetz durchzuführenden Verfahren von Belang sein.
Dem Beschwerdeführer kann auch nicht gefolgt werden, wenn er daraus, daß die belangte Behörde in ihrem - aufgehobenen - Bescheid vom 29. Juni 1994 enthaltene Passagen über die Religionsfreiheit in Nigeria und über das Nichtvorliegen einer Verfolgung von Christen wegen ihrer Glaubensausübung im angefochtenen Bescheid nicht wiederholt hat, schließt, die belangte Behörde sei nun von gegenteiligen Standpunkten ausgegangen. Vielmehr kann aus dem Nichtvorhandensein solcher Ausführungen lediglich geschlossen werden, daß die belangte Behörde die Erörterung dieser Themen in der Begründung des angefochtenen Bescheides für entbehrlich hielt, was angesichts des Vorbringens des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren nicht als rechtswidrig angesehen werden kann.
Soweit der Beschwerdeführer der belangten Behörde vorwirft, sie wäre der ihr aufgegebenen Ermittlungspflicht nicht nachgekommen, ist festzuhalten, daß der für den Umfang der Ermittlungspflicht maßgebliche § 16 Abs. 1 Asylgesetz 1991 wohl bestimmt, daß die Asylbehörden in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen durch Fragestellung oder in anderer geeigneter Weise darauf hinzuwirken haben, daß die für die Entscheidung erheblichen Angaben über die zur Begründung des Asylantrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Asylantrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen. Diese Gesetzesstelle, die eine Konkretisierung der aus § 37 AVG in Verbindung mit § 39 Abs. 2 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörden, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen, darstellt, begründet aber keine über den Rahmen der angeführten Vorschriften hinausgehende Ermittlungspflicht. Nur im Fall hinreichend deutlicher Hinweise im Vorbringen eines Asylwerbers auf einen Sachverhalt, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention in Frage kommt, hat die Behörde gemäß § 16 Abs. 1 Asylgesetz 1991 in geeigneter Weise auf eine Konkretisierung der Angaben des Asylwerbers zu dringen. Aus dieser Gesetzesstelle kann aber keine Verpflichtung der Behörde abgeleitet werden, Asylgründe, die der Asylwerber gar nicht behauptet hat, zu ermitteln (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. November 1992, Zlen. 92/01/0800-0803). Da im Beschwerdefall über die bereits oben behandelten Angaben hinausgehende, hinreichend deutliche Hinweise auf das Vorliegen weiterer Gründe im Sinne der Flüchtlingskonvention im Vorbringen des Beschwerdeführer vor der Behörde erster Instanz nicht enthalten waren, liegt der behauptete Verfahrensmangel nicht vor. Da auch sonst ein für die Entscheidung wesentlicher Mangel des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz nicht hervorgekommen und vom Beschwerdeführer insoweit in seiner Berufung auch nicht geltend gemacht wurde - ein an seine auch in der Beschwerde als zutreffend bezeichnete Adresse gerichtetes, postamtlich hinterlegtes Manuduktionsschreiben hat er nicht behoben und daher auch nicht beantwortet -, war die belangte Behörde nicht verpflichtet, gemäß § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 die Ergänzung oder Wiederholung dieses Verfahrens anzuordnen.
Die sich sohin als unbegründet erweisende Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1997010206.X00Im RIS seit
20.11.2000