TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/17 G306 2220650-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.09.2020
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Entscheidungsdatum

17.09.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3

Spruch

G306 2220650-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dietmar MAURER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. am XXXX , StA.: Kroatien, vertreten durch RA Mag. Dr. Helmut BLUM, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom 23.05.2019, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird s t a t t g e g e b e n und der angefochtene Bescheid behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Am 21.05.2019 wurde der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) anlässlich seiner wiederholten Verurteilung im Bundesgebiet vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) niederschriftlich einvernommen.

2. Mit oben im Spruch genannten Bescheid des BFA, dem BF zugestellt am 27.05.2019, wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein auf 3 Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs. 3 FPG dem BF kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) sowie einer Beschwerde gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt. (Spruchpunkt III.)

3. Mit per Post am 19.06.2019 beim BFA eingebrachtem Schriftsatz, erhob der BF durch seinen Rechtsvertreter (im Folgenden: RV), Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid an das Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG).

Darin wurden neben der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung jeweils in eventu, die ersatzlose Behebung des Bescheides, die Herabsetzung der Befristung des Aufenthaltsverbotes, die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung sowie die Zurückverweisung der Rechtsache zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde, beantragt.

4. Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem BVwG vom BFA samt kurzer Stellungnahme vorgelegt, wo sie am 01.07.2019 einlangten.

5. Mit Teilerkenntnis des BVwG, GZ.: G304 2220650-1/4Z, vom 05.08.2019, wurde der Antrag des BF auf Zuerkennung der aufsdchiebenden Wirkung als unzulässig zurückgewiesen, der Beschwerde jedoch hinsichtlich des Spruchpunktes III. des angefochtenen Bescheides gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

6. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des BVwG vom 15.04.2020, wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung G304 abgenommen und der Gerichtsabteilung G306 neu zugeteilt.

7. Der BF wurde mit Bescheid der Stadt XXXX , Zl. XXXX , vom XXXX 2020 wegen des Verdachtes der Infektion mit Erregern der Krankheit SARS-CoV-2 (Covid-19) unter Quarantäne gestellt. Demzufolge wurde eine für den 31.07.2020 anberaumte mündliche Verhandlung beim BVwG wieder abberaumt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF führt die im Spruch angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und ist Staatsangehöriger der Republik Kroatien, ledig und kinderlos. Der BF ist der deutschen und kroatischen Sprache mächtig.

Der BF wurde in Österreich geboren wo er auch die Schule besuchte und hält sich, abgesehen von jährlichen Urlaubsfahrten nach Kroatien, seit seiner Geburt durchgehend in Österreich auf.

Dem BF wurde am 17.08.2015 eine Bescheinigung seines unionsrechtlichen Daueraufenthaltsrechtes ausgestellt. Zuvor war der BF im Besitz eines Aufenthaltstitels „begünstigter Drittstaatsangehöriger“.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig und geht seit 24.06.2020 einer Erwerbstätigkeit in Österreich nach. Zuvor bezog der BF überwiegend Leistungen aus der staatlichen Arbeitslosenversicherung und wurde von seiner Familie finanziell unterstützt.

Die Eltern, die Geschwister und weitere Verwandte halten sich in Österreich auf und lebt der BF mit seinen Eltern und seinen Geschwistern im gemeinsamen Haushalt.

Der BF führt mit der österreichischen Staatsbürgerin XXXX , geb. XXXX , seit zwei Jahren eine Beziehung, führte mit dieser bis dato jedoch keinen gemeinsamen Haushalt.

Im Herkunftsstaat leben die Großmutter sowie ein Onkel und dessen Kinder, und besitzt der Vater des BF ein Haus in Kroatien.

Der BF weist folgende Verurteilungen in Österreich auf:

1.       LG XXXX , Zl. XXXX , vom XXXX , RK XXXX , wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels gemäß § 28a (1) 5. Fall SMG, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von 4 Monaten.

Der BF wurde für schuldig befunden, er habe im Zeitraum Februar 2016 bis XXXX 2017 in XXXX vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b) übersteigenden Menge anderen überlassen, indem er insgesamt zumindest 700 Gramm Cannabis mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von 10 % THCA zu einem Grammpreis von EUR 10,- an zwei namentlich bekannte sowie weitere bislang unbekannt Abnehmer weitergab.

Dabei wurden mildernd das Geständnis sowie die Unbescholtenheit, erschwerend jedoch der lange Tatzeitraum sowie die Strafe trotz Anhängigkeit eines Verfahrens gewertet.

2.       LG XXXX , Zl. XXXX , vom XXXX 2018, RK XXXX 2018, wegen des Vergehens des unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen gemäß §§ 136 (1), 136 (2) StGB und des Verbrechens des Suchtgifthandels gemäß §§ 28a (1) 5. Fall, 28a (2) Z 1 SMG, zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten, wovon 16 Monate bedingt nachgesehen wurden.

Der BF wurde für schuldig befunden, er habe

I.       Im Zeitraum XXXX bis XXXX 2017 in XXXX vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b) übersteigenden Menge (zumindest 8,2-fach) anderen überlassen, wobei er gewerbsmäßig handelte und am XXXX 2017 zu XXXX des LG XXXX schon einmal nach § 28a Abs. 1 SMG verurteilt wurde, indem er

a.       Insgesamt zumindest 1.500 Stück Ecstasy Tabletten zu jeweils zumindest 0,25 Gramm von zumindest durchschnittlichem Reinheitsgehalt von 40 % MDMA, welche er teils von den abgesondert verfolgten zu einem Stückpreis von EUR 10,-, teils von einem nicht auszuforschenden Dealer aus Wien zu einem Stückpreis von EUR 2,50 bezogen hatte, an teils unbekannte, teils bekannte Personen zu einem Stückpreis von EUR 15,- überließ.

b.       Insgesamt zumindest 1.600 Gramm Cannabisblüten von zumindest durchschnittlichem Reinheitsgehalt von 8 % THCA und 0,4 % Delta-9-THC, welche er von abgesondert Verfolgten zu einem Grammpreis von EUR 8,-- bezogen hatte, an zumindest 16 Abnehmer zu einem Grammpreis von EUR 10 überließ.

II.      Am XXXX 2018 in XXXX ein Fahrzeug, das zum Antrieb mit Maschinenkraft eingerichtet ist, ohne Einwilligung des Berechtigten in Gebrauch genommen, wobei er sich die Gewalt über das Fahrzeug durch eine der in den §§ 129 bis 131 geschilderten Handlungen verschafft hat, indem er aus der Wohnung der V.S. den Reserveschlüssel zum PKW an sich nahm, den andernorts abgestellten PKW in Betrieb nahm und diesen im Stadtgebiet von XXXX bis zur Anhaltung durch die Polizei lenkte.

Mildernd wurden dabei das Geständnis, der wesentliche Beitrag zur Wahrheitsfindung sowie das teilweise unter 21 Jahren gelegene Alter, erschwerend jedoch eine einschlägige Vorstrafe, der rasche Rückfall, der lange Tatzeitraum sowie die mehreren verschiedenen strafbaren Handlungen gewertet.

3.       LG XXXX , Zl. XXXX , vom XXXX 2019, RK XXXX 2019, wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels gemäß § 28a (1) 5. Fall SMG, zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten.

Der BF wurde für schuldig befunden, er habe im Zeitraum zwischen März und Ende Dezember 2018 in XXXX vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b) übersteigenden Menge andern überlassen, nämlich insgesamt zumindest 4.000 g Cannabiskraut mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von 10 % THCA und 0,5 % Delta-9-THC, und zwar 3.000 g an M.R und zumindest 1.000 g an M.H.

Mildernd wurden dabei die geständige Verantwortung sowie das unter 21 Jahren gelegene Alter, erschwerend jedoch zwei einschlägige Vorverurteilungen gewertet.

4.       LG XXXX , Zl. XXXX , vom XXXX 2019, RK XXXX 2019, wegen der Vergehen der versuchten Nötigung gemäß § 15 StGB, § 105 (1) StGB, und der versuchten Bestimmung zur Falschaussage gemäß § 15 StGB, § 12 2.Fall StGB § 288 (1) StGB, zu einer Zusatzfreiheitsstrafe unter Bedachtnahme auf LG XXXX , Zl. XXXX , von 2 Monaten.

Der BF wurde für schuldig befunden, er habe in XXXX

1.       Zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt vor dem 12.April 2019 M.R.H. durch die gegenüber M.K. getätigten Äußerung, er (gemeint: K.) sollt ihm (gemeint: H.) ausrichten, wenn er die Aussage gegen ihn (gemeint: BF) nicht ändere, werde er seine Mutter und seine Freundin ficken, somit durch gefährliche Drohung zu einer Handlung, nämlich zu einer Änderung seines Aussageverhaltens zu nötigen versucht;

2.       Am XXXX 2019 dadurch, dass er dem ebenfalls inhaftierten M.W. mitteilte, er (gemeint: W) solle ihm (gemeint: H) ausrichten, er solle sein Aussageverhalten ändern und nicht so eine „Muschi“ sein, versucht, M.R.H. dazu zu bestimmen, dass dieser eine Falschaussage tätigt.

Mildernd wurden das bei der Tatbegehung unter 21 Jahren gelegene Alter, das teilweise Geständnis sowie, dass die Taten beim Versuch blieben, erschwerend jedoch das Zusammentreffen von Vergehen gewertet.

Es wird festgestellt, dass der BF die besagten Straftaten begangen hat.

Der BF wurde von XXXX 2019 bis zu seiner bedingten Entlassung aus seiner Freiheitsstrafe am XXXX 2020 in der Justizanstalten XXXX angehalten.

Der BF besuchte während seiner Haft eine verkürzte Lehre zum Koch und wurde während seiner Anhaltung in Strafhaft regelmäßig von seinen Eltern, Geschwistern und seiner Freundin besucht.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

2.2. Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt:

Die strafgerichtlichen Verurteilungen des BF samt den nähren Ausführungen sowie die Feststellung, dass der BF die besagten Straftaten begangen hat, beruht auf einer Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich sowie auf jeweiligen Ausfertigungen der oben zitierten Strafturteile. Dem besagten Strafregister kann zudem die bedingte Entlassung des BF aus seiner Freiheitsstrafe sowie dem Zentralen Melderegister die Anhaltung in der Justizanstalt XXXX entnommen werden.

Die aktuelle Erwerbstätigkeit des BF lässt sich einem Sozialversicherungsauszug entnehmen, welchem auch der überwiegende Bezug von Leistungen aus der staatlichen Arbeitslosenversicherung entnommen werden können. Darüber hinaus hat der BF eine Bestätigung seines aktuellen Arbeitsgebers in Vorlage gebracht, womit die Beschäftigung des BF bestätigt wird (siehe OZ12). Ferner stützt sich die Arbeitsfähigkeit des BF auf dessen Gesundheitszustand sowie die Tatsache seiner aktuellen Erwerbstätigkeit. Zudem wurde seitens des BF bis dato nichts gegenteiliges behauptet.

Der Besitz des oben genannten Aufenthaltstitels sowie die Ausstellung der Bescheinigung des unionsrechtlichen Daueraufenthaltsrechtes beruht auf einer Einsichtnahme in das Zentrale Fremdenregister.

Der väterliche Besitz eines Hauses in Kroatien beruht auf den konkreten Angaben des BF vor dem BFA und erschließen sich die Sprachkenntnisse des BF zum einen ebenfalls aus dessen Angaben vor der belangten Behörde, wo er das Beherrschend er kroatischen und Deutschen Sprache vorbrachte. Zum anderen liegt es nahe, dass der BF der Deutschen Sprache mächtig ist, zumal er in Österreich die Schule besuchte und die Einvernahme vor dem BFA in deutscher Sprache durchgeführt werden konnte.

Die Feststellung zu den regelmäßigen Besuchen des BF während seiner Strafhaft beruhen auf von der JA Wels übersandten Besucherlisten (siehe AS 189f).

Die sonstigen oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Feststellungen im angefochtenen Bescheid, jenen in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde.

Ferner ließ sich durch Abfrage des Zentralen Melderegisters der aufrechte gemeinsame Haushalt mit den Eltern und den Geschwistern des BF ermitteln.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zur Stattgabe der Beschwerde:

3.1.1.  Gemäß § 2 Abs. 4 Z 1 FPG gilt als Fremder, jener der die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt und gemäß Abs. 4 Z 8 leg cit als EWR-Bürger, jener Fremder, der Staatsangehöriger einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) ist.

Der BF als Staatsangehöriger von Kroatien ist sohin EWR-Bürger iSd. § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.

3.1.2. Der mit „Aufenthaltsverbot“ betitelte § 67 FPG lautet:

„§ 67. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

(3) Ein Aufenthaltsverbot kann unbefristet erlassen werden, wenn insbesondere

1.       der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

2.       auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB);

3.       auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder

4.       der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

(4) Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist des Aufenthaltsverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise.

(Anm.: Abs. 5 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)“

Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ betitelte § 9 BFA-VG lautet:

„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.       die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2.       das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3.       die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4.       der Grad der Integration,

5.       die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6.       die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7.       Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.       die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.       die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“

Der mit „Bescheinigung des Daueraufenthalts von EWR-Bürgern“ betitelte § 53a NAG lautet wie folgt:

„§ 53a. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), erwerben unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.

(2) Die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet wird nicht unterbrochen von

1.       Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr;

2.       Abwesenheiten zur Erfüllung militärischer Pflichten oder

3.       durch eine einmalige Abwesenheit von höchstens zwölf aufeinander folgenden Monaten aus wichtigen Gründen wie Schwangerschaft und Entbindung, schwerer Krankheit, eines Studiums, einer Berufsausbildung oder einer beruflichen Entsendung.

(3) Abweichend von Abs. 1 erwerben EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 vor Ablauf der Fünfjahresfrist das Recht auf Daueraufenthalt, wenn sie

1.       zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das Regelpensionsalter erreicht haben, oder Arbeitnehmer sind, die ihre Erwerbstätigkeit im Rahmen einer Vorruhestandsregelung beenden, sofern sie diese Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet mindestens während der letzten zwölf Monate ausgeübt und sich seit mindestens drei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben;

2.       sich seit mindestens zwei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben und ihre Erwerbstätigkeit infolge einer dauernden Arbeitsunfähigkeit aufgeben, wobei die Voraussetzung der Aufenthaltsdauer entfällt, wenn die Arbeitsunfähigkeit durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit eingetreten ist, auf Grund derer ein Anspruch auf Pension besteht, die ganz oder teilweise zu Lasten eines österreichischen Pensionsversicherungsträgers geht, oder

3.       drei Jahre ununterbrochen im Bundesgebiet erwerbstätig und aufhältig waren und anschließend in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwerbstätig sind, ihren Wohnsitz im Bundesgebiet beibehalten und in der Regel mindestens einmal in der Woche dorthin zurückkehren;

Für den Erwerb des Rechts nach den Z 1 und 2 gelten die Zeiten der Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als Zeiten der Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet. Zeiten gemäß § 51 Abs. 2 sind bei der Berechnung der Fristen zu berücksichtigen. Soweit der Ehegatte oder eingetragene Partner des EWR-Bürgers die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt oder diese nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat, entfallen die Voraussetzungen der Aufenthaltsdauer und der Dauer der Erwerbstätigkeit in Z 1 und 2.

(4) EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 sind, erwerben ebenfalls das Daueraufenthaltsrecht, wenn der zusammenführende EWR-Bürger das Daueraufenthaltsrecht gemäß Abs. 3 vorzeitig erworben hat oder vor seinem Tod erworben hatte, sofern sie bereits bei Entstehung seines Daueraufenthaltsrechtes bei dem EWR-Bürger ihren ständigen Aufenthalt hatten.

(5) Ist der EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 im Laufe seines Erwerbslebens verstorben, bevor er gemäß Abs. 3 das Recht auf Daueraufenthalt erworben hat, so erwerben seine Angehörigen, die selbst EWR-Bürger sind und die zum Zeitpunkt seines Todes bei ihm ihren ständigen Aufenthalt hatten, das Daueraufenthaltsrecht, wenn

1.       sich der EWR-Bürger zum Zeitpunkt seines Todes seit mindestens zwei Jahren im Bundesgebiet ununterbrochen aufgehalten hat;

2.       der EWR-Bürger infolge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit verstorben ist, oder

3.       der überlebende Ehegatte oder eingetragene Partner die österreichische Staatsangehörigkeit nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat.“

3.1.3. Der Beschwerde gegen den Bescheid des BFA war aus folgenden Gründen stattzugeben:

3.1.3.1. Der BF wurde in Österreich geboren, ist in Österreich aufgewachsen und hält sich – abgesehen von jährlichen Urlaubsfahrten nach Kroatien – sohin seit nunmehr 20 ½ Jahren durchgehend im Bundesgebiet auf. Dem BF wurde zudem ein unionsrechtliches Daueraufenthaltsrecht bescheinigt und war er zuvor im Besitz eines Aufenthaltstitels.

Da dem BF bereits vor diesem Datum ein Daueraufenthaltsrecht in Österreich erteilt wurde, und der BF vom Zeitpunkt der gegenständlichen Entscheidung der belangten Behörde zurückgerechnet mehr als 10 Jahre im Bundesgebiet aufhältig ist (vgl. EuGH 16.01.2014, C-400/12), bzw. bereits vor seiner ersten Verurteilung im Jahr 2017 einen mehr als 10-jährigen durchgehenden und rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich aufwies (vgl. EuGH 17.04.2018, C-316/16 und C-424/16, Rn. 71: hinsichtlich der Beachtlichkeit eines 10-jährigen Aufenthaltes vor der entscheidungsrelevanten Verurteilung), ist, selbst unter Berücksichtigung der in den letzten 10 Jahren gelegenen Verurteilungen und Inhaftierung des BF von XXXX 2019 bis XXXX 2020 vor dem Hintergrund seiner durch seine Geburt und Aufwachsen im Bundesgebiet geprägten besonderen Verbundenheit zu Österreich, (vgl. EuGH 17.04.2018, C-316/16 und C-424/16, Rn. 72) – entgegen der Meinung der belangten Behörde – davon auszugehen, dass der Bezug des BF zu Österreich nicht abgerissen und die letzte und gleichzeitig erste keine aufenthaltsunterbrechende Wirkung entfaltet hat. Nicht jede Inhaftierung bewirkt nach Meinung des EuGH eine aufenthaltsunterbrechende Wirkung. Vielmehr hält dieser in seiner Entscheidung (vgl. EuGH 16.01.2014, C-378/12) fest, dass Zeiträume der Strafhaft die Kontinuität des für die Gewährung des verstärkten Schutes erforderlichen Aufenthalts grundsätzlich unterbrechen. Er weist allerdings darauf hin, dass zur Klärung der Frage, inwieweit die Diskontinuität des Aufenthalts den Betroffenen daran hindert, in den Genuss der verstärkten Schutzes zu kommen, eine umfassende Beurteilung seiner Situation vorzunehmen ist. Bei dieser umfassenden Beurteilung, die geboten ist, um zu bestimmen, ob die Integrationsverbindungen zwischen dem Betroffenen und dem Aufnahmemitgliedsstaat abgerissen sind, können die nationalen Behörden die relevanten Umstande der Freiheitsstrafe berücksichtigen. Ebenso können sie im Rahmen dieser umfassenden Beurteilung berücksichtigen, dass sich die betroffene Person, hier der BF, in den zehn Jahren vor der Verbüßung seiner Freiheitsstrafe im Aufnahmemitgliedsstaat, aufgehalten hat. Wie bereits angeführt, ist der BF in Österreich geboren und hält sich seit dieser Zeit durchgängig im Bundesgebiet auf. Er hat hier die Schule besucht und ist hier sozialisiert worden. Die Kernfamilie des BF befindet sich im Bundesgebiet und hat er noch nie in Kroatien gelebt, sondern war nur zu Urlaubsaufenthalten dort. Sämtliche kernfamiliären-, privaten- sowie sozialen Bindungen finden in Österreich statt. Der BF erhielt zudem auch in Haft regelmäßig Besuche und besuchte eine Kochlehre. Eine Gesamtbetrachtung aller Umstände ergibt, dass gegenständlich der Aufenthalt des BF während seines ersten und letzten Haftaufenthaltes nicht als unterbrochen gilt.

Da vom BF, der aufgrund seiner kroatischen Staatsangehörigkeit in den persönlichen Anwendungsbereich von § 67 FPG fällt somit die Voraussetzung eines durchgehenden rechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet seit mehr als 10 Jahren erfüllt ist, kommt für diesen der Prüfungsmaßstab des § 67 Abs. 1 5. Satz FPG für Unionsbürger zu Anwendung.

3.1.3.2. Gegen den BF als grundsätzlich unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots sohin gemäß § 67 Abs. 1 5. Satz FPG nur zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

„Mit § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG soll nämlich Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38 EG ("Freizügigkeitsrichtlinie" ; siehe § 2 Abs. 4 Z 18 FPG) umgesetzt werden, wozu der Gerichtshof der Europäischen Union bereits judizierte, dass hierauf gestützte Maßnahmen auf "außergewöhnliche Umstände" begrenzt sein sollten; es sei vorausgesetzt, dass die vom Betroffenen ausgehende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit einen "besonders hohen Schweregrad" aufweise, was etwa bei bandenmäßigem Handeln mit Betäubungsmitteln der Fall sein könne (siehe VwGH 24.1.2019, Ra 2018/21/0248, Rn 6, mit dem Hinweis auf EuGH (Große Kammer) 23.11.2010, Tsakouridis, C-145/09, insbesondere Rn. 40, 41 und 49 ff, und daran anknüpfend EuGH (Große Kammer) 22.5.2012, P.I., C-348/09, Rn. 19 und 20 sowie Rn. 28, wo überdies - im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch eines Kindes, der zu einer siebeneinhalbjährigen Freiheitsstrafe geführt hatte - darauf hingewiesen wurde, dass es "besonders schwerwiegender Merkmale" bedarf).“ (vgl. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091)

„Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. - noch zu § 86 FPG in der Fassung vor dem FrÄG 2011, der Vorgängerbestimmung des § 67 FPG - etwa die hg. Erkenntnisse vom 26. September 2007, Zl. 2007/21/0197, und vom 21. Februar 2013, Zl. 2012/23/0042, mwN).“ (VwGH 25.04.2014, Ro 2014/21/0039)

Zudem gilt es festzuhalten, dass die fremdenpolizeilichen Beurteilungen eigenständig und unabhängig von den die des Strafgerichts für die Strafbemessung, die bedingte Strafnachsicht und den Aufschub des Strafvollzugs betreffenden Erwägungen zu treffen sind (vgl. Erkenntnis des VwGH v. 6.Juli 2010, Zl. 2010/22/0096) und es bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes/Einreiseverbotes in keiner Weise um eine Beurteilung der Schuld des Fremden an seinen Straftaten und auch nicht um eine Bestrafung geht. (vgl. Erkenntnis des VwGH vom 8. Juli 2004, 2001/21/0119).

Die Bestimmungen der § 67 Abs. 1 und 2 FrPolG 2005 und § 66 Abs. 1 FrPolG 2005, beide idF FrÄG 2011, sind vor dem Hintergrund der unionsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2004/38/EG - Freizügigkeitsrichtlinie, deren Umsetzung sie dienen, zu verstehen. Demnach sind sie in ihrem Zusammenspiel dahin auszulegen, dass hinsichtlich Personen, die das Daueraufenthaltsrecht erworben haben, nicht nur bei der Ausweisung, sondern auch bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes der in § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 vorgesehene Gefährdungsmaßstab, der jenem in Art. 28 Abs. 2 der genannten Richtlinie entspricht, heranzuziehen ist (Hinweis E 13. Dezember 2012, 2012/21/0181; E 12. März 2013, 2012/18/0228). Dieser Maßstab liegt im abgestuften System der Gefährdungsprognosen über dem Gefährdungsmaßstab nach dem ersten und zweiten Satz des § 67 Abs. 1 FrPolG 2005 idF FrÄG 2011. (vgl. VwGH 22.01.2014, 2013/21/0135)

3.1.3.3. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihres Briefverkehrs.

Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit ein Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, wie sie eine Ausweisung eines Fremden darstellt, kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob die Ausweisung einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt:

Die Zulässigkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, insbesondere die gegenständlichen Rückkehrentscheidung, setzt nach § 9 Abs. 1 BFA-VG unter dem dort genannten Gesichtspunkt eines Eingriffs in das Privat- und/oder Familienleben voraus, dass ihre Erlassung zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist (vgl. VwGH vom 12.11.2015, Zl. Ra 2015/21/0101).

Wie der Verfassungsgerichtshof (VfGH) bereits in zwei Erkenntnissen vom 29.09.2007, Zl. B 328/07 und Zl. B 1150/07, dargelegt hat, sind die Behörden stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art. 8 EMRK abzuwägen, wenn sie eine Ausweisung verfügt. In den zitierten Entscheidungen wurden vom VfGH auch unterschiedliche – in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) fallbezogen entwickelte – Kriterien aufgezeigt, die in jedem Einzelfall bei Vornahme einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art. 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht:

•        die Aufenthaltsdauer, die vom EGMR an keine fixen zeitlichen Vorgaben geknüpft wird (EGMR 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 16.09.2004, Ghiban, Zl. 11103/03, NVwZ 2005, 1046),

•        das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80, 9473/81, 9474/81, EuGRZ 1985, 567; 20.06.2002, Al-Nashif, Zl. 50963/99, ÖJZ 2003, 344; 22.04.1997, X, Y und Z, Zl. 21830/93, ÖJZ 1998, 271) und dessen Intensität (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00),

•        die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

•        den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert (vgl. EGMR 04.10.2001, Adam, Zl. 43359/98, EuGRZ 2002, 582; 09.10.2003, Slivenko, Zl. 48321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.06.2005, Sisojeva, Zl. 60654/00, EuGRZ 2006, 554; vgl. auch VwGH 05.07.2005, Zl. 2004/21/0124; 11.10.2005, Zl. 2002/21/0124),

•        die Bindungen zum Heimatstaat,

•        die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung (vgl. zB EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 11.04.2006, Useinov, Zl. 61292/00), sowie

•        auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 05.09.2000, Solomon, Zl. 44328/98; 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07).

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) sind die Staaten im Hinblick auf das internationale Recht und ihre vertraglichen Verpflichtungen befugt, die Einreise, den Aufenthalt und die Ausweisung von Fremden zu überwachen (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80 ua, EuGRZ 1985, 567; 21.10.1997, Boujlifa, Zl. 25404/94; 18.10.2006, Üner, Zl. 46410/99; 23.06.2008 [GK], Maslov, 1638/03; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07). Die EMRK garantiert Ausländern kein Recht auf Einreise, Aufenthalt und Einbürgerung in einem bestimmten Staat (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09).

Hinsichtlich der Rechtfertigung eines Eingriffs in die nach Art. 8 EMRK garantierten Rechte muss der Staat ein Gleichgewicht zwischen den Interessen des Einzelnen und jenen der Gesellschaft schaffen, wobei er in beiden Fällen einen gewissen Ermessensspielraum hat. Art. 8 EMRK begründet keine generelle Verpflichtung für den Staat, Einwanderer in seinem Territorium zu akzeptieren und Familienzusammenführungen zuzulassen. Jedoch hängt in Fällen, die sowohl Familienleben als auch Einwanderung betreffen, die staatliche Verpflichtung, Familienangehörigen von ihm Staat Ansässigen Aufenthalt zu gewähren, von der jeweiligen Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse ab. Von Bedeutung sind dabei das Ausmaß des Eingriffs in das Familienleben, der Umfang der Beziehungen zum Konventionsstaat, weiters ob im Ursprungsstaat unüberwindbare Hindernisse für das Familienleben bestehen, sowie ob Gründe der Einwanderungskontrolle oder Erwägungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung für eine Ausweisung sprechen. War ein Fortbestehen des Familienlebens im Gastland bereits bei dessen Begründung wegen des fremdenrechtlichen Status einer der betroffenen Personen ungewiss und dies den Familienmitgliedern bewusst, kann eine Ausweisung nur in Ausnahmefällen eine Verletzung von Art. 8 EMRK bedeuten (EGMR 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07, mwN; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09; 03.11.2011, Arvelo Aponte, Zl. 28770/05; 14.02.2012, Antwi u.a., Zl. 26940/10).

„Bei Beurteilung der Frage, ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 zur Aufrechterhaltung des Privat- und/oder Familienlebens iSd Art. 8 MRK geboten ist bzw. ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 MRK geschützten Rechte darstellt, ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG 2014 genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG 2014 ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. E 12. November 2015, Ra 2015/21/0101).“ (vgl. VwGH 08.11.2018, Ra 2016/22/0120)

Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden ist regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden etwa Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen. Diese Rechtsprechung zu Art. 8 MRK ist auch für die Erteilung von Aufenthaltstiteln relevant (vgl. E 26. Februar 2015, Ra 2015/22/0025; E 19. November 2014, 2013/22/0270). Auch in Fällen, in denen die Aufenthaltsdauer knapp unter zehn Jahren lag, hat der VwGH eine entsprechende Berücksichtigung dieser langen Aufenthaltsdauer gefordert (vgl. E 16. Dezember 2014, 2012/22/0169; E 9. September 2014, 2013/22/0247; E 30. Juli 2014, 2013/22/0226). Im Fall, dass ein insgesamt mehr als zehnjähriger Inlandsaufenthalt für einige Monate unterbrochen war, legte der VwGH seine Judikatur zum regelmäßigen Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt des Fremden zugrunde (vgl. E 26. März 2015, Ra 2014/22/0078 bis 0082). (Vgl. VwGH 08.11.2018, Ra 2016/22/0120

Im Fall, dass ein insgesamt mehr als zehnjähriger Inlandsaufenthalt für einige Monate unterbrochen war, legte der VwGH seine Judikatur zum regelmäßigen Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt des Fremden zugrunde (vgl. E 26. März 2015, Ra 2014/22/0078 bis 0082). (Vgl. VwGH 08.11.2018, Ra 2016/22/0120

„Nach § 66 Abs. 2 FrPolG 2005 und § 9 BFA-VG 2014 ist bei Erlassung einer auf § 66 FrPolG 2005 gestützten Ausweisung eine Abwägung des öffentlichen Interesses an der Beendigung des Aufenthalts des EWR-Bürgers mit dessen Interesse an einem Verbleib in Österreich vorzunehmen, bei der insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts im Bundesgebiet, das Alter, der Gesundheitszustand, die familiäre und wirtschaftliche Lage, die soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß der Bindungen zum Heimatstaat sowie die Frage der strafgerichtlichen Unbescholtenheit zu berücksichtigen sind.“ (VwGH 30.08.2018, Ra 2018/21/0049)

„Es trifft zwar zu, dass im Rahmen einer Interessenabwägung nach Art. 8 MRK bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt eines Fremden in der Regel von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen ist (vgl. VwGH 1.2.2019, Ra 2019/01/0027, mwN). Diese Rechtsprechung betraf allerdings nur Konstellationen, in denen sich aus dem Verhalten des Fremden - abgesehen vom unrechtmäßigen Verbleib in Österreich - sonst keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ergab. Die "Zehn-Jahres-Grenze" spielte in der bisherigen Judikatur nur dann eine Rolle, wenn einem Fremden kein - massives - strafrechtliches Fehlverhalten vorzuwerfen war (vgl. VwGH 10.11.2015, Ro 2015/19/0001, mwN).“ (VwGH 28.02.2019, Ra 2018/01/0409)

„Zur Aufhebung des § 9 Abs. 4 BFA-VG 2014 durch das FrÄG 2018 hielt der Gesetzgeber in den Gesetzesmaterialien (RV 189 BlgNR 26. GP 27 f) ausdrücklich fest, dass sich § 9 Abs. 4 Z 1 BFA-VG 2014 "lediglich als Konkretisierung bzw. Klarstellung dessen, was sich unter Berücksichtigung der höchstgerichtlichen Judikatur ohnehin bereits aus Abs. 1 iVm Abs. 2 ergibt", erweist. Ungeachtet des Außerkrafttretens des § 9 Abs. 4 BFA-VG 2014 sind die Wertungen dieser ehemaligen Aufenthaltsverfestigungstatbestände im Rahmen der Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG 2014 weiter beachtlich (vgl. VwGH 16.5.2019, Ra 2019/21/0121; VwGH 25.9.2018, Ra 2018/21/0152), ohne dass es aber einer ins Detail gehenden Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Anwendung des ehemaligen § 9 Abs. 4 BFA-VG 2014 bedarf (siehe VwGH 25.9.2018, Ra 2018/21/0152). Es ist also weiterhin darauf Bedacht zu nehmen, dass für die Fälle des bisherigen § 9 Abs. 4 BFA-VG 2014 allgemein unterstellt wurde, dass die Interessenabwägung - trotz einer vom Fremden ausgehenden Gefährdung - regelmäßig zu seinen Gunsten auszugehen hat und eine aufenthaltsbeendende Maßnahme in diesen Konstellationen grundsätzlich nicht erlassen werden darf. Durch die Aufhebung dieser Bestimmung wollte der Gesetzgeber erkennbar nur bei Begehung besonders verwerflicher Straftaten und einer daraus abzuleitenden spezifischen Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen einen fallbezogenen Spielraum einräumen (vgl. RV 189 BlgNR 26. GP 27, wo von "gravierender Straffälligkeit" bzw. "schwerer Straffälligkeit" gesprochen wird). Dazu zählen jedenfalls die schon bisher in § 9 Abs. 4 Z 1 BFA-VG 2014 normierten Ausnahmen bei Erfüllung der Einreiseverbotstatbestände nach § 53 Abs. 3 Z 6, 7 und 8 FrPolG 2005, aber auch andere Formen gravierender Straffälligkeit (siehe VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0232, betreffend Vergewaltigung; VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0207, betreffend grenzüberschreitenden Kokainschmuggel).“ (19.12.2019, Ra 2019/21/0238)

„Gemäß ihrem Einleitungssatz bezieht sich die Bestimmung des § 9 Abs 4 BFA-VG 2014 idF FrÄG 2015 lediglich auf Drittstaatsangehörige, also auf Fremde, die nicht EWR-Bürger oder Schweizer Bürger sind (§ 2 Abs. 1 Z 20b AsylG 2005 iVm § 2 Abs. 2 BFA-VG 2014). Demzufolge wird dann auch als einzige aufenthaltsbeendende Maßnahme, die in den Fällen der Z 1 und 2 nicht erlassen werden darf, eine Rückkehrentscheidung angesprochen. Dessen ungeachtet kann es aber zur Vermeidung von sonst nicht auflösbaren Wertungswidersprüchen nicht zweifelhaft sein, dass § 9 Abs. 4 BFA-VG 2014 über seinen Wortlaut hinaus - entsprechend modifiziert verstanden - auch jenen Personenkreis umfasst, gegen den eine Ausweisung nach § 66 FrPolG 2005 oder ein Aufenthaltsverbot nach § 67 FrPolG 2005 in Betracht käme (also EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige; vgl. E 9. November 2011, 2011/22/0264). § 9 Abs. 4 BFA-VG 2014 normiert demnach allgemein, wann trotz einer von einem Fremden ausgehenden Gefährdung eine aufenthaltsbeendende Maßnahme keinesfalls erlassen werden darf. In der Fassung des FrÄG 2015 stellt diese Bestimmung den - vorläufigen - Schlusspunkt einer Entwicklung dar, die durch den Wechsel zwischen absolut und relativ gefassten Aufenthaltsverfestigungstatbeständen (relativ in dem Sinn, dass es ergänzend noch darauf ankommt, dass dem Fremden keine spezifische Gefährdungen anzulasten sind) gekennzeichnet ist.“ (vgl. VwGH 30.06.2016, Ra 2016/21/0050)

3.1.3.4. Der BF wurde in Österreich geboren und hält sich seither durchgehend im Bundesgebiet auf. Der BF ist sohin iSd. § 9 Abs. 4 Z 2 BFA-VG idF. BGBl. I Nr. 70/2015 im Bundesgebiet aufgewachsen und langjährig rechtmäßig in Österreich niedergelassen (vgl. VwGH 29.05.2018, Ra 2018/21/0067) und ist dieser Umstand im Licht der oben zitierten Judikatur trotz mittlerweile erfolgter Aufhebung der genannten Bestimmung nach wie vor zu berücksichtigen.

Eine Aufenthaltsbeendigung in Bezug auf den BF erweist sich gegenständlich sohin nur dann dem Grunde nach als zulässig, wenn eine außergewöhnliche Gefährdung iSd. oben zitierten Judikatur vorliegt.

3.1.3.5. Der BF wurde unbestritten zuletzt wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels sowie der Vergehen der versuchten Nötigung und der versuchten Bestimmung zur falschen Beweisaussage zu einer Freiheitsstrafe von insgesamt 20 Monaten verurteilt.

Zuvor wurde der BF jedoch bereits zweimal wegen der Verbrechen des Suchtgifthandels zu einer bedingten und einer teilbedingten Freiheitsstrafe verurteilt.

Der BF agierte jedoch immer unabhängig und alleine und nicht als Mitglied einer Bande oder über Staatsgrenzen hinweg. Wenn auch das Bestehen einer Bande einen besonderen Organisationsgrad nicht voraussetzt, ist doch für die bandenmäßige Begehung erforderlich, dass durch die Verbindung zur Bande, insbesondere bei verteilten Rollen, die Mitwirkung von verlässlichen Komplizen bei der Ausführung gesichert ist und die Täter hiebei einen entsprechenden Rückhalt durch Bandenzugehörigkeit finden.

Der Ausdruck „zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit“ setzt das Vorliegen einer Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit voraus, die einen besonderes hohen Schweregrad aufweist. Darunter kann z.B. die Bekämpfung der mit dem bandenmäßigen Handel mit Betäubungsmitteln verbundene Kriminalität (vgl. EuGH 23.11.2010, C-145/09, Land Baden-Württemberg gegen Panagiotis Tsakouridis) oder grenzüberschreiender Suchtgiftschmuggel (vlg. VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0207) fallen.

Das vom BF gezeigte Verhalten lässt vor dem Hintergrund der wiederholt gezeigten Bereitschaft strafbare Handlungen zu begehen, eine massive Herabsetzung der inneren Hemmschwelle und das Vorliegen einer hohen kriminelle Energie beim BF erkennen. Im Bereich der Suchtgifte weist der BF bereits 3 Verurteilungen auf, und liegen ihm zudem drei Vergehen (unbefugter Gebrauch eines Fahrzeuges, versuchte Nötigung und versuchte Bestimmung zur Falschaussage) zur Last. Der BF konnte letztlich bislang trotz wiederholtem Erfahren Müssens strafgerichtlicher Sanktionen, aber auch des wiederholten Empfanges der Benefizien der bedingten Strafnachsicht, nicht von Rückfällen in kriminelle Verhaltensmuster abgehalten werden.

Es steht völlig außer Zweifel, dass das vom BF gezeigte Verhalten ein Fehlen einer Verbundenheit zu rechtsstaatlich geschützten Werten sowie Interessen und Rechten andere erkennen lässt und eine schwerwiegende Beeinträchtigung öffentlicher Interessen darstellt.

So hat der VwGH wiederholt festgehalten, dass es sich insbesondere bei Suchtmitteldelikten auf dem Gebiet des Fremdenwesens um ein schwer verpöntes Verhalten handelt (vgl. VwGH 12.09.2012, 2011/23/0311; 18.10.2012, 2011/23/0318), welches nicht nur auf eine hohe Bereitschaft der Negierung österreichischer Gesetze und gesellschaftlicher Regeln hinweist. Vielmehr weist die Bereitwilligkeit zur Erlangung finanzieller Vorteile, über die durch seine Taten allfällig geförderten – notorisch bekannten – körperlichen und seelischen Folgen der Drogenkonsumenten sowie der Beförderung der Beschaffungskriminalität hinwegzusehen, auf eine hohe kriminelle Energie sowie eine beachtliche Herabsetzung der inneren Hemmschwelle des BF hin, was zudem durch seinen Versuch Zeugen in ihrem Aussageverhalten zu beeinflussen und zur Falschaussage zu verleiten unterstrichen wird.

Trotz zu attestierender schwerwiegender Gefährdung öffentlicher Interessen, erreicht das Verhalten des BF nicht das gegenständlich geforderte Maß der besonderen Schwere im Sinne einer nachhaltigen und maßgeblichen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit iSd. § 67 Abs. 1 5. Satz bzw. der oben zitierten Judikatur. Weder hat der BF ein Delikt iSd. § 53 Abs. 3 Z 6,7 und 8 FPG verwirklicht, noch kann in dem vom BF gesetzten Verhalten ein, mit beispielsweise grenzüberschreitendem bandenmäßigen Suchtmittelhandel, vergleichbare die öffentliche Sicherheit gefährdende Sachverhalte erkannt werden. Das erkennende Gericht verkennt nicht, dass insbesondere Verbrechen nach dem Suchtmittelgesetz, insbesondere vor dem Hintergrund bereits gezeigter Gesetzesmissachtungen, schwer wiegen. Jedoch kommt es nicht nur auf die Tatsache der Verurteilung des BF wegen der besagten Straftaten an. Vielmehr ist auch das der Verurteilung zugrundeliegende Verhalten maßgeblich zu berücksichtigen. Der BF beging die Suchmitteldelikte nicht in einer kriminellen Vereinigung oder als Mitglied einer Bande, sondern verübte die Taten alleine. Darüber hinaus zeigte sich der BF in den strafgerichtlichen Verhandlungen geständig und beteuerte seine Reue in der gegenständlichen Beschwerde. Wie die bedingte Entlassung des BF aus seiner Freiheitsstrafe zeigt, gestaltete sich dessen Strafvollzug ohne Vorfälle (siehe EuGH 17.04.2018, C-316/16 und C-424/16, Rn 73ff: Hinsichtlich der notwendigen Berücksichtigung vom Verhalten in Strafhaft). Des weiteren muss das noch junge Alter des BF in den jeweiligen Tatzeitpunkten (vgl. VwGH 12.04.2001, 2007/18/0962) sowie, der Umstand, dass der BF erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßen musste, Berücksichtigung finden.

Unbeschadet dessen gilt es ebenfalls zu berücksichtigen, dass der BF in Österreich geboren wurde und aufgewachsen ist, er in seinem Herkunftsstaat bisher noch nicht gelebt hat und seine Kernfamilie in Österreich aufhältig ist.

Nach Beurteilung des vom BF gezeigten Verhaltens und der sich daraus ergebenden Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen sowie nach erfolgter Abwägung sich wiederstreitender öffentlicher und privater Interessen iSd. Art 8 EMRK, ist zum Schluss zu kommen, dass sich die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes im konkreten Fall – gerade noch – als nicht zulässig erweist.

Demzufolge war der Beschwerde stattzugeben und der angefochtene Bescheid aufzuheben.

3.2. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:

Eine Beschwerdeverhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, weil schon auf Grund de Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.


Schlagworte

Behebung der Entscheidung Interessenabwägung Voraussetzungen Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G306.2220650.1.00

Im RIS seit

19.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

19.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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