TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/1 W261 2234843-1

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Veröffentlicht am 01.10.2020
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Entscheidungsdatum

01.10.2020

Norm

BBG §42
BBG §45
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W261 2234843-1/4E

W261 2235049-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS als Vorsitzende und die Richterin Mag. Karin RETTENHABER-LAGLER sowie den fachkundigen Laienrichter Robert ARTHOFER als Beisitzerin und als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , gegen

1)       den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich, vom 14.08.2020, betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass, und

2)       den Behindertenpass vom 17.08.2020

beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde werden die beiden angefochtenen Bescheide behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides bzw. Ausstellung eines neuen Behindertenpasses an das Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich, zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin ist seit 11.07.2017 Inhaberin eines befristeten Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 70 von Hundert (in der Folge v.H.) und der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass.

Am 08.04.2020 stellte sie beim Sozialministeriumservice (in der Folge „belangte Behörde“ genannt) durch den Behindertenverband für Wien, NÖ & Bgld. (in der Folge KOBV) einen Antrag auf Verlängerung des bis zum 31.08.2020 befristet ausgestellten Behindertenpasses mit allen Zusatzeintragungen, sowie des ebenfalls bis zum 31.08.2020 befristeten Parkausweises gemäß § 29b StVO, der entsprechend dem von der belangten Behörde zur Verfügung gestellten und von der Beschwerdeführerin ausgefüllten Antragsformular auch als Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gilt, und legte eine Reihe von ärztlichen Befunden vor.

Die belangte Behörde holte in weiterer Folge ein Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Neurologie ein. In dem auf Grundlage des Aktes erstatteten Gutachten vom 15.04.2020 stellte die medizinische Sachverständige fest, dass die Beschwerdeführerin an Epilepsie leide und der Grad der Behinderung nach Position 04.10.02 der Einschätzungsverordnung mit einem Grad der Behinderung von 70 v.H. eingestuft werde. Die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass würden aus medizinischer Sicht nicht vorliegen.

In dem im Akt zusätzlich aufliegenden aufgrund der Aktenlage erstatteten medizinischen Sachverständigengutachtens vom 17.06.2020 kommt die befasste medizinische Sachverständige zum Ergebnis, dass die Beschwerdeführerin unter Epilepsie leide, der Grad der Behinderung betrage nach Position 04.10.02 der Einschätzungsverordnung 60 v.H., die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass würden aus medizinischer Sicht nicht vorliegen. Eine Erklärung dafür, weswegen der Grad der Behinderung nunmehr mit 60 v.H., anstelle der noch im April 2020 festgestellten 70 v.H., eingeschätzt werde, ist dem Sachverständigengutachten nicht zu entnehmen.

Die belangte Behörde übermittelte das Gutachten vom 17.06.2020 der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 29.06.2020 im Rahmen des Parteiengehörs und räumt ihr die Möglichkeit ein, hierzu innerhalb einer Frist von zwei Wochen eine Stellungnahme abzugeben.

Die Beschwerdeführerin machte durch ihre bevollmächtigte Vertretung mit einem Schreiben, welches am 17.07.2020 bei der belangten Behörde einlangte, von diesem Recht Gebrauch und legte weitere Befunde vor. Darin führte die Beschwerdeführerin aus, dass sich deren Anfallshäufigkeit in den letzten Jahren erhöht habe. Sie sei nicht in der Lage, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Es würden auch die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Der Inhaber/die Inhaberin des Passes bedarf einer Begleitperson“ erfüllt sein.

Mit Eingabe vom 30.07.2020 legte die Beschwerdeführerin durch ihre bevollmächtigte Vertretung einen weiteren medizinischen Befund und einen handschriftlich geführten Anfallskalender vor.

Die belangte Behörde ersuchte die befasste Sachverständige um eine ergänzende Stellungnahme, welche diese am 13.08.2020 abgab. Darin führte sie aus, dass auch durch die vorgelegten Befunde keine Änderung zum Gutachten vom 17.06.2020 vorgenommen werden könne.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 14.08.2020 wies die belangte Behörde den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gemäß §§ 42 und 45 BBG ab.

Darüber hinaus führte die belangte Behörde anmerkend aus, dass über den Antrag auf Ausstellung eines § 29b-Ausweises nach der Straßenverkehrsordnung (StVO) nicht abgesprochen werde, da die grundsätzlichen Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass nicht vorliegen würden.

Die belangte Behörde schloss dem genannten Bescheid die ergänzende Stellungnahme der medizinischen Sachverständigen vom 13.08.2020 in Kopie an.

Mit Schreiben vom 17.08.2020 übermittelte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin einen bis zum 30.04.2022 befristeten Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 70 v.H. und der Zusatzeintragung „Der Inhaber/die Inhaberin des Passes ist Epileptiker/Epileptikerin.“

Gegen den Bescheid vom 14.08.2020 und gegen die Ausstellung des Behindertenpasses erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht die gegenständliche Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht.

Darin brachte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen vor, dass sie die Streichung des Zusatzes „Bedarf einer Begleitperson“ und die Streichung des Zusatzes „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ beeinspruche und eine Erhöhung des Grades der Behinderung auf 80 % begehre. Sie leide seit 27.10.2013 an einer therapieresistenten Epilepsie. Seit dem Jahr 2019 würden zusätzlich 8-15 Grand Mal Anfälle bestehen und auch viele fatale Anfälle. Während dieser Anfälle sei die Beschwerdeführerin nicht ansprechbar und zu keiner zielgerichteten Bewegung fähig. Sie sei selbstgefährdend und fremdgefährdend. Sie stürze wegen der Beinverkrampfungen. Um diese Anfälle zu beenden müsse ihr eine eingeschulte Begleitperson Medikamente verabreichen und diese erstversorgen und beschützen. Der Anfallskalender werde von der Mutter der Beschwerdeführerin geführt. Es sei nicht nachvollziehbar, weswegen dieser Anfallskalender im gegenständlichen Verfahren nicht akzeptiert werde, während hingegen bei Blutdruckmessungen und ähnlichem derartige Aufzeichnungen von Ärzten eingefordert werden würden, um darauf deren Therapie stützen zu können. Erst jüngst habe die Beschwerdeführerin am 28.08.2020 einen Grand Mal Anfall erlitten und sei mit dem Notarzt ins LKH Amstetten gebracht worden. Die Beschwerdeführerin sei nicht in der Lage, sich alleine in ein öffentliches Verkehrsmittel zu begeben.

Die Beschwerdeführerin schloss der Beschwerde einen handschriftlichen Anfallskalender für das Jahr 2020 an.

Die belangte Behörde legte den Aktenvorgang dem Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 08.09.2020 vor, wo dieser am selben Tag einlangte.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 10.09.2020 eine Abfrage im Zentralen Melderegister durch, wonach die Beschwerdeführer österreichische Staatsbürgerin ist, und ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hat.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu A)

Gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (in der Folge VwGVG) hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden,

1.       wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2.       die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, allerdings mit dem Unterschied, dass die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht erforderlich ist. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), § 28 VwGVG, Anm. 11.).

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, zur Auslegung des § 28 Abs. 3 2. Satz ausgeführt hat, ist vom prinzipiellen Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auszugehen. Nach der Bestimmung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG kommt bereits nach ihrem Wortlaut die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht (vgl. auch Art. 130 Abs. 4 Z 1 B-VG). Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

Ist die Voraussetzung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG erfüllt, hat das Verwaltungsgericht (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist) "in der Sache selbst" zu entscheiden.

Das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird.

Wie der Verwaltungsgerichtshof im oben angeführten Erkenntnis ausgeführt hat, wird eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f).

Der angefochtene Bescheid und die Ausstellung des erweisen sich in Bezug auf den zu ermittelnden Sachverhalt aus folgenden Gründen als grob mangelhaft:

Die Beschwerdeführerin leidet unter einer Epilepsie, welche die gleiche medizinische Sachverständige in zwei Sachverständigengutachten vom 15.04.2020 und vom 17.06.2020 jeweils mit unterschiedlichen Graden der Behinderung, nämlich einmal mit einem Grad der Behinderung von 70 v.H. und einmal mit einem Grad der Behinderung von 60 v.H. einstufte. Es ist für den erkennenden Senat nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen und aufgrund welcher Befunde es zu dieser unterschiedlichen Einschätzung des Grades der Behinderung kommen konnte. Dies umso mehr, als in beiden genannten Gutachten kein Untersuchungsbefund samt klinischen Status und Fachstatus aufgenommen wurde, weswegen es für das Bundesverwaltungsgericht nicht nachvollziehbar ist, aufgrund welchen Status die medizinische Sachverständige zu ihrer Diagnose kommt. Die von ihr vorgenommene bloße Auflistung der vorgelegten Befunde vermag einen Untersuchungsbefund samt klinischen Status und Fachstatus nicht zu ersetzen.

Ebenso wenig ist nachvollziehbar, weswegen die belangte Behörde der Beschwerdeführerin sodann am 17.08.2020 einen Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 70 v.H. ausstellte, obwohl im Parteiengehör mit Schreiben der belangten Behörde vom 29.06.2020 noch angeführt worden war, dass das Ermittlungsverfahren ergeben habe, dass ein Grad der Behinderung von 60 v.H. vorliege.

Das von der belangten Behörde seiner Beurteilung zugrunde gelegte Sachverständigengutachten ist überdies nicht ausreichend begründet. Die medizinische Sachverständige berücksichtigt die von der Beschwerdeführerin vorgebrachte und durch handschriftliche Aufzeichnungen ihrer Mutter belegten Anfallszeiten nicht, ohne hierfür eine schlüssige und nachvollziehbare Begründung in deren Sachverständigengutachten anzuführen. Es ist der Beschwerdeführerin recht zu geben, wenn diese moniert, dass derartige handschriftlichen Aufzeichnungen bei Bluthochdruckerkrankungen und weiteren Krankheitsbildern anerkannt werden würden, um die Therapie darauf abzustimmen. Es ist nicht nachvollziehbar, weswegen diese Aufzeichnungen weder bei der Beurteilung des Grades der Behinderung noch bei der Beantwortung der Frage, ob es der Beschwerdeführerin zumutbar ist, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, oder nicht, in das medizinische Sachverständigengutachten einflossen.

Hinsichtlich der beantragten und mit dem angefochtenen Bescheid vom 14.08.2020 abgewiesenen Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass ist zu bemängeln, dass diese Abweisung auf ein Sachverständigengutachten gestützt wird, welches allein aufgrund der Aktenlage und ohne persönliche Untersuchung der Beschwerdeführerin erstellt wurde. Auch bei der Beurteilung dieser Frage fehlt der Untersuchungsbefund samt klinischen Satus und Fachstatus gänzlich. Es ist nicht ersichtlich, aufgrund welchen klinischen Status die medizinische Sachverständige zur kommt, dass keine erheblichen Einschränkungen der oberen und unteren Extremitäten vorliegen würden, und dass der Beschwerdeführerin das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke zumutbar sei.

Gerade bei der Beurteilung dieser Frage ist es unumgänglich erforderlich, sich einen persönlichen Eindruck von der Beschwerdeführerin zu machen, dies umso mehr, als diese bereits Inhaberin eines befristeten Parkausweises nach § 29b StVO war, und ihr dieser nicht mehr ausgestellt werden soll.

Das Sachverständigengutachten hätte daher von der belangten Behörde nicht ohne Ergänzung seiner Entscheidung zugrundegelegt werden dürfen. (VwGH vom 08.07.2015, Ra 2015/11/0036)

Schließlich hat sich die belangte Behörde, obwohl im erstinstanzlichen Verfahren derartige Anträge vorlagen, in keiner Weise mit der beantragten Zusatzeintragung „Der Inhaber/die Inhaberin des Passes bedarf einer Begleitperson“ auseinandergesetzt. Zwar führte die medizinische Sachverständige in deren Gutachten dazu aus, dass aus deren Sicht die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen würden, mangels Untersuchungsbefundes samt klinischen Status und Fachstatus ist diese Aussage für das Bundesverwaltungsgericht nicht nachzuvollziehen. Die belangte Behörde hat diesbezüglich jedenfalls bisher keine Entscheidung getroffen.

Im fortgesetzten Verfahren wird von der belangten Behörde sohin das den angefochtenen Entscheidungen zugrundeliegende medizinische Sachverständigengutachten vom 17.06.2020 samt Stellungnahme vom 13.08.2020 in der Form zu ergänzen sein, dass ein neuerliches medizinisches Sachverständigengutachten aus dem Fachbereich der Neurologie eingeholt wird, wobei die Gutachtenserstellung auf Grundlage einer eingehenden persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin zu erfolgen haben wird. Das Ergebnis dieser Untersuchung ist in einem Untersuchungsbefund samt klinischen Status und Fachstatus zusammenzufassen.

Dabei wird auf alle Leidenszustände der Beschwerdeführerin in nachvollziehbarer Weise einzugehen sein, es wird darzulegen sein, wie der von der Beschwerdeführerin bereit gestellten Anfallskalender beurteilt wird, und wird dieses Leiden sodann entsprechend der Einschätzungsverordnung zu beurteilen und einzuschätzen sein.

Es wird darin ebenfalls neuerlich aufgrund des persönlichen Eindruckes, welchen die Beschwerdeführerin bei der persönlichen Untersuchung hinterließ, nachvollziehbar zu beurteilen sein, ob es ihr – trotz der Epilepsieanfälle – möglich und zumutbar ist, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, oder nicht.

Schließlich wird ein Ermittlungsverfahren dahingehend zu führen sein, ob bei der Beschwerdeführerin die Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung „Der Inhaber/die Inhaberin des Passes bedarf einer Begleitperson“ im Sinne des § 1 Abs. 4 Z. 3a der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und Parkausweisen, BGBl. II. Nr. 495/2013 idgF BGBl. II Nr. 263/2016, vorliegen, oder nicht.

Von den Ergebnissen des weiteren Ermittlungsverfahrens wird die Beschwerdeführerin mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme in Wahrung des Parteiengehörs in Kenntnis zu setzen sein.

Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat, und sich der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung des Grades der Behinderung und der beantragten Zusatzeintragungen als so mangelhaft erweist, dass weitere Ermittlungen bzw. konkretere Sachverhaltsfeststellungen erforderlich erscheinen.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht kann - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG - nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes und angesichts der im gegenständlichen Fall unterlassenen Sachverhaltsermittlungen - nicht ersichtlich.

Im Übrigen scheint die Zurückverweisung der Rechtssache an die belangte Behörde auch vor dem Hintergrund der seit 01.07.2015 geltenden Neuerungsbeschränkung in Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 46 BBG zweckmäßig.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall der Beschwerdeführerin noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rasch und kostengünstig festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Von der Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung wird gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG abgesehen, zumal aus dem Beschwerdeakt ersichtlich ist, dass eine mündliche Erörterung der Rechtssache mangels ausreichender Sachverhaltserhebungen und Feststellungen der belangten Behörde eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt.

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Behindertenpass Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Sachverständigengutachten Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W261.2234843.1.00

Im RIS seit

18.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

18.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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