Index
E000 EU- Recht allgemeinNorm
AVG §56Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler sowie die Hofräte Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer, Dr. Fasching und die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Wurzer, über die Revisionen der „P Umweltorganisation“ in K, vertreten durch Dr. Lorenz Edgar Riegler, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Mariahilfer Straße 124/15, gegen die Beschlüsse des Landesverwaltungsgerichts Kärnten 1. vom 9. April 2019, Zl. KLVwG-2786/2/2019 (prot. zu hg. Ra 2019/10/0070), und 2. vom 16. April 2019, Zl. KLVwG-2/4/2019 (prot. zu hg. Ra 2019/10/0071), jeweils betreffend Zurückweisung einer Beschwerde i.A. des Kärntner Naturschutzgesetzes 2002 (belangte Behörden vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Wolfsberg [zu hg. Ra 2019/10/0070], Bezirkshauptmannschaft St. Veit an der Glan [zu hg. Ra 2019/10/0071]; mitbeteiligte Parteien: 1. b GmbH in S, vertreten durch die Eisenberger & Herzog Rechtsanwalts GmbH in 9020 Klagenfurt, Sterneckstraße 19 [zu hg. Ra 2019/10/0070], und 2. V GmbH in W, vertreten durch Niederhuber & Partner Rechtsanwälte GmbH in 1030 Wien, Reisnerstraße 53 [zu hg. Ra 2019/10/0071]) zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revisionen werden als unbegründet abgewiesen.
Die revisionswerbende Partei hat der erstmitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1 1.1. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Wolfsberg vom 15. Jänner 2018 wurde der Erstmitbeteiligten die naturschutzrechtliche Bewilligung zur Errichtung von sechs Windkraftanlagen samt Zufahrtsstraße auf bestimmten Grundstücken in der Gemeinde St. G. erteilt.
2 1.2. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft St. Veit an der Glan vom 28. Februar 2017 wurde der Zweitmitbeteiligten die naturschutzrechtliche Bewilligung zur Errichtung von acht Windkraftanlagen inklusive Baufeldern, Zufahrts- und Verbindungsstraßen sowie interner und externer Energieableitung in der Gemeinde M. erteilt.
3 2. Gegen diese Bescheide erhob die revisionswerbende Partei jeweils Beschwerde an das Verwaltungsgericht. Darin machte sie geltend, die bewilligten Projekte berührten in hohem Maße EU-rechtlich geschützte Lebensräume und Arten und verletzten den sicherzustellenden Biodiversitäts- und Artenschutz nach der FFH-RL und der Vogelschutz-RL sowie nach dem Übereinkommen über die biologische Vielfalt.
4 3. Mit den nunmehr angefochtenen Beschlüssen vom 9. und 16. April 2019 wies das Verwaltungsgericht die Beschwerden der revisionswerbenden Partei mangels deren Beschwerdelegitimation zurück. Die Revisionen wurden jeweils unter Hinweis auf die verba legalia des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zugelassen.
5 Begründend führte das Verwaltungsgericht - soweit für die vorliegenden Revisionsverfahren von Interesse - jeweils aus, die revisionswerbende Partei sei mit Bescheid des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft vom 12. Juni 2013 gemäß § 19 Abs. 7 Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 - UVP-G 2000 in den Bundesländern Niederösterreich, Oberösterreich, Burgenland, Salzburg und Steiermark anerkannt worden. Mit Bescheid der Bundesministerin für Nachhaltigkeit und Tourismus vom 2. März 2018 sei die Anerkennung auf ganz Österreich ausgedehnt worden.
6 Vor dem Hintergrund des Kärntner Naturschutzgesetzes 2002 (K-NSG 2002) komme der revisionswerbenden Partei keine Parteistellung oder Beschwerdelegitimation zu.
7 Auch aus Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention könne die revisionswerbende Partei keine solche ableiten. Dies käme nur für gemäß § 19 Abs. 7 UVP-G 2000 anerkannte Umweltorganisationen in Frage, die sich für den Umweltschutz einsetzten und deren Tätigkeit sich inhaltlich und räumlich auf den Schutz des Allgemeininteresses beziehe (Hinweis auf VwGH 19.2.2018, Ra 2015/07/0074).
8 Die revisionswerbende Partei sei zum jeweiligen Zeitpunkt der Erlassung der beiden naturschutzrechtlichen Bewilligungen noch keine für Kärnten anerkannte Umweltorganisation gewesen. Sie sei sohin weder dem Verfahren beizuziehen gewesen, noch stehe ihr eine nachträgliche Beschwerdemöglichkeit gegen bereits vor ihrer Anerkennung erlassene Bescheide zu.
9 4. Gegen diese Beschlüsse richten sich die vorliegenden außerordentlichen Revisionen, die das Verwaltungsgericht samt den Verfahrensakten vorgelegt hat.
10 Die Erstmitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die kostenpflichtige Zurück-, in eventu Abweisung der Revision beantragte.
11 In dem zu hg. Ra 2019/10/0071 protokollierten Verfahren brachten die belangte Behörde und die mitbeteiligte Partei jeweils eine Revisionsbeantwortung ein. Aufwandersatz wird darin nicht beantragt.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
12 1.1. Die in den Blick zu nehmenden Bestimmungen des Aarhus-Übereinkommens, BGBl. III Nr. 88/2005 idF BGBl. III Nr. 58/2014, haben folgenden Wortlaut:
„Artikel 2
Begriffsbestimmungen
Im Sinne dieses Übereinkommens
[...]
4. bedeutet ‚Öffentlichkeit‘ eine oder mehrere natürliche oder juristische Personen und, in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder der innerstaatlichen Praxis, deren Vereinigungen, Organisationen oder Gruppen;
5. bedeutet ‚betroffene Öffentlichkeit‘ die von umweltbezogenen Entscheidungsverfahren betroffene oder wahrscheinlich betroffene Öffentlichkeit oder die Öffentlichkeit mit einem Interesse daran; im Sinne dieser Begriffsbestimmung haben Nichtregierungsorganisationen, die sich für den Umweltschutz einsetzen und alle nach innerstaatlichem Recht geltenden Voraussetzungen erfüllen, ein Interesse.
[...]
Artikel 6
Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungen über bestimmte
Tätigkeiten
(1) Jede Vertragspartei
a) wendet diesen Artikel bei Entscheidungen darüber an, ob die in Anhang I aufgeführten geplanten Tätigkeiten zugelassen werden;
b) wendet diesen Artikel in Übereinstimmung mit ihrem innerstaatlichen Recht auch bei Entscheidungen über nicht in Anhang I aufgeführte geplante Tätigkeiten an, die eine erhebliche Auswirkung auf die Umwelt haben können. Zu diesem Zweck bestimmen die Vertragsparteien, ob dieser Artikel Anwendung auf eine derartige geplante Tätigkeit findet;
[...]
Artikel 9
Zugang zu Gerichten
[...]
(2) Jede Vertragspartei stellt im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften sicher, dass Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit,
(a) die ein ausreichendes Interesse haben oder alternativ
(b) eine Rechtsverletzung geltend machen, sofern das Verwaltungsverfahrensrecht einer Vertragspartei dies als Voraussetzung erfordert,
Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht und/oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle haben, um die materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen anzufechten, für die Artikel 6 und - sofern dies nach dem jeweiligen innerstaatlichen Recht vorgesehen ist und unbeschadet des Absatzes 3 - sonstige einschlägige Bestimmungen dieses Übereinkommens gelten.
Was als ausreichendes Interesse und als Rechtsverletzung gilt, bestimmt sich nach den Erfordernissen innerstaatlichen Rechts und im Einklang mit dem Ziel, der betroffenen Öffentlichkeit im Rahmen dieses Übereinkommens einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren. Zu diesem Zweck gilt das Interesse jeder Nichtregierungsorganisation, welche die in Artikel 2 Nummer 5 genannten Voraussetzungen erfüllt, als ausreichend im Sinne des Buchstaben a. Derartige Organisationen gelten auch als Träger von Rechten, die im Sinne des Buchstaben b verletzt werden können.
Absatz 2 schließt die Möglichkeit eines vorangehenden Überprüfungsverfahrens vor einer Verwaltungsbehörde nicht aus und lässt das Erfordernis der Ausschöpfung verwaltungsbehördlicher Überprüfungsverfahren vor der Einleitung gerichtlicher Überprüfungsverfahren unberührt, sofern ein derartiges Erfordernis nach innerstaatlichem Recht besteht.
(3) Zusätzlich und unbeschadet der in den Absätzen 1 und 2 genannten Überprüfungsverfahren stellt jede Vertragspartei sicher, dass Mitglieder der Öffentlichkeit, sofern sie etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen, Zugang zu verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren haben, um die von Privatpersonen und Behörden vorgenommenen Handlungen und begangenen Unterlassungen anzufechten, die gegen umweltbezogene Bestimmungen ihres innerstaatlichen Rechts verstoßen.
[...]“
13 1.2. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Kärntner Naturschutzgesetzes 2002 - K-NSG 2002, LGBl. Nr. 79/2002 idF LGBl. Nr. 71/2018, haben folgenden Wortlaut:
„§ 5
Schutz der freien Landschaft
(1) In der freien Landschaft, das ist der Bereich außerhalb von geschlossenen Siedlungen, Gewerbeparks und den zu diesen Bereichen gehörigen besonders gestalteten Flächen, wie Vorgärten, Haus- und Obstgärten und Parkplätzen, bedürfen folgende Maßnahmen einer Bewilligung:
[...]
b) Abgrabungen und Anschüttungen auf einer Fläche von mehr als 2000 m2, wenn das Niveau überwiegend mehr als einen Meter verändert wird und ähnlich weitreichende Geländeveränderungen;
[...]
e) Eingriffe in natürliche oder naturnahe Fließgewässer;
[...]
i) die Errichtung von Gebäuden und sonstigen baulichen Anlagen auf Grundflächen, die im Flächenwidmungsplan als Grünland ausgewiesen sind;
[...]
m) die Errichtung von Windkraft- und Photovoltaikanlagen sowie von Freileitungen mit einer Netzspannung über 36 kV;
[...]
§ 9
Bewilligungen
(1) Bewilligungen im Sinne der §§ 4, 5 Abs. 1 und 6 Abs. 1 dürfen nicht erteilt werden, wenn durch das Vorhaben oder die Maßnahme
a) das Landschaftsbild nachhaltig nachteilig beeinflusst würde,
b) das Gefüge des Haushaltes der Natur im betroffenen Lebensraum nachhaltig beeinträchtigt würde oder
c) der Charakter des betroffenen Landschaftsraumes nachhaltig beeinträchtigt würde.
(2) Eine nachhaltige Beeinträchtigung des Gefüges des Haushaltes der Natur liegt vor, wenn durch eine Maßnahme oder ein Vorhaben
a) ein wesentlicher Bestand seltener, gefährdeter oder geschützter Tier- oder Pflanzenarten vernichtet würde,
b) der Lebensraum seltener, gefährdeter oder geschützter Tier- oder Pflanzenarten wesentlich beeinträchtigt oder vernichtet würde oder
c) der Bestand einer seltenen, gefährdeten oder geschützten Biotoptype wesentlich beeinträchtigt oder vernichtet würde.
(3) Eine nachhaltige Beeinträchtigung des Charakters des betroffenen Landschaftsraumes ist jedenfalls gegeben, wenn durch eine Maßnahme oder ein Vorhaben
a) eine Zersiedelung eingeleitet oder fortgesetzt würde,
b) eine Verarmung eines durch eine Vielfalt an Elementen gekennzeichneten Landschaftsraumes eintreten würde,
c) der Eindruck der Naturbelassenheit eines Landschaftsraumes wesentlich gestört würde,
d) natürliche Oberflächenformen wie Karstgebilde, Flussterrassen, Flussablagerungen, Gletscherbildungen, Bergstürze, naturnahe Fluss- oder Bachläufe wesentlich geändert würden oder
e) freie Seeflächen durch Einbauten, Anschüttungen und ähnliches wesentlich beeinträchtigt würden oder die Ufervegetation von Gewässern wesentlich aufgesplittert würde.
[...]
(7) Eine Versagung einer Bewilligung im Sinne der §§ 4, 5 Abs. 1 und 6 Abs. 1 darf nicht erfolgen, wenn das öffentliche Interesse an den beantragten Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Gemeinwohles höher zu bewerten ist als das öffentliche Interesse an der Bewahrung der Landschaft vor störenden Eingriffen.
(8) Wenn eine Bewilligung auf Grund einer Interessenabwägung nach Abs. 7 erteilt wird, ist durch Auflagen zu bewirken, dass die nachteiligen Wirkungen des Vorhabens möglichst gering gehalten werden. Bei umfangreichen Vorhaben kann zur Sicherung einer fach-, vorschriften- und bewilligungsgemäßen Ausführung eine ökologische Bauaufsicht (§ 47) bestellt werden. Eine nachteilige Beeinflussung des Landschaftsbildes kann durch Vorschreibung einer der umgebenden Landschaft entsprechenden Gestaltung ausgeglichen werden.“
14 1.3. § 19 Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 - UVP-G 2000 hat folgenden - zeitraumbezogen maßgeblichen - auszugsweisen Wortlaut:
„[...]
(6) Umweltorganisation ist ein Verein oder eine Stiftung,
1. der/die als vorrangigen Zweck gemäß Vereinsstatuten oder Stiftungserklärung den Schutz der Umwelt hat,
2. der/die gemeinnützige Ziele im Sinn der §§ 35 und 36 BAO, BGBl. Nr. 194/1961, verfolgt und
3. der/die vor Antragstellung gemäß Abs. 7 mindestens drei Jahre mit dem unter Z 1 angeführten Zweck bestanden hat.
(7) (Verfassungsbestimmung) Der Bundesminister/die Bundesministerin für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft hat im Einvernehmen mit dem Bundesminister/der Bundesministerin für Wirtschaft und Arbeit auf Antrag mit Bescheid zu entscheiden, ob eine Umweltorganisation die Kriterien des Abs. 6 erfüllt und in welchen Bundesländern die Umweltorganisation zur Ausübung der Parteienrechte befugt ist.
[...]“
15 2.1. Die Zulässigkeitsausführungen der vorliegenden außerordentlichen Revisionen wenden sich im Wesentlichen gegen die - auf VwGH 19.2.2018, Ra 2015/07/0074, gestützte - Auffassung des Verwaltungsgerichtes, wonach der revisionswerbenden Partei mangels Vorliegens eines sich - zum Zeitpunkt der Erlassung der naturschutzrechtlichen Bewilligungen - auf das Bundesland Kärnten beziehenden Anerkennungsbescheides gemäß § 19 Abs. 7 UVP-G 2000 keine aus der Aarhus-Konvention abgeleitete Legitimation zur Erhebung der Beschwerden gegen die naturschutzrechtlichen Bewilligungen vom 28. Februar 2017 und 15. Jänner 2018 zukommt.
16 2.2. Die Revisionen sind zulässig. Sie erweisen sich jedoch als nicht begründet:
17 3.1. Gemäß Art. 132 Abs. 1 B-VG kann gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben, wer durch den Bescheid in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet. Demnach können nur diejenigen natürlichen oder juristischen Personen eine solche Beeinträchtigung von Rechten mit Beschwerde bei einem Verwaltungsgericht geltend machen, denen in einem vorangegangenen Verwaltungsverfahren Parteistellung zukam oder zuerkannt wurde.
18 Parteistellung im Verwaltungsverfahren und die Befugnis zur Beschwerdeerhebung an ein Verwaltungsgericht hängen nach der innerstaatlichen Rechtslage somit unmittelbar zusammen (vgl. VwGH 28.3.2018, Ra 2015/07/0055, sowie VwGH 20.12.2019, Ro 2018/10/0010).
19 Eine ausdrückliche Zuerkennung der Parteistellung an eine Umweltorganisation als Formalpartei findet sich im K-NSG 2002 in der hier anzuwendenden Fassung nicht. Vor dem Hintergrund (bloß) der innerstaatlichen Rechtslage kam der revisionswerbenden Partei daher keine Parteistellung und daran anknüpfende Beschwerdelegitimation in den den Revisionsfällen zugrunde liegenden naturschutzrechtlichen Bewilligungsverfahren zu.
20 3.2. Somit könnte sich eine allfällig Parteistellung und daraus resultierende Beschwerdelegitimation der revisionswerbenden Partei lediglich aus den Bestimmungen des Art. 9 Abs. 2 oder 3 Aarhus-Konvention ableiten.
21 Art. 9 Abs. 2 Aarhus-Konvention gewährt Umweltorganisationen, die die Voraussetzungen des Art. 2 Z 5 leg. cit. erfüllen, ein Recht auf einen Rechtsbehelf, soweit dieser gegen eine Entscheidung gerichtet ist, die in den Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 2 Aarhus-Konvention fällt, also etwa gegen Entscheidungen mit potentiell erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt im Sinne des Art. 6 Abs. 1 lit. b Aarhus-Konvention (vgl. EuGH 8.11.2016, C-243/15, Rn. 55).
22 Art. 9 Abs. 3 der Aarhus-Konvention regelt für „Mitglieder der Öffentlichkeit“, sofern sie etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen, das Recht auf Zugang zu verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren, um die von Privatpersonen und Behörden vorgenommenen Handlungen und begangenen Unterlassungen anzufechten, die gegen umweltbezogene Bestimmungen ihres innerstaatlichen Rechts verstoßen.
23 In seinem Urteil vom 20.12.2017, C-664/15, führte der EuGH aus:
„45 Zwar haben die Rechte aus Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus lediglich ‚Mitglieder der Öffentlichkeit, sofern sie etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen‘. Demnach hat diese Bestimmung im Unionsrecht als solche keine unmittelbare Wirkung. In Verbindung mit Art. 47 der Charta verpflichtet sie die Mitgliedstaaten aber dazu, einen wirksamen gerichtlichen Schutz der durch das Recht der Union garantierten Rechte, insbesondere der Vorschriften des Umweltrechts, zu gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. März 2011, Lesoochranárske zoskupenie, C?240/09, EU:C:2011:125, Rn. 45 und 51).
46 Wie die Generalanwältin in den Nrn. 89 und 90 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, hätte das in Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus vorgesehene Recht, einen Rechtsbehelf einzulegen, keine praktische Wirksamkeit, ja würde ausgehöhlt, wenn zugelassen würde, dass durch im innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien bestimmte Kategorien der ‚Mitglieder der Öffentlichkeit‘, erst recht der ‚betroffenen Öffentlichkeit‘ wie Umweltorganisationen, die die Voraussetzungen von Art. 2 Abs. 5 des Übereinkommens von Aarhus erfüllen, der Zugang zu den Gerichten gänzlich verwehrt würde.
47 Umweltorganisationen darf durch im innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien insbesondere nicht die Möglichkeit genommen werden, die Beachtung der aus dem Unionsumweltrecht hervorgegangenen Rechtsvorschriften überprüfen zu lassen, zumal solche Rechtsvorschriften in den meisten Fällen auf das allgemeine Interesse und nicht auf den alleinigen Schutz der Rechtsgüter Einzelner gerichtet sind und Aufgabe besagter Umweltorganisationen der Schutz des Allgemeininteresses ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Mai 2011, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen, C?115/09, EU:C:2011:289, Rn. 46).
48 Der Ausdruck ‚etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien‘ in Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus bedeutet zwar, dass die Mitgliedstaaten bei der Durchführung dieser Bestimmung einen Gestaltungsspielraum behalten. Kriterien, die derart streng sind, dass es für Umweltorganisationen praktisch unmöglich ist, Handlungen und Unterlassungen im Sinne von Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus anzufechten, sind aber nicht zulässig.“
24 In seinem bereits erwähnten Erkenntnis Ra 2015/07/0074 hat der Verwaltungsgerichtshof in Zusammenhang mit einem auf Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention gestützten Antrag einer nach § 19 Abs. 7 UVP-G 2000 anerkannten Umweltorganisation auf Erstellung oder Ergänzung eines Programmes nach § 9a Immissionsschutzgesetz-Luft (IG-L) und auf Anordnung von Maßnahmen nach § 10 IG-L, BGBl. I Nr. 115/1997 in der dort anzuwenden Fassung BGBl. I Nr. 77/2010, ausgesprochen:
„65 Konkrete Vorschriften des innerstaatlichen Rechts, die den vom EuGH beschriebenen Gestaltungsspielraum des nationalen Gesetzgebers im Zusammenhang mit Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention ausübten, bestehen hinsichtlich der hier einschlägigen Normen des Luftqualitätsrechts nicht. Vor dem Hintergrund des dargelegten zwingenden Charakters der RL 2008/50/EG und der vom EuGH hervorgehobenen Unzulässigkeit, derart strenge Kriterien festzulegen, dass es für Umweltorganisationen praktisch unmöglich ist, Handlungen und Unterlassungen im Sinne von Art. 9 Abs. 3 der Aarhus-Konvention anzufechten, um die Beachtung der aus dem Unionsumweltrecht hervorgegangenen Rechtsvorschriften überprüfen zu lassen, folgt daher aus der zitierten Judikatur für den gegenständlichen Fall, in dem die geltend gemachte Überschreitung von Grenzwerten unstrittig ist, dass Umweltorganisationen, sofern sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen, grundsätzlich legitimiert sind, einen Antrag wie den verfahrenseinleitenden Antrag vom 8. April 2014 zu stellen. Diese Überlegung gilt gerade für die RL 2008/50/EG, die der Eindämmung und Reduzierung der Luftverschmutzung und damit dem Schutz der öffentlichen Gesundheit dient (vgl. dazu auch VwGH 28.5.2015, Ro 2014/07/0096, Pkt. 4.2.).
66 Eine derartige Legitimation zur Stellung eines Antrages wie den hier verfahrensgegenständlichen wird man jedoch nur für jene gemäß § 19 Abs. 7 UVP-G 2000 anerkannten Umweltorganisationen annehmen können, die sich für den Umweltschutz einsetzen und deren Tätigkeit sich inhaltlich und räumlich auf den ‚Schutz des Allgemeininteresses‘ im Sinne der zitierten Judikatur des EuGH - hier: auf die Reduzierung der Luftverschmutzung und damit den Schutz der öffentlichen Gesundheit, konkret im Zusammenhang mit der Einhaltung der für NO2 festgelegten Immissionsgrenzwerte im Bundesland Salzburg - bezieht. Dass die Revisionswerberin, deren räumlicher Tätigkeitsbereich mit dem gemäß § 19 Abs. 7 UVP-G 2000 erlassenen Anerkennungsbescheid des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft vom 2. Mai 2005 für ganz Österreich festgelegt wurde, diese Voraussetzungen inhaltlich nicht erfüllte, ist im durchgeführten Verfahren nicht hervorgekommen. Die Antragslegitimation der Revisionswerberin ist somit im gegenständlichen Fall zu bejahen.“
25 3.3. Dieser Rechtsprechung, die auf die in den vorliegenden Revisionsfällen zu beurteilende Frage, ob der revisionswerbenden Partei eine aus einer allfälligen Parteistellung resultierende Legitimation zur Erhebung einer Beschwerde gegen die hier erteilten naturschutzrechtlichen Bewilligungen zukommt, übertragbar ist, ist - entgegen dem Revisionsvorbringen - unzweifelhaft zu entnehmen, dass bei der Beurteilung der Antragslegitimation einer Umweltorganisation im Rahmen des Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention nicht nur auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 19 Abs. 6 UVP-G 2000, sondern gerade auch auf die bescheidmäßige Anerkennung gemäß § 19 Abs. 7 UVP-G 2000 und den sich daraus ergebenden räumlichen Tätigkeitsbereich einer Umweltorganisation abzustellen ist.
26 Der in diesem Zusammenhang vorgebrachten Argumentation der Revisionen, wonach nach dem im hg. Verfahren Ra 2015/07/0074 anzuwendenden IG-L die Anerkennung nach § 19 Abs. 7 UVP-G 2000 - im Gegensatz zum vorliegend zur Anwendung gelangenden K-NSG 2002 - explizit normiert gewesen sei, ist entgegen zu halten, dass die dort maßgebliche Fassung des § 9a IG-L vor der Novelle BGBl. I Nr. 73/2018 noch keinen Verweis auf § 19 Abs. 7 UVP-G 2000 enthielt.
27 Auch ist die beschriebene Anerkennung nach § 19 Abs. 7 UVP-G 2000 für Umweltorganisationen zu fordern, die in dem der „betroffenen Öffentlichkeit“ (und damit einem engeren Anfechtungskreis) vorbehaltenen Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 2 Aarhus-Konvention agieren und dabei die für Nichtregierungsorganisationen in Art. 2 Z 5 Aarhus-Konvention vorgesehenen Anforderungen zu erfüllen haben (vgl. dazu etwa die österreichischen Materialien zur Aarhus-Konvention: 654 BlgNR 22. GP 4 und 6, die auf die zu etablierende Zulassung gemäß UVP-G 2000 verweisen, sowie VwGH 17.2.2016, Ro 2016/04/0001, zur vergleichbaren Rechtslage nach der UVP-RL).
28 Dass durch das Erfordernis einer entsprechenden Anerkennung nach § 19 Abs. 7 UVP-G 2000, welche auch die Festlegung eines bestimmten räumlichen Tätigkeitsbereiches umfasst, für Umweltorganisationen der Zugang zu Gericht praktisch unmöglich würde (vgl. EuGH C-664/15, Rn. 48), ist für den Verwaltungsgerichtshof nicht ersichtlich.
29 3.4. Vor diesem Hintergrund ist daher auch in den Revisionsfällen - unabhängig davon, ob die den naturschutzrechtlichen Bewilligungen zugrunde liegenden Vorhaben nun (wie in den Revisionen behauptet) wegen erheblicher Auswirkungen auf die Umwelt in den Anwendungsbereich des Abs. 2 oder (mangels solcher Auswirkungen) in den Anwendungsbereich des Abs. 3 des Art. 9 der Aarhus-Konvention fallen (vgl. zum jeweiligen Regelungsinhalt dieser Bestimmungen VwGH Ra 2015/07/0055) - davon auszugehen, dass eine Beschwerde an das Verwaltungsgericht gegen diese behördlichen Bewilligungen nur von jenen gemäß § 19 Abs. 7 UVP-G 2000 anerkannten Umweltorganisationen erhoben werden kann, die sich für den Umweltschutz einsetzen und deren Tätigkeit sich inhaltlich und räumlich auf den „Schutz des Allgemeininteresses“ bezieht.
30 4.1. Wie sich aus dem Spruch des Bescheides des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft vom 12. Juni 2013 ergibt, wurde die revisionswerbende Partei mit diesem gemäß § 19 Abs. 7 UVP-G 2000 anerkannt und berechtigt, ihre Parteienrechte in den Bundesländern Niederösterreich, Oberösterreich, Burgenland, Salzburg und Steiermark gemäß § 19 Abs. 10 UVP-G 2000 wahrzunehmen. Mit Bescheid der Bundesministerin für Nachhaltigkeit und Tourismus vom 2. März 2018 wurde die revisionswerbende Partei berechtigt, die Parteienrechte gemäß § 19 Abs. 10 UVP-G 2000 österreichweit wahrzunehmen.
31 Dass in der Begründung des Bescheides vom 12. Juni 2013 die Rede davon ist, dass eine Ausübung der Parteienrechte in Verfahren betreffend Vorhaben möglich ist, die in Österreich verwirklicht werden sollen, begründet - entgegen der in den Revisionen vertretenen Auffassung - schon angesichts des klar gefassten Spruches keinen Zweifel daran, dass der bescheidmäßig festgelegte räumliche Tätigkeitsbereich der revisionswerbenden Partei lediglich die im Spruch genannten fünf Bundesländer umfasste (vgl. zum Verhältnis von Spruch und Begründung VwGH 9.6.2020, Ra 2020/10/0016, mwN).
32 4.2. Wenn zu klären ist, ob die Behauptung einer Person, im Verfahren als Partei übergangen worden zu sein, zutreffend ist, hat dies nach der im Zeitpunkt der Erlassung des an andere Verfahrensparteien bereits ergangenen Bescheides geltenden Sach- und Rechtslage zu geschehen (vgl. VwGH 2.8.2019, Ra 2019/11/0099, mwN). In einem Mehrparteienverfahren ist ein Bescheid dann als erlassen anzusehen, wenn er einer Partei zugestellt und damit rechtlich existent wurde (vgl. VwGH 26.2.2020, Ra 2019/09/0052, mwN).
33 Nach den von den Revisionen insoweit nicht bestrittenen Ausführungen der angefochtenen Beschlüsse wurde der räumliche Tätigkeitsbereich der revisionswerbenden Partei zum Zeitpunkt der Erlassung der naturschutzrechtlichen Bewilligungsbescheide vom 28. Februar 2017 und vom 15. Jänner 2018 - was sich auch durch einen Blick auf die unbedenkliche Aktenlage bestätigt - noch durch den Bescheid vom 12. Juni 2013 (also beschränkt auf die darin genannten fünf Bundesländer [ohne Kärnten]) festgelegt. Eine Erlassung der Bewilligungsbescheide erst nach Ergehen des Anerkennungsbescheides vom 2. März 2018 behaupten die Revisionen nicht. Im Sinne der oben dargelegten hg. Rechtsprechung kam der revisionswerbenden Partei daher - mangels mit Anerkennungsbescheid gemäß § 19 Abs. 7 UVP-G 2000 für das Bundesland Kärnten festgelegten Tätigkeitsbereichs - keine aus einer Parteistellung in den naturschutzrechtlichen Bewilligungsverfahren resultierende Legitimation zur Erhebung der verfahrensgegenständlichen Beschwerden an das Verwaltungsgericht zu.
34 5. Die Zurückweisungen der Beschwerden durch die angefochtenen Beschlüsse sind daher schon aus diesem Grund zu Recht erfolgt. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere Vorbringen der Revisionen zu den in den angefochtenen Beschlüssen - über die mangelnde Beschwerdelegitimation hinaus - alternativ ausgeführten Zurückweisungsgründen.
35 6. Die sich als unbegründet erweisenden Revisionen waren daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
36 Der Vollständigkeit halber sei noch angemerkt, dass dem ebenfalls die revisionswerbende Partei betreffenden hg. Erkenntnis Ra 2015/07/0055 ein in Niederösterreich und damit im damals bescheidmäßig festgelegten örtlichen Tätigkeitsbereich der revisionswerbenden Partei situierter Fall zugrunde lag. Die Parteistellung der revisionswerbenden Partei war dort daher in dieser Hinsicht nicht fraglich.
37 Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist hier geklärt. Die vorliegenden Revisionsverfahren betrafen ausschließlich Rechtsfragen, zu deren Lösung im Sinne der Judikatur des EGMR eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist. Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC stehen daher der Abstandnahme von der beantragten Verhandlung nicht entgegen. In Hinblick darauf konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung entschieden werden (vgl. etwa VwGH 5.11.2015, Ro 2014/06/0078, sowie VwGH 24.10.2019, Ro 2019/07/0002, mwN).
38 Der Verwaltungsgerichtshof sieht nach dem Gesagten - entgegen den diesbezüglichen Anregungen der revisionswerbenden Partei - auch keine Veranlassung für einen Antrag auf Vorabentscheidung an den EuGH.
39 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 30. September 2020
Gerichtsentscheidung
EuGH 62009CJ0240 Lesoochranarske zoskupenie VORABSchlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Gemeinschaftsrecht Auslegung des Mitgliedstaatenrechtes EURallg2 Gemeinschaftsrecht kein innerstaatlicher Anwendungsbereich EURallg7 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Parteibegriff - Parteienrechte Allgemein diverse Interessen Rechtspersönlichkeit Parteibegriff Parteistellung strittige Rechtsnachfolger Zustellung Zeitpunkt der Bescheiderlassung Eintritt der RechtswirkungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019100070.L00Im RIS seit
30.11.2020Zuletzt aktualisiert am
30.11.2020