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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
B-VG Art10Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler und die Hofräte Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching sowie die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Wurzer, über die Revision der Medizinischen Universität Wien, vertreten durch CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Gauermanngasse 2, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Dezember 2018, Zl. W195 2210335-1/2E, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde iA Tierversuchsgesetz 2012 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Medizinischen Universität Wien Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Bescheid der belangten Behörde vom 6. August 2018 wurde dem Antrag der Revisionswerberin auf Genehmigung von näher bezeichneten Projekten (Tierversuchen) sowie auf Genehmigung eines Projektleiters gemäß §§ 26 ff Tierversuchsgesetz 2012 - TVG 2012 insoweit stattgegeben, als er sich auf die Genehmigung des Projekts „Prüfungen auf anomale Toxizität nach Europ. und US-Pharmakopoe/CFR“ bezog, wobei die Genehmigung befristet bis zum 31. Dezember 2018 erteilt wurde (1.). Zudem wurde festgestellt, dass die Tierversuche in dem genannten Projekt den „Schweregraden bis zu und einschließlich ‚mittel‘ zugeordnet“ seien und daher eine rückblickende Bewertung nicht erforderlich sei (2.). Ass.-Prof. Dr. H. wurde die Genehmigung als Projektleiter - beschränkt auf die Durchführung des genannten Projekts sowie unter näher genannten Auflagen - erteilt (3).
2 Im Übrigen wurde der Antrag der Revisionswerberin abgewiesen.
3 Die Revisionswerberin erhob gegen diesen Bescheid (im Umfang der Abweisung des Antrags) Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG).
4 Mit Berufungsvorentscheidung der belangten Behörde vom 2. November 2018 wurde der Beschwerde teilweise Folge gegeben, näher genannte Änderungen vorgenommen und ausgesprochen, dass die übrigen Teile dieses Bescheides, insbesondere dessen Spruch, unberührt blieben.
5 Die Revisionswerberin stellte am 16. November 2018 einen Vorlageantrag beim BVwG.
6 Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss vom 12. Dezember 2018 wies das BVwG die Beschwerde wegen Unzuständigkeit zurück (A) und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig (B).
7 Begründend führte das BVwG zusammengefasst aus, die Zuständigkeit des BVwG knüpfe gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG daran an, dass eine Angelegenheit in unmittelbarer Bundesverwaltung (im Sinne des Art. 102 B-VG) besorgt werde. Unmittelbare Bundesverwaltung - und damit eine Zuständigkeit des BVwG - liege aber (unter anderem) dann nicht vor, wenn in einer Angelegenheit, die in mittelbarer Bundesverwaltung besorgt werde, ausnahmsweise ein Bundesminister mit der Vollziehung betraut werde. In Angelegenheiten, die schon von Verfassungs wegen nicht „unmittelbar von Bundesbehörden“ besorgt werden dürften, könne von vornherein keine Besorgung unmittelbar durch Bundesbehörden im Sinne des Art. 131 Abs. 2 erster Satz B-VG vorliegen.
8 In § 2 Z 8 des TVG 2012, welches im Übrigen auf der Kompetenzgrundlage sogenannter „Querschnittsmaterien“ erlassen worden sei, seien explizite Zuständigkeiten des Landeshauptmannes bzw. der Landeshauptfrau festgelegt, weshalb es sich schon deshalb um keine Angelegenheit der unmittelbaren Bundesverwaltung handeln könne. Die in dieser Bestimmung genannte Zuständigkeit der belangten Behörde im Zusammenhang mit Tierversuchen im Rahmen des Hochschulwesens stelle eine „ausnahmsweise Zuständigkeit“ (im Sinne der Erläuterungen zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012) im Rahmen der Vollziehung des TVG 2012 in mittelbarer Bundesverwaltung dar.
9 Im Ergebnis liege somit keine Angelegenheit vor, welche „unmittelbar von Bundesbehörden“ im Sinne des Art. 131 Abs. 2 erster Satz B-VG besorgt werde, weshalb der Rechtszug nicht an das BVwG sondern gemäß der Generalklausel des Art. 131 Abs. 1 B-VG an das örtlich zuständige Landesverwaltungsgericht zu gehen habe.
10 Zur Zulässigkeit der Revision führte das BVwG aus, dass zur Frage, ob für Beschwerden in Angelegenheiten des TVG 2012 eine Zuständigkeit des BVwG gegeben sei, noch keine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes vorliege.
11 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Revision, die sich der Zulässigkeitsbegründung des BVwG anschließt und - mit näheren Darlegungen - das Vorliegen einer Angelegenheit der unmittelbaren Bundesvollziehung und sohin die Zuständigkeit des BVwG nach Maßgabe des Art. 131 Abs. 2 B-VG behauptet. Das BVwG sei auch von näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen.
12 Das BVwG führte das Vorverfahren, in dem die belangte Behörde keine Revisionsbeantwortung erstattete, durch und legte die Akten des Verfahrens vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
13 Die Revision ist zulässig; sie ist auch berechtigt.
14 Das B-VG (in der gegenständlich maßgeblichen Fassung BGBl I Nr. 138/2017) lautet auszugsweise:
Artikel 11. (1) Bundessache ist die Gesetzgebung, Landessache die Vollziehung in folgenden Angelegenheiten:
...
8. Tierschutz, soweit er nicht nach anderen Bestimmungen in Gesetzgebung Bundessache ist, jedoch mit Ausnahme der Ausübung der Jagd oder der Fischerei.
...
Artikel 14. (1) Bundessache ist die Gesetzgebung und die Vollziehung auf dem Gebiet des Schulwesens ... soweit in den folgenden Absätzen nicht anderes bestimmt ist. ...
...
Artikel 102. (1) ...
(2) Folgende Angelegenheiten können im Rahmen des verfassungsmäßig festgestellten Wirkungsbereiches unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden: ... Schulwesen ...
...
Artikel 131. (1) Soweit sich aus Abs. 2 und 3 nicht anderes ergibt, erkennen über Beschwerden nach Art. 130 Abs. 1 die Verwaltungsgerichte der Länder.
(2) Soweit sich aus Abs. 3 nicht anderes ergibt, erkennt das Verwaltungsgericht des Bundes über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 in Rechtssachen in den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden. Sieht ein Gesetz gemäß Art. 130 Abs. 2 Z 2 eine Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte vor, erkennt das Verwaltungsgericht des Bundes über Beschwerden in Rechtssachen in den Angelegenheiten des öffentlichen Auftragswesens, die gemäß Art. 14b Abs. 2 Z 1 in Vollziehung Bundessache sind. Sieht ein Gesetz gemäß Art. 130 Abs. 2 Z 3 eine Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte vor, erkennt das Verwaltungsgericht des Bundes über Streitigkeiten in dienstrechtlichen Angelegenheiten der öffentlich Bediensteten des Bundes.
...“
15 Das Tierversuchsgesetz 2012, BGBl. I Nr. 114 idF BGBl. I Nr. 31/2018 (TVG 2012), lautet auszugsweise:
„1. Abschnitt
Allgemeine Bestimmungen
Gegenstand
§ 1. (1) Gegenstand dieses Bundesgesetzes ist der Schutz folgender Tiere, soweit diese zu wissenschaftlichen Zwecken oder Bildungszwecken verwendet werden oder verwendet werden sollen:
...
Begriffsbestimmungen
§ 2. Im Sinne dieses Bundesgesetzes bedeuten:
1 ‚Tierversuch‘: jede Verwendung von Tieren zu Versuchs-, Ausbildungs- oder anderen wissenschaftlichen Zwecken mit bekanntem oder unbekanntem Ausgang, ... nicht jedoch das Töten von Tieren allein zum Zweck der Verwendung ihrer Gewebe oder Organe.
2. ‚Projekt‘: ein Arbeitsprogramm mit einem festgelegten wissenschaftlichen Ziel (‚Projektziel‘), das einen oder mehrere Tierversuche einschließt, wobei für Zwecke dieses Bundesgesetzes Projektziele durch Angabe eines Zwecks gemäß § 5 ausreichend genau beschrieben werden.
...
8. ‚zuständige Behörde‘: bei Tierversuchen im Rahmen des Hochschulwesens oder der wissenschaftlichen Einrichtungen des Bundes, die Bundesministerin oder der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung ansonsten die zuständige Landeshauptfrau bzw. der zuständige Landeshauptmann.
...
4. Abschnitt
Anforderungen an Projekte
Genehmigung von Projekten
§ 26. (1) Projekte dürfen nicht ohne vorherige Genehmigung der zuständigen Behörde durchgeführt werden.
...
Genehmigung von Projektleiterinnen und Projektleitern
§ 27. (1) Personen, die Tätigkeiten gemäß § 19 Abs. 2 Z 2 ausüben (‚Projektleiterinnen oder Projektleiter‘) müssen:
...
(2) Die Tätigkeit von Projektleiterinnen oder Projektleitern bedarf einer Genehmigung der zuständigen Behörde.
...
Vollziehung
§ 45. Mit der Vollziehung dieses Bundesgesetzes sind betraut:
1. in Angelegenheiten des Hochschulwesens, der wissenschaftlichen Einrichtungen des Bundes sowie hinsichtlich der §§ 35, 37 und 38 Abs. 2 die Bundesministerin oder der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung sowie
2. hinsichtlich des § 43 Abs. 1 und 2 die Bundesministerin oder der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung im Einvernehmen mit der Bundesministerin oder dem Bundesminister für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz sowie
3. im Übrigen die jeweils zuständige Bundesministerin oder der jeweils zuständige Bundesminister.“
16 Nach den Materialien zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 (RV 1618 BlgNR 24. GP, 15) knüpft die Zuständigkeit des BVwG gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG daran an, dass eine Angelegenheit in unmittelbarer Bundesverwaltung (im Sinne des Art. 102 B-VG) besorgt wird; dies unabhängig davon, ob die betreffende Angelegenheit in Art. 102 Abs. 2 B-VG genannt ist oder sich ihre Besorgung in unmittelbarer Bundesverwaltung aus anderen Bestimmungen ergibt (vgl. VwGH 21.12.2016, Ro 2016/10/0004).
17 In Angelegenheiten, die schon von Verfassungs wegen nicht „unmittelbar von Bundesbehörden“ - anstelle des nach Art. 102 Abs. 1 B-VG grundsätzlich vorgesehenen Landeshauptmanns und der ihm unterstellten Landesbehörden - besorgt werden dürfen, kann von vornherein keine Besorgung unmittelbar durch Bundesbehörden iSd Art. 131 Abs. 2 erster Satz B-VG, der offensichtlich an die Begrifflichkeit des Art. 102 Abs. 2 B-VG (arg. „Folgende Angelegenheiten können ... unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden“) anknüpft, vorliegen. Nur dann, wenn eine bundesverfassungsrechtliche Ermächtigung für die Besorgung einer Angelegenheit der Bundesvollziehung unmittelbar durch Bundesbehörden besteht, kommt es für das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 131 Abs. 2 erster Satz B-VG - und damit der Zuständigkeit des BVwG - zusätzlich darauf an, ob der Bundesgesetzgeber eine solche Besorgung unmittelbar durch (dem Bundesminister unterstellte) Bundesbehörden auch tatsächlich vorgesehen hat (vgl. VwGH 26.1.2017, Ra 2016/11/0173, und 23.11.2017, Ra 2017/11/0259).
18 Wie in den zitierten Materialien weiters ausgeführt wird, fallen auch Angelegenheiten, die weder in unmittelbarer noch in mittelbarer Bundesverwaltung besorgt werden, aufgrund der Generalklausel des Art. 131 Abs. 1 B-VG in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte der Länder, wobei als Beispiel hiefür u.a. der eigene Wirkungsbereich der Gemeinde oder eines sonstigen Selbstverwaltungskörpers angeführt wird (vgl. auch dazu VwGH Ro 2016/10/0004).
19 Nach den Erläuterungen zum TVG 2012 (RV 2016 BlgNR, 24. GP, S. 5) basiert das Gesetz auf den Art. 10 Abs. 1 Z 7 B-VG („Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit“), Art. 10 Abs. 1 Z 8 B-VG („Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie“), Art. 10 Abs. 1 Z 12 B-VG („Gesundheitswesen“, „Veterinärwesen“, sowie „Ernährungswesen einschließlich der Nahrungskontrolle“), Art. 10 Abs. 1 Z 12 B-VG, soweit der Bund in Angelegenheiten des Umweltschutzes zuständig ist, Art. 10 Abs. 1 Z 13 B-VG („Angelegenheiten der wissenschaftlichen Einrichtungen des Bundes“) sowie Art. 14 B-VG („Schulwesen“).
20 Die Revision bringt - unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialen zum Tierversuchsgesetz [1974] - vor, dass Tierversuche, die im Rahmen von Universitäten vorgenommen werden, vom Kompetenztatbestand „Schulwesen“ des Art. 14 Abs. 1 B-VG umfasst seien, weshalb solche Tierversuche in die Gesetzgebungs- und Vollziehungskompetenz des Bundes fielen. Gemäß Art. 102 Abs. 2 B-VG seien die in Rede stehenden Angelegenheiten unmittelbar von Bundesbehörden zu vollziehen. Davon ausgehend ergebe sich die Zuständigkeit des BVwG im Rechtszug aus der gemäß § 2 Z 8 TVG 2012 tatsächlich erfolgten Betrauung der Bundesministerin/des Bundesministers mit dem Gesetzesvollzug.
21 Mit diesem Vorbringen ist die Revision im Recht:
22 Vorauszuschicken ist, dass Art. 14 Abs. 1 B-VG in Angelegenheiten des Schulwesens eine Generalklausel zu Gunsten des Bundes enthält; erfasst sind dabei auch Universitäten und Hochschulen (vgl. Mayer/Muzak, B-VG5 [2015], Art 14 B-VG I., mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes).
23 Die Regelung des § 2 Z 8 TVG 2012, wonach zuständige Behörde bei Tierversuchen im Rahmen des Hochschulwesens oder der wissenschaftlichen Einrichtungen des Bundes die Bundesministerin oder der Bundesminister für Wissenschaft und Forschung ist, entspricht inhaltlich den Vorgängerregelungen des § 10 Abs. 2 Tierversuchsgesetz 1988, BGBl. Nr. 501/1989 („Zuständige Behörde zur Erteilung der Genehmigungen gemäß §§ 6 bis 8 ist 1. für Tierversuche in Angelegenheiten des Hochschulwesens [§ 1 lit. a] ... der Bundesminister für Wissenschaft und Forschung“) bzw. des § 4 Abs. 3 Tierversuchsgesetz, BGBl. Nr. 184/1974 („Zuständige Behörde zur Erteilung der Bewilligung ist für Tierversuche in Angelegenheiten des § 1 lit. a [‚in Angelegenheiten des Hochschulwesens (Art. 14 Abs. 1 B-VG)‘] der Bundesminister für Wissenschaft und Forschung“).
24 Den Erläuterungen zum Tierversuchsgesetz [1974] (RV 972 BlgNR 13. GP, S 5) ist zu entnehmen:
„... Da der allgemeine Tierschutz in die Zuständigkeit der Länder nach Art. 15 des Bundes-Verfassungsgesetzes fällt, beziehen sich die Bestimmungen dieses Gesetzes auf die Regelung von Tierversuchen in Kompetenztatbeständen des Art. 10 und des Art. 14. Im Einzelnen ist zu bemerken:
1. Angelegenheiten des Hochschulwesens, die gemäß Art. 14 Abs. 1 B-VG - obwohl dort nicht expressis verbis angeführt (vgl. aber die ausdrückliche Nennung in Art. 14 Abs. 10 B-VG) - in Gesetzgebung und Vollziehung ausschließlich Bundessache sind (vgl. Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes Slg. 2604/1953, 4020/1961); dieser Kompetenztatbestand umfaßt für den hier in Betracht kommenden Bereich alle Tierversuche im Rahmen des in § 2 des Gesetzesentwurfes, die im Rahmen von Hochschulinstituten, Kliniken und Lehrkanzeln der Hochschulen vorgenommen werden. Tierversuche in sonstigen öffentlich-rechtlichen oder privat-rechtlichen wissenschaftlichen Instituten, Labors usw. sind von der Regelung dieses Gesetzesentwurfes nur erfaßt, soweit sie in Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie, in Angelegenheiten des Veterinärwesens und des Ernährungswesens einschließlich der Nahrungsmittelkontrolle erfolgen.
2. Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie, gemäß Art. 10 Abs. 1 Z 8 B-VG:
Tierversuche, die im Rahmen der Ausübung gewerblicher Tätigkeit anfallen, fallen nach dem historischen Bestand des Gewerberechts am 1. Oktober 1925 unter die Angelegenheiten des Gewerbes. Das Verhältnis dieser Regelung zum Kompetenztatbestand ‚Gesundheitswesen‘ ist im Sinne der Zuordnung zum Art. 10 Abs. 1 Z 8 B-VG und nicht zu Art. 10 Abs. 1 Z 12 B-VG geklärt.
3. Gesundheitswesen gemäß Art. 10, Abs. 1 Z 12 B-VG:
Darunter sind alle Tierversuche im Rahmen der Forschungseinrichtungen in Krankenanstalten oder sonstige derartige Versuche, die der Abwehr von Gefahren für den Gesundheitszustand der Bevölkerung dienen, zu subsumieren. ...
4. Veterinärwesen; Ernährungswesen einschließlich der Nahrungsmittelkontrolle gemäß Art. 10 Abs. 1 Z 12 B-VG:
Darunter fallen Tierversuche, die im Rahmen der Tierheilkunde und der Lebensmittelpolizei anfallen. ...“
25 Diese Ausführungen spiegeln die zum damaligen Zeitpunkt maßgebliche Kompetenzrechtslage auf dem Gebiet des Tierschutzes wider. Der Schutz von Tieren gegen Quälerei war im B-VG nicht als besonderer Kompetenztatbestand enthalten; weder der Bund noch die Länder konnten allein diesen Gegenstand umfassend regeln (sog. „Weder-Noch-Kompetenz“ bzw. „Querschnittsmaterie“; vgl. Budischowsky, Die Kompetenzverteilung im Tierschutz, ÖJZ 2006/39, 624 ff).
26 Dem Bund stand danach die Kompetenz zur Erlassung tierschutzrechtlicher Inhalte in einer Reihe von Angelegenheiten des Art. 10 Abs. 1 B-VG ebenso wie in Angelegenheiten der ihm gemäß Art. 14 B-VG zukommenden Kompetenzen auf dem Gebiet des Schulwesens zu (vgl. VfGH 15.12.1967, K II-1/67 = VfSlg. 5649). Der Bund konnte somit tierschutzrechtliche Bestimmungen erlassen, wenn sie in einem Zusammenhang mit Angelegenheiten standen, zu deren Regelung er zuständig war (sog. „Annexkompetenz“); als Ausfluss seiner Kompetenz im Bereich des Tierschutzes hat der Bund ua Tierversuche - im TVG [1974] sowie in weiterer Folge im TVG 1988 - geregelt (vgl. Budischowsky, aaO, S. 625).
27 Die Einfügung des Kompetenztatbestandes „Tierschutz“ in Art. 11 Abs. 1 Z 8 B-VG mit BGBl. I Nr. 118/2004 bewirkte - ab dem 1. Jänner 2005 - eine weitgehende Konzentration der Gesetzgebung im Bereich des Tierschutzes beim Bund. Die bereits davor bestehenden Kompetenzen des Bundes - insbesondere nach den Art. 10 und 14 B-VG - blieben dabei jedoch unverändert erhalten (argum: „soweit er nicht nach anderen Bestimmungen in Gesetzgebung Bundessache ist“; vgl. abermals Budischowsky, aaO, S. 627; vgl. weiters die Erläuterungen RV 446 BlgNR 22. GP, S. 1, wonach das gleichzeitig erlassene Tierschutzgesetz den Schutz der Tiere zum Gegenstand hat, soweit dieser nicht bereits bundesgesetzlich - insbesondere im „Tierversuchsgesetz“ - geregelt ist).
28 Die vorhin umschriebene Kompetenzrechtslage des Bundes im Bereich (der Genehmigung) von Tierversuchen hat demnach keine - im vorliegenden Zusammenhang maßgebliche - Änderung erfahren.
29 Soweit Tierversuche im Sinne der §§ 1 und 2 TVG 2012 im Rahmen von Universitäten und Hochschulen stattfinden, stellt sich deren Regelung daher (weiterhin) als Ausfluss der an den Kompetenztatbestand „Schulwesen“ des Art. 14 Abs. 1 B-VG anknüpfenden Annexkompetenz des Bundes dar. Die Regelung der Durchführung bzw. Genehmigung von Tierversuchen unterfällt insoweit dem Kompetenztatbestand „Schulwesen“ des Art. 14 Abs. 1 B-VG und ist somit in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache. Gemäß Art. 102 Abs. 2 B-VG („Schulwesen“) handelt es sich dabei um Angelegenheiten, die unmittelbar von Bundesbehörden vollzogen werden können.
30 Nach § 2 Z 8 TVG 2012 ist zuständige Behörde bei Tierversuchen „im Rahmen des Hochschulwesens“ die Bundesministerin oder der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung. Nach § 45 Z 1 leg. cit. ist diese Bundesministerin oder dieser Bundesminister mit der Vollziehung des TVG 2012 in Angelegenheiten ua. des Hochschulwesens und der wissenschaftlichen Einrichtungen des Bundes betraut.
31 Für den Revisionsfall ergibt sich daraus:
32 Die beiden Voraussetzungen für die Zuständigkeit des BVwG nach Art. 131 Abs. 2 B-VG - nämlich 1. das Vorliegen einer Angelegenheit der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden vollzogen werden kann, sowie 2. die tatsächliche Betrauung einer Bundesbehörde (hier: der Bundesministerin/des Bundesministers für Bildung, Wissenschaft und Forschung) mit der Vollziehung durch den Gesetzgeber - liegen vor.
33 Aus dem Hinweis des BVwG auf die in § 2 Z 8 TVG 2012 (weiters) normierte Kompetenz des Landeshauptmannes lässt sich fallbezogen das Vorliegen einer Angelegenheit der mittelbaren Bundesverwaltung nicht ableiten, bezieht sich die Kompetenz des Landeshauptmannes doch - den obigen Ausführungen zufolge - lediglich auf die Genehmigung von Tierversuchen, die gerade nicht im universitären Bereich, sondern insbesondere im Rahmen der Ausübung gewerblicher Tätigkeiten, im Rahmen der Forschungseinrichtungen von Krankenanstalten bzw. der Tierheilkunde oder der Lebensmittelpolizei etc. stattfinden.
34 Das BVwG hat im Revisionsfall sohin seine (sachliche) Zuständigkeit zu Unrecht verneint.
35 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
36 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 57 ff VwGG iVm der VwGH-AufwandersatzVO 2014.
Wien, am 12. Oktober 2020
Schlagworte
Allgemein Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RO2019100019.J00Im RIS seit
23.11.2020Zuletzt aktualisiert am
23.11.2020