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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art133 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des O I, vertreten durch Dr. Christian Schmaus, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Chwallagasse 4/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. März 2020, W216 2203857-1/9E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein der Volksgruppe der Paschtunen zugehöriger Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 6. März 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, dass er in seinem Herkunftsland aufgrund der Tätigkeit seines Vaters für den afghanischen Geheimdienst von den Taliban verfolgt werde.
2 Mit Bescheid vom 23. Juli 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag vollinhaltlich ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung, stellte die Zulässigkeit seiner Abschiebung nach Afghanistan fest, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
4 Begründend führte das BVwG zusammengefasst aus, dem Revisionswerber sei es nicht gelungen, darzulegen, dass er im Falle seiner Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt sei.
5 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 26. Juni 2020, E 1899/2020-5, ablehnte und mit Beschluss vom 5. August 2020, E 1899/2020-7, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
6 Die vorliegende außerordentliche Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen vor, dass das BVwG sich hinsichtlich der vorgebrachten Verfolgung des Revisionswerbers aufgrund der Tätigkeit seines Vaters für den afghanischen Geheimdienst nicht mit den Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, denen nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine Indizwirkung zukomme, auseinandergesetzt, sowie auch die EASO-Richtlinien für Afghanistan nicht berücksichtigt habe. Des Weiteren habe das BVwG keine der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechende Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative vorgenommen, weil es sich nicht vertretbar mit der im Beschwerdeverfahren vorgebrachten psychischen Erkrankung des Revisionswerbers auseinandergesetzt habe und die Annahme, dass dem Revisionswerber ein Zugang zu psychiatrischer Versorgung offen stehe, im Widerspruch zu den dem Erkenntnis zugrunde liegenden Länderfeststellungen stehe.
7 Die Revision erweist sich als nicht zulässig.
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
11 In Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. jüngst VwGH 7.9.2020, Ra 2020/18/0321, mwN).
12 Die Revision führt zwar zu Recht aus, dass das BVwG von einer Tätigkeit des Vaters des Revisionswerbers als Leiter einer Spezialabteilung des afghanischen Geheimdienstes ausgegangen ist, sich aber in der Folge nicht explizit mit den Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender sowie den EASO-Richtlinien für Afghanistan (Country Guidance: Afghanistan vom Juni 2019) auseinander gesetzt hat, wonach Verwandte von Regierungsmitarbeitern und Angehörige der afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte Ziel von Schikanen, Entführung, Gewalt und Tötung durch regierungsfeindliche Kräfte werden können. Dass - wie die Revision anzunehmen scheint - jeder Verwandte oder Angehörige von afghanischen Sicherheitskräften per se Anspruch auf Asyl hätte, ist den von der Revision angesprochenen Richtlinien allerdings nicht zu entnehmen.
13 Im gegenständlichen Fall stellte das BVwG zwar fest, dass der Vater des Revisionswerbers als Leiter einer Spezialabteilung des Verteidigungsministeriums in Kandarhar arbeite, erachtete aber nach ausführlicher Einvernahme des Revisionswerbers dessen weitere Ausführungen zu seiner Bedrohung durch die Taliban in seinem Heimatdorf als nicht glaubhaft, weil die diesbezüglichen Ausführungen völlig unplausibel seien. So habe der Revisionswerber vorgebracht, sein Vater sei aufgrund seiner höheren Position im Geheimdienst für zahlreiche Angriffe gegen die Taliban und Festnahmen von deren Mitgliedern verantwortlich gewesen. Eines Tages hätten Talibanmitglieder sein Elternhaus aufgesucht, nachdem sie über lange Zeit den Vater verfolgt hätten, bis sie genaue Informationen über dessen Wohnsitz erhalten hätten, und hätten seine Mutter aufgefordert, dass sich ihr Ehemann ihnen stellen und ihr Sohn sich ihnen anschließen solle. Nachdem seine Mutter ihnen erklärt hätte, dass ihr Sohn zum Bazar gegangen sei, hätten die Taliban gemeint, dass sie zurückkämen und das Haus fortan unter ihrer Beobachtung stehe. Dabei könne schon nicht nachvollzogen werden, dass die Taliban nach der Antwort der Mutter, dass der Revisionswerber nicht zu Hause sei, ohne nachzusehen oder weitere Maßnahmen und nachteilige Konsequenzen für die restliche Familie zu setzen, einfach gegangen seien und lediglich angekündigt hätten, das Haus weiter zu beobachten.
14 Auch die angebliche Reaktion des eine hohe Position im afghanischen Geheimdienst innehabenden Vaters sei in hohem Maße unplausibel. So habe der Vater den Revisionswerber vorbringlich gleich auf die Flucht geschickt, nachdem ihm der Vorfall von dessen Onkel telefonisch mitgeteilt worden sei. Demgegenüber wäre jedoch vielmehr zu erwarten gewesen, dass der Vater, dessen Aufgabe das Aufspüren und Festnehmen sowie Ausliefern von Talibanmitgliedern an die Regierung gewesen sei, mit einer solchen Situation umzugehen wisse und den Vorfall zumindest bei den entsprechenden Behörden gemeldet hätte, zumal er in seiner Position genügend Kontakte und Einfluss gehabt haben müsste. Die diesbezüglichen Erklärungen des Revisionswerbers in der mündlichen Verhandlung erschienen angesichts der mehrfach dargestellten Position des Vaters lebensfremd. Ebenso wäre anzunehmen, dass der Vater bei einer tatsächlichen Gefährdung wohl nicht nur den Revisionswerber, sondern auch seine restliche Familie - darunter zwei weitere Söhne - in Sicherheit gebracht und damit nicht Monate zugewartet hätte.
15 Schließlich erscheine es dem BVwG auch lebensfremd, dass die Taliban die Familie des Revisionswerbers nach dessen Flucht Ende 2016 mindestens 1,5 Jahre in Ruhe gelassen hätte, bis sie vorgehabt hätten, das Haus der Familie anzugreifen und diese deswegen geflohen sei.
16 Angesichts dieser Ungereimtheiten in der Schilderung des Revisionswerbers sei dessen angebliche Bedrohung durch die Taliban vor seiner Ausreise nicht glaubhaft und sei nicht mit maßgebender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er bei Rückkehr eine gegen ihn gerichtete Verfolgung zu erwarten hätte.
17 Dass diese beweiswürdigenden Überlegungen des BVwG - auch unter Beachtung der von den Länderberichten beschriebenen Risikoprofile - eine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Unschlüssigkeit begründen könnten, zeigt die Revision nicht auf.
18 Sofern die Revision ferner vorbringt, das BVwG habe im Rahmen der Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative die psychische Erkrankung des Revisionswerbers nicht hinreichend berücksichtigt, ist auszuführen, dass sich das BVwG entgegen dem Revisionsvorbringen auch mit dem psychischen Zustand des Revisionswerbers und seiner Situation im Falle einer Neuansiedlung in den als innerstaatliche Fluchtalternativen ins Auge gefassten Gebieten auseinandersetzte. Ausgehend von dem vorgelegten psychologischen Befund vom 5. März 2020 stellte es fest, dass der Revisionswerber unter einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer schweren depressiven Episode leide. Das BVwG kam jedoch im Rahmen einer nicht als unschlüssig zu wertenden Beweiswürdigung mit näherer Begründung zum Ergebnis, dass die Arbeitsfähigkeit des Revisionswerbers durch seine psychische Beeinträchtigung nicht in entscheidungswesentlichem Umfang verringert sei. Dem hält der Revisionswerber nichts Stichhaltiges entgegen. Mit den auszugsweise zitierten Stellen aus dem psychologischen Befund legt die Revision nicht konkret dar, dass der Revisionswerber nicht arbeitsfähig und die diesbezüglichen Erwägungen des BVwG unvertretbar wären.
19 Das Vorbringen in der Revision, das BVwG sei im Widerspruch zu den Länderfeststellungen davon ausgegangen, dass dem Revisionswerber in Afghanistan Zugang zu psychiatrischer Versorgung offen stehe, trifft nicht zu. Die Ausführungen des BVwG, wonach der Zugang zu Medikamenten insbesondere in urbanen Städten gegeben sei, psychische Erkrankungen in öffentlichen und privaten Spitälern grundsätzlich behandelbar seien, es in Mazar-e Sharif ein privates neuropsychiatrisches sowie ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus gebe und landesweit alle Provinzkrankenhäuser kostenfreie psychologische Beratungen anböten, welche in einigen Fällen sogar online zur Verfügung stünden, decken sich mit den zu Grunde gelegten Länderfeststellungen.
20 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 23. Oktober 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020180404.L00Im RIS seit
30.11.2020Zuletzt aktualisiert am
30.11.2020