Index
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art133 Abs4Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in den Revisionssachen 1. der M M, und 2. des M M, beide in W, beide vertreten durch Brehm & Sahinol Rechtsanwälte OG in 1060 Wien, Linke Wienzeile 124/10, gegen die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtes Wien, 1. vom 22. April 2020, Zl. VGW-151/079/2838/2019-20 (betreffend die Erstrevisionswerberin, protokolliert zu hg. Ra 2020/22/0126), und 2. vom 20. April 2020, Zl. VGW-151/079/2837/2019-20 (betreffend den Zweitrevisionswerber, protokolliert zu hg. Ra 2020/22/0127), betreffend Daueraufenthaltskarte (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revisionen werden zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit den angefochtenen - inhaltlich im Wesentlichen gleichlautenden - Erkenntnissen wies das Verwaltungsgericht Wien auf Grund von Säumnisbeschwerden nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Anträge der revisionswerbenden Parteien, zweier miteinander verheirateter russischer Staatsangehöriger, auf Ausstellung einer Daueraufenthaltskarte gemäß § 54a Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab. Unter einem stellte es fest, dass die revisionswerbenden Parteien die Voraussetzungen des § 54a Abs. 1 und 2 NAG für das unionsrechtlich begründete Daueraufenthaltsrecht nicht erfüllten. Die ordentliche Revision wurde jeweils gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für unzulässig erklärt.
Das Verwaltungsgericht stellte zunächst fest, dass den revisionswerbenden Parteien - auf der Grundlage einer eidesstattlichen Erklärung ihrer damaligen Schwiegertochter HC, einer unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgerin, betreffend die Unterhaltsleistung an ihre Schwiegereltern - Aufenthaltskarten gemäß § 54 NAG mit Gültigkeit vom 19. Juli 2012 bis zum 19. Juli 2017 ausgestellt worden seien. Seitens der HC (bzw. des MM, Sohn der revisionswerbenden Parteien und damaliger Ehemann der HC) seien allerdings keine dem notwendigen Lebensunterhalt der revisionswerbenden Parteien dienenden Geldbeträge oder alternativen Zuwendungen geleistet worden. Gestützt auf näher ausgeführte beweiswürdigende Überlegungen stellte das Verwaltungsgericht fest, dass die revisionswerbenden Parteien zu näher genannten Zeitpunkten zwischen 2012 und 2017 nach Russland ausgereist bzw. wieder nach Österreich eingereist seien. Konkrete Behauptungen zu einer abweichenden „Einreise- und Ausreisehistorie“ hätten die revisionswerbenden Parteien nicht aufgestellt. Auch den (im Februar 2020) vorgelegten Bescheinigungsmitteln (Erklärung eines Arztes und einer Nachbarin) mangle es an Aussagekraft; selbst bei einer Wahrunterstellung wäre daraus keine entscheidungsrelevante Feststellung zur Aufenthaltsdauer (in Österreich bzw. in Russland) zu gewinnen. Das Verwaltungsgericht hielt weiters fest, dass seitens des - als Vertreter der revisionswerbenden Parteien im Beschwerdeverfahren auftretenden - MM eine ärztliche Bescheinigung betreffend die Verhinderung beider revisionswerbender Parteien aus „medizinischen Gründen“ vorgelegt worden sei und MM das Anliegen geäußert habe, sämtliche Ausführungen in Vertretung (der revisionswerbenden Parteien) zu erstatten.
In seinen rechtlichen Erwägungen verwies das Verwaltungsgericht zunächst darauf, dass die Aufenthalte der revisionswerbenden Parteien im Bundesgebiet seit der erstmaligen Einreise im Jahr 2012 während näher genannter Zeiträume länger als sechs Monate unterbrochen gewesen seien. Den seitens der revisionswerbenden Parteien ins Treffen geführten unionsrechtlichen Vorschriften betreffend das Absehen von Stempeln in Reisepässen begünstigter Drittstaatsangehöriger komme in Anbetracht der übrigen Beweislage keine Bedeutung zu. Da die Voraussetzungen des § 54a Abs. 1 und 2 NAG nicht erfüllt seien, komme die Ausstellung einer Daueraufenthaltskarte gemäß § 54a Abs. 3 NAG nicht in Betracht, und zwar unabhängig davon, ob die bisherigen, über drei Monate andauernden Inlandsaufenthalte der revisionswerbenden Parteien gemessen an den Voraussetzungen des § 54 Abs. 1 NAG (tatsächliche Unterhaltsleistung der Ankerperson im Sinn der unionsrechtlichen Rechtsprechung) rechtmäßig gewesen seien.
Das Verwaltungsgericht verwies auf die Belehrungspflicht des § 23 Abs. 1 NAG; allerdings habe MM als Vertreter ausdrücklich erklärt, dass der Antrag auf Ausstellung einer Daueraufenthaltskarte keinesfalls als zurückgezogen zu betrachten sei. Das Verwaltungsgericht sei daher verpflichtet gewesen, über diesen Antrag inhaltlich abzusprechen. Der Vollständigkeit halber wurde angemerkt, dass als Alternative nur eine weitere Aufenthaltskarte nach § 54 NAG in Betracht käme, ein Nachweis über die Erfüllung des in § 52 Abs. 1 Z 3 NAG festgelegten Erfordernisses des tatsächlich geleisteten Unterhalts aber nicht erbracht worden sei.
2 Gegen diese Erkenntnisse richten sich die vorliegenden außerordentlichen Revisionen, die der Verwaltungsgerichtshof auf Grund ihres sachlichen und rechtlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung verbunden hat.
3 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
4 Die revisionswerbenden Parteien machen - insbesondere im Zusammenhang mit den Aufenthaltszeiten der revisionswerbenden Parteien im Inland und somit mit der Beurteilung nach § 54a Abs. 1 letzter Satz in Verbindung mit § 53a Abs. 2 Z 1 NAG - zum einen Verfahrensmängel geltend. Das Verwaltungsgericht habe kein Parteiengehör eingeräumt und sich keinen persönlichen Eindruck von den revisionswerbenden Parteien verschafft. Zudem habe es willkürlich unterlassen, den maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen festzustellen.
5 Dazu ist zunächst festzuhalten, dass das Verwaltungsgericht am 26. September 2019, fortgesetzt am 23. Oktober 2019 und am 6. November 2019, eine mündliche Verhandlung durchgeführt hat, in der mehrere Familienmitglieder der revisionswerbenden Parteien, darunter der als Vertreter agierende MM, befragt wurden. Hinsichtlich der revisionswerbenden Parteien selbst wurde von MM am ersten Verhandlungstag vorgebracht, diese seien auf Grund ihres Gesundheitszustandes nicht in der Lage, vor Gericht persönlich auszusagen. Am letzten Verhandlungstag wurde eine ärztliche Bescheinigung betreffend die Verhinderung der revisionswerbenden Parteien aus medizinischen Gründen vorgelegt. Auch in den Revisionen wird auf die schweren Krankheiten der revisionswerbenden Parteien hingewiesen, die es diesen unmöglich gemacht hätten, an der Verhandlung teilzunehmen.
6 Im Hinblick auf die seitens der revisionswerbenden Parteien selbst vorgebrachte mangelnde Verhandlungsfähigkeit und die dazu vorgelegte ärztliche Bescheinigung ist es nicht als unvertretbar anzusehen, dass das Verwaltungsgericht seine Feststellungen fallbezogen ohne persönliche Einvernahme der revisionswerbenden Parteien getroffen hat. Das seitens der revisionswerbenden Parteien ins Treffen geführte Recht auf Parteiengehör kann auch unter Mitwirkung eines Vertreters ausgeübt werden. Ausgehend von der Vertretung der revisionswerbenden Parteien durch ihren - nach seinen Angaben am ersten Verhandlungstag mit dem Sachverhalt vollständig vertrauten - Sohn MM ist nicht ersichtlich und wird auch nicht aufgezeigt, in welcher Weise dieses Recht vorliegend verletzt worden wäre.
Zudem bewirkt auch die (allfällige) Verletzung des Parteiengehörs nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur dann einen wesentlichen Mangel, wenn das Verwaltungsgericht bei dessen Vermeidung zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können. Der Rechtsmittelwerber muss daher die entscheidenden Tatsachen behaupten, die wegen des Mangels unbekannt geblieben sind. Er darf sich nicht darauf beschränken, den Mangel bloß zu rügen, sondern muss konkret darlegen, welches Vorbringen im Fall der Einräumung des vermissten Parteiengehörs erstattet worden wäre und inwiefern sich daraus eine für ihn günstigere Entscheidung hätte ergeben können (vgl. zu allem VwGH 4.6.2020, Ra 2017/22/0119, Pkt. 8.2.). Ein konkretes Vorbringen im aufgezeigten Sinn - abseits der Rüge im Zusammenhang mit der unterbliebenen Einvernahme der revisionswerbenden Parteien - enthalten die vorliegenden Revisionen nicht. Es fehlt insoweit somit an einer entsprechenden Relevanzdarstellung.
7 Soweit die Revisionen im Rahmen dieses Vorbringens noch die „Ausübung von Willkür“ und eine „denkunmögliche“ Feststellung durch das Verwaltungsgericht - und damit implizit die Verletzung von verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten - geltend machen, ist darauf zu verweisen, dass es sich hierbei nicht um vor dem Verwaltungsgerichtshof verfolgbare Rechte handelt (VwGH 6.2.2020, Ra 2020/14/0025, Rn. 15).
8 Zum anderen wenden sich die revisionswerbenden Parteien in ihrem Zulässigkeitsvorbringen gegen die vorgenommene Beweiswürdigung, insbesondere im Zusammenhang mit den Aufenthaltszeiten der revisionswerbenden Parteien im Inland. Gerügt wird eine nicht nachvollziehbare Auslegung der seitens zweier Personen (eines Arztes sowie einer Nachbarin) vorgelegten Erklärungen sowie eine falsche Würdigung der Aussage der - mittlerweile von MM geschiedenen - HC.
9 Der Verwaltungsgerichtshof ist als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Die Beweiswürdigung ist nur insoweit einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich, als es um die Schlüssigkeit dieses Denkvorgangs sowie darum geht, ob die in diesem Denkvorgang gewürdigten Beweisergebnisse in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt wurden (vgl. etwa VwGH 18.2.2020, Ra 2019/22/0221, Pkt. 4.2.).
10 Dass die vom Verwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung (mit mehreren Tagsatzungen) unter Heranziehung der vorliegenden Urkunden, Aktenbestandteile und der erstatteten Aussagen erfolgte und eingehend begründete Beweiswürdigung in einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden, die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise erfolgt wäre, vermögen die Revisionen vorliegend nicht aufzuzeigen. Das Verwaltungsgericht hat auch die vorgelegten Erklärungen des Arztes und der Nachbarin in seine beweiswürdigenden Überlegungen einbezogen, ihnen aber - wiederum in einer nicht als unvertretbar anzusehenden Weise - mit näherer Begründung keine entscheidungsrelevante Aussagekraft beigemessen.
11 Zu der seitens der revisionswerbenden Parteien in diesem Zusammenhang ebenfalls gerügten unterlassenen Einvernahme des Arztes und der Nachbarin ist anzumerken, dass es der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichtes obliegt, ob weitere amtswegige Erhebungen erforderlich sind (dass ein entsprechender Antrag auf Einvernahme der Personen gestellt worden wäre, wird auch in den Revisionen nicht dargelegt). Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG läge in diesem Zusammenhang nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. VwGH 7.7.2020, Ra 2020/20/0231, Rn. 20, mwN), was im vorliegenden Fall nicht aufgezeigt wird.
12 Soweit die revisionswerbenden Parteien fehlende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Anbringung von Einreise- und Ausreisestempeln in den Reisedokumenten von Drittstaatsangehörigen, die über eine Aufenthaltskarte verfügen, ins Treffen führen, zeigen sie im Hinblick auf die - wie dargelegt - als nicht unvertretbar anzusehende Beweiswürdigung nicht auf, inwieweit es darauf für die Entscheidung über die Revision ankommen soll. Zur Lösung abstrakter Rechtsfragen ist der Verwaltungsgerichtshof auf Grund von Revisionen gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG aber nicht zuständig (vgl. VwGH 11.5.2020, Ro 2020/22/0002, Rn. 12, mwN). Auch eine Verletzung (bzw. Außerachtlassung) von Unionsrecht - konkret des Art. 11 Abs. 3 lit. g der Verordnung (EU) 2016/399 - wird nicht nachvollziehbar dargelegt, weshalb sich der Verwaltungsgerichtshof auch nicht veranlasst sieht, der nicht weiter substantiierten Anregung nachzukommen, ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu richten.
13 Die revisionswerbenden Parteien behaupten des Weiteren eine Verletzung des § 24 Abs. 3 NAG und führen in diesem Zusammenhang die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Erschleichen eines Bescheides im Sinn des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG ins Treffen. Dazu genügt der Hinweis, dass vorliegend weder über einen Verlängerungsantrag abgesprochen wurde noch eine Wiederaufnahme erfolgt ist.
14 Der Rüge, das Verwaltungsgericht hätte zumindest eine Aufenthaltskarte ausstellen müssen, ist (abgesehen davon, dass die Revision kein Vorbringen zu den betreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichtes zum Erfordernis nach § 52 Abs. 1 Z 3 NAG enthält) entgegenzuhalten, dass kein darauf gerichteter Antrag gestellt worden ist. Soweit in diesem Zusammenhang - somit in Hinblick auf die Frage der Ausstellung von Aufenthaltskarten - eine Verletzung der Manuduktionspflicht behauptet wird, ist anzumerken, dass die revisionswerbenden Parteien - vertreten durch ihren (im Übrigen rechtlich ausgebildeten) Sohn MM - am dritten Verhandlungstag ausweislich des Verhandlungsprotokolls ausdrücklich dazu befragt worden sind, ob in eventu Aufenthaltskarten ausgestellt werden sollten.
15 Zur geltend gemachten Verletzung des Privat- und Familienlebens sowie zur Rüge, die für die revisionswerbenden Parteien sprechenden Tatsachen seien bei der Interessenabwägung unzureichend berücksichtigt worden, genügt der Hinweis, dass § 54a NAG keine Abwägung nach Art. 8 EMRK vorsieht.
16 In den Revisionen werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.
17 Die Revisionen waren daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
18 Ausgehend davon erübrigt sich eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über den Antrag, den Revisionen aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
19 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 30. Oktober 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020220126.L00Im RIS seit
14.12.2020Zuletzt aktualisiert am
14.12.2020