TE OGH 2020/9/16 6Ob180/20v

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.09.2020
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden, die Hofräte Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtsache der klagenden Partei H*****, vertreten durch MMag. DDr. Klaus Kindel, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei J*****, vertreten durch Dr. Friedrich Bubla, LL.M., Rechtsanwalt in Baden, wegen Abgabe einer Willenserklärung und Feststellung, infolge der Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. Juni 2020, GZ 30 R 129/20s-97, womit das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 9. März 2020, GZ 24 Cg 23/15w-92, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 4. Mai 2020, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Akten werden dem Berufungsgericht zurückgestellt.

Text

Begründung:

Der Kläger begehrt gegenüber der Beklagten die Verurteilung zur Abgabe einer Willenserklärung und stellt ein Feststellungsbegehren. Der Kläger bewertete sein Leistungsbegehren nach § 59 JN mit 200.000 EUR.

Das Erstgericht gab dem Begehren auf Abgabe der Willenserklärung Zug um Zug gegen Zahlung von 99.098,70 EUR sowie Übernahme von näher beschriebenen Verbindlichkeiten statt und wies das Feststellungsbegehren ab.

Mit seiner dagegen erhobenen Berufung begehrte der Kläger die Abänderung dieses Urteils dahin, dass dem Klagebegehren unter Wegfall der Zug-um-Zug-Verurteilung zur Gänze stattgegeben wird. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und sprach aus, die ordentliche Revision sei nicht zulässig. Ein Bewertungsausspruch unterblieb.

Gegen dieses Urteil richtet sich die „außerordentliche Revision“ des Klägers mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagsstattgebenden Sinne (unter ersatzloser Aufhebung der Zug-um-Zug-Verpflichtung) abzuändern.

Das Erstgericht legte den Akt direkt dem Obersten Gerichtshof vor.

Rechtliche Beurteilung

Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

1. Da im vorliegenden Fall der Entscheidungsgegenstand nicht ausschließlich in einem Geldbetrag besteht und das Berufungsgericht keine Bewertung gemäß § 500 Abs 2 Z 1 ZPO vorgenommen hat, kann der Oberste Gerichtshof derzeit nicht beurteilen, ob im Hinblick auf § 502 Abs 2 und 3 ZPO die Revision nicht unter Umständen jedenfalls unzulässig ist.

2.1. Zwar bestimmt sich nach verbreiteter Auffassung, wenn nur mehr die Gegenleistung strittig ist, die Zug-um-Zug gegen Erfüllung des Hauptanspruchs zu erbringen ist, der Wert des Streitgegenstands im Rechtsmittelverfahren nach der Gegenleistung. Diese Auffassung geht auf den Rechtssatz RS0042952 zurück und wird in der Kommentarliteratur von Gitschthaler (in Fasching/Konecny § 56 JN Rz 31 aE) und Lovrek (in Fasching/Konecny³ § 502 ZPO Rz 172 FN 425) übernommen.

2.2. Dieser Rechtssatz beruht jedoch lediglich auf zwei, zudem bereits länger zurückliegenden Entscheidungen (6 Ob 556/84 und 8 Ob 150/08d). Die Entscheidung 6 Ob 556/84 betraf nicht den „Entscheidungsgegenstand“ des Berufungsgerichts, sondern – entsprechend der damaligen Rechtslage – den „Beschwerdegegenstand“. Die Entscheidung 8 Ob 150/08d führt lediglich im Rahmen der Kostenentscheidung, nicht im Zusammenhang mit der Bewertung des Entscheidungsgegenstands, aus, Bemessungsgrundlage im Berufungsverfahren ist der Wert der strittigen Gegenleistung (Zug-um-Zug-Verpflichtung). Für Zwecke der Kostenentscheidung erscheint in Anbetracht des im Kostenrecht geltenden Prinzips der wirtschaftlichen Betrachtung sachgerecht, nur auf den „Streitwert“ jener Punkte abzustellen, die im (Rechtsmittel-)Verfahren materiell strittig waren. Auf den Bewertungsausspruch nach § 500 ZPO ist dies nicht zwingend zu übertragen.

2.3. Die dritte unter dem Rechtssatz RS0042952 indizierte Entscheidung (1 Ob 253/09a) vertritt den gegenteiligen Standpunkt: Demnach ist der Zug-um-Zug-Einwand bei der Bewertung des Streitgegenstands nicht zu berücksichtigen, weil der Wert des Streitgegenstands – und damit auch jener des Entscheidungsgegenstands des Berufungsgerichts – regelmäßig nicht von den Einwendungen des Beklagten abhängt.

3.1. Nach Auffassung des erkennenden Senats ist für Zwecke der vom Gesetz nach § 500 Abs 2 Z 1 ZPO verlangten Bewertung des Entscheidungsgegenstands zu differenzieren: Der Wert des vom Kläger verfolgten Rechtsschutzziels spiegelt sich regelmäßig im Klagebegehren wider. Der Kläger erhält im für ihn günstigsten Fall das gesamte Klagebegehren ohne Gegenleistung zugesprochen. Auch bei einem Zug-um-Zug-Einwand kann der Beklagte lediglich die Klagsabweisung, nicht aber eine Durchsetzung seines eigenen, dem Klagebegehren entgegengehaltenen Anspruchs erreichen. Dies spricht dafür, grundsätzlich nur auf den Wert des Klagebegehrens abzustellen.

3.2. Wenn allerdings – wie im vorliegenden Fall – nur (abgesehen vom Feststellungsbegehren) mehr die Zug-um-Zug-Verpflichtung strittig ist, kann sich aus dem Wert dieser Verpflichtung eine niedrigere Bewertung des Entscheidungsgegenstands ergeben, wenn der Wert der Zug um Zug zu erbringenden Gegenleistung niedriger ist als der Wert der Hauptleistung. Keinesfalls rechtfertigt die Höhe der Gegenleistung jedoch einen zwingenden Rückschluss auf den Wert der Hauptleistung. Ist der Wert der Gegenleistung niedriger als derjenige der Hauptleistung, so „droht“ aus Sicht des Klägers lediglich, dass er diese – niedrigere – Gegenleistung erbringen muss; umgekehrt kann der Beklagte mit einem diesbezüglichen Zug-um-Zug-Einwand im günstigsten Fall lediglich erreichen, dass er die Gegenleistung erhält. Ist hingegen der Wert der Gegenleistung höher als derjenige des Klagebegehrens, so „droht“ dem Kläger im schlimmsten Fall (nur) die Klagsabweisung; der Beklagte kann im günstigsten Fall die vollständige Abweisung des Klagebegehrens erreichen; im schlimmsten Fall muss der Beklagte das Klagebegehren erfüllen, ohne dafür eine Gegenleistung zu erlangen. Zusammenfassend ist der Rechtssatz RS0042952 dahin zu präzisieren, dass dann, wenn nur mehr die Zug-um-Zug-Verpflichtung strittig ist, der Wert des Entscheidungsgegenstands sowohl durch das Klagebegehren als auch durch den Wert der Gegenleistung beschränkt ist; heranzuziehen ist regelmäßig der jeweils niedrigere Wert. § 56 Abs 3 JN ist für die vorliegende Konstellation demgegenüber nicht einschlägig; daraus ergibt sich lediglich, dass dem Kläger obliegende Gegenleistungen vom Streitwert nicht in Abzug zu bringen sind.

4. Da der Bewertungsausspruch nach § 500 Abs 2 Z 1 ZPO durch die vom Kläger gemäß § 56 Abs 2 JN vorgenommene Angabe des Werts des Streitgegenstands nicht ersetzt wird (RS0042296), wird das Berufungsgericht sohin einen Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstands gemäß § 500 Abs 2 Z 1 ZPO (einschließlich des Feststellungsbegehrens) setzen müssen (vgl 6 Ob 52/20w). Sollte das Berufungsgericht aussprechen, der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteige 5.000 EUR, aber nicht 30.000 EUR, läge ein Fall des § 502 Abs 3 ZPO vor. Ob diesfalls das Rechtsmittel den Erfordernissen des § 508 Abs 1 ZPO entspricht oder ob es einer Verbesserung bedarf, bleibt der Beurteilung der Vorinstanzen vorbehalten.

Textnummer

E129749

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0060OB00180.20V.0916.000

Im RIS seit

19.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

19.11.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten