Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. B*****, vertreten durch Dr. Anton Cuber, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei Dr. A*****, vertreten durch Dr. Annemarie Stipanitz-Schreiner und Dr. Judith Kolb, Rechtsanwältinnen in Graz, wegen 66.666,24 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 3. Juni 2020, GZ 5 R 40/20x-22, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 28. Jänner 2020, GZ 41 Cg 18/19i-18, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Rekurs wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.282,10 EUR (darin 380,35 EUR USt) bestimmten Kosten der Beantwortung des Rekurses binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Gemäß § 9 RAO ist der Rechtsanwalt verpflichtet, die Rechte seiner Partei mit Gewissenhaftigkeit zu vertreten. Daraus ergeben sich für ihn eine Reihe von Pflichten (unter anderem Warn-, Aufklärungs-, Informations- und Verhütungspflichten), die alle Ausprägung seiner Kardinalspflicht, nämlich der Pflicht zur Interessenswahrung und zur Rechtsbetreuung seines Mandanten, sind (RIS-Justiz RS0112203). Ob der Rechtsanwalt im Rahmen seiner Verpflichtung, seinen Klienten sachgemäß zu vertreten (vgl RS0038695), die gebotene Sorgfalt eingehalten hat, kann nur nach den Umständen des Einzelfalls geprüft werden und stellt regelmäßig keine Frage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO dar (RS0023526 [T16]; RS0112203 [T10]).
In dem hier zu beurteilenden Einzelfall stützte das Berufungsgericht seine Rechtsansicht, es sei der beklagten Anwältin vorzuwerfen, einen Sanierungsplanantrag für die Klägerin nicht gestellt zu haben, auf seine ausführlich und nachvollziehbar dargelegten Erwägungen zu den §§ 9 RAO sowie 1009 ABGB und die dazu ergangene Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs. Seinen Ausspruch über die Zulässigkeit des Rekurses begründete es damit, dass zu dem zu 7 Ob 316/01y ergangenen Beschluss (auf den es sich in seiner Begründung unter anderem bezogen hatte) keine inhaltlichen Stellungnahmen der Lehre vorlägen.
Bei der Prüfung der Zulässigkeit des Rekurses ist der Oberste Gerichtshof nach § 508a Abs 1 ZPO, der sinngemäß auch im Verfahren über einen Rekurs gegen einen Beschluss nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO gilt (RS0043685), an den Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 519 Abs 2 iVm § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden. Der Rekurs nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO ist nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer erheblichen, in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehenden Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO abhängt. Ist dies – wie hier – nicht der Fall, kann sich die Entscheidung auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 528a iVm § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).
2. Der Beschluss zu 7 Ob 316/01y lässt sich auf die (vom Berufungsgericht ebenfalls zitierte und vom Obersten Gerichtshof bereits in mehreren Fällen angewendete) Rechtsprechung zurückführen, wonach der Anwalt, wenn sich ihm die Frage stellt, ob er zur Vermeidung eines Schadens seines Mandanten eine Maßnahme zu treffen hat, die keinen Nachteil mit sich bringen kann, diese Maßnahme zu ergreifen hat (RS0038719), auch wenn sich in vertretbarer Weise argumentieren ließe, dieses Vorgehen sei nicht notwendig. In den darauf Bezug nehmenden Judikaten kommt – wie ebenfalls schon vom Rechtsmittelgericht klargestellt – das Bestehen einer generellen Pflicht zur Interessenswahrung zum Ausdruck. Auf den zuvor genannten Beschluss (der seinerseits auf die Darstellung des Meinungsstands zur Anwaltshaftung von W. Völkl/E. Völkl [Die Haftung der rechtsberatenden Berufe im Spiegel der Rechtsprechung 1997 – 2000, ÖJZ 2002, 1 ff {8}] verwies) geht die Rekurswerberin mit keinem Wort ein und führt damit die vom Berufungsgericht als erheblich angesehene Rechtsfrage nicht aus.
Es liegt im vorliegenden Fall auch gar nicht die Konstellation vor, dass sich ein Mandant nicht (oder gar „gegenteilig“) zu einer bestimmten Maßnahme geäußert hätte, sondern es steht fest, dass die Klägerin als Klientin der Beklagten „stets allen Beteiligten“ „signalisierte“, „so auch der Beklagten, dass sie eine neuerliche Entschuldung mittels Sanierungsplans anstreben würde“. Selbst wenn sie (vorerst und zu einem früheren Zeitpunkt) „akzeptiert“ haben mag, dass die Beklagte für sie keinen Sanierungsplanantrag einbringen wird (weil die Anwältin diesen nicht als „aussichtsreich“ einschätzte), sprach sie neuerlich wegen der Möglichkeit der Einbringung eines Sanierungsplanantrags vor und machte damit erneut ihren Wunsch deutlich, ein solcher möge gestellt werden. Dass sie – nachdem ihr am Tag vor der Prüfungstagsatzung nach 17 Uhr per E-Mail mitgeteilt worden war, es mangle an den Voraussetzungen eines Sanierungsplanantrags und die Prüfungs-, Schlussrechungs- und Verteilungstagsatzung werde unbesucht bleiben, – nicht erneut und nochmalig auf die Stellung des Antrags drängte, also auf die bereits geäußerte Entscheidung ihrer Rechtsvertretung, nicht tätig zu werden, nicht mit einer (vom Erstgericht geforderten) „ausdrücklichen Anweisung“ reagierte, ändert – was das Berufungsgericht ohnehin erkannte – nichts daran, dass sie ihren Wunsch als Klientin bereits deutlich deponiert hatte.
3. Die Beklagte versucht, noch fehlenden Beweisergebnissen (und deren Würdigung durch die Tatsacheninstanzen) vorzugreifen, wenn sie argumentiert, die Gläubiger hätten einem Sanierungsplan, bei dem lediglich die im Verteilungsentwurf vorgesehene Quote erreicht wird, nicht zugestimmt. Im derzeitigen Verfahrensstadium steht dies nicht fest. Beachtlich könnte nur sein – was die Beklagte aber für den vorliegenden Fall zu Unrecht behauptet –, dass die Stellung eines Sanierungsplanantrags aus rechtlichen Gründen nicht zulässig oder der Sanierungsplan unabhängig von einer (erst zu beweisenden) Zustimmung der Gläubiger nicht erfolgreich gewesen wäre. Ohne jedes Tatsachensubstrat behauptet sie, es habe das Erstgericht festgestellt, dass „bei der Klägerin die Voraussetzungen der Stellung des Sanierungsplans“ nicht vorgelegen wären. Die von ihr dabei eingenommene Haltung, es sei dessen Erfüllbarkeit nur bei finanzieller Unterstützung von dritter Seite gegeben gewesen, kann sie angesichts der im Gesetz geforderten Mindestquote von 20 % (§ 141 Abs 1 IO), der im Verteilungsentwurf vorgesehenen Quote von 23,58 % und seiner Genehmigung mit der Maßgabe einer Quote von 22,74 % nicht erklären. Ihre Behauptung, die Stellung eines Sanierungsplans sei im konkreten Fall „außerdem nicht vorteilhaft gewesen“, bleibt unnachvollziehbar und wiederum ohne nähere Ausführungen. Gleiches gilt für ihren unbelegten Vorhalt, es sei ein den Gläubigerinteressen widersprechender Sanierungsplan (dem die Bestätigung jedenfalls hätte versagt werden müssen) vorgelegen, weil ein solcher vorliege, wenn „die Verteilungsquote nach Verwertung des schuldnerischen Vermögens höher sei als die Sanierungsplanquote“, konkret sei „die das gesetzliche Erfordernis übersteigende Quote nicht erreicht worden“, unabhängig davon, ob ein Sanierungsplan angeboten worden wäre.
4. Erwägungen der Beklagten, die darauf basieren, dass die Klägerin „hinsichtlich der Abläufe eines Insolvenzverfahrens rechtskundig“ sei und sie sich „durchaus bewusst“ gewesen sei, dass sie die Möglichkeit gehabt hätte, einen solchen Antrag entweder selbst zu stellen oder durch einen anderen Rechtsanwalt stellen zu lassen entfernen sich vom festgestellten Sachverhalt, womit die Rechtsrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt ist (RS0043312; RS0043603).
5. Überlegungen zu der Klägerin zustehenden Möglichkeiten, ihre Entschuldung später (im Jahr 2017) erreichen zu können (entweder durch eine Sanierung über ein „Unternehmerinsolvenzverfahren“ bzw „neben dieser Möglichkeit“ durch ein Schuldenregulierungsverfahren), könnten allenfalls als Erwägungen zu einem Verstoß gegen die (grundsätzlich gegebene, aber immer unter der Beschränkung der Zumutbarkeit stehende) Verpflichtung des Geschädigten, einen zugefügten Schaden gering zu halten, zu werten sein. Die Beklagte, die mit ihrem Rechtsmittel die Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts anstrebt, kann aber nicht erklären, warum sich im jetzigen Verfahrensstadium durch solche Behauptungen eine Klagsabweisung ergeben sollte. Ebenso werden ihre Ausführungen dazu, dass das Berufungsgericht „augenscheinlich verkennt“, dass die Klägerin selbst nicht bei der Schluss- und Verteilungstagsatzung anwesend gewesen war, unter dem falschen Blickwinkel vorgetragen. Sie meint, es hätte, unabhängig davon, ob sie einen Sanierungsplanantrag in der Verteilungstagsatzung gestellt hätte oder nicht, dieser ohnehin mangels Anwesenheit der Klägerin als zurückgezogen im Sinne des § 145 Abs 3 IO gegolten. Sie knüpft daran erkennbar die Auffassung, es habe deswegen ihre Haftung zu entfallen. Zwar steht fest, dass die Verteilungstagsatzung weder von der Klägerin noch von der Beklagten besucht wurde, allerdings auch, dass die Klägerin durch das ihr am Vortag um 17:10 Uhr per E-Mail zugekommene Schreiben wusste, dass die Beklagte keinen Sanierungsplanantrag eingebracht hat und die Tagsatzung am nächsten Tag unbesucht lässt. Dass auch bei pflichtgemäßem Verhalten der Beklagten ([Ankündigung der] Stellung eines Sanierungsplanantrags) die Beklagte dennoch nicht erschienen wäre, steht aber nicht fest.
6. Das Rechtsmittel der Beklagten ist, weil es keine einzige erhebliche Rechtsfrage ausführt, als nicht zulässig zurückzuweisen.
7. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 51 und 50 Abs 1 ZPO. Im Zwischenstreit über die (mangels erheblicher Rechtsfrage verneinte) Zulässigkeit des Rekurses gegen einen Aufhebungsbeschluss im Sinne des § 519 Abs 1 Z 2 ZPO findet ein Kostenvorbehalt nach § 52 ZPO nicht statt (RS0123222). Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit des Rekurses hingewiesen.
Textnummer
E129722European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0010OB00143.20S.0923.000Im RIS seit
19.11.2020Zuletzt aktualisiert am
19.11.2020