Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Ingomar Stupar (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und KR Karl Frint (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei K*****, vertreten durch Meusburger Weixlbaumer Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei P***** GmbH, *****, vertreten durch Schmidberger-Kassmannhuber-Schwager Rechtsanwalts-Partnerschaft in Steyr, wegen 2.277,57 EUR brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. Mai 2020, GZ 11 Ra 20/20w-12, womit das Urteil des Landesgerichts Steyr als Arbeits- und Sozialgericht vom 13. März 2020, GZ 9 Cga 7/20z-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 418,78 EUR (darin 69,80 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war ab 7. 10. 2019 bei der Beklagten als Hilfsarbeiterin beschäftigt. Das Dienstverhältnis wurde von der Beklagten mit Wirkung 25. 10. 2019 aufgelöst. Die Klägerin war ab 15. 10. 2019 bis 13. 12. 2019 im Krankenstand. Auf das Dienstverhältnis gelangt der Kollektivvertrag für Arbeiter im Maler-, Lackierer- und Schilderherstellergewerbe (idF KV) zur Anwendung, der unter Punkt „XVII. KÜNDIGUNGSFRISTEN“ ua Folgendes bestimmt:
„1. Das Arbeitsverhältnis kann in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses sowohl vom Arbeitgeber als auch vom Arbeitnehmer unter Einhaltung einer einwöchigen Kündigungsfrist gelöst werden. [...]
Bei Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerkündigung kann das Arbeitsverhältnis nur zum letzten Arbeitstag einer Arbeitswoche beendet werden. [...]
3. Eine Kündigungsfrist entfällt während der höchstens vierwöchigen Probezeit. [...]“
Die Klägerin begehrte von der Beklagten die Zahlung von 2.277,57 EUR brutto sA an Lohn gemäß § 5 EFZG für den Zeitraum 26. 10. bis 13. 12. 2019.
Die Beklagte wandte ein, dass das Dienstverhältnis während der vierwöchigen Probezeit nach Punkt XVII. 3. des KV aufgelöst worden sei.
Beide Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren statt und gingen übereinstimmend davon aus, dass sich aus Punkt XVII. 3. des KV keine „Vereinbarung“ einer Probezeit ergebe. Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil der Oberste Gerichtshof zur hier maßgeblichen – oder einer vergleichbaren – kollektivvertraglichen Regelung noch nicht Stellung genommen habe.
Gegen die Berufungsentscheidung richtet sich die – von der Klägerin beantwortete – Revision der Beklagten.
Die Revision ist zulässig (RIS-Justiz RS0042819; RS0109942); sie ist jedoch nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1. Nach ständiger Rechtsprechung ist der normative Teil eines Kollektivvertrags nach den Grundsätzen der §§ 6, 7 ABGB auszulegen (RS0008807; RS0010088; RS0008782 ua). In erster Linie ist daher der Wortsinn – auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen – zu erforschen und die sich aus dem Text des Kollektivvertrags ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen (RS0010089). Die Normadressaten müssen sich darauf verlassen können, dass die Absicht der Parteien in erkennbarer Weise im Vertragstext ihren Niederschlag gefunden hat (RS0010088 [T18]). Daher hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen, dass eine von einem gesetzlichen Begriff abweichende Bedeutung eines in einer Betriebsvereinbarung verwendeten Worts klar und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht werden muss (RS0010088 [T9]).
2. Nach § 1158 Abs 2 ABGB bzw § 19 Abs 2 AngG setzt ein Arbeitsverhältnis auf Probe eine Vereinbarung der Vertragspartner voraus (4 Ob 150/84; 8 ObA 1/03k). Die Parteien müssen dabei die Höchstgrenze von einem Monat nicht ausschöpfen, sondern können auch für den Arbeitnehmer günstigere Gestaltungen vorsehen (vgl 8 ObA 124/04z). Auch ein Kollektivvertrag kann (auf Grund der Ermächtigung in § 2 Abs 2 Z 2 ArbVG) eine Probezeitvereinbarung, aber auch eine Begrenzung solcher Vereinbarungen beinhalten (8 ObA 124/04z; Reissner in ZellKomm3 § 19 AngG Rz 57; Neumayr in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 1158 Rz 24).
3. Ausgehend von obigen Auslegungsgrundsätzen trifft die Rechtsansicht der Vorinstanzen zu, dass der im Zusammenhang mit der Regelung von Kündigungsfristen und -terminen stehende Punkt XVII. 3. des KV keine Probezeit festlegt. Der Passus „eine Kündigungsfrist entfällt während der … Probezeit“ gibt im Wesentlichen nur das Gesetz wieder (§ 1158 Abs 2 ABGB bzw § 19 Abs 2 AngG), wonach das Arbeitsverhältnis während der Probezeit von jedem Vertragsteil jederzeit gelöst werden kann (vgl RS0028290). Außerdem wird die höchstzulässige Dauer der Probezeit von einem Monat auf vier Wochen verkürzt. Darüber hinaus kann der Regelung jedoch kein normativer Inhalt entnommen werden. Es fehlt schon – worauf bereits das Erstgericht unter Anführung von Beispielen hingewiesen hat – an der für die Anordnung einer Probezeit in anderen KV typischen Formulierung, wie etwa „die ersten vier Wochen des Arbeitsverhältnisses gelten als Probezeit“ (vgl auch 8 ObA 124/04z; 9 ObA 45/06t und 9 ObA 72/13y: „gilt“). Auch der Umstand, dass hier bloß eine Höchstgrenze vorgegeben wird, innerhalb derer es erst recht einer eigenen Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien über die Dauer der Probezeit bedarf, spricht gegen einen auf den Regelfall ausgerichteten kollektivvertraglichen Gestaltungswillen. Dass mangels anderslautender Vereinbarung jedenfalls die vierwöchige Höchstgrenze als Probezeit gelten sollte, kann weder dem Wortlaut noch dem Kontext der Regelung mit der erforderlichen Deutlichkeit, nämlich klar und unmissverständlich, entnommen werden. Da damit für das Dienstverhältnis keine Probezeit vereinbart war, wurde dem Klagebegehren zu Recht stattgegeben.
4. Der unbegründeten Revision der Beklagten ist daher nicht Folge zu geben.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Textnummer
E129756European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:008OBA00084.20S.0928.000Im RIS seit
19.11.2020Zuletzt aktualisiert am
17.06.2021