TE OGH 2020/9/29 9Ob41/20z

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Veröffentlicht am 29.09.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und Hon.-Prof. Dr. Dehn und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner und Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. C***** T*****, vertreten durch Dr. Reinhard Schäfer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei P***** K*****, vertreten durch Mag. Peter Petz, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, über die (richtig) außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 27. Mai 2020, GZ 38 R 301/19z-22, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 24. September 2019, GZ 42 C 177/16s-18, Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 548,86 EUR (darin 91,48 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 592,24 EUR (darin 63,04 EUR USt und 214 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte ist Mieter einer Wohnung im Haus der Klägerin.

Zum zwischen den Parteien geführten Vorprozess über eine am 19. 11. 2014 eingebrachte Räumungsklage, nach dem am 5. 11. 2014 eine Hausdurchsuchung wegen des Verdachts von Suchtmitteldelinquenz des Beklagten stattgefunden hatte, im Zuge derer die Wohnungseingangstüre zerstört worden war, ist zur Vermeidung von Wiederholungen auf das Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 20. 4. 2017, 9 Ob 17/17s, zu verweisen.

Die Klägerin kündigte am 27. 4. 2016 gerichtlich den mit dem Beklagten geschlossenen Mietvertrag zum 31. 8. 2016 auf und beantragte die geräumte Übergabe. Dabei brachte sie vor, es ergäbe sich ein erheblich nachteiliger Gebrauch des Mietobjekts durch den Beklagten daraus, dass in der vermieteten Wohnung Rauschgift hergestellt, weitergereicht und gemeinsam konsumiert worden sei und es seither zu empfindlichen Ruhestörungen, Belästigungen anderer Mieter, Verschmutzungen und Sachbeschädigungen im Haus komme. Mehrere Mieter seien ernsthaft beunruhigt über die Klientel, die jetzt im Haus aus- und einzugehen scheine. Die Belästigungen gingen offensichtlich von dieser Klientel aus. Gäste bzw Besucher des Beklagten blockierten das Haustorschloss bzw machten dieses funktionsunfähig. Im Stiegenhaus würden Rauschgiftutensilien gefunden. Die Wohnungstüre sei einmal eingetreten und einmal beschmiert worden. Fremde Menschen stiegen bei den Fenstern des Beklagten von der Straße her ein und aus. Zur Mitternachtsstunde würden bisweilen gellende Schreie aus der Wohnung des Beklagten vernommen. Immer wieder komme es zu Polizeieinsätzen betreffend das Verhalten bzw die Wohnung des Beklagten.

Der Beklagte bestritt dieses Vorbringen bzw dass die Vorkommnisse ihm zuzurechnen seien. Er habe bereits Maßnahmen getroffen, die verhinderten, dass sich etwaige Vorkommnisse wiederholten. Die geltend gemachten Vorkommnisse lägen zudem schon länger zurück, sodass die Kündigung verfristet sei. Zum Teil seien sie auch bereits im Vorprozess rechtskräftig erledigt worden.

Das Erstgericht erklärte die Aufkündigung für rechtswirksam und verpflichtete den Beklagten zur Räumung. Es traf umfangreiche Feststellungen, aus denen sich unter anderem ergibt, dass durch die mediale Berichterstattung nach der Anfang November 2014 durchgeführten – und bereits aus der Entscheidung 9 Ob 17/17s ersichtlichen – Hausdurchsuchung in der Wohnung des Beklagten verwahrlost aussehende Personen aus dem Suchtgiftmilieu angezogen wurden, die von Ende 2014 bis Sommer 2016 in das Haus kamen, um den Beklagten auf Drogen anzusprechen. Durch sie kam es zu Verschmutzungen im Haus (blutige Fetzen und Taschentücher sowie Medikamentenpackungen in allgemeinen Teilen des Hauses; einmal auch herumliegende Spritzen; vor einer Wohnung im 4. Stock wurde einige Male uriniert) und zu verschiedenen (sonstigen) Beeinträchtigungen der im Haus wohnenden Mieter, so durch Lärm, durch Streitigkeiten zwischen den hausfremden Personen, wenn sie in allgemeinen Bereichen des Hauses warteten. Auch in der Wohnung des Beklagten kam es durch jene Personen, die sich mit seinem Einverständnis dort aufhielten, mehrmals zu Streitigkeiten in den Nachtstunden und somit zu einer Lärmbelästigung anderer Hausbewohner. Weiters steht fest, dass der Beklagte nach seiner – bereits aus der Entscheidung 9 Ob 17/17s ersichtlichen – strafgerichtlichen Verurteilung am 20. 8. 2015 sofort wieder mit dem Konsum von Methamphetamin begann und wiederholt in die Slowakei fuhr, um dort Suchtgift zu kaufen und nach Österreich zu bringen. Dieses konsumierte er zum Teil selbst in der Wohnung, zum Teil gab er es an andere Personen weiter, die das Suchtgift zum Teil auch in seiner Wohnung konsumierten. Der Beklagte stellte dreimal Methamphetamin selbst her, wobei nicht festgestellt werden konnte, ob dies in der Wohnung erfolgte. Am 2. 8. 2017 wurde von der Polizei abermals eine Hausdurchsuchung in der Wohnung vorgenommen, wobei zahlreiche Utensilien sowie diverse pulverförmige und flüssige Chemikalien, die für die Herstellung von Methamphetamin benötigt werden, vorgefunden wurden. Am 22. 5. 2018 wurde der Beklagte zum zweiten Mal nach dem SMG zu einer Freiheitsstrafe strafgerichtlich verurteilt. Das Erstgericht beurteilte den Sachverhalt dahin, dass der Kündigungsgrund des unleidlichen Verhaltens verwirklicht sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten Folge, hob die Aufkündigung als rechtsunwirksam auf und wies das Räumungsbegehren ab. Es führte aus, dass das Verhalten der hausfremden Personen dem Beklagten nicht zuzurechnen sei, weil deren Anwesenheit auf die mediale Berichterstattung zurückzuführen und nicht festgestellt sei, dass sie mit dem Willen des Beklagten im Haus gewesen seien. Das dem Beklagten zurechenbare Verhalten, nämlich die mehrfachen von seiner Wohnung ausgehenden Lärmbelästigungen, der Konsum von Suchtgift sowie die Überlassung an Dritte in der Wohnung und die dreimalige Herstellung von Suchtgift, wobei jedoch der Ort der Erzeugung nicht festgestellt sei, reiche nicht für die Verwirklichung des Kündigungsgrundes des unleidlichen Verhaltens aus. Auch der Kündigungsgrund des erheblich nachteiligen Gebrauchs liege nicht vor.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil der Frage, ob ein konkretes Verhalten als unleidlich nach § 30 Abs 2 Z 3 2. Fall MRG zu beurteilen ist, grundsätzlich keine Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zukomme.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene (richtig) außerordentliche Revision der Klägerin mit einem auf gänzliche Stattgebung gerichteten Abänderungs-, hilfsweise mit einem Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag.

In seiner Revisionsbeantwortung beantragt der Beklagte, die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig, weil sich die Entscheidung des Berufungsgerichts als korrekturbedürftig erweist. Die Revision ist dementsprechend berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Voranzustellen ist, dass die Klägerin dem Namen nach eine ordentliche Revision samt Abänderungsantrag nach § 508 ZPO eingebracht hat. Eines Antrags auf Abänderung des Ausspruchs des Berufungsgerichts über die Unzulässigkeit der Revision gemäß § 508 Abs 1 ZPO bedurfte es im vorliegenden Fall jedoch nicht, weil gemäß § 502 Abs 5 Z 2 ZPO eine Streitigkeit im Sinn des § 49 Abs 2 Z 5 JN vorliegt. Hat das Berufungsgericht in einem solchen Fall die Revision für nicht zulässig erklärt, kommt nur das Rechtsmittel der außerordentlichen Revision in Betracht. Die mit dem Antrag nach § 508 Abs 1 ZPO verbundene Revision kann in eine außerordentliche Revision nach § 505 Abs 4 ZPO umgedeutet werden (RS0110049; RS0123405).

Der Beklagte hat von sich aus noch vor der in § 508a Abs 2 Satz 1 ZPO vorgesehenen Mitteilung eine Revisionsbeantwortung eingebracht. Da es daher keiner gesonderten Beschlussfassung der Freistellung der Revisionsbeantwortung nach dieser Gesetzesstelle mehr bedarf (RS0104882), kann bereits in der Sache selbst erkannt werden.

         In der Aufkündigung stützte sich die Klägerin auf den Kündigungsgrund des erheblich nachteiligen Gebrauchs, wobei aber ein Tatsachenvorbringen erstattet wurde, das im Wesentlichen den Kündigungsgrund des unleidlichen Verhaltens begründet. Bei der Entscheidung darüber, welcher Kündigungsgrund geltend gemacht wurde, kommt es in erster Linie auf die Tatsachenbehauptungen an. Dabei genügt eine schlagwortartige Angabe; das Gericht darf bei der Wertung des Vorbringens nicht kleinlich vorgehen (RS0081764 [T7, T8]). Da der Kündigungsgrund des unleidlichen Verhaltens inhaltlich in der Kündigung ausgeführt wurde, haben die Vorinstanzen trotz der anderslautenden Bezeichnung durch die Klägerin diesen zu Recht geprüft.

Zum Kündigungsgrund des unleidlichen Verhaltens kann zur Vermeidung von Wiederholungen allgemein auf die Ausführungen in der im Vorprozess ergangenen Entscheidung 9 Ob 17/17s verwiesen werden. Diese Entscheidung wurde in der Literatur auch zustimmend glossiert (Ruckenbauer, immolex 2018/9).

Zunächst ist dem Berufungsgericht insofern beizupflichten, dass die festgestellten Verschmutzungen und Beschädigungen von allgemeinen Teilen des Hauses durch hausfremde drogenabhängige Personen und deren sonstiges andere Hausbewohner belästigendes Verhalten, während sie auf den Beklagten warteten, unberücksichtigt bleiben müssen, weil der Sachverhalt keinen hinreichenden Ansatzpunkt für eine Zurechnung dieser Personen an den Beklagten bietet, insbesondere dafür, dass diese Personen mit seinem Willen und Einverständnis das Haus betraten.

Zu 9 Ob 17/17s lag nach der damaligen Beurteilung des Senats das einmalige Herstellen einer geringen Menge von Suchtgift für den Eigengebrauch und die Überlassung zum persönlichen Gebrauch eines Dritten vor, das nach der Lage des Falls – trotz des Umstands, dass eine Hausdurchsuchung stattfand und im Zuge derer die Wohnungseingangstüre zerstört worden war – objektiv (noch) nicht geeignet war, anderen Mitbewohnern des Hauses das Zusammenleben zu verleiden. Im Unterschied dazu ist im vorliegenden Fall ein – sich an das zu 9 Ob 17/17s beurteilte Geschehen anschließender – Sachverhalt zu beurteilen, nach dem der Beklagte nicht nur Suchtgift aus dem Ausland nach Österreich einführte, sondern in seiner Wohnung auch konsumierte und Suchtgift auch an andere weitergab, die dieses zumindest zum Teil auch in seiner Wohnung konsumierten. Hinzu kommt, dass es in der Wohnung auch mehrmals zu Streitigkeiten in den Nachtstunden kam, die eine Lärmbelästigung anderer Hausbewohner darstellten, und dass dort letztlich am 2. 8. 2017 erneut von der Polizei eine Hausdurchsuchung vorgenommen wurde, bei der zahlreiche Utensilien sowie diverse pulverförmige und flüssige Chemikalien, die für die Herstellung von Methamphetamin benötigt werden, vorgefunden wurden. Bei einer Gesamtbetrachtung des neuen Sachverhalts, in dem die wiederholte Suchtmitteldelinquenz massiv nach außen hin sichtbar wurde (vgl Ruckenbauer aaO), muss das Verhalten des Beklagten nunmehr als unleidlich iSd § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG qualifiziert werden. Dieser Kündigungsgrund hat primär den Schutz der übrigen Hausbewohner vor Augen (10 Ob 42/04f; vgl RS0070371 [T3]). Diesen ist nicht zumutbar, in einem Haus zu wohnen, in dem der wiederholte Verstoß des Beklagten gegen strafrechtliche Bestimmungen des SMG evident ist.

Die Aufkündigung wurde am 29. 4. 2016 zugestellt. Nach den Feststellungen war es im Zeitraum Herbst 2016 bis Herbst 2018 im Haus zwar eher ruhig. Verhaltensänderungen nach Einbringung der Aufkündigung haben aber nur dann Einfluss auf das Schicksal der Aufkündigung, wenn der Schluss zulässig ist, dass die Wiederholung der bisherigen Unzukömmlichkeit auszuschließen ist (RS0070340). Davon ist hier aufgrund des bisherigen Verhaltens des Beklagten nicht auszugehen.

Der Revision der Klägerin war daher Folge zu geben und das Ersturteil wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Textnummer

E129757

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0090OB00041.20Z.0929.000

Im RIS seit

19.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

08.03.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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