TE Vwgh Erkenntnis 1997/9/30 97/08/0108

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Veröffentlicht am 30.09.1997
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Index

21/03 GesmbH-Recht;
40/01 Verwaltungsverfahren;
50/01 Gewerbeordnung;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §67 Abs10;
AVG §37;
GewO 1973 §39 Abs2 idF 1993/029;
GewO 1973 §9 Abs1 idF 1993/029;
GmbHG §15 Abs1;
GmbHG §15;
GmbHG §20;
GmbHG §25 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des D in K, vertreten durch Dr. Werner Bartlmä, Rechtsanwalt in Klagenfurt, Pfarrplatz 5/II, gegen den Bescheid des Landeshauptmanns von Wien vom 30. Jänner 1997, Zl. MA 15-II-S 52/96, betreffend Beitragshaftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG (mitbeteiligte Partei: Wiener Gebietskrankenkasse in Wien X, Wienerbergstraße 15-19), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid vom 23. Juli 1996 sprach die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse aus, der Beschwerdeführer sei als Geschäftsführer gemäß § 67 Abs. 10 ASVG im Zusammenhang mit § 83 ASVG verpflichtet, ihr die auf dem Beitragskonto einer näher bezeichneten GmbH rückständigen Sozialversicherungsbeiträge samt Nebengebühren (Verzugszinsen berechnet bis 18. Juli 1996) im Betrage von S 280.917,33 zuzüglich Verzugszinsen seit 19. Juli 1996 (berechnet von S 255.633,54) binnen 14 Tagen zu zahlen. Begründend wurde im wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer sei als Geschäftsführer zur Vertretung der GmbH berufen und habe es schuldhaft unterlassen, dafür zu sorgen, daß die Beiträge ordnungsgemäß entrichtet werden.

In seinem Einspruch gegen diesen Bescheid machte der Beschwerdeführer geltend, er habe dem Gewerbeamt mit Schreiben vom 7. April 1995 mitgeteilt, daß er mit Wirkung vom 1. April 1995 "als gewerberechtlicher Geschäftsführer der ... GmbH ausgetreten" sei. Der Beitragsrückstand beziehe sich auf den Zeitraum April 1995 bis März 1996, also ausschließlich auf einen Zeitraum nach dem Ausscheiden des Beschwerdeführers "als gewerberechtlicher Geschäftsführer". Der Beschwerdeführer sei "mit Werkvertrag vom 4.3.1994 ... lediglich zum gewerberechtlichen Geschäftsführer" der GmbH bestellt worden, weshalb er "auch aus diesem Grund" nicht für die Beitragsrückstände hafte.

Mit dem Einspruch legte der Beschwerdeführer den "Werkvertrag" vom 4. März 1994 vor. In diesem zwischen der GmbH (deren Gesellschaftsvertrag nach den vorliegenden Firmenbuchauszügen erst am 8. März 1994 abgeschlossen wurde) und dem Beschwerdeführer geschlossenen Vertrag "über die Bestellung eines gewerberechtlichen Geschäftsführers gemäß § 9 in Verbindung mit § 39 Gewerbeordnung 1973 und Novellierung 1992" wird die Bestellung des Beschwerdeführers zum gewerberechtlichen Geschäftsführer für das von der GmbH zu betreibende Baumeistergewerbe geregelt. Der Vertrag enthält - trotz der Bezugnahme auf die "Novellierung 1992" - keinen Hinweis darauf, daß der Beschwerdeführer auch als handelsrechtlicher Geschäftsführer der GmbH anzumelden sein werde. Er sieht im Gegenteil vor, der "handelsrechtliche Geschäftsführer Herr Slavco M." habe "als Gesellschafter und handelsrechtlicher Geschäftsführer der Gesellschaft die alleinige Geschäftsführung der Gesellschaft und die alleinige Zeichnungsbefugnis für das Firmenkonto" (Punkt IV 1). Andererseits ist geregelt, daß und wie dem Beschwerdeführer die Erfüllung seiner Aufgaben als gewerberechtlicher Geschäftsführer ("Wahrnehmung aller Agenden eines gewerberechtlichen Geschäftsführers gemäß § 39 Gewerbeordnung 1973, eingeschränkt auf das ... genannte Gewerbe") zu ermöglichen sei. In diesem Zusammenhang heißt es, der Beschwerdeführer sei "im Rahmen der ihm eingeräumten Vertretungsbefugnis berechtigt und verpflichtet, unter Berücksichtigung der internen Beschränkungen, die Gesellschaft nach außen, insbesondere in Gewerbeangelegenheiten, zu vertreten". Er sei "jedoch nicht berechtigt, im Namen und auf Rechnung der Gesellschaft mit Dritten irgendwelche Rechtsgeschäfte, insbesondere zivilrechtlicher Art, abzuschließen" (Punkt V 1). Der Vertrag trete mit Einreichung bei der Magistratsabteilung 63 in Kraft, werde auf unbestimmte Zeit abgeschlossen und sei - abgesehen von näher geregelten Fällen seiner jederzeitigen Auflösbarkeit - für beide Teile erstmals zum 31. Dezember 1995 kündbar.

In ihrer Stellungnahme zu diesem Einspruch wies die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse darauf hin, daß der Beschwerdeführer im Firmenbuch gemeinsam mit Slavco M. als handelsrechtlicher Geschäftsführer eingetragen sei. Wenn für die finanziellen Belange ausschließlich Slavco M. zuständig gewesen sein sollte, hätte sich der Beschwerdeführer doch vergewissern müssen, daß Slavco M. seinen gesetzlichen Pflichten nachkomme. Bei entsprechender Sorgfalt hätte es ihm auffallen müssen, daß schon monatelang keine Sozialversicherungsbeiträge mehr abgeführt worden waren. Er müßte daher nachweisen, daß eine eindeutige Aufgabenteilung auch in finanziellen Belangen bestanden habe und er sich zumindest stichprobenweise vergewissert habe, daß der andere Geschäftsführer seinen Pflichten nachgekommen sei. Für den Fall, daß dieser Nachweis nicht erbracht werde, werde die Abweisung des Einspruchs beantragt.

Mit dieser Stellungnahme legte die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse u.a. den Beschluß vom 6. Mai 1996, mit dem der Antrag auf Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der GmbH mangels kostendeckenden Vermögens abgewiesen worden war, einen Firmenbuchauszug vom 30. Jänner 1996 und ein Schreiben vom 26. September 1995 vor, mit dem der Beschwerdeführer zur Erbringung des Nachweises seiner Schuldlosigkeit an der Nichtentrichtung von Beiträgen aufgefordert worden war. Nach dem Inhalt des Firmenbuchauszuges wurde die GmbH seit dem 19. März 1994 (dem Tag ihrer Eintragung) von Slavco M. als selbständig und vom Beschwerdeführer als gemeinsam mit einem weiteren Geschäftsführer oder einem Prokuristen vertretungsbefugtem Geschäftsführer vertreten. Gesellschafter waren (aufgrund einer am 21. Oktober 1995 eingetragenen Änderung) Slavco M. mit einer Stammeinlage von S 425.000,-- und (von Anfang an) Dragan V. mit einer Stammeinlage von S 75.000,--.

In der Verhandlung am 15. Oktober 1996 brachte der Beschwerdeführer im wesentlichen vor, er sei "mit 1. April 1995 sowohl als gewerberechtlicher als auch als handelsrechtlicher Geschäftsführer ausgetreten". Zum Beweis würden ein Schreiben an das Gewerbeamt (vom 7. April 1995) und an das Finanzamt (vom 29. November 1995) vorgelegt und die Einvernahme des Zeugen J. beantragt. Eine "Rücktrittserklärung gegenüber den Gesellschaftern" sei nicht erfolgt, weil der Beschwerdeführer nicht gewußt habe, wer zu diesem Zeitpunkt die Gesellschafter gewesen seien. Der Beschwerdeführer habe mit den Geschäften der GmbH nichts zu tun gehabt. Diese seien ausschließlich von Slavco M. geführt worden. Der Beschwerdeführer habe "nur einen Werkvertrag" mit der GmbH gehabt. Einen Antrag auf Löschung im Firmenbuch habe er nicht gestellt, weil er der Meinung gewesen sei, die GmbH werde dies besorgen, wozu er auf ein Schreiben an die GmbH vom 28. Dezember 1995 verweise. Buchhaltungsunterlagen der GmbH stünden ihm nicht zur Verfügung, weil Slavco M. nicht mehr in Österreich sei. Dragan V. sei ihm unbekannt.

Nach dem Inhalt der drei vom Beschwerdeführer vorgelegten Schreiben wurde dem Gewerbeamt am 7. April 1995 mitgeteilt, der Beschwerdeführer sei "mit 1. April 1995 als gewerberechtlicher und handelsrechtlicher Geschäftsführer" aus der GmbH "ausgetreten", und eine Kopie dieses Schreibens am 29. November 1995 dem Finanzamt übermittelt. Das an die GmbH gerichtete Schreiben vom 28. Dezember 1995 hatte folgenden Wortlaut:

"Betreff: Kündigung

Sehr geehrter Herr M.,

Ihr Zahlungsrückstand beträgt mittlerweile S 85.000,--. Die Angelegenheit wurde dem Rechtsanwalt übergeben.

    Trotz mehrmaliger mündlicher wie schriftlicher Aufforderung

sind Sie nicht bereit, mir Einblick in Ihre Geschäftsunterlagen

zu gewähren, sodaß ich mich außerstande sehe weiterhin die

Mitverantwortung für die ... GmbH zu tragen.

    Die Kündigung wird dem Magistrat der Stadt Wien zur

Kenntnis gebracht.

    Für meine Austragung aus dem Handelsregister haben Sie nach

Rechtslage umgehend Sorge zu tragen.

                                          Hochachtungsvoll"

In weiterer Folge legte der Beschwerdeführer ein Schreiben der Magistratsabteilung 63 vom 3. Oktober 1996 vor, worin bestätigt wurde, daß er als gewerberechtlicher Geschäftsführer "per 1.4.1995 ausgeschieden" sei (darauf, wann dies der Magistratsabteilung 63 bekanntgegeben worden sei, wird in der Bestätigung nicht Bezug genommen).

In der Verhandlung am 15. November 1996 legte die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse einen Firmenbuchauszug zum 21. März 1994 vor. Danach waren zu diesem Zeitpunkt (seit der Eintragung der Gesellschaft) abgesehen von Dragan V. mit einer Stammeinlage von S 75.000,-- auch Kazimierz B. und Zbigniew S. mit einer Stammeinlage von je S 75.000,--, weiters Pavle G. mit einer Stammeinlage von S 125.000,-- und Slavco M. mit einer Stammeinlage von S 150.000,-- Gesellschafter der GmbH.

Der Zeuge J. gab folgendes an:

"Meines Wissens nach war Herr Slavco M. der eigentliche Geschäftsherr der ... GmbH. Die anderen Gesellschafter waren Arbeiter, die deswegen als Gesellschafter fungierten, um die Arbeitsbewilligung zu erhalten. Mir ist erinnerlich, daß Herr S. (der Beschwerdeführer) den Gesellschaftern mitgeteilt hat, daß er nicht mehr Geschäftsführer sein wolle. Das genaue Datum ist mir aber nicht mehr erinnerlich."

Nachdem die belangte Behörde zum Ergebnis gekommen war, daß (zumindest) Dragan V. und Pavle G. mangels aktueller Adresse nicht ladbar seien, wurde dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 9. Dezember 1996 Gelegenheit gegeben, für sein behauptetes Ausscheiden als handelsrechtlicher Geschäftsführer binnen zwei Wochen Beweisanbote zu erstatten. Hierauf reagierte der Vertreter des Beschwerdeführers mit der neuerlichen Vorlage der Bestätigung vom 3. Oktober 1996.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Einspruch des Beschwerdeführers abgewiesen und der Bescheid vom 23. Juli 1996 bestätigt. Begründend wurde - nach einer Darstellung des Verfahrensganges - im wesentlichen folgendes ausgeführt:

"Da im vorliegenden Verfahren kein Nachweis erbracht werden konnte, daß der Einspruchswerber tatsächlich per 1. April 1995 auch als handelsrechtlicher Geschäftsführer ausgeschieden ist und auch kein ausreichender Nachweis erbracht wurde, wann er letztlich seine Geschäftsführerfunktion gegenüber allen Gesellschaftern zurückgelegt hat und der Einwand, er habe nichts mit den Geschäften der Beitragsschuldnerin zu tun gehabt, nicht geeignet ist, eine Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG auszuschließen, mußte dem Einspruch der Erfolg versagt bleiben und war wie im Spruch zu entscheiden."

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der der belangten Behörde u.a. ein aktenwidriges Hinweggehen über die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens vorgeworfen und die Behauptung wiederholt wird, aus dem Werkvertrag vom 4. März 1994 ergebe sich, daß der Beschwerdeführer "lediglich zum gewerberechtlichen Geschäftsführer" der GmbH bestellt worden sei. Weiters wird u.a. geltend gemacht, der Beschwerdeführer habe eindeutig den Beweis dafür erbracht, daß er am 1. April 1995 nicht mehr für die GmbH tätig gewesen sei. Er habe darauf vertrauen dürfen, daß der verbleibende, allein vertretungsbefugte Geschäftsführer Slavco M. die den Vertretern der GmbH auferlegten Pflichten wahrnehmen werde.

Die belangte Behörde hat die Akten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die bekämpfte Entscheidung unter Berufung auf das hg. Erkenntnis vom 19. Oktober 1993, Zl. 92/08/0057, im wesentlichen damit rechtfertigt, daß eine Zurücklegung der Funktion des Beschwerdeführers als handelsrechtlicher Geschäftsführer gegenüber allen Gesellschaftern der GmbH nicht feststellbar gewesen sei. Ein Vertrauen auf die Entrichtung der Beiträge durch den zweiten Geschäftsführer bzw. darauf, daß die Löschung als Geschäftsführer veranlaßt werden würde, schließe eine Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG nicht aus.

Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse räumt in ihrer Gegenschrift ein, der Beschwerdeführer habe "offenbar nie die Geschäftsführungsagenden ausgeübt", sondern es sei "von Anfang an vereinbart" gewesen, daß er "nur seine Gewerbeberechtigung zur Verfügung stellen" solle, was der Beschwerdeführer am 25. Oktober 1996 auch im Strafverfahren angegeben habe ("Die Eintragung als Geschäftsführer ... im Firmenbuch ist nur deshalb erfolgt, um den gewerberechtlichen Anforderungen zu folgen. Dies war meine einzige Funktion.

Geschäftsführertätigkeit habe ich nicht ausgeübt"). Der Zeuge J. habe am 25. November 1996 im Strafverfahren angegeben, er glaube, der Beschwerdeführer habe im Februar oder März 1995 in einer Besprechung mit ihm, (Slavco) M., Pavle (G.) und einem ihm unbekannten Polen erklärt, seine Funktion als gewerberechtlicher Geschäftsführer zurückzulegen. Da es damals fünf Gesellschafter gegeben habe, könne somit auch J. keine Rücktrittserklärung gegenüber allen Gesellschaftern bezeugen. Offenbar hätten weder der Beschwerdeführer noch der Zeuge gewußt, wer als Gesellschafter eingetragen gewesen sei, "da diese Personen ... nur zur Umgehung von Rechtsvorschriften als Gesellschafter eingetragen wurden". Dem Einwand des Beschwerdeführers, er habe mit der Geschäftsführung nichts zu tun gehabt, werde entgegengehalten, daß zur Hereinbringung von Beitragsrückständen laufende Exekutionen geführt worden seien und es "auch einem primär nicht zuständigen Geschäftsführer bei zumindest stichprobenweiser Kontrolle daher nicht verborgen" geblieben wäre, daß die Beiträge nicht bezahlt worden seien.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der vorliegende Fall ist vor dem Hintergrund der (mit 1. Juli 1993 in Kraft getretenen) Gewerberechtsnovelle 1992, BGBl. Nr. 29/1993, zu beurteilen, mit der § 39 Abs. 2 Gewerbeordnung dahingehend neu formuliert wurde, daß der gemäß § 9 Abs. 1 Gewerbeordnung zu bestellende Geschäftsführer einer juristischen Person, wenn (wie beim Baumeistergewerbe) die Erbringung eines Befähigungsnachweises vorgeschrieben ist, dem zur gesetzlichen Vertretung berufenen Organ der juristischen Person angehören muß, sofern er nicht deren mindestens zur Hälfte der wöchentlichen Normalarbeitszeit im Betrieb beschäftigter, voll versicherungspflichtiger Arbeitnehmer ist. Die Einräumung der Stellung eines Prokuristen genügt seither nicht mehr.

Vor diesem Hintergrund hatte sich die belangte Behörde mit den voneinander unabhängigen, aber inhaltlich zusammenhängenden Einwänden des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen, er sei einerseits "lediglich" gewerberechtlicher Geschäftsführer gewesen und habe andererseits diese Funktion und auch die (damit verbundene) eines handelsrechtlichen Geschäftsführers unmittelbar vor Beginn des Haftungszeitraumes zurückgelegt.

Mit dem ersten dieser Einwände - dem alleinigen Gegenstand der Stellungnahme der Gebietskrankenkasse zum Einspruch, weil in letzterem nur das Ausscheiden des Beschwerdeführers "als gewerberechtlicher Geschäftsführer" behauptet worden war - hat sich die belangte Behörde nur insoweit befaßt, als sie die Rechtsmeinung formulierte, die Behauptung, der Beschwerdeführer habe nichts mit den Geschäften der Beitragsschuldnerin zu tun gehabt, sei nicht geeignet, eine Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG auszuschließen.

Träfe es jedoch zu, daß der Beschwerdeführer nur zur Erfüllung der Voraussetzungen des § 39 Abs. 2 Gewerbeordnung als handelsrechtlicher Geschäftsführer eingetragen wurde und seine Aufgaben in der Gesellschaft so festgelegt waren, wie dies aus dem mit dem Einspruch vorgelegten Werkvertrag vom 4. März 1994 hervorgeht, so wäre damit eine Geschäftsverteilung dargetan, die eine Zuständigkeit des Beschwerdeführers für die Erfüllung der Beitragspflichten der Gesellschaft ausgeschlossen hätte (vgl. dazu aus der abgabenrechtlichen Judikatur das Erkenntnis vom 29. April 1994, Zl. 93/17/0395, eine schon vor der Gewerberechtsnovelle 1992 nur wegen ihrer Funktion als gewerberechtliche Geschäftsführerin auch im Firmenbuch eingetragene Geschäftsführerin betreffend).

Eine solche Geschäftsverteilung ist nicht ohne Auswirkungen auf die beitragsrechtliche Verantwortlichkeit (vgl. dazu schon das Erkenntnis vom 20. Februar 1996, Zl. 95/08/0179), wobei auch in dieser Frage die zu vergleichbaren abgabenrechtlichen Haftungsnormen ergangene Rechtsprechung anwendbar ist. Der von den entsprechenden Angelegenheiten ausgeschlossene Geschäftsführer ist danach in der Regel nicht in Anspruch zu nehmen. Er haftet jedoch, wenn er eigene Pflichten grob dadurch verletzt, daß er es unterläßt, Abhilfe gegen Unregelmäßigkeiten des zur Besorgung dieser Angelegenheiten Bestellten zu schaffen. In einem solchen Fall könnte ihn nur entschuldigen, daß ihm die Erfüllung der Pflichten aus triftigen Gründen unmöglich gewesen wäre (vgl. die frühere Rechtsprechung zusammenfassend das Erkenntnis vom 18. November 1991, Zl. 90/15/0123, und eine Mehrzahl daran anschließender Erkenntnisse). Eine Verletzung der Überwachungspflicht liegt vor, wenn der von der Wahrnehmung der zu erfüllenden Pflichten entbundene Geschäftsführer trotz Vorliegens konkreter Anhaltspunkte für Pflichtverstöße des anderen Geschäftsführers nichts unternimmt, um Abhilfe zu schaffen. Eine haftungsrechtlich relevante Pflichtverletzung kann auch in einer vorwerfbaren Unkenntnis solcher Pflichtverstöße des anderen Geschäftsführers liegen (vgl. auch dazu das zitierte Erkenntnis vom 18. November 1991, Zl. 90/15/0123). Eine Überprüfung der Tätigkeit des mit der Erfüllung der Pflichten betrauten anderen Geschäftsführers kommt aber nur dann in Betracht, wenn ein Anlaß vorliegt, an der Ordnungsmäßigkeit seiner Geschäftsführung zu zweifeln (vgl. zusammenfassend das Erkenntnis vom 25. September 1992, Zl. 91/17/0134, und daran anschließende Erkenntnisse, etwa das schon zitierte, eine gewerberechtliche Geschäftsführerin betreffende Erkenntnis vom 29. April 1994, Zl. 93/17/0395). Besteht der Verdacht, daß im Arbeitsbereich des zuständigen Vertreters Mißstände vorliegen, so muß sich der andere Vertreter einschalten, um nicht selbst haftbar zu werden (vgl. auch dazu das Erkenntnis vom 25. September 1992, Zl. 91/17/0134; daran anschließend das Erkenntnis vom 20. Februar 1996, Zl. 95/08/0179). Eine interne Verteilung der Geschäftsführeragenden kann, soweit sie nachweisbar besteht, auch unabhängig von ihrer handelsrechtlichen Zulässigkeit grundsätzlich geeignet sein, ein Verschulden des mit der Besorgung der entsprechenden Angelegenheiten nicht betrauten Geschäftsführers auszuschließen (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 18. Oktober 1995, Zlen. 91/13/0037, 0038, mit einer neuerlichen Zusammenfassung der abgabenrechtlichen Judikatur zur Beachtlichkeit interner Vereinbarungen über die Aufteilung der Geschäftsführungsagenden).

Die durch die Vorlage des Vertrags vom 4. März 1994 hinreichend konkretisierte Behauptung des Beschwerdeführers, er sei (zumindest hinsichtlich der von ihm wahrzunehmenden Aufgaben) "lediglich" gewerberechtlicher Geschäftsführer gewesen, hätte die belangte Behörde zum Anlaß nehmen müssen, die dargestellten Kriterien mit den Parteien zu erörtern und zu klären, ob und gegebenenfalls ab wann eine beitragsrechtliche Haftung des Beschwerdeführers - wenn er seine Funktionen nicht rechtzeitig niedergelegt hatte - nach diesen Kriterien in Frage kam. Da dies unterblieb, erweist sich der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt als ergänzungsbedürftig.

Was den zweiten Einwand anlangt, der Beschwerdeführer habe seine Funktionen mit 1. April 1995 niedergelegt, so ist der in der Beschwerde vertretene Standpunkt, die belangte Behörde wäre "verpflichtet gewesen, dem Beschwerdeführer mitzuteilen, die Absicht zu haben, ihm zu unterstellen, nicht nachweisen zu können, daß er mit 1. April 1995 als Geschäftsführer ... ausgeschieden ist", und der Beschwerdeführer sei "stets der Ansicht" gewesen, die Bestätigung vom 3. Oktober 1996 genüge, "um den geforderten Nachweis im Sinne der Bestimmungen des ASVG als erbracht anzusehen", schon im Hinblick auf das Schreiben der belangten Behörde vom 9. Dezember 1996 nicht nachvollziehbar. Wenn der Vertreter des Beschwerdeführers meinte, auf dieses Schreiben mit der Vorlage einer schon vorgelegten Urkunde adäquat reagieren zu können, und es im besonderen unterließ, die Einvernahme des Beschwerdeführers selbst oder die Heranziehung der im Strafverfahren abgelegten Aussagen zu beantragen, so läßt sich das Unterbleiben weiterer Beweisaufnahmen entgegen den Ausführungen in der Beschwerde nicht darauf zurückzuführen, daß dem Beschwerdeführer "keinesfalls die Möglichkeit eingeräumt" worden sei, weitere Nachweise zu erbringen. Diese Behauptung ist aktenwidrig und daher nicht geeignet, den Standpunkt der Beschwerde zu begründen.

Der belangten Behörde ist auch zuzugeben, daß das Datum des Schreibens vom 28. Dezember 1995, worin in der Gegenwartsform davon die Rede ist, der Beschwerdeführer sehe sich außerstande, "weiterhin" die Mitverantwortung zu tragen, und dem Magistrat der Stadt Wien werde "die Kündigung zur Kenntnis gebracht", dem Nachweis einer schon viel früheren Niederlegung der Funktionen nicht dienlich ist. Dieser in der Gegenschrift nachgetragene Hinweis bietet aber keinen Ersatz für das Fehlen entsprechender Feststellungen und Erwägungen zu deren Begründung im angefochtenen Bescheid, im besonderen auch zu der Frage, wann die mit 7. April 1995 datierte Mitteilung an das Gewerbeamt, der Beschwerdeführer sei "mit 1. April 1995 als gewerberechtlicher und handelsrechtlicher Geschäftsführer ... ausgetreten", bei der Magistratsabteilung 63 tatsächlich einging (oder ob sie etwa in der Folge wieder zurückgenommen wurde).

Die belangte Behörde hat ihre Entscheidung in dieser - im Einspruchsverfahren gegenüber der behaupteten Beschränkung des Aufgabenbereiches vorrangig behandelten - Frage darauf gestützt, daß eine Zurücklegung "gegenüber allen Gesellschaftern" nicht erwiesen sei, und hiezu in der Gegenschrift auf das Erkenntnis vom 19. Oktober 1993, Zl. 92/08/0057, verwiesen.

In diesem Erkenntnis hat sich der erkennende Senat der in einer sozialrechtlichen Entscheidung des OGH vom 22. November 1989 (9 Ob S 23/89 = ecolex 1990, 170 = SZ 62/183) vertretenen Ansicht angeschlossen, die Zurücklegung der Geschäftsführerbefugnis sei eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung, "die nach herrschender Ansicht gegenüber demjenigen Organ der Gesellschaft abzugeben ist, das für die Bestellung zuständig ist, und daher gegenüber allen Gesellschaftern oder in einer ordnungsgemäß einberufenen Generalversammlung gegenüber den in ihr anwesenden Gesellschaftern abzugeben ist". Die sowohl in dem erwähnten Vorerkenntnis des erkennenden Senates als auch in der Entscheidung des OGH mit Rücksicht darauf, daß jeweils kein Alleingeschäftsführer betroffen war, relevante Frage, ob die Niederlegung der Funktion auch gegenüber einem anderen Geschäftsführer wirksam erklärt werden kann, ist allerdings strittig und war vom OGH in der letzten der von ihm in der Entscheidung vom 22. November 1989 für die "herrschende Ansicht" zitierten Entscheidungen (SZ 58/181) ausdrücklich offengelassen worden. Sowohl Reich-Rohrwig (Das österreichische GesmbH-Recht, 1. Auflage, Seite 166, und 2. Auflage, Band I, Rz 2/671) als auch Kostner/Umfahrer (Die GmbH, 4. Auflage, Rz 218) vertreten in Österreich (entsprechend einer in Deutschland vertretenen Mindermeinung; vgl. dazu etwa Rowedder/Koppensteiner, GmbHG, Rz 27 zu § 38 dGmbHG) die Auffassung, die Erklärung könne auch gegenüber einem anderen Geschäftsführer wirksam abgegeben werden (gegenteilig Koppensteiner, GmbH-Gesetz, Rz 31 zu § 16; Wünsch, Kommentar zum GmbHG, Rz 62 zu § 16). Für die dem § 67 Abs. 10 ASVG vergleichbaren abgabenrechtlichen Haftungsnormen hat sich der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 25. Juni 1990, Zl. 89/15/0158, dieser von ihm auf der Grundlage der Ausführungen von Reich-Rohrwig (in der ersten Auflage, wo die Frage allerdings schon als strittig bezeichnet wurde) und der Ansicht von Mertens (des Vertreters der deutschen Mindermeinung) als "herrschend" bezeichneten Ansicht ausdrücklich angeschlossen (vgl. dazu die Nachweise bei den zitierten österreichischen Autoren), weshalb in dieser Frage zwischen der Rechtsprechung zu den abgabenrechtlichen Haftungsnormen und derjenigen zu § 67 Abs. 10 ASVG keine Übereinstimmung herrscht. Durch Art. VII Z. 2 des Insolvenzrechtsänderungsgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 114/1997, wurde diese Streitfrage (in § 16a Abs. 2 GmbHG) für die Zukunft im Sinne der vom erkennenden Senat im Erkenntnis vom 19. Oktober 1993, Zl. 92/08/0057, vertretenen Rechtsansicht (Rücktritt außerhalb der Generalversammlung nur durch Erklärung gegenüber allen Gesellschaftern) entschieden.

Geht man von dieser Rechtsansicht aus, so führt dies zu der Frage, wer die Gesellschafter waren, denen gegenüber der Beschwerdeführer die Niederlegung der Funktion als handelsrechtlicher Geschäftsführer zu erklären gehabt hätte. In dieser Hinsicht ist der Sachverhalt nicht vollständig geklärt, weil abgesehen von Slavco M. (dem Mitgeschäftsführer und Hauptgesellschafter) nur von Dragan V. festzustehen scheint, daß er auch noch im Oktober 1995 und nicht nur bis zu einem unbekannten, der Eintragung der Änderungen aber jedenfalls vorausgegangenen Zeitpunkt Gesellschafter gewesen sein könnte. Daß er (zumindest) auch gegenüber Dragan V. die Niederlegung der Geschäftsführerfunktion erklärt habe, hat der Beschwerdeführer allerdings nicht behauptet. Entscheidend ist daher - obwohl der Beschwerdeführer dies nicht erkannt hat und auch in der Beschwerde nicht geltend macht - die durch die Ermittlungsergebnisse mit hinreichender Konkretheit aufgeworfene Frage, ob und in bezug auf welche Personen das "Fungieren" von "Arbeitern" als "Gesellschafter", "um die Arbeitsbewilligung zu erhalten", nicht im Sinne der Entscheidungen des OGH vom 19. Mai 1994, 6 Ob 19/93 und 6 Ob 7/94 (ecolex 1994, 686; Anwaltsblatt 1995, 229; GesRz 1994, 301) von Anfang an nichtig war. Insoweit dies der Fall gewesen wäre, könnte es auf die Niederlegung der Geschäftsführerfunktion gegenüber diesen Personen nicht ankommen. Sollte eine rechtzeitige Rücktrittserklärung des Beschwerdeführers gegenüber Slavco M. und allenfalls weiteren "Gesellschaftern" (vgl. dazu die Ausführungen in der Gegenschrift der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse) im fortgesetzten Verfahren feststellbar sein, so würde sich die belangte Behörde in bezug auf die restlichen "Gesellschafter" daher mit dieser Frage zu befassen haben.

Die Umstände des vorliegenden Falles hätten aber auch Anlaß zur Untersuchung der Frage gegeben, aufgrund welcher Beschlüsse und Vereinbarungen der Beschwerdeführer - über den vorgelegten "Werkvertrag" hinaus - zum handelsrechtlichen Geschäftsführer bestellt worden war. Die ausdrückliche Behauptung, "lediglich" gewerberechtlicher Geschäftsführer gewesen zu sein, und "nur einen Werkvertrag mit der Firma" gehabt zu haben, legt nämlich (wie auch das übrige Vorbringen des Beschwerdeführers) nahe, daß er die Auffassung vertritt, nicht nur allein wegen seiner Funktion als gewerberechtlicher Geschäftsführer, sondern auch nur für deren Dauer zum handelsrechtlichen Geschäftsführer bestellt worden zu sein (vgl. in diesem Zusammenhang Reich-Rohrwig, a.a.O., 2. Auflage, Band I, Rz 2/40, zur Zulässigkeit befristeter und bedingter Bestellungen; weiters Koppensteiner, a.a.O., Rz 7 zu § 15 und Rz 32 zu § 16 GmbHG). Träfe dies zu, so könnte schon eine wirksame Zurücklegung der Funktion als gewerberechtlicher Geschäftsführer gegenüber der Gewerbebehörde (vgl. dazu Rebhahn, Der gewerberechtliche Geschäftsführer (1994), 91 ff (insbesondere 95 bei Fußnote 242)) auch die handelsrechtliche Geschäftsführerfunktion des Beschwerdeführers zum Erlöschen gebracht haben.

Da der Sachverhalt somit in bezug auf beide vom Beschwerdeführer erhobenen Einwendungen noch einer Ergänzung bedarf, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren findet insoweit, als es die Höhe des Schriftsatzaufwandes und die zusätzlich begehrte Umsatzsteuer betrifft, in diesen Rechtsvorschriften keine Deckung, und war in bezug auf den begehrten Ersatz für "Bundesstempel" abzuweisen, weil deren Entrichtung aufgrund der sachlichen Abgabenfreiheit (§ 110 Abs. 1 ASVG) entbehrlich war.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1997080108.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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