TE Vwgh Erkenntnis 1997/9/30 96/01/1114

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.09.1997
beobachten
merken

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Bachler, Dr. Rigler und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Mag. Unterer, über die Beschwerde des Francis Eze Chukwugozie in Linz, geboren am 2. April 1965, vertreten durch Dr. Gerhard Wagner, Rechtsanwalt in Linz, Spittelwiese 6, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 27. März 1996, Zl. 4.347.357/1-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Nigerias, der am 26. August 1995 in das Bundesgebiet eingereist ist, hat den Bescheid des Bundesasylamtes vom 26. September 1995, mit dem sein Asylantrag abgewiesen worden war, mit Berufung bekämpft.

Mit Bescheid vom 27. März 1996 wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer hat in seinem schriftlichen Asylantrag vom 31. August 1995 geltend gemacht, er sei in seinem Heimatland Mitglied der gegen die Militärdiktatur eintretenden Vereinigung "Campaign for Democracy" gewesen. Wegen seiner politischen Gesinnung und seines politischen Auftretens sei er von Mai bis Mitte Juli 1995 inhaftiert, brutaler Gewalt ausgesetzt gewesen und oftmals geschlagen worden. Sein Rechtsanwalt habe durch Bestechung Mitte Juli seine Enthaftung erreicht. Der Beschwerdeführer habe sich in der Folge versteckt, weil er von der Militärregierung zur Verhaftung ausgeschrieben gewesen sei. Mit Hilfe eines gefälschten Reisepasses sei ihm am 26. August 1995 die Flucht gelungen. Im Fall seiner Verhaftung durch die nigerianische Militärdiktatur drohe ihm die Ermordung. Zum Beweis seiner politischen Gesinnung und der Verfolgung durch die nigerianischen Behörden legte der Beschwerdeführer mehrere Schreiben verschiedener Organisationen vor. Bei seiner Einvernahme durch das Bundesasylamt am 25. September 1995 brachte der Beschwerdeführer ergänzend vor, er sei in der "CD", welche es sich zur Aufgabe gemacht habe, die nigerianische Bevölkerung über Demokratie aufzuklären, als Führer des Jugendflügels einer der zwölf Bezirke von Lagos tätig gewesen und habe in dieser Funktion ca. 40 Personen in Fünfergruppen zur Aufklärung der Bevölkerung über Demokratie auf die Straße geschickt. Der Beschwerdeführer sei vermutlich durch ein inhaftiertes Mitglied der "CD" namentlich bekannt gegeben worden, weshalb ab Ende April 1995 das Militär nach ihm zu suchen begonnen habe. Er habe sich daraufhin nach Kano begeben, wo er sich bei anderen Mitgliedern der "CD" aufgehalten habe. Da ihm mitgeteilt worden sei, daß seine Mutter in Lagos verhaftet und nach seinem Aufenthalt befragt worden sei, habe er sich nach Lagos zur Polizeidienststelle begeben. Er sei von dort in eine Armeebaracke verbracht worden. Dort habe er sich nackt ausziehen müssen, wobei er Namen von mit ihm zusammenarbeitenden Personen hätte nennen sollen. Da er dies nicht getan habe, sei er für etwa eine dreiviertel Stunde in eine Tonne mit kaltem Wasser gesteckt und dann neuerlich befragt worden. Er habe bekanntgegeben, für die "CD" gearbeitet zu haben, habe aber keine Namen preisgegeben. Nach ca. zwei Tagen sei er mit fünf anderen Personen, darunter zwei weiteren Mitgliedern der "CD", in ein Gefängnis in Lagos gebracht worden und für zwei Monate und etwa zwei Wochen inhaftiert geblieben. Sein Rechtsanwalt, der ihn im Juni 1995 besucht habe, habe ihm zunächst mitgeteilt, daß es zu einer Gerichtsverhandlung kommen werde. In der zweiten Julihälfte sei um Mitternacht ein Gefängniswärter zu ihm gekommen, der ihm mitgeteilt habe, daß sein Rechtsanwalt auf ihn warte und er das Gefängnis verlassen könne. Dem Beschwerdeführer sei nicht genau bekannt, wie es zu dieser Freilassung gekommen sei, doch wisse er, daß sein Rechtsanwalt in diesem Gefängnis großen Einfluß besitze. Der Beschwerdeführer habe sich anschließend in einem Zimmer der Kanzlei seines Rechtsanwaltes, von dem er auch versorgt worden sei, bis zu seiner Ausreise aufgehalten. Die von ihm beigebrachten Papiere sowie den gefälschten Reisepaß habe er zwei Tage nach seiner Freilassung aus dem Gefängnis erhalten, wobei ihm sein Rechtsanwalt den Paß und das Flugticket nur kurz gezeigt und dann wieder an sich genommen habe. Daher wisse der Beschwerdeführer nicht, auf welche Nationalität der Reisepaß ausgestellt gewesen sei. Den ihm vorgehaltenen Widerspruch zwischen dem von ihm angegebenen Zeitpunkt der Ausstellung seines Mitgliedsausweises der "CD" und dem in diesem Ausweis vermerkten Datum erklärte der Beschwerdeführer dahin, daß er vorerst einen anderen Ausweis erhalten habe und ihm der vorliegende erst später ausgestellt worden sei. Dem Vorhalt, die vom Beschwerdeführer vorgelegten Schriftstücke seines Rechtsanwaltes seien trotz unterschiedlicher Datierung offensichtlich mit dem selben Drucker erstellt worden, und trotz unterschiedlicher Rechtsanwaltskanzleien sei immer derselbe Rechtsanwalt angeführt, wobei diese Schriftstücke mit dem gleichen Schriftzug und dem gleichen Stift unterschrieben worden seien, hielt der Beschwerdeführer entgegen, daß er selbst während seiner Inhaftierung keinerlei Post habe erhalten können. Ein Schreiben aus dem Jahr 1994 habe sein Rechtsanwalt von der Mutter des Beschwerdeführers erhalten; ob die beiden anderen Schreiben auch von seiner Mutter übergeben worden seien, könne er nicht angeben. Zu Widersprüchen seiner Angaben über seinen Fluchtweg zum Flugplan der von ihm angegebenen Luftlinie Al Italia befragt, gestand der Beschwerdeführer zu, seine ursprünglichen Angaben - er sei in Rom in der aus Lagos kommenden Maschine sitzen geblieben und nach fünf Minuten nach Wien weitergeflogen - seien nicht richtig gewesen; er habe in Rom das Flugzeug verlassen, wisse aber nicht mehr, wie lange er sich in Rom aufgehalten habe, weil er zu nervös gewesen sei. Er habe in Italien bleiben wollen, habe dies aber deshalb nicht getan, weil der ihn begleitende Schlepper den gefälschten Reisepaß, das gesamte Geld und das Flugticket bei sich gehabt habe.

Die Behörde erster Instanz hat in der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides die Angaben des Beschwerdeführers insbesondere deshalb für unglaubwürdig erachtet, weil er die Handlungsabläufe nach diversen Vorhalten immer wieder revidiert habe. Die vorgelegten Schreiben seien hinsichtlich des Ausstellungsdatums, der Unterzeichnenden und der Art des Erhaltes mit Widersprüchen behaftet. So sei das Vorbringen, der Rechtsanwalt habe die Schreiben von der Mutter des Beschwerdeführers erhalten, nicht glaubwürdig, weil der Beschwerdeführer diese Schreiben "alleine vom Datum her" an drei verschiedenen Tagen habe erhalten müssen. Schon allein die Tatsache, daß alle drei Schreiben die gleichen Falzmerkmale aufwiesen, widerspreche dieser Theorie. Es werde daher angenommen, daß dem Beschwerdeführer diese Schreiben von der Behörde nicht bekannten Personen mitgegeben worden seien, um Beweise für die Richtigkeit seiner Angaben in Händen zu haben. Weiters liege der Ausschlußgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 vor, weil der Beschwerdeführer aus Italien, welches Mitglied der Genfer Flüchtlingskonvention sei, und wo er daher vor Verfolgung sicher gewesen sei, eingereist sei.

In seiner Berufung wandte sich der Beschwerdeführer gegen die von der Behörde erster Instanz für seine Unglaubwürdigkeit herangezogenen Argumente betreffend die Echtheit der von ihm vorgelegten Urkunden und machte geltend, er sei in Italien nicht vor Verfolgung sicher gewesen.

Die belangte Behörde hat den die Angaben des Beschwerdeführers wiedergebenden Teil des erstinstanzlichen Bescheides zum Inhalt des angefochtenen Bescheides erhoben. In der Bescheidbegründung hat sie zunächst ausgeführt, der Beschwerdeführer habe bei seiner niederschriftlichen Einvernahme einerseits behauptet, es sei wegen seiner Aktivitäten für die "Campaign for Democracy" nach ihm gefahndet worden, andererseits habe er angegeben, sich während dieser Fahndungsaktion bei der Polizei gemeldet und dort unter Folter zugegeben zu haben, für die "CD" tätig zu sein. Darin sei ein Widerspruch in sich selbst zu erblicken, weil ohne Wissen der Polizei von der Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur "CD" nach ihm gar nicht gefahndet worden wäre, sodaß seinen Ausführungen über die Inhaftierung und Folterung, die ihn zur Preisgabe seiner Mitgliedschaft getrieben hätten, volle Glaubwürdigkeit nicht zugesprochen werden könne. Diese Argumentation der belangten Behörde erweist sich als nicht schlüssig, hat doch der Beschwerdeführer - wie er dies auch in der Beschwerde geltend macht - im erstinstanzlichen Verfahren behauptet, seine Mitgliedschaft sei den Behörden durch Aussagen eines anderen Mitgliedes der "CD" bekannt geworden. Daß der Beschwerdeführer während seiner Inhaftierung über seine somit nur aus dritten Quellen der Behörde bekannte Mitgliedschaft und über weitere Mitglieder befragt wurde, stellt sich somit nicht als Widerspruch in sich selbst, sondern als durchaus nachvollziehbare Vorgangsweise von Polizeibehörden dar.

Den Angaben des Beschwerdeführers, nach Kano geflohen zu sein und sich dort bei "CD"-Mitgliedern versteckt gehalten zu haben, hat die belangte Behörde entgegengehalten, daß er, wäre tatsächlich nach ihm gefahndet worden, sich eher sofort ins Ausland begeben hätte, anstatt sich bei "CD"-Mitgliedern zu verstecken, wo als erstes nach ihm gesucht worden wäre. Diesen Schlußfolgerungen hat die belangte Behörde - ohne daß sie darüber auf entsprechenden Ermittlungen beruhende Feststellungen getroffen hätte - offenbar zugrunde gelegt, daß den Behörden alle Mitglieder der "CD" bekannt gewesen wären. Gerade im Fall einer gegen eine Militärregierung eingestellten Oppositionsgruppe kann aber nicht von vornherein davon ausgegangen werden, daß staatliche Stellen über alle Mitglieder dieser Gruppe informiert sind. Daher kann die Behauptung des Beschwerdeführers, er habe zunächst bei Mitgliedern seiner Gruppe Unterschlupf gesucht, nicht als unglaubwürdig erkannt werden. Ob und inwieweit dem Beschwerdeführer sofort eine Flucht in das Ausland möglich gewesen wäre, hat die belangte Behörde nicht ermittelt.

Die belangte Behörde hat auch vermeint, dem Vorbringen des Beschwerdeführers sei nicht zu entnehmen, daß ihm im Fall seiner Ergreifung eine gegenüber anderen "CD"-Mitgliedern differenzierte Behandlung gedroht hätte, wobei seinen Angaben auch nicht entnommen werden könne, daß er jemals öffentlich im Namen der "CD" aufgetreten sei und das Militärregime kritisiert habe. Es sei daher unwahrscheinlich, daß der Beschwerdeführer namentlich als Regierungsgegner bekannt gewesen sei und daß die Behörden überhaupt an seiner Person als Mitläufer Interesse gehabt hätten. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppierung allein reiche nicht für eine Anerkennung als Flüchtling aus. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde kann daraus, ob der Beschwerdeführer im Fall seiner Ergreifung anders als oder gleich wie andere "CD"-Mitglieder behandelt würde, für die Frage, ob für ihn die Gefahr asylrelevanter Verfolgung bestand, nichts gewonnen werden, weil es ausschließlich darauf ankommt, ob ihm überhaupt auf Grund seiner Mitgliedschaft Verfolgung drohte. Daß er den Behörden als Mitglied der "CD" namentlich bekannt war, hat der Beschwerdeführer bei seiner niederschriftlichen Vernehmung vorgebracht. Aus seiner unwiderlegt gebliebenen Darstellung über seine Funktion in der "CD" ergibt sich, daß er nicht nur Mitläufer war, sondern im Rahmen des "Jugendflügels" als Mitorganisator einer Aufklärungsaktion betreffend die Demokratie maßgeblich an der Parteiarbeit beteiligt war. Daraus ergibt sich, daß die Unwahrscheinlichkeit der Verfolgung des Beschwerdeführers aus diesen von der belangten Behörde herangezogenen Argumenten nicht abgeleitet werden kann.

Die belangte Behörde hat den angefochtenen Bescheid auch darauf gestützt, daß der Führer der "CD" B. R. K., welchen der Beschwerdeführer auch namentlich angeführt habe, am 12. Jänner 1995 verhaftet und bereits am 20. Jänner 1995 wieder aus der Haft entlassen worden sei. Handelte es sich bei der "CD" tatsächlich um eine regierungsfeindliche Organisation, wäre deren Führer kaum so schnell wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Dem ist der Beschwerdeführer in der Beschwerde damit entgegengetreten, daß er, wäre ihm in dieser Hinsicht Parteiengehör gewährt worden, hätte vorbringen können, daß B. R. K. zu fünfzehn Jahren Haft verurteilt worden sei. Mit diesen Ausführungen unterliegt der Beschwerdeführer nicht dem gemäß § 41 Abs. 1 VwGG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden Neuerungsverbot, weil er im Verwaltungsverfahren zur Inhaftierung des B. R. K. nicht gehört worden ist. Damit kann aber ohne Vorliegen entsprechender Ermittlungsergebnisse nicht davon ausgegangen werden, es handle sich bei der "CD" um eine von den Behörden des Heimatlandes des Beschwerdeführers nicht weiter beachtete Gruppierung, deren Führer nur vorübergehend inhaftiert worden sei und an deren Mitgliedern kein behördliches Interesse bestehe. Des weiteren hat die belangte Behörde, ohne die für ihre Beweiswürdigung maßgeblichen Überlegungen darzutun, die vom Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren beigebrachten, von ihr in ihrer Echtheit nicht bezweifelten Dokumente dahin gewertet, daß ihnen eine gegen den Beschwerdeführer gerichtete Verfolgung nicht entnommen werden könne. Demgegenüber geht aus den vom nigerianischen Rechtsvertreter des Beschwerdeführers unterfertigten Schreiben hervor, daß der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit ihm unterstellter Verschwörung und Aufwiegelung der Jugend gegen die Militärregierung gesucht werde und daß er von unbekannten Informanten dem Gericht angezeigt worden sei. Auch insoweit erweist sich die Beweiswürdigung der belangten Behörde als nicht schlüssig.

Die belangte Behörde hat somit bei Erlassung des angefochtenen Bescheides einerseits die Rechtslage verkannt (Asylrelevanz der Frage der Gleichbehandlung des Beschwerdeführers mit anderen Mitgliedern seiner Gruppierung) und somit den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Andererseits liegt zufolge der aufgezeigten Mängel des dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Ermittlungsverfahrens auch Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vor. Da in einem solchen Fall die Rechtswidrigkeit des Inhaltes vorgeht, war der angefochtenen Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1996011114.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten