TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/27 W217 2178191-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.07.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

27.07.2020

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W217 2178191-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Julia STIEFELMEYER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA: Afghanistan, vertreten durch Dr. Christian SCHMAUS, Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.10.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 07.07.2020 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I.       Verfahrensgang:

1.       Herr XXXX (im Folgenden: BF) reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 19.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005.

Bei der niederschriftlichen Erstbefragung am 20.10.2015 vor Organen der LPD Wien gab er an, aus der Provinz Laghman zu stammen, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und sunnitischer Moslem zu sein. Sein Vater habe für Amerikaner in Helmand gearbeitet. Deshalb habe der BF Probleme mit den Taliban bekommen. Die Taliban hätten zu ihm gesagt, weil sein Vater mit den Amerikanern zusammenarbeite, sei er kein Moslem mehr. Der BF müsse mit den Taliban zusammenarbeiten und werde von ihnen trainiert. Der BF habe zu den Taliban gesagt, er bräuchte etwas Zeit zum Überlegen, da sie ihn, hätte er gleich abgesagt, sofort getötet hätten. Am nächsten Tag seien Leute von der Regierung gekommen und hätten ihn gefragt, was er für die Taliban arbeite, da die Taliban in letzter Zeit mehrmals bei dem BF gewesen seien. Die Regierung habe gedacht, dass die Taliban vom BF Nahrung und Unterstützung bekommen würden. Er sei von den Taliban und den Regierungsleuten geschlagen worden, deshalb habe er das Land verlassen.

2.       Am 13.07.2017 wurde der BF von einem Organwalter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) niederschriftlich einvernommen. Dabei führte er an, er sei gesund und arbeitsfähig. Er sei ledig, sunnitischer Moslem, am XXXX in der Provinz Laghman geboren und Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen. Er habe 12 Jahre die Schule besucht und diese abgeschlossen. Zu seinen Fluchtgründen führte der BF aus, seine Eltern hätten seit längerer Zeit als Ärzte in einer von den Amerikanern unterstützten Klinik gearbeitet. Sein Vater sei für die Übernahme von Hilfsgütern von den Amerikanern und deren Verteilung an Hilfsbedürftige zuständig gewesen, während seine Mutter zunächst als Hebamme tätig gewesen sei. Eines Tages seien Mitglieder der Taliban gekommen und hätten seine Eltern beschuldigt, den Amerikanern den Standort von durch die Taliban platzierten Bomben verraten zu haben. Deshalb hätten seine Eltern nicht mehr in ihren Berufen arbeiten können, da es zu gefährlich gewesen sei und hätten sich in Laghman einen neuen Beruf gesucht. Sein Vater habe weiterhin mit den Amerikanern zusammengearbeitet. Eines Tages, kurz nach dem Ramadan, seien die Taliban gekommen. Der BF habe sich gerade gemeinsam mit seinem Onkel einen Film auf seinem Tablett angesehen. Die Taliban hätten wissen wollen, ob das afghanische Militär da gewesen sei und was dieses gewollt habe. Einer der Taliban habe seine Aufmerksamkeit auf den BF gerichtet und gefragt, ob er nicht der Sohn des Arztes sei. Dies habe der BF bestätigt und weiter ausgeführt, dass sein Vater arbeiten sei. Die Taliban hätten daraufhin den BF der Lüge beschuldigt und angegeben, zu wissen, dass sein Vater in Helmand sei und mit den Amerikanern zusammenarbeiten würde. In weiterer Folge sei die Wohnung durchsucht und das Tablett gefunden worden. Daraufhin sei der BF geschlagen und als Sohn eines Ungläubigen beschimpft worden. Er habe erklären sollen, was alles auf dem Tablett gespeichert sei. Zu seinem Schutz behauptete der BF, dass auf dem Tablett Lieder und Filme gespeichert wären, welche die Taliban verherrlichten. Als der Taleb entdeckt habe, dass der BF Bilder von Frauen der Familie gespeichert habe, habe er ihn erneut als Ungläubigen beschimpft und das Tablett zerstört. Daraufhin hätten die Taliban den BF mitgenommen. Nach zwei Tagen seien die Dorfältesten gekommen, um seine Freilassung zu verhandeln. Sie hätten angegeben, dass der BF nichts mit der Regierung und den Amerikanern zu tun habe. Die Taliban hätten darauf bestanden, dass die Angelegenheit vor einen Richter der Taliban getragen werde. Es sei entschieden worden, dass der Vater des BF nicht mehr mit den Amerikanern oder der Regierung zusammenarbeiten dürfe und außerdem eine Geldstrafe von 50.000 Kaldar zu bezahlen sei. Vier Tage nach der Gefangennahme sei der BF freigelassen worden. Bevor der BF jedoch nach Kabul habe reisen können, seien Leute des afghanischen Militärs vor der Tür gestanden. Diese hätten ein paar Fragen an den BF gehabt, weshalb dieser in die Basis mitkommen habe müssen. Dort sei er eindringlich zu seinem Aufenthalt bei den Taliban und seine Beziehung zu denselben befragt worden. Erneut sei er geschlagen worden. Er sei beschuldigt worden, nach Kabul fliehen zu wollen. Der Onkel des BF habe den BF daraufhin mit Hilfe eines Geleitbriefes frei bekommen. Er sollte bei einem Richter vorstellig werden, um den Fall zu schildern. Der Onkel habe die Befürchtung gehabt, dass die Regierung vermuten würde, dass der BF den Taliban das Geld absichtlich gegeben hätte. Daraufhin sei der BF nach Kabul und weiter nach Österreich geflohen.

In Österreich habe er in der Folge Kontakte zu österreichischen bzw. im westlichen Kulturkreis sozialisierten BürgerInnen geknüpft und sich kritisch mit den eigenen Traditionen und Gesellschaftskonzepten auseinanderzusetzen begonnen. Aufgrund der vom BF kritisierten mannigfaltigen Verletzungen der Menschenrechte, habe er sich etwa bei XXXX als aktives Mitglied zu engagieren begonnen und nehme nach wie vor an Protesten und Veranstaltungen teil.

3.       Mit Bescheid vom 21.10.2017 wies das BFA unter Spruchpunkt I. den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005 idgF (AsylG), ab. Unter Spruchpunkt II. wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG die befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 12.09.2018 erteilt (Spruchpunkt III.).

Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten begründete das BFA im Wesentlichen damit, dass die Schilderung zum großen Teil glaubhaft, aber in einigen speziell die Asylrelevanz betreffend als für nicht wahrscheinlich erachtet werde. So sei es glaubhaft, dass der BF durch die Taliban entführt worden sei und ein Lösegeld für seine Freilassung gezahlt habe werden müssen. Es sei auch nicht auszuschließen, dass er durch das afghanische Militär befragt worden sei und zu einer Gerichtsverhandlung hätte geladen werden sollen. Jedoch rechne die Behörde nicht damit, dass durch dieses Gericht festgestellt würde, dass der BF mit den Taliban zusammenarbeiten würde. Entführungen seitens der Taliban und eine anschließende Lösegeldforderung seien in Afghanistan keine Seltenheit. Dass dem BF daraus eine Zusammenarbeit mit den Taliban angedichtet würde, sei deshalb nicht wahrscheinlich. Vor allem auch deshalb nicht, weil der Vater und auch teilweise die Mutter mit den Amerikanern und der Regierung zusammenarbeiten würden. Es sei vielmehr damit zu rechnen, dass der BF von den gegen ihn vorgebrachten Beschuldigungen freigesprochen würde. Auch sei eine allfällige regional beschränkte Unfähigkeit des afghanischen Staates, vor Übergriffen durch die Taliban zu schützen, nicht Gegenstand der Prüfung der Asylgründe, sondern wäre lediglich im Hinblick auf die Gewährung des subsidiären Schutzes zu prüfen. Im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat drohe dem BF zwar keine verfahrensrelevante Verfolgung, jedoch sei absehbar, dass er aufgrund seiner individuellen Situation im Fall einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder menschenunwürdigen Behandlung gleichzusetzenden Lage ausgesetzt werden könnte.

4.       Gegen Spruchpunkt I. des oben genannten Bescheides richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde. Diese und der bezughabende Verwaltungsakt langten beim Bundesverwaltungsgericht am 29.11.2017 ein.

5.       Mit Schreiben vom 30.06.2020 nahm der BF zu den seitens des Bundesverwaltungsgerichtes zur Kenntnis gebrachten Länderberichten Stellung. Neben den fluchtauslösenden und nach wie vor asylrelevanten Umständen drohe dem BF ebenso asylrelevante Verfolgung aufgrund seiner exilpolitischen Tätigkeit; dies zum einen von Seiten radikal-islamischer Gruppen und zum anderen von Seiten des afghanischen Staates. Der BF setze sich in Österreich aktiv für Menschenrechte und hierbei unter anderem für Frauenrechte in Afghanistan ein. Seine Person sowie seine Involvierung zum Thema Afghanistan im Feld von NGOs sei auch im Internet dokumentiert.

6.       Das Bundesverwaltungsgericht führte am 07.07.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Der BF führte dabei aus, er sei ledig, gesund, arbeitsfähig und gehöre der Volksgruppe der Paschtunen an.

Er sei in Österreich politisch tätig, und zwar als aktives Mitglied bei XXXX ( XXXX ). Bereits in Afghanistan sei er unzufrieden gewesen mit dem dort herrschenden Umgang mit Frauen- und Menschenrechten. Als er nach Österreich gekommen sei und die Sprache gelernt habe, habe er die Chance ergriffen, freiwillige Arbeit zu leisten. Er habe sich über XXXX informiert und von der Gruppe "Netzwerk Frauenrechte" erfahren. Anfang des Jahres 2017 habe er bei XXXX als freiwilliger Mitarbeiter mit der Arbeit begonnen und sei Mitglied geworden. Er habe Artikel über Frauen geschrieben, die von Ungerechtigkeiten betroffen gewesen seien, einer dieser Artikel sei auch unter seinem Namen samt Foto in der Zeitung von XXXX namens "Aktivisten" veröffentlicht worden. Dies werde auch auf der Website und auf Facebook von XXXX veröffentlicht. Auch auf seiner eigenen Facebookseite lautend auf " XXXX " habe er diesen Artikel weiter geteilt. Ebenso teile er es auf seiner Facebookseite, wenn die Vienna-Parade stattfindet. Seine Mutter habe in Afghanistan ihr Studium als Frauenärztin begonnen, doch jeder habe gemeint, sie sei eine Frau, sie könne das nicht, sie dürfe nicht hinausgehen. Das habe ihn gestört. Seine Mutter sei für ihn die größte Inspiration seines Lebens, sie habe alles getan, um den BF und dessen Geschwister zu erziehen. Der BF habe es als sehr negativ empfunden, dass seiner Mutter nur aufgrund ihres Geschlechtes Steine in den Weg gelegt und Verbote gemacht wurden. Frauen seien von Männern und anderen Kulturen abhängig, Männer hingegen seien nicht so abhängig. Es könne nicht sein, dass wegen des Geschlechts eine Person anders behandelt werde als eine Person des anderen Geschlechts. In Österreich habe er aufgrund der hier herrschenden Meinungsfreiheit die Möglichkeit gehabt, sich weiter zu informieren. Auch mit seiner österreichischen „Familie“ rede er viel über diese Themen. Das habe seine Meinung verstärkt und ihn davon überzeugt, dass das Geschlecht nicht etwas Wichtiges sei, wenn es um Rechte gehe. Darum habe er bei XXXX als Mitarbeiter begonnen. Er selbst trete bei Demonstrationen von XXXX oder wenn es ein Interview gebe, wie zum Beispiel beim Donauinselfest, öffentlich auf. Da habe XXXX Stände, wo sie Petitionen sammeln und Leute informieren, wie es mit den Frauenrechten oder Rechten in anderen Ländern aussehe.

Er engagiere sich auch bei „LGBTQ“ (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender and queer or questioning), arbeite jedoch nicht bei dieser Organisation. Er nehme auch an der Love-Parade teil, laufe hinter den Wagen nach mit einer Flagge und teile es auf Facebook. Heuer habe sie leider nur mit einem Autokorso stattgefunden. Wenn ein Bericht komme, dass Ehe für alle erlaubt wurde, dann poste er darunter "endlich". Deshalb erhalte er Hasskommentare, auch von Muslimen, dass das nicht o.k. wäre, dass er vom Teufel abgelenkt werde.

In Afghanistan dürfe man weder über Frauenrechte noch über Homosexualität sprechen, das werde von der Gesellschaft nicht gut angesehen. Dann könne man auch geschlagen bzw. gesteinigt werden. Er könne sich ein weiteres Leben in Afghanistan nicht vorstellen. Er könne sich nicht ändern. Falls er nach Afghanistan zurückkehren müsste, würde er dennoch seine Meinung über Frauenrechte bzw. über Queer-Rechte äußern, so wie er es auch in Österreich gemacht habe, selbst wenn er nicht länger als eine Stunde leben könnte. Er selbst habe auch Freunde, die bi, gay oder lesbisch seien.

Sein Engagement sei auch unter seinen afghanischen Landsleuten bekannt, er äußere seine Meinung, gleich ob sie sie akzeptierten oder nicht. Er habe bereits viele Freunde verloren, er habe nur mehr einen Freund aus Afghanistan.

II.     Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

1.1     Zur Person des BF:

Der BF ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und ist sunnitischer Moslem. Er stammt aus der Provinz Laghman. Er ist gesund, arbeitsfähig, ledig und kinderlos. Die Muttersprache des BF ist Paschtu.

Der BF hat 12 Jahre in Afghanistan die Schule besucht und diese abgeschlossen. Er verfügt über keine Berufsausbildung.

Seine Familie befindet sich noch in Laghman. Der Vater des BF ist Arzt, die Mutter Frauenärztin.

Der BF hat keine Verwandten in Österreich. Der BF macht derzeit in Österreich eine Berufsausbildung als Hotelfachmann. Derzeit ist er im Hotel XXXX tätig, momentan auf Kurzarbeit. Er ist strafgerichtlich unbescholten.

Der BF setzt sich in Österreich aktiv für Menschenrechte und hierbei unter anderem für Frauenrechte in Afghanistan ein. Er ist seit mehr als drei Jahren ehrenamtlicher Aktivist im Netzwerk Frauenrechte von XXXX Österreich.

Die persönliche Haltung und Denkweise des BF entspricht nicht den in der afghanischen Gesellschaft bislang vorherrschenden Denkweisen und gesellschaftlich-religiösen Traditionen. Er lehnt aufgrund seiner weltoffenen Lebenseinstellung und seiner Wahrnehmung der Entwicklung in Afghanistan deutlich erkennbar die in der afghanischen Gesellschaft vorherrschende konservativ-restriktive Wertehaltung insgesamt und insbesondere auch hinsichtlich der Rolle und Stellung von Frauen ab. Die von der konservativ-afghanischen Tradition geprägten Lebensumstände, mit welchen der BF im hypothetischen Fall eines Lebens in Afghanistan konfrontiert wäre, stehen mit jenen, welche er sich aus freiem Willen zu gestalten bzw. bereits gestaltet hat, ganz offensichtlich im unüberwindbaren Gegensatz.

Es liegen keine Gründe vor, nach denen ein Ausschluss des BF hinsichtlich der Asylgewährung zu erfolgen hat. Solche Gründe sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

1.2.    Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

1.2.1   Auszug bzw. Zusammenfassung aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 21.07.2020

„2.     Sicherheitslage

Letzte Änderung: 22.4.2020

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 17.3.2019). Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Nichtsdestotrotz, hat die afghanische Regierung wichtige Transitrouten verloren (USDOD 12.2019).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer "strategischen Pattsituation", die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann (SIGAR 30.1.2020). Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten (BBC 1.4.2020). Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens ist (TD 2.4.2020). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (BBC 1.4.2020).

Für den Berichtszeitraum 8.11.2019-6.2.2020 verzeichnete die UNAMA 4.907 sicherheitsrelevante Vorfälle – ähnlich dem Vorjahreswert. Die Sicherheitslage blieb nach wie vor volatil. Die höchste Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle wurden in der südlichen Region, gefolgt von den nördlichen und östlichen Regionen, registriert, die alle samt 68% der Zwischenfälle ausmachten. Die aktivsten Konfliktregionen waren in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden. Entsprechend saisonaler Trends, gingen die Kämpfe in den Wintermonaten – Ende 2019 und Anfang 2020 – zurück (UNGASC 17.3.2020).

Die Sicherheitslage im Jahr 2019

Die geographische Verteilung aufständischer Aktivitäten innerhalb Afghanistans blieb, im Vergleich der beiden Jahre 2018 und 2019, weitgehend konstant. Im Jahr 2019 fanden auch weiterhin im Süden und Westen Afghanistans weiterhin schwere Kampfhandlungen statt; feindliche Aktivitäten nahmen zu und breiteten sich in größeren Gebieten des Nordens und Ostens aus. Der Resolute Support (RS) Mision (seit 2015 die Unterstützungsmission der NATO in Afghanistan) zufolge, waren für das Jahr 2019 29.083 feindlich-initiierte Angriffe landesweit zu verzeichnen. Im Gegensatz waren es im Jahr 2018 27.417 (SIGAR 30.1.2020). Mit einer hohen Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen – speziell in den südlichen, nördlichen und östlichen Regionen – blieb die Sicherheitslage vorerst volatil, bevor ein Zeitraum der Reduzierung der Gewalt registriert werden konnte. Die UNAMA (Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan) registrierte für das gesamte Jahr 2019 10.392 zivile Opfer, was einem Rückgang von 5% gegenüber 2018 entspricht (UNGASC 17.3.2020).

Seit Ende des Jahres 2019 haben Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente erheblich zugenommen. Im September 2019 fanden die afghanischen Präsidentschaftswahlen statt, in diesem Monat wurde auch die höchste Anzahl feindlicher Angriffe eines einzelnen Monats seit Juni 2012 und die höchste Anzahl effektiver feindlicher Angriffe seit Beginn der Aufzeichnung der RS-Mission im Januar 2010 registriert. Dieses Ausmaß an Gewalt setzte sich auch nach den Präsidentschaftswahlen fort, denn im Oktober 2019 wurde die zweithöchste Anzahl feindlicher Angriffe in einem Monat seit Juli 2013 dokumentiert. Betrachtet man jedoch das Jahr 2019 in dessen Gesamtheit, so waren scheinbar feindliche Angriffe, seit Anfang des Jahres, im Zuge der laufenden Friedensgespräche zurückgegangen. Nichtsdestotrotz führte ein turbulentes letztes Halbjahr zu verstärkten Angriffen feindlicher Elemente von insgesamt 6% und effektiver Angriffe von 4% im Jahr 2019 im Vergleich zu den bereits hohen Werten des Jahres 2018 (SIGAR 30.1.2020).

Zivile Opfer

Für das Jahr 2019 registrierte die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) als Folge des bewaffneten Konflikts 10.392 zivile Opfer (3.403 Tote und 6.989 Verletzte), was einen Rückgang um 5% gegenüber dem Vorjahr, aber auch die niedrigste Anzahl an zivilen Opfern seit dem Jahr 2013 bedeutet. Nachdem die Anzahl der durch ISKP verursachten zivilen Opfer zurückgegangen war, konnte ein Rückgang aller zivilen Opfer registriert werden, wenngleich die Anzahl ziviler Opfer speziell durch Taliban und internationale Streitkräfte zugenommen hatte. Im Laufe des Jahres 2019 war das Gewaltniveau erheblichen Schwankungen unterworfen, was auf Erfolge und Misserfolge im Rahmen der Friedensverhandlungen zwischen Taliban und den US-Amerikanern zurückzuführen war. In der ersten Jahreshälfte 2019 kam es zu intensiven Luftangriffen durch die internationalen Streitkräfte und Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte – insbesondere der Spezialkräfte des afghanischen Geheimdienstes NDS (National Directorate of Security Special Forces) (UNAMA 2.2020).

Aufgrund der Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte, gab es zur Jahresmitte mehr zivile Opfer durch regierungsfreundliche Truppen als durch regierungsfeindliche Truppen. Das dritte Quartal des Jahres 2019 registrierte die höchste Anzahl an zivilen Opfern seit 2009, was hauptsächlich auf verstärkte Anzahl von Angriffen durch Selbstmordattentäter und IEDs (improvisierte Sprengsätze) der regierungsfeindlichen Seite – insbesondere der Taliban – sowie auf Gewalt in Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen zurückzuführen ist. Das vierte Quartal 2019 verzeichnete, im Vergleich zum Jahr 2018, eine geringere Anzahl an zivilen Opfern; wenngleich sich deren Anzahl durch Luftangriffe, Suchoperationen und IEDs seit dem Jahr 2015 auf einem Rekordniveau befand (UNAMA 2.2020).

(UNAMA 2.2020)

Die RS-Mission sammelt ebenfalls Informationen zu zivilen Opfern in Afghanistan, die sich gegenüber der Datensammlung der UNAMA unterscheiden, da die RS-Mission Zugang zu einem breiteren Spektrum an forensischen Daten und Quellen hat. Der RS-Mission zufolge, ist im Jahr 2019 die Anzahl ziviler Opfer in den meisten Provinzen (19 von 34) im Vergleich zum Jahr 2018 gestiegen; auch haben sich die Schwerpunkte verschoben. So verzeichneten die Provinzen Kabul und Nangarhar weiterhin die höchste Anzahl ziviler Opfer. Im letzten Quartal schrieb die RS-Mission 91% ziviler Opfer regierungsfeindlichen Kräften zu (29% wurden den Taliban zugeschrieben, 11% ISKP, 4% dem Haqqani-Netzwerk und 47% unbekannten Aufständischen). 4% wurden regierungsnahen/-freundlichen Kräften zugeschrieben (3% der ANDSF und 1% den Koalitionskräften), während 5% anderen oder unbekannten Kräften zugeschrieben wurden. Diese Prozentsätze entsprechen in etwa den RS-Opferzahlen für Anfang 2019. Als Hauptursache für zivile Opfer waren weiterhin improvisierte Sprengsätze (43%), gefolgt von direkten (25%) und indirekten Beschüssen (5%) verantwortlich – dies war auch schon zu Beginn des Jahres 2019 der Fall (SIGAR 30.1.2020).

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl in den ersten fünf Monaten 2019, als auch im letzten Halbjahr 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 12.2019; vgl. USDOD 6.2019). Das Haqqani-Netzwerk führte von September bis zum Ende des Berichtszeitraums keine HPA in der Hauptstadtregion durch. Die Gesamtzahl der öffentlichkeitswirksamen Angriffe ist sowohl in Kabul als auch im ganzen Land in den letzten anderthalb Jahren stetig zurückgegangen (USDOD 12.2019). Zwischen 1.6.2019 und 31.10.2019 fanden 19 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 17) (USDOD 12.2019), landesweit betrug die Zahl 88 (USDOD 12.2019).

Öffentlichkeitswirksame Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente setzten sich im Berichtszeitraum (8.11.2019-6.2.2020) fort: 8 Selbstmordanschläge wurden verzeichnet; im Berichtszeitraum davor (9.8.-7.11.2019) wurden 31 und im Vergleichszeitraum des Vorjahres 12 Selbstmordanschläge verzeichnet. Der Großteil der Anschläge richtetet sich gegen die ANDSF (afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte) und die internationalen Streitkräfte; dazu zählte ein komplexer Angriff der Taliban auf den Militärflughafen Bagram im Dezember 2019. Im Februar 2020 kam es in Provinz Nangarhar zu einem sogenannten „green-on-blue-attack“: der Angreifer trug die Uniform der afghanischen Nationalarmee und eröffnete das Feuer auf internationale Streitkräfte, dabei wurden zwei US-Soldaten und ein Soldat der afghanischen Nationalarmee getötet. Zu einem weiteren Selbstmordanschlag auf eine Militärakademie kam es ebenso im Februar in der Stadt Kabul; bei diesem Angriff wurden mindestens 6 Personen getötet und mehr als 10 verwundet (UNGASC 17.3.2020). Dieser Großangriff beendete mehrere Monate relativer Ruhe in der afghanischen Hauptstadt (DS 11.2.2020; vgl. UNGASC 17.3.2020).

Die Taliban setzten außerdem improvisierte Sprengkörper in Selbstmordfahrzeugen gegen Einrichtungen der ANDSF in den Provinzen Kandahar, Helmand und Balkh ein (UNGASC 17.3.2020).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Nach Unterzeichnung des Abkommens zwischen den USA und den Taliban war es bereits Anfang März 2020 zu einem ersten großen Angriff des ISKP gekommen (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020). Der ISKP hatte sich an den Verhandlungen nicht beteiligt (BBC 6.3.2020) und bekannte sich zu dem Angriff auf eine Gedenkfeier eines schiitischen Führers; Schätzungen zufolge wurden dabei mindestens 32 Menschen getötet und 60 Personen verletzt (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020).

Am 25.3.2020 kam es zu einem tödlichen Angriff des ISKP auf eine Gebetsstätte der Sikh (Dharamshala) in Kabul. Dabei starben 25 Menschen, 8 weitere wurden verletzt (NYT 26.3.2020; vgl. TN 26.3.2020; BBC 25.3.2020). Regierungsnahe Quellen in Afghanistan machen das Haqqani-Netzwerk für diesen Angriff verantwortlich, sie werten dies als Vergeltung für die Gewalt an Muslimen in Indien (AJ 27.3.2020; vgl. TTI 26.3.2020). Die Taliban distanzierten sich von dem Angriff (NYT 26.3.2020). Am Tag nach dem Angriff auf die Gebetsstätte, detonierte eine magnetische Bombe beim Krematorium der Sikh, als die Trauerfeierlichkeiten für die getöteten Sikh-Mitglieder im Gange waren. Mindestens eine Person wurde dabei verletzt (TTI 26.3.2020; vgl. NYT 26.3.2020).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 12.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 12.2019):

Taliban

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) – Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub – Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar – und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018). Die Taliban sind keine monolithische Organisation (NZZ 20.4.2020); nur allzu oft werden die Taliban als eine homogene Einheit angesehen, während diese aber eine lose Zusammenballung lokaler Stammesführer, unabhängiger Warlords sowie abgekoppelter und abgeschotteter Zellen sind (BR 5.3.2020).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.8.2017; vgl. AAN 3.1.2017; AAN 17.3.2017).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll12 Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).

Haqqani-Netzwerk

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida (CRS 12.2.2019). Benannt nach dessen Begründer, Jalaluddin Haqqani (AAN 1.7.2010; vgl. USDOS 19.9.2018; vgl. CRS 12.2.2019), einem führenden Mitglied des antisowjetischen Jihad (1979-1989) und einer wichtigen Taliban-Figur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist dessen Sohn Serajuddin Haqqani, der seit 2015, als stellvertretender Leiter galt (CTC 1.2018).

Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk, seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt (NYT 20.8.2019) und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht (CRS 12.2.2019).

Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)

Erste Berichte über den Islamischen Staat (IS, auch ISIS, ISIL oder Daesh genannt) in Afghanistan gehen auf den Sommer 2014 zurück (AAN 17.11.2014; vgl. LWJ 5.3.2015). Zu den Kommandanten gehörten zunächst oft unzufriedene afghanische und pakistanische Taliban (AAN 1.8.2017; vgl. LWJ 4.12.2017). Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000 (USDOS 18.9.2018), bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern (UNSC 13.6.2019). Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Auch soll der Islamische Staat vom zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan sowie von aus Syrien geflohenen Kämpfern profitieren (BAMF 3.6.2019; vgl. VOA 21.5.2019).

Der ISKP geriet in dessen Hochburg in Ostafghanistan nachhaltig unter Druck (UNGASC 17.3.2020). Jahrelange konzertierten sich Militäroffensiven der US-amerikanischen und afghanischen Streitkräfte auf diese Hochburgen. Auch die Taliban intensivierten in jüngster Zeit ihre Angriffe gegen den ISKP in diesen Regionen (NYT 2.12.2020; vgl. SIGAR 30.1.2020). So sollen 5.000 Talibankämpfer aus der Provinz Kandahar gekommen sein, um den ISKP in Nangarhar zu bekämpfen (DW 26.2.2020; vgl. MT 27.2.2020). Schlussendlich ist im November 2019 die wichtigste Hochburg des islamischen Staates in Ostafghanistan zusammengebrochen (NYT 2.12.2020; vgl. SIGAR 30.1.2020). Über 1.400 Kämpfer und Anhänger des ISKP, darunter auch Frauen und Kinder, kapitulierten. Zwar wurde der ISKP im November 2019 weitgehend aus der Provinz Nangarhar vertrieben, jedoch soll er weiterhin in den westlichen Gebieten der Provinz Kunar präsent sein (UNGASC 17.3.2020). Die landesweite Mannstärke des ISKP wurde seit Anfang 2019 von 3.000 Kämpfern auf 300 Kämpfer reduziert (NYT 2.12.2020).

49 Angriffe werden dem ISKP im Zeitraum 8.11.2019-6.2.2020 zugeschrieben, im Vergleichszeitraum des Vorjahres wurden 194 Vorfälle registriert. Im Berichtszeitraum davor wurden 68 Angriffe registriert (UNGASC 17.3.2020).

Die Macht des ISKP in Afghanistan ist kleiner, als jene der Taliban; auch hat er viel Territorium verloren. Der ISKP war bzw. ist nicht Teil der Friedensverhandlungen mit den USA und ist weiterhin in der Lage, tödliche Angriffe durchzuführen (BBC 25.3.2020). Aufgrund des Territoriumsverlustes ist die Rekrutierung und Planung des ISKP stark eingeschränkt (NYT 2.12.2020).

Der ISKP verurteilt die Taliban als "Abtrünnige", die nur ethnische und/oder nationale Interessen verfolgen (CRS 12.2.2019). Die Taliban und der Islamische Staat sind verfeindet. In Afghanistan kämpfen die Taliban seit Jahren gegen den IS, dessen Ideologien und Taktiken weitaus extremer sind als jene der Taliban (WP 19.8.2019; vgl. AP 19.8.2019). Während die Taliban ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte beschränken (AP 19.8.2019), zielt der ISKP darauf ab, konfessionelle Gewalt in Afghanistan zu fördern, indem sich Angriffe gegen Schiiten richten (WP 19.8.2019).

Al-Qaida und ihr verbundene Gruppierungen

Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Beide Gruppierungen haben immer wieder öffentlich die Bedeutung ihres Bündnisses betont (UNSC 15.1.2019). Unter der Schirmherrschaft der Taliban ist al-Qaida in den letzten Jahren stärker geworden; dabei wird die Zahl der Mitglieder auf 240 geschätzt, wobei sich die meisten in den Provinzen Badakhshan, Kunar und Zabul befinden. Mentoren und al-Qaida-Kadettenführer sind oftmals in den Provinzen Helmand und Kandahar aktiv (UNSC 13.6.2019).

Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen. Des Weiteren fungieren al-Qaida-Mitglieder als Ausbilder und Religionslehrer der Taliban und ihrer Familienmitglieder (UNSC 13.6.2019).

Im Rahmen der Friedensgespräche mit US-Vertretern haben die Taliban angeblich im Jänner 2019 zugestimmt, internationale Terrorgruppen wie Al-Qaida aus Afghanistan zu verbannen (TEL 24.1.2019).

[…]

2.20.   Laghman

Letzte Änderung: 22.4.2020

Laghman liegt im Osten Afghanistans und grenzt im Norden an die Provinzen Panjshir und Nuristan, im Osten an Kunar, im Süden an Nangarhar und im Westen an Kabul und Kapisa (NPS o.D.la). Die Provinzhauptstadt von Laghman ist Mehtarlam (UNOCHA 4.2014la; vgl. NPS o.D.la, OPr 1.2.2017la). Die Provinz ist in folgende Distrikte unterteilt: Alingar, Alishing, Dawlat Shah, Mehtarlam, Qarghayi, und Bad Pash (auch Bad Pakh) (CSO 2019; vgl. IEC 2018la, UNOCHA 4.2014la, NPS o.D.la, OPr 1.2.2017la). Bad Pash ist ein temporärer Distrikt (CSO 2019), der im Jahr 2011 aus dem Distrikt Mehtarlam herausgelöst wurde (AAN 10.5.2011).

Die afghanische zentrale Statistikorganisation (CSO) schätzte die Bevölkerung von Laghman für den Zeitraum 2019-20 auf 484.952 Personen (CSO 2019). Die Provinz wird hauptsächlich von Paschtunen bewohnt, gefolgt von tadschikischen und paschaiischen Stämmen (PAJ o.D.la; vgl. NPS o.D.la). Die Provinz ist größtenteils gebirgig, eine Tatsache, die den Aufständischen in der Vergangenheit entgegenkam, um in entlegene Gebirgsketten zu fliehen (SAS 15.11.2014).

Der Abschnitt Kabul-Jalalabad der asiatischen Autobahn AH-1 führt durch den Distrikt Qarghayi, (MoPW 16.10.2015; vgl. UNOCHA 4.2014la), wo eine Nebenstraße abzweigt, die über die Provinzhauptstadt Mehtarlam nach Nurgeram in Nuristan führt (UNOCHA 4.2014la).

Laut dem UNODC Opium Survey 2018 blieb der Schlafmohnanbau in Laghman 2018 mit einer Anbaufläche von (2.092 Hektar ähnlich wie im Jahr 2017 (2.257 Hektar), wobei es geringfügige Veränderungen auf Distriktebene gab (UNODC/MCN 11.2018).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Sowohl im Oktober 2018 als auch Jänner 2019 wurde die Provinz Laghman als eine der relativ ruhigen Provinzen Afghanistans beschrieben; in einigen ihrer abgelegenen Distrikte wurde ein Anstieg der Aktivitäten von Taliban- und ISKP-Militanten verzeichnet (KP 22.1.2019; vgl. KP 1.10.2018). Im Distrikt Alingar, der in der Vergangenheit hauptsächlich unter dem Einfluss der Taliban stand, eine zunehmende Präsenz von IS-Kämpfern zu verzeichnen (ST 27.2.2018; vgl. NAT 15.7.2018); auch bekämpfen sich Taliban und IS in der Provinz gegenseitig (RIA 24.7.2018). Laghman gilt, gemeinsam mit anderen Provinzen, als eine der Hochburgen des ISKP (AJ 10.6.2019; vgl. UNSC 1.2.2019). Die Stärke des ISKP in ganz Afghanistan wird auf 2.500 – 4.000 Personen geschätzt (UNSC 1.2.2019).

In Bezug auf die Anwesenheit von staatlichen Sicherheitskräften liegt die Provinz Laghman unter der Verantwortung des 201. ANA Corps, das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - East (TAAC-E) untersteht, angeführt von US-amerikanischen und polnischen Streitkräften (USDOD 6.2019; vgl. KP 22.1.2019).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Der folgenden Tabelle kann die Zahl sicherheitsrelevanter Vorfälle bzw. Todesopfer für die Provinz Laghman gemäß ACLED und Globalincidentmap (GIM) für das Jahr 2019 und das erste Quartal 2020 entnommen werden (Quellenbeschreibung s. Disclaimer, hervorgehoben: Distrikt der Provinzhauptstadt):

 

2019

2020 (bis 31.3.2020)

 

GIM

Vorfälle

ACLED

Vorfälle (>= 1 Tote)

GIM

Vorfälle

ACLED

Vorfälle (>= 1 Tote)

Alingar

11

20

3

5

Alishing

26

40

4

11

Bad Pash*

k.A.

k.A.

k.A.

k.A.

Dawlat Shah

 

2

 

1

Mehtarlam

61

11

11

3

Qarghayi

9

10

 

1

Insg.

107

83

18

21

*temporärer Distrikt; sicherheitsrelevante Vorfälle in diesem Distrikt werden dem Distrikt Mehtarlam zugerechnet. (ACLED 9.4.2020; ACLED 3.4.2020; GIM o.D.)

Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 282 zivile Opfer (80 Tote und 202 Verletzte) in der Provinz Laghman. Dies entspricht einer Steigerung von 4% gegenüber 2018. Die Hauptursachen für Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und Selbstmordangriffen (UNAMA 2.2020).

Sowohl im Oktober 2018 als auch Jänner 2019 wurde die Provinz Laghman als eine der relativ ruhigen Provinzen Afghanistans beschrieben; in einigen ihrer abgelegenen Distrikte wurde ein Anstieg an Aufständischenaktivitäten verzeichnet (KP 22.1.2019; vgl. KP 1.10.2018). In der Provinz werden regelmäßig Sicherheitsoperationen durch afghanische Sicherheitskräfte, insbesondere im Distrikt Alishing, durchgeführt. In manchen Fällen kommt es unter anderem zu Verlusten unter den Aufständischen (z.B. BN 27.7.2019; KP 4.6.2019; ST 23.1.2019; PAJ 26.11.2018; PAJ 3.11.2018; KP 1.10.2018; KP 27.9.2018; ST 27.2.2019). Angriffe durch Aufständische auf die afghanischen Sicherheitskräfte finden statt (KP 22.1.2019; vgl. KP 23.12.2018).

Bewaffnete Zusammenstöße zwischen die Taliban und Regierungskräfte finden statt (AN 26.6.2019); aber auch Kämpfe zwischen Taliban-Aufständischen und ISKP-Kämpfern (z.B. ST 27.2.2019; KP 14.2.2019; HP 20.10.2018; TEL 7.8.2018; NAT 15.7.2018; 1TV 23.6.2018; KP 14.2.2018).

[…]

3.       Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 22.4.2020

Gemäß Artikel 116 der Verfassung ist die Justiz ein unabhängiges Organ der Islamischen Republik Afghanistan. Die Judikative besteht aus dem Obersten Gerichtshof (Stera Mahkama, Anm.), den Berufungsgerichten und den Hauptgerichten, deren Gewalten gesetzlich geregelt sind (Casolino 2011). In islamischen Rechtsfragen lässt sich der Präsident von hochrangigen Rechtsgelehrten des Ulema-Rates (Afghan Ulama Council – AUC) beraten (USDOS 29.5.2018). Dieser Ulema-Rat ist eine von der Regierung unabhängige Körperschaft, die aus rund 2.500 sunnitischen und schiitischen Rechtsgelehrten besteht (REU 24.11.2018; vgl. USDOS 29.5.2018).

Das afghanische Justizwesen beruht sowohl auf dem islamischen [Anm.: Scharia] als auch auf dem nationalen Recht; letzteres wurzelt in den deutschen und ägyptischen Systemen (APE 3.2017). Die rechtliche Praxis in Afghanistan ist komplex: Einerseits sieht die Verfassung das Gesetzlichkeitsprinzip und die Wahrung der völkerrechtlichen Abkommen – einschließlich Menschenrechtsverträge – vor, andererseits formuliert sie einen unwiderruflichen Scharia-Vorbehalt.

Ein Beispiel dieser Komplexität ist das neue Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist (APE 3.2017; vgl. UNAMA 22.2.2018). Die Organe der afghanischen Rechtsprechung sind durch die Verfassung dazu ermächtigt, sowohl das formelle, als auch das islamische Recht anzuwenden (APE 3.2017).

Obwohl das islamische Gesetz in Afghanistan üblicherweise akzeptiert wird, stehen traditionelle Praktiken nicht immer mit diesem in Einklang; oft werden die Bestimmungen des islamischen Rechts zugunsten des Gewohnheitsrechts missachtet, welches den Konsens innerhalb der Gemeinschaft aufrechterhalten soll. Unter den religiösen Führern in Afghanistan bestehen weiterhin tief greifende Auffassungsunterschiede darüber, wie das islamische Recht tatsächlich zu einer Reihe von rechtlichen Angelegenheiten steht (USIP 3.2015).

Gemäß dem allgemeinen Scharia-Vorbehalt in der Verfassung darf kein Gesetz im Widerspruch zum Islam stehen. Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben, sodass nicht festgelegt ist, welches Gesetz in Fällen des Konflikts zwischen traditionellem, islamischem Recht und seinen verschiedenen Ausprägungen einerseits und der Verfassung und dem internationalen Recht andererseits, zur Anwendung kommt. Diese Unklarheit und das Fehlen einer Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen nicht nur zur willkürlichen Anwendung eines Rechts, sondern auch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen und stehen Fortschritten im Menschenrechtsbereich entgegen (AA 2.9.2019). Wenn keine klar definierte Rechtssetzung angewendet werden kann, setzen Richter und lokale Schuras das Gewohnheitsrecht durch. Was oft zu einer Diskriminierung von Frauen führte. Es gibt einen Mangel an qualifiziertem Justizpersonal und manche lokale und Provinzbehörden, darunter auch Richter, haben nur geringe Ausbildung und fundieren ihre Urteile auf ihrer persönlichen Interpretation der Scharia, ohne das staatliche Recht, Stammesrecht oder örtliche Gepflogenheiten zu respektieren. Diese Praktiken führen oft zu Entscheidungen, die Frauen diskriminieren (USDOS 11.3.2020). Trotz erheblicher Fortschritte in der formellen Justiz Afghanistans, bemüht sich das Land auch weiterhin für die Bereitstellung zugänglicher und gesamtheitlicher Leistungen; weit verbreitete Korruption sowie Versäumnisse vor allem in den ländlichen Gebieten gehören zu den größten Herausforderungen (CR 11.2018). Auch ist das Justizsystem weitgehend ineffektiv und wird durch Drohungen, Befangenheit, politische Einflussnahme und weit verbreitete Korruption beeinflusst (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 2.9.2019, FH 4.2.2019). Das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren ist in der Verfassung verankert, wird aber in der Praxis selten durchgesetzt (USDOS 11.3.2020). Rechtsstaatliche (Verfahrens-)Prinzipien werden nicht konsequent (AA 2.9.2019).

Dem Gesetz nach gilt für alle Bürgerinnen und Bürger die Unschuldsvermutung und Angeklagte haben das Recht, beim Prozess anwesend zu sein und Rechtsmittel einzulegen; jedoch werden diese Rechte nicht immer respektiert. Obwohl die Verfassung das Recht auf öffentliche Prozesse vorsieht, finden nur in einigen Provinzen solche öffentlichen Prozesse statt. Auch verlangt das Gesetz von Richter/innen eine Vorankündigung von fünf Tagen vor einer Verhandlung. Nicht alle Richter/innen folgen diesen Vorgaben und viele Bürger beschwerten sich über Gerichtsverfahren, die sich oft über Jahre hinziehen. Beschuldigte werden von der Staatsanwaltschaft selten rechtzeitig über die gegen sie erhobenen Anklagen genau informiert. Die Beschuldigten sind dazu berechtigt – sofern es die Ressourcen erlauben – sich auf öffentliche Kosten von einem Pflichtverteidiger vertreten und beraten zu lassen; jedoch wird dieses Recht aufgrund eines Mangels an Strafverteidigern uneinheitlich umgesetzt. Dem Justizsystem fehlen die Kapazitäten, um die große Zahl an neuen oder veränderten Gesetzen zu absorbieren. Der Zugang zu Gesetzestexten wurde verbessert, jedoch werden durch die schlechte Zugänglichkeit immer noch einige Richter und Staatsanwälte in ihrer Arbeit behindert (USDOS 11.3.2019).

Richterinnen und Richter:

Das Justizsystem leidet unter einem Mangel an Richtern - insbesondere in unsicheren Gebieten; weswegen viele Fälle durch informelle, traditionelle Mediation entschieden werden (USDOS 11.3.2020). Die Unsicherheit im ländlichen Raum behindert eine Justizreform, jedoch ist die Unfähigkeit des Staates, eine effektive und transparente Gerichtsbarkeit herzustellen, ein wichtiger Grund für die Unsicherheit im Land (CR 11.8.2018).

Die Rechtsprechung durch unzureichend ausgebildete Richter (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 13.3.2019) basiert in vielen Regionen auf einer Mischung aus verschiedenen Gesetzen (FH 4.2.2019). Ein Mangel an Richterinnen – insbesondere außerhalb von Kabul – schränkt den Zugang von Frauen zum Justizsystem ein, da kulturelle Normen es Frauen verbieten, mit männlichen Beamten zu tun zu haben (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 2.9.2019). Nichtsdestotrotz, sind in Afghanistan 257 Richterinnen tätig (13% - insgesamt 2.029 Richterinnen und Richter) (USODS 13.3.2020). Der Großteil von ihnen arbeitet in Kabul; aber auch in anderen Provinzen wie in Herat, Balkh, Takhar und Baghlan (FMF 18.4.2019).

Sowohl Angeklagte, als auch deren Rechtsanwälte haben das Recht, vor den Verhandlungen Beweise und Dokumente im Zusammenhang mit den Verfahren zu prüfen. Nichtsdestotrotz sind Gerichtsdokumente trotz des Ersuchens der Verteidiger vor der Verhandlung oft nicht zur Prüfung verfügbar (USDOS 11.3.2020). Richter und Anwälte erhalten oft Drohungen oder Bestechungen von örtlichen Machthabern oder bewaffneten Gruppen (FH 4.2.2019). Die Richterschaft zeigt sich respektvoller und toleranter gegenüber Strafverteidigern, jedoch kommt es immer wieder zu Übergriffen auf und Bedrohung von Strafverteidigern durch die Staatsanwaltschaft oder andere Dienststellen der Exekutive (USDOS 11.3.2020). Anklage und Verhandlungen weisen eine Reihe von Schwächen auf: dazu zählen das Fehlen einer angemessenen Vertretung, übermäßige Abhängigkeit von unverifizierten Zeugenaussagen, einem Mangel an zuverlässigen forensischen Beweisen, willkürlichen Entscheidungen sowie Gerichtsentscheidungen, die nicht veröffentlicht werden (FH 4.2.2019).

Einflussnahme durch Verfahrensbeteiligte oder Unbeteiligte sowie Zahlung von Bestechungsgeldern verhindern Entscheidungen nach rechtsstaatlichen Grundsätzen in weiten Teilen des Justizsystems (AA 2.9.2019). Es gibt eine tief verwurzelte Kultur der Straflosigkeit in der politischen und militärischen Elite des Landes (FH 4.2.2019; vgl. AA 2.9.2019). Im Juni 2016 wurde auf Grundlage eines Präsidialdekrets das „Anti-Corruption Justice Center“ (ACJC) eingerichtet, um gegen korrupte Minister, Richter und Gouverneure vorzugehen (AJO 10.10.2017). Der afghanische Generalprokurator Farid Hamidi engagiert sich landesweit für den Aufbau des gesellschaftlichen Vertrauens in das öffentliche Justizwesen (ATL 9.3.2017; vgl. TN 22.4.2019). Das ACJC, zu dessen Aufgaben auch die Verantwortung für große Korruptionsfälle gehört, verhängte Strafen gegen mindestens 67 hochrangige Beamte, davon 16 Generäle der Armee oder Polizei sowie sieben Stellvertreter unterschiedlicher Organisationen, aufgrund der Beteiligung an korrupten Praktiken (TN 22.4.2019). Alleine von 1.12.2018-1.3.2019 wurden mehr als 30 hochrangige Personen der Korruption beschuldigt und bei einer Verurteilungsrate von 94% strafverfolgt. Unter diesen Verurteilten befanden sich vier Oberste, ein stellvertretender Finanzminister, ein Bürgermeister, mehrere Polizeichefs und ein Mitglied des Provinzialrates (USDOD 6.2019).

4.       Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung: 22.4.2020

Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF – Afghan National Defense and Security Forces) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte (CIA 13.5.2019).

Drei Ministerien verantworten die Sicherheit in Afghanistan: Das afghanische Innenministerium (Afghanistan’s Ministry of Interior - MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense - MoD) und der afghanische Geheimdienst (NDS). Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police). Die ANA untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit zuständig, ihre primäre Aufgabe ist jedoch die Bekämpfung der Aufständischen innerhalb Afghanistans. Das National Directorate of Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist auch für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen. Die Ermittlungsabteilung des NDS betreibt ein Untersuchungsgefängnis in Kabul (USDOS 11.3.2020). Die afghanischen Sicherheitskräfte werden teilweise von US-amerikanische bzw. Koalitionskräfte unterstützt (USDOD 12.2018).

Die autorisierte Truppenstärke der ANDSF wird mit 382.000 beziffert. Die autorisierte Stärke des MoD beträgt 227.103 Mann, während die autorisierte Stärke des MoI 154.626 beträgt. Die ALP zählt mit einer Stärke von 30.000 Leuten als eigenständige Einheit (USDOD 12.2019). Die zugewiesene (tatsächliche) Truppenstärke der ANDSF soll jedoch nur 272,807 betragen. Die Truppenstärke ist somit seit dem Beginn der RS-Mission im Jänner 2015 stetig gesunken. Der Rückgang an Personal wird allerdings auf die Einführung eines neuen Systems zur Gehaltsauszahlung zurückgeführt, welches die Zahlung von Gehältern an nichtexistierende Soldaten verhindern soll (SIGAR 30.1.2010; vgl. SIGAR 30.7.2019; NYT 12.8.2019). Gewisse Daten wie z.B. die Truppenstärke einzelner Einheiten werden teilweise nicht mehr publiziert (USDOD 30.1.2020).

Die Anzahl der in der ANDSF dienenden Frauen hat sich erhöht (USDOD 12.2019). Nichtsdestotrotz bestehen nach wie vor strukturelle und kulturelle Herausforderungen, um Frauen in die ANDSF und die afghanische Gesellschaft zu integrieren (USDOD 6.2019). Die derzeitige Anzahl an Frauen, die in der ANA und der ANP dienen, beträgt etwa 4.484 sowie 432 Frauen, die in zivilen Bereichen tätig sind (USDOD 12.2019).

Afghanische Nationalarmee (ANA)

Die ANA ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen (USDOS 11.3.2020). Das Verteidigungsministerium hat die Stärke der ANA mit 227.103 autorisiert (USDOD 12.2019). Soldaten, die zu Vertragsende ihren Dienst verlassen, sind etwa für ein Viertel der monatlichen Ausfallsquoten verantwortlich; während Verluste durch Gefechte nur einen kleinen Prozentsatz der monatlichen Ausfallsquoten ausmachen. Auch glich bei der ANA die Rate der Rekrutierungen die Ausfallsrate aus (USDOD 12.2019).

Afghan National Police (ANP) und Afghan Local Police (ALP)

Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Auch ist sie verantwortlich für die Sicherheit Einzelner und der Gemeinschaft sowie auch dem Schutz gesetzlicher Rechte und Freiheiten. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA, jedoch ist es nach wie vor das Langzeitziel der ANP, sich in einen traditionellen Polizeiapparat zu verwandeln (USDOD 12.2019).

Dem Innenministerium (MoI) unterstehen die vier Teileinheiten der ANP: Afghanische Uniformierte Polizei (AUP), Polizei für Öffentliche Sicherheit (PSP, beinhaltet Teile der ehemaligen Afghanischen Polizei für Nationale Zivile Ordnung, ANCOP), Afghan Border Police (ABP), Kriminalpolizei (AACP), Afghan Local Police (ALP), und Afghan Public Protection Force (APPF). Das Innenministerium beaufsichtigt darüber hinaus drei Spezialeinheiten des Polizeigeneralkommandanten (GCPSU), sowie die Polizei zur Drogenbekämpfung (CNPA) (USDOD 12.2019). Der autorisierte Personalstand der ANP beträgt 124,626 (USDOD 12.2019).

Die ALP wird ausschließlich durch die USA finanziert (USDOD 12.2019). Die ANP rekrutiert lokal vor Ort in einer der 34 Rekrutierungsstationen in den Provinzen. Die neuen Rekruten werden zur Polizeiausbildung in eines der zehn regionalen Ausbildungszentren entsandt. Die Polizeiausbildung besteht im Allgemeinen aus einem 8- bis 12-wöchigen Ausbildungskurs. Neben der elementaren Polizeiausbildung mangelt es der ANP an einem institutionalisierten Programm zur Entwicklung von Führungskräften – sowohl auf Distrikt-, als auch auf lokaler Ebene (USDOD 12.2019). Die ALP untersteht dem Innenministerium, der Personalstand wird jedoch nicht den ANDSF zugerechnet (SIGAR 30.4.2019). Die Stärke der ALP, deren Mitglieder auch als „Guardians“ bezeichnet werden, auf rund 30.000 Mann stark geschätzt (USDOD 12.2019). Derzeit dienen etwa 3.077 Frauen (jene, die registriert sind und Anspruch auf ein Grundgehalt haben) in der ANP, wobei 8.898 Stellen für Frauen zur Verfügung stehen. Eine Rekrutierungskampagne, die sich auf den Zuwachs weiblicher Rekruten konzentrierte, führte zu positiven Ergebnissen. Zwischen Juni und September 2019 traten zusätzlich 138 Frauen ihren Dienst bei der ANP an (USDOD 12.2019).

Resolute Support Mission

Die „Resolute Support Mission“ ist eine von der NATO geführte Mission, die mit 1.1.2015 ins Leben gerufen wurde. Hauptsächlich konzentriert sie sich auf

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten