TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/28 W246 2186873-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.07.2020
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Entscheidungsdatum

28.07.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W246 2186873-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Heinz VERDINO als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX (auch XXXX ), geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.01.2018, Zl. 1101383509-160037375, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der – zum damaligen Zeitpunkt noch minderjährige – Beschwerdeführer reiste illegal nach Österreich ein und stellte am 08.01.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am 09.01.2016 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt.

3. Am 13.04.2017 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des – zu diesem Zeitpunkt nach wie vor minderjährigen – Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl.

Dabei gab der Beschwerdeführer an, dass sein Vater aufgrund von Todesdrohungen gegen seine Familie seine Arbeit als Bauingenieur in Afghanistan aufgegeben habe. Danach habe er ca. sechs Monate lang Kinder in einer Moschee unterrichtet, bis er verschwunden und in der Folge von unbekannten Personen umgebracht worden sei. 40 Tage später seien die Taliban aufgetaucht und hätten den Beschwerdeführer und seine beiden Cousins zu einem Haus der Taliban mitgenommen. Dort hätten der Beschwerdeführer und seine beiden Cousins in den folgenden zwei Wochen an drei Tagen in der Woche eine „Ausbildung“ von den Taliban erhalten. Dabei sei ihnen u.a. auch mitgeteilt worden, dass sie gegen die afghanische Regierung kämpfen müssten. Der Beschwerdeführer und seine beiden Cousins erhielten Ende der zweiten Woche ihrer „Ausbildung“ auch ein Waffentraining von den Taliban. Aus diesen Gründen hätten die Familien des Beschwerdeführers und seiner beiden Cousins Angst bekommen, weshalb der Beschwerdeführer und seine beiden Cousins schließlich Afghanistan verlassen hätten und nach Europa gereist seien.

Der Beschwerdeführer legte in seiner Einvernahme mehrere Unterlagen zu seiner Integration in Österreich vor.

4. Mit Schreiben vom 02.05.2017 nahm die damalige Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers unter Hinweis auf diverse Länderberichte und Judikatur zu der dem Beschwerdeführer in Afghanistan drohenden Zwangsrekrutierung durch die Taliban und der prekären Sicherheitslage in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers sowie dem Fehlen einer innerstaatlichen Fluchtalternative für den Beschwerdeführer in Afghanistan Stellung.

5. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz mit dem im Spruch genannten Bescheid bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 145/2017, ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm gemäß § 8 Abs. 1 leg.cit. den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 leg.cit. eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III.).

6. Der Beschwerdeführer erhob gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides fristgerecht Beschwerde.

7. Mit mündlich verkündetem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 23.11.2018, schriftlich ausgefertigt am 07.02.2019, Zl. W245 2186868-1/10E, wurde die Beschwerde eines Cousins des Beschwerdeführers ( XXXX ) gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.01.2018, Zl. 1101383705-160037397, mit dem sein Antrag auf internationalen Schutz lediglich hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten abgewiesen worden war, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 3 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 56/2018, als unbegründet abgewiesen.

8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 10.07.2020 u.a. im Beisein des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der er ausführlich zu seinen Fluchtgründen und seinen persönlichen Umständen im Herkunftsstaat befragt wurde. Dabei führte der Beschwerdeführer ergänzend zu seinem bisherigen Vorbringen an, dass mittlerweile einer seiner beiden Onkel (der Vater seines Cousins XXXX ) getötet worden sei und dass seine Kernfamilie zwischenzeitig im Iran sowie in der Provinz XXXX gelebt hätte, wobei er aktuell keinen Kontakt mehr zu ihr habe.

9. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14.07.2020, Zl. W217 2189632-1/15E, wurde das Beschwerdeverfahren eines weiteren Cousins des Beschwerdeführers ( XXXX ) eingestellt, weil dieser sich dem Verfahren entzogen hat.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und zu seinen persönlichen Umständen im Herkunftsstaat:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX (auch XXXX ) und ist am XXXX geboren. Er ist Staatsangehöriger von Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und sunnitischer Muslim.

Der Beschwerdeführer ist in einem Dorf in der Provinz Nangarhar in Afghanistan geboren und aufgewachsen, wo er acht Jahre lang eine Art Schulunterricht erhielt. Er übte in Afghanistan keine berufliche Tätigkeit aus. Der Beschwerdeführer verließ Afghanistan im Jahr 2015 und reiste nach Österreich, wo er am 08.01.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Die Kernfamilie des Beschwerdeführers besteht aus seiner Mutter, seinen drei Brüdern und seinen vier Schwestern. Es kann nicht feststellt werden, wo diese Familienangehörigen aktuell aufhältig sind. Der Beschwerdeführer steht mit diesen Familienangehörigen aktuell nicht in Kontakt.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht die Gefahr, aufgrund einer Flucht vor den Taliban und seiner Ausreise aus Afghanistan von den Taliban getötet zu werden.

Weiters ist weder der Beschwerdeführer aufgrund der Tatsache, dass er sich mehrere Jahre in Europa aufgehalten und hier eine „westliche Wertehaltung“ erfahren hat, noch ist jeder afghanische Staatsangehörige, der aus Europa nach Afghanistan zurückkehrt, in Afghanistan allein aus diesem Grund zwangsläufig physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

1.3.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019 mit Aktualisierungen bis 29.06.2020 (bereinigt um grammatikalische und orthographische Fehler):

Nangarhar

Nangarhar liegt im Osten Afghanistans, an der afghanisch-pakistanischen Grenze. Die Provinz grenzt im Norden an Laghman und Kunar, im Osten und Süden an Pakistan (Tribal Distrikts Kurram, Khyber und Mohmand der Provinz Khyber Pakhtunkhwa) und im Westen an Logar und Kabul (NPS o.D.na; vgl. UNOCHA 16.4.2010, UNOCHA 4.2018na). Die Provinzhauptstadt von Nangarhar ist Jalalabad (NPS o.D.na; vgl. OPr 1.2.2017na). Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Achin, Bati Kot, Behsud, Chaparhar, Dara-e-Nur, Deh Bala (auch Haska Mena (AB19.9.2016; VOA 28.6.2019)), Dur Baba, Goshta, Hesarak, Jalalabad, Kama, Khugyani, Kot, Kuzkunar, Lalpoor, Muhmand Dara, Nazyan, Pachiragam, Rodat, Sher Zad, Shinwar und Surkh Rud (CSO 2019; vgl. IEC 2018na, UNOCHA 4.2014na, NPS o.D.na) sowie dem temporären Distrikt Spin Ghar (CSO 2019; vgl. IEC 2018na).

Die afghanische zentrale Statistikorganisation (CSO) schätzte die Bevölkerung von Nangarhar für den Zeitraum 2019-20 auf 1.668.481 Personen – davon 263.312 Einwohner in der Hauptstadt Jalalabad (CSO 2019). Die Bevölkerung besteht hauptsächlich aus Paschtunen, gefolgt von Pashai, Arabern und Tadschiken (NPS o.D.na). Mitglieder der Sikh- und Hindu-Gemeinschaft lebten in der Provinz Nangarhar, insbesondere in und um Jalalabad (AAN 23.9.2013). Viele von ihnen haben Afghanistan aus unterschiedlichen Gründen wie z.B. Unsicherheit verlassen. Mit Stand September 2018 lebten noch 60 Familien in der Gemeinde in Nangarhar (SW 23.9.2018).

Die asiatische Autobahn AH-1 führt durch die Distrikte Surkhrod, Jalalabad, Behsud, Rodat, Batikot, Shinwar, Muhmand Dara zum afghanisch-pakistanischen Grenzübergang Torkham (MoPW 16.10.2015; vgl. UNOCHA 4.2014na). Die Provinz, die an die ehemaligen Stammesgebiete unter Bundesverwaltung (FATA) Pakistans grenzt, dient als inoffizieller Korridor für in- und ausländische Aufständische (AAN 27.9.2016; vgl. VOA 28.6.2019; PF 15.5.2019; NA 25.1.2018).

Laut dem UNODC Opium Survey 2018 war Nangarhar in der östlichen Region die führende Provinz beim Schlafmohnanbau, obwohl die Anbaufläche 2018 im Vergleich zu 2017 um 9% gesunken ist. Der Rückgang betraf die Distrikte Khogyani, Chaparhar und Lalpoor, während in Kot, Shinwar und Achin ein Anstieg verzeichnet wurde. Die meisten staatlich durchgeführten Mohnvernichtungsaktionen fanden in der Provinz Nangarhar statt (UNODC/MCN 11.2018).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

In Nangarhar, die als strategische Provinz gilt (RY 27.4.2019), war seit 2011 eine Verschlechterung der politischen und sicherheitspolitischen Situation zu beobachten (AAN 27.9.2016; vgl. TBIJ 30.7.2018, NA 25.1.2018). Korruption, lokale Machtkämpfe und das Versagen, effektive Dienstleistungen zu erbringen, untergruben das Vertrauen der Bevölkerung in die afghanische Regierung, die die Bevölkerung ungeschützt gegen Aufständische zurückließ, aber auch der Rückzug der internationalen Streitkräfte in der Provinz ab dem Jahr 2013 trug dazu bei (AAN 27.9.2016). Nichtsdestotrotz sind Bemühungen der Regierung auf dem Weg, um Sicherheit zu gewährleisten, Landraub und Korruption vorzubeugen sowie die Koordinierung zwischen den Sicherheits- und Rechtsorganen zu verbessern (PAJ 20.1.2019). So arbeitet die UNAMA auch weiterhin auf lokaler Ebene mit ansässigen Gemeinschaften und Behörden, um Frieden und Konfliktlösungsbemühungen umzusetzen und voranzutreiben; so auch in der Provinz Nangarhar, wo UNAMA eine Friedensjirga zwischen zwei Stämmen im Distrikt Sher Zad einberief – an der zum ersten Mal auch Frauen eine aktive Rolle einnahmen. Diese Jirga führte zu einem Beschluss über die Verteilung von Wasser, der auch angenommen wurde (UNGASC 14.6.2019).

Auch ebnete ein politisches und militärisches Vakuum, das die Provinz seit Jahren heimgesucht hatte, rund um das Jahr 2016 den Weg für den Aufstieg des afghanischen Zweiges des Islamischen Staates, dem Islamischen Staat in der Provinz Khorasan (ISKP) (AAN 27.9.2016). So erleichterten beispielsweise Stammesrivalitäten innerhalb des Distriktes Shinwar den Aufstieg des ISKP in der Provinz (AAN 27.9.2016). Verschiedene militante Gruppen – afghanische, ausländische, sowie salafistische Kämpfer innerhalb der Taliban – trugen dazu bei, die Taliban in Nangarhar zu destabilisieren – viele von ihnen schlossen sich dem ISKP an (AAN 27.9.2016).

Im Februar 2019 galt Nangarhar als eine der ISKP-Hochburgen Afghanistans (UNSC 1.2.2019). Die Schätzungen über die Stärke des ISKP gehen auseinander: so geht eine Quelle von rund 3.000 Kämpfern im Osten Afghanistans (Provinzen Nangarhar und Kunar) aus (UNAMA 24.2.2019), während die ISKP-Stärke von einer anderen Quelle in ganz Afghanistan – jedoch insbesondere in Nangarhar und den angrenzenden östlichen Provinzen – im Juni 2019 auf 2.500-4.000 Kämpfer geschätzt wurde (UNSC 13.6.2019).

Der ISKP geriet in dessen Hochburg in Ostafghanistan nachhaltig unter Druck (UNGASC 17.3.2020). Jahrelang konzertierten sich Militäroffensiven der US-amerikanischen und afghanischen Streitkräfte auf diese Hochburgen. Auch die Taliban intensivierten in jüngster Zeit ihre Angriffe gegen den ISKP in diesen Regionen (NYT 2.12.2020; vgl. SIGAR 30.1.2020). So sollen 5.000 Talibankämpfer aus der Provinz Kandahar gekommen sein, um den ISKP in Nangarhar zu bekämpfen (DW 26.2.2020; vgl. MT 27.2.2020). Schlussendlich ist im November 2019 die wichtigste Hochburg des islamischen Staates in Ostafghanistan zusammengebrochen (NYT 2.12.2020; vgl. SIGAR 30.1.2020). Über 1.400 Kämpfer und Anhänger des ISKP, darunter auch Frauen und Kinder, kapitulierten. Zwar wurde der ISKP im November 2019 weitgehend aus der Provinz Nangarhar vertrieben, jedoch soll er weiterhin in den westlichen Gebieten der Provinz Kunar präsent sein (UNGASC 17.3.2020). Die landesweite Mannstärke des ISKP wurde seit Anfang 2019 von 3.000 Kämpfern auf 300 Kämpfer reduziert (NYT 2.12.2020).

Die Taliban sind in Nangahar aktiv und kontrollieren manche Gebiete (NAT 31.7.2019; vgl. BB 31.7.2019; KP 6.7.2019); wie z.B. in den Distrikten Khugyani und Sher Zad (REU 24.4.2019).

Militärische Spezialeinheiten, auch als counter-terrorism pursuit teams bezeichnet, sind in den Provinzen Nangarhar und Khost tätig. Diese Kräfte, die inoffiziell von der US Central Intelligence Agency (CIA) ausgebildet und beaufsichtigt werden und für die Bekämpfung des Aufstands zuständig sind; diesen werden außergerichtliche Tötungen und Folter vorgeworfen (NYT 31.12.2018; vgl. DP 28.1.2018). Die in Nangarhar aktive Miliz wird 02-Einheit genannt. Sie wird vom afghanischen Geheimdienst NDS befehligt und von der CIA unterstützt und ausgebildet (TP 5.5.2019; vgl. TBIJ 8.2.2019). NDS-Operationen stehen außerhalb der Befehlskette der ANDSF (UNAMA 30.7.2019), weswegen Quellen eine mangelnde Rechenschaftspflicht für die Handlungen der NDS-Einheiten kritisieren (TBIJ 8.2.2019; vgl. TIN 21.8.2019; UNAMA 30.7.2019).

In Bezug auf die Anwesenheit regulärer staatlicher Sicherheitskräfte liegt die Provinz Nangarhar unter der Verantwortung des 201. ANA Corps (USDOD 6.2019; vgl. PAJ 9.6.2019), das unter die NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - East (TAAC-E) fällt, welche von US-amerikanischen und polnischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 1.070 zivile Opfer (356 Tote und 714 Verletzte) in der Provinz Nangarhar. Dies entspricht einem Rückgang von 41% gegenüber 2018. Die Hauptursachen dafür waren improvisierte Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate), gefolgt von Kämpfen am Boden und Selbstmordangriffen (UNAMA 2.2020).

Seit dem Jahr 2018 intensivierten die staatlichen Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen den ISKP. Bei rund 300 Luft- und Bodenoperationen in ganz Afghanistan seit April 2018, jedoch vorwiegend in den Distrikten Khugyani, Pachiragam und Kot der Provinz Nangarhar, wurden ca. 1.200 IS-Kämpfer getötet (UNSC 13.6.2019). Bei regelmäßigen Operationen in der Provinz werden neben ISKP-Kämpfern (z.B. AfTAG 28.6.2019; KP 27.1.2019; PAJ 4.11.2018; TN 26.3.2018; UNGASC 7.12.2018; NAT 31.7.2019), deren hochrangige ISKP-Vertreter (z.B. KP 29.7.2019; KP 31.12.2018; AN 27.12.2018; NAT 26.8.2018; News 27.8.2018) auch Talibanaufständische getötet (NYT 10.3.2019; KP 18.1.2019; RY 10.6.2019). Auch wurde im April 2019 die Sicherheitsoperation Khalid durch die afghanische Regierung gestartet, die sich auf die südlichen Regionen, Nangarhar im Osten, Farah im Westen, sowie Kunduz, Takhar und Baghlan im Nordosten, Ghazni im Südosten und Balkh im Norden konzentrierte (UNGASC 14.6.2019).

Immer wieder kommt es auch zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Mitgliedern der Taliban und des ISKP (REU 24.4.2019; vgl. VOA 28.6.2019; VOA 25.4.2019; TBIJ 30.7.2018; UNGASC 7.12.2018).

Rekrutierung durch regierungsfeindliche Gruppierungen

UNAMA dokumentierte glaubwürdige Vorwürfe über die Rekrutierung von 23 Buben durch regierungsfeindliche Gruppen (darunter pakistanische Taliban, afghanische Taliban und IS) im ersten Halbjahr 2018. In einzelnen Fällen wurden Kinder insbesondere in den südlichen Provinzen als Selbstmordattentäter, menschliche Schutzschilde oder Bombenleger eingesetzt (USDOS 13.3.2019). Obwohl die Taliban eine interne Richtlinie haben, keine Kinder zu rekrutieren, gibt es Hinweise auf Kinderrekrutierungen, insbesondere postpubertärer Buben (EASO 6.2018). Die Taliban wenden, laut Berichten von NGOs und UN, Täuschung, Geldzusagen, falsche religiöse Zusammenhänge oder Zwang an, um Kinder zu Selbstmordattentaten zu bewegen (USDOS 13.3.2019; vgl. EASO 6.2018, DAI/CNRR 10.2016), teilweise werden die Kinder zum Training nach Pakistan gebracht (EASO 6.2018).

Taliban

Es besteht relativer Konsens darüber, wie die Rekrutierung für die Streitkräfte der Taliban erfolgt: Sie läuft hauptsächlich über bestehende traditionelle Netzwerke und organisierte Aktivitäten im Zusammenhang mit religiösen Institutionen. Layha, der Verhaltenskodex der Taliban enthält einige Bestimmungen über verschiedene Formen der Einladung sowie Bestimmungen, wie sich die Kader verhalten sollen, um Menschen zu gewinnen und Sympathien aufzubauen. Eines der Sonderkomitees der Quetta Schura ist für die Rekrutierung verantwortlich (LI 29.6.2017).

In Gebieten, in denen regierungsfeindliche Gruppen Kontrolle ausüben, gibt es eine Vielzahl an Methoden, um Kämpfer zu rekrutieren, darunter auch solche, die auf Zwang basieren (DAI/CNRR 10.2016), wobei der Begriff Zwangsrekrutierung von Quellen unterschiedlich interpretiert und Informationen zur Rekrutierung unterschiedlich kategorisiert werden (LI 29.6.2017). Landinfo versteht Zwang im Zusammenhang mit Rekrutierung dahingehend, dass jemand, der sich einer Mobilisierung widersetzt, speziellen Zwangsmaßnahmen und Übergriffen (zumeist körperlicher Bestrafung) durch den Rekrutierer ausgesetzt ist. Die Zwangsmaßnahmen können auch andere schwerwiegende Maßnahmen beinhalten und gegen Dritte, beispielsweise Familienmitglieder, gerichtet sein. Auch wenn jemand keinen Drohungen oder körperlichen Übergriffen ausgesetzt ist, können Faktoren wie Armut, kulturelle Gegebenheiten und Ausgrenzung die Unterscheidung zwischen freiwilliger und zwangsweiser Beteiligung zum Verschwimmen bringen (LI 29.6.2017). Die Taliban haben keinen Mangel an freiwilligen Rekruten und machen nur in Ausnahmefällen von Zwangsrekrutierung Gebrauch. Druck und Zwang, den Taliban beizutreten, sind jedoch nicht immer gewalttätig (EASO 6.2018).

Sympathisanten der Taliban sind Einzelpersonen und Gruppen, vielfach junge, desillusionierte Männer, deren Motive der Wunsch nach Rache und Heldentum gepaart mit religiösen und wirtschaftlichen Gründen sind. Sie fühlen sich nicht zwingend den zentralen Werten der Taliban verpflichtet. Die meisten haben das Vertrauen in das Staatsbildungsprojekt verloren und glauben nicht länger, dass es möglich ist, ein sicheres und stabiles Afghanistan zu schaffen. Viele schließen sich den Aufständischen aus Angst oder Frustration über die Übergriffe auf die Zivilbevölkerung an. Armut, Hoffnungslosigkeit und fehlende Zukunftsperspektiven sind die wesentlichen Erklärungsgründe (LI 29.6.2017).

Vor einigen Jahren waren Mittel wie Pamphlete, DVDs und Zeitschriften bis hin zu Radio, Telefon und web-basierter Verbreitung wichtige Instrumente des Propagandaapparats. Internet und soziale Medien wie Twitter, Blogs und Facebook haben sich in den letzten Jahren zu sehr wichtigen Foren und Kanälen für die Verbreitung der Botschaft dieser Bewegung entwickelt, sie dienen auch als Instrument für die Anwerbung. Über die sozialen Medien können die Taliban mit Sympathisanten und potentiellen Rekruten Kontakt aufnehmen. Die Taliban haben verstanden, dass ohne soziale Medien kein Krieg gewonnen werden kann. Sie haben ein umfangreiches Kommunikations-und Mediennetzwerk für Propaganda und Rekrutierung aufgebaut. Zusätzlich unternehmen die Taliban persönlich und direkt Versuche, die Menschen von ihrer Ideologie und Weltanschauung zu überzeugen, damit sie die Bewegung unterstützen. Ein Gutteil dieser Aktivitäten läuft über religiöse Netzwerke (LI 29.6.2017).

Die Entscheidung, Rekruten zu mobilisieren, wird von den Familienoberhäuptern, Stammesältesten und Gemeindevorstehern getroffen. Dadurch wird dies nicht als Zwangsrekrutierung wahrgenommen, da die Entscheidungen der Anführer als legitim und akzeptabel gesehen werden. Personen, die sich dem widersetzen, gehen ein Risiko ein, dass sie oder ihre Familien bestraft oder getötet werden (DAI/CNRR 10.2016; vgl. EASO 6.2018), wenngleich die Taliban nachsichtiger als der ISKP seien und lokale Entscheidungen eher akzeptieren würden (TST 22.8.2019).

Quellen haben bestätigt, dass es in Gebieten, die von den Taliban kontrolliert werden oder in denen die Taliban stark präsent sind, de facto unmöglich ist, offenen Widerstand gegen die Bewegung zu leisten. Die örtlichen Gemeinschaften haben sich der Lokalverwaltung durch die Taliban zu fügen. Oppositionelle sehen sich gezwungen, sich äußerst bedeckt zu halten oder das Gebiet zu verlassen. Die Gruppe der Stammesältesten ist gezielten Tötungen ausgesetzt. Landinfo vermutet, dass dies vor allem regierungsfreundliche Stammesälteste betrifft, die gegen die Taliban oder andere aufständische Gruppen sind (LI 27.6.2017). Eine Quelle verweist hier auf Berichte von Übergriffen auf Stämme oder Gemeinschaften, die den Taliban Unterstützung und die Versorgung mit Kämpfern verweigert haben. Gleichzeitig sind die militärischen Einheiten der Taliban in den Gebieten, in welchen sie operieren, von der Unterstützung durch die Bevölkerung abhängig. Mehrere Gesprächspartner von Landinfo, einschließlich einer NGO, die in Taliban-kontrollierten Gebieten arbeitet, meinen, dass die Taliban im Gegensatz zu früher heute vermehrt auf die Wünsche und Bedürfnisse der Gemeinschaften Rücksicht nehmen. Bei einem Angriff oder drohenden Angriff auf eine örtliche Gemeinschaft müssen Kämpfer vor Ort mobilisiert werden. In einem solchen Fall mag es schwierig sein, sich zu entziehen. Die erweiterte Familie kann einer Quelle zufolge allerdings auch eine Zahlung leisten, anstatt Rekruten zu stellen. Diese Praktiken implizieren, dass es die ärmsten Familien sind, die Kämpfer stellen, da sie keine Mittel haben, um sich freizukaufen. Es ist bekannt, dass – wenn Familienmitglieder in den Sicherheitskräften dienen – die Familie möglicherweise unter Druck steht, die betreffende Person zu einem Seitenwechsel zu bewegen. Der Grund dafür liegt in der Strategie der Taliban, Personen mit militärischem Hintergrund anzuwerben, die Waffen, Uniformen und Wissen über den Feind einbringen. Es kann aber auch Personen treffen, die über Knowhow und Qualifikationen verfügen, die die Taliban im Gefechtsfeld benötigen, etwa für die Reparatur von Waffen (LI 29.6.2017).

Religionsfreiheit

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt (CIA 30.4.2019; vgl. AA 2.9.2019). Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha´i und Christen machen weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus (AA 2.9.2019; vgl. CIA 30.4.2019, USDOS 21.6.2019); in Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan (UP 16.8.2019; vgl. BBC 11.4.2019). Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 21.6.2019; vgl. FH 4.2.2019, MPI 2004). Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist (USODS 21.6.2019; vgl. AA 9.11.2016). Im Laufe des Untersuchungsjahres 2018 gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen aufgrund von Blasphemie oder Apostasie (USDOS 21.6.2019). Auch im Berichtszeitraum davor gab es keine Berichte zur staatlichen Strafverfolgung von Apostasie und Blasphemie (USDOS 29.5.2018).

Konvertiten vom Islam zu anderen Religionen berichteten, dass sie weiterhin vor Bestrafung durch Regierung sowie Repressalien durch Familie und Gesellschaft fürchteten. Das Gesetz verbietet die Produktion und Veröffentlichung von Werken, die gegen die Prinzipien des Islam oder gegen andere Religionen verstoßen (USDOS 21.6.2019). Das neue Strafgesetzbuch 2017, welches im Februar 2018 in Kraft getreten ist (USDOS 21.6.2019; vgl. ICRC o.D.), sieht Strafen für verbale und körperliche Angriffe auf Anhänger jedweder Religion und Strafen für Beleidigungen oder Verzerrungen gegen den Islam vor (USDOS 21.6.2019).

Das Zivil- und Strafrecht basiert auf der Verfassung; laut dieser müssen Gerichte die verfassungsrechtlichen Bestimmungen sowie das Gesetz bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. In Fällen, in denen weder die Verfassung noch das Straf- oder Zivilgesetzbuch einen bestimmten Rahmen vorgeben, können Gerichte laut Verfassung die sunnitische Rechtsprechung der hanafitischen Rechtsschule innerhalb des durch die Verfassung vorgegeben Rahmens anwenden, um Gerechtigkeit zu erlangen. Die Verfassung erlaubt es den Gerichten auch, das schiitische Recht in jenen Fällen anzuwenden, in denen schiitische Personen beteiligt sind. Nicht-Muslime dürfen in Angelegenheiten, die die Scharia-Rechtsprechung erfordern, nicht aussagen. Die Verfassung erwähnt keine eigenen Gesetze für Nicht-Muslime (USDOS 21.6.2019).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsalierung gegenüber religiösen Minderheiten und reformerischen Muslimen behindert (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 21.6.2019).

Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 4.2.2019). Mitglieder der Taliban und des Islamischen Staates (IS) töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 21.6.2019; vgl. FH 4.2.2019). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 21.6.2019).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Konvertiten vom Islam riskieren die Annullierung ihrer Ehe (USDOS 21.6.2019). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind gültig (USE o.D.). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über das Religionsbekenntnis. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt. Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 21.6.2019).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 21.6.2019).

Relevante ethnische Minderheiten

In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 32 und 35 Millionen Menschen (CIA 30.4.2019; vgl. CSO 2019). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (BFA 7.2016; vgl. CIA 30.4.2019). Schätzungen zufolge, sind: 40 bis 42% Pashtunen, 27 bis 30% Tadschiken, 9 bis 10% Hazara, 9% Usbeken, ca. 4% Aimaken, 3% Turkmenen und 2% Belutschen. Weiters leben in Afghanistan eine große Zahl an kleinen und kleinsten Völkern und Stämmen, die Sprachen aus unterschiedlichsten Sprachfamilien sprechen (GIZ 4.2019; vgl. CIA 2012, AA 2.9.2019).

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: „Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane‘ wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet“ (BFA 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnischen Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Artikel 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 2.9.2019). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen zu haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 11.3.2020).

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert (AA 2.9.2019). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 11.3.2020).

Tadschiken

Die Volksgruppe der Tadschiken ist die zweitgrößte Volksgruppe in Afghanistan (MRG o.D.b; vgl. RFERL 9.8.2019) und hat einen deutlichen politischen Einfluss im Land (MRG o.D.b). Sie machen etwa 27 bis 30% der afghanischen Bevölkerung aus (GIZ 4.2019; vgl. CIA 2012). Außerhalb der tadschikischen Kerngebiete in Nordafghanistan (Provinzen Badakhshan, Takhar, Baghlan, Parwan, Kapisa und Kabul) bilden Tadschiken in weiten Teilen des Landes ethnische Inseln, namentlich in den größeren Städten. In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit (GIZ 4.2019).

Als rein sesshaftes Volk kennen die Tadschiken im Gegensatz zu den Paschtunen keine Stammesorganisation (GIZ 4.2019; vgl. MRG o.D.b). Aus historischer Perspektive identifizierten sich dari-persisch sprechende Personen in Afghanistan nach sehr unterschiedlichen Kriterien, etwa durch das Siedlungsgebiet oder der Herkunftsregion. Dementsprechend nannten sie sich zum Beispiel k?boli (aus Kabul), her?ti (aus Herat), maz?ri (aus Mazar-e Scharif), panjsh?ri (aus Panjsher) oder badakhshi (aus Badakhshan). Sie konnten auch nach ihrer Lebensweise benannt werden. Der Name t?jik (Tadschike) bezeichnete ursprünglich traditionell sesshafte persischsprachige Bauern oder Stadtbewohner sunnitischer Konfession (BFA 7.2016; vgl. GIZ 4.2019, MRG o.D.b). Heute werden unter dem Terminus t?jik „Tadschike“ fast alle dari/persisch sprechenden Personen Afghanistans, mit Ausnahme der Hazara, zusammengefasst (BFA 7.2016).

Tadschiken dominierten die „Nordallianz“, eine politisch-militärische Koalition, welche die Taliban bekämpfte und nach dem Fall der Taliban die international anerkannte Regierung Afghanistans bildete. Tadschiken sind in zahlreichen politischen Organisationen und Parteien, die dominierendste davon ist die Jamiat-e Islami, vertreten (MRG o.D.b). Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (BI 29.9.2017).

1.3.2. Auszug aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 13.03.2019 u.a. zur Frage der Verfolgung von Personen durch die Taliban, die von ihnen ausgebildet worden sind („Verfolgung durch Taliban nach abgebrochenem Sprengstoffanschlag“) (bereinigt um grammatikalische und orthographische Fehler):

„1. Liegen Berichte darüber vor, dass die Taliban Personen mit dem Profil des Beschwerdeführers verfolgen (also Personen, welche die Taliban als Minderjährige/junge Erwachsene mit ihrem Einverständnis rekrutiert und ausgebildet haben, um in der Folge einen Sprengstoffanschlag zu verüben, wobei diese Personen den Sprengstoffanschlag in der Folge nicht begehen und aus Afghanistan fliehen)?

[…]

Zusammenfassung:

Den nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass unterschiedliche Ansichten dazu bestehen, ob Minderjährige Ausbildungslager der Taliban, in welchen unter anderem Selbstmordattentäter ausgebildet werden, verlassen können. Einige Quellen gehen davon aus, dass eine Weigerung gegenüber den Taliban nicht möglich sei. Eine Untersuchung von 13 Fällen im Jahr 2015, bei denen die Taliban Kinder im Norden Afghanistans entgegen dem Willen der Angehörigen rekrutierten, ergab gemäß einer zitierten Quelle, dass es den Angehörigen nur in einem Fall gelang, einen Minderjährigen wieder zurückzuholen. Die Familie schätzte die Lage nach der Rückkehr des Jugendlichen gemäß der zitierten Quelle als zu gefährlich ein, so dass der ehemalige Rekrut umgehend von seiner Familie ins Ausland geschickt wurde, um einer Verfolgung durch die Taliban zu entgehen. Andere Quellen gehen dagegen davon aus, dass Personen eine Rekrutierung durch die Taliban mittels Geldzahlung vermeiden könnten, oder berichten von Fällen, bei denen Familien ihre Kinder zu einer Rückkehr aus den Rängen der Taliban zwangen. Einer Quelle zufolge berufen sich die Taliban unter anderem auf den freien Willen der Rekruten, welche die Ausbildungslager entgegen dem Willen ihrer Familien oftmals nicht verlassen wollen.

Einer zitierten Quelle ist zu entnehmen, dass das Verhalten der Taliban gegenüber Personen, welche Ausbildungslager verlassen wollen, unter Umständen von dem Motiv für diese Vorgehensweise abhängt. Keineswegs sollte dadurch der Anschein von Verrat oder einer Kollaboration mit den Regierungskräften erweckt werden. Gemäß dieser Quelle ist die Gefahr einer Verfolgung umso größer, je höher eine Person in der Hierarchie der Taliban stand.

[…]

2. Liegen Berichte darüber vor, dass die Taliban an solchen Personen ein derartiges Interesse haben, dass sie diese auch nach mehreren Jahren sowie im gesamten Staatsgebiet Afghanistans verfolgen?

[…]

In öffentlich zugänglichen Quellen konnten im Rahmen der zeitlich begrenzten Recherche auf Deutsch und Englisch keine Berichte darüber gefunden werden, dass die Taliban ein Interesse an einer Verfolgung von Personen mit spezifischen angegebenen Profil (also Personen, welche die Taliban als Minderjährige/junge Erwachsene mit ihrem Einverständnis rekrutiert und ausgebildet haben, um in der Folge einen Sprengstoffanschlag zu verüben, wobei diese Personen den Sprengstoffanschlag in der Folge nicht begehen und aus Afghanistan fliehen) haben. Dies bedeutet allerdings nicht, dass ein derartiges Interesse tatsächlich nicht besteht. Gesucht wurde auf google.com und ecoi.net mit den Suchworten ‚Selbstmordattentäter‘, ‚verhinderter/angehender Selbstmordattentäter‘, bzw. ‚verhinderter Selbstmordanschlag‘ und ‚Verfolgung/Bestrafung/Exekution durch Taliban‘, bzw. fremdsprachigen Äquivalenten.

[…]“

1.3.3. Auszug aus den UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 zu Afghanistan (bereinigt um grammatikalische und orthographische Fehler):

„3. Männer im wehrfähigen Alter und Kinder im Kontext der Minderjährigen- und Zwangsrekrutierung

Berichten zufolge werden Fälle der Zwangsrekrutierung von Kindern zu einem großen Teil unzureichend erfasst.[…] Jedoch geht aus Berichten hervor, dass die Rekrutierung und der Einsatz von Kindern durch alle Konfliktparteien für Unterstützungs- und Kampfhandlungen im ganzen Land beobachtet werden.[…]

a) Zwangsrekrutierung durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs)

Regierungsfeindliche Kräfte nutzen in Gebieten, in denen sie die tatsächliche Kontrolle über das Territorium und die Bevölkerung ausüben, Berichten zufolge verschiedene Methoden zur Rekrutierung von Kämpfern, einschließlich Maßnahmen unter Einsatz von Zwang.[…] Personen, die sich der Rekrutierung widersetzen, sind Berichten zufolge ebenso wie ihre Familienmitglieder gefährdet, getötet oder bestraft zu werden.[…]

Regierungsfeindliche Kräfte rekrutieren, so wird berichtet, weiterhin Kinder, um sie für Selbstmordanschläge, als menschliche Schutzschilde[…] oder für die Beteiligung an aktiven Kampfeinsätzen zu verwenden, um Sprengsätze zu legen, Waffen und Uniformen zu schmuggeln sowie als Spione, Wachposten oder Späher für die Aufklärung.[…]

b) Zwangsrekrutierung und Rekrutierung Minderjähriger durch regierungsnahe Kräfte

Trotz der Bemühungen der Regierung, die Rekrutierung Minderjähriger zu unterbinden, werden Kinder Berichten zufolge weiterhin durch die ANDSF, vor allem die ANP und die ALP, sowie durch regierungsnahe Milizen für militärische Zwecke angeworben.[…] Im Januar 2011 unterzeichneten die Vereinten Nationen und die Regierung einen Aktionsplan für die Verhinderung der Rekrutierung Minderjähriger. […] Im Juli 2014 legte die Regierung ein Konzept für die Umsetzung des Aktionsplans fest. Im Februar 2015 stimmte Präsident Ghani einem von Parlament und Senat 2014 beschlossenen Gesetz zu, das die Rekrutierung Minderjähriger durch die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) unter Strafe stellt.[…] Das neue Strafgesetzbuch, das am 15. Februar 2018 in Kraft trat, enthält Bestimmungen, die die Rekrutierung und die Verwendung von Kindern durch die Streitkräfte verbietet und unter Strafe stellt.[…] Doch trotz der Bemühungen der Regierung, die Rekrutierung von Minderjährigen auszumerzen, bleiben Berichten zufolge Herausforderungen bestehen, etwa nichtstandardisierte Anwerbungsprozesse, ineffiziente Altersüberprüfung und mangelnde Rechenschaftspflicht für die Anwerbung von Minderjährigen.[…] Im August 2017 stellte der Generalsekretär der Vereinten Nationen fest, dass es zwar Fortschritte im Hinblick auf eine Stärkung der Verfahren zur Altersbestimmung gegeben habe, doch bereiteten das Fehlen entsprechender Verfahren für die Rekrutierung in die ALP sowie die fortgesetzte Inanspruchnahme von regierungsnahen Milizen, bei denen weiterhin keine Aufsichtsmechanismen für die Rekrutierung erkennbar seien, weiterhin Sorge.

[…]

Es wurde außerdem berichtet, dass regierungsnahe bewaffnete Gruppen Familien zwingen, junge Männer für den Kampf gegen Taliban und andere regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) bereitzustellen.[…]

c) Zusammenfassung

Im Licht der oben beschriebenen Umstände ist UNHCR der Ansicht, dass für Männer im wehrfähigen Alter und für Kinder, die in Gebieten leben, die sich unter der tatsächlichen Kontrolle regierungsfeindlicher Kräfte befinden oder in denen regierungsnahe und regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) und/oder mit dem Islamischen Staat verbundene bewaffnete Gruppen um die Kontrolle kämpfen, – abhängig von den jeweiligen Umständen des Falles – ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure wegen ihrer (ihnen zugeschriebenen) Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aus anderen relevanten Konventionsgründen, in Verbindung mit der allgemeinen Unfähigkeit des Staates, Schutz vor dieser von AGEs ausgehenden Verfolgung zu bieten, bestehen kann.

Abhängig von den besonderen Umständen des Falles können Männer im wehrfähigen Alter und Kinder, die in Gebieten leben, in denen ALP-Kommandeure eine so mächtige Position innehaben, dass sie Mitglieder der Gemeinschaft in die ALP zwangsrekrutieren können, ebenfalls internationalen Flüchtlingsschutz aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aus anderen relevanten Gründen benötigen.

Auch für Männer im wehrfähigen Alter und Kinder, die sich der Zwangsrekrutierung entweder durch einen staatlichen oder einen nichtstaatlichen Akteur widersetzen, kann aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer (ihnen zugeschriebenen) politischen Überzeugung oder aus anderen relevanten Gründen Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz gegeben sein.

Abhängig von den jeweiligen Umständen des Falles können Angehörige von Männern oder Kindern mit diesem Profil aufgrund ihrer Verbindung mit gefährdeten Personen internationalen Schutz benötigen.

Asylanträge von Kindern sollten – einschließlich der Prüfung von Ausschlussgründen bei ehemaligen Kindersoldaten – sorgfältig und gemäß den UNHCR-Richtlinien für Asylanträge von Kindern geprüft werden.[…] Wenn Kinder, die mit bewaffneten Gruppen in Verbindung standen, einer Straftat bezichtigt werden, sollte berücksichtigt werden, dass diese Kinder Opfer von Verstößen gegen internationales Recht und nicht nur Täter sein können.[…]

[…]“

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers und zu seinen persönlichen Umständen im Herkunftsstaat (Pkt. II.1.1.):

Die Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowie dem Bundesverwaltungsgericht; die zur Identität des Beschwerdeführers (Name und Geburtsdatum) getroffenen Feststellungen gelten ausschließlich für die Identifizierung des Beschwerdeführers im Verfahren. Die Feststellungen zur Staats-, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf seine diesbezüglich glaubhaften Angaben; das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen – im gesamten Verfahren gleich gebliebenen und sich mit den Länderberichten zu Afghanistan deckenden – Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.

Die Feststellungen zu seinem Geburtsort, seinem schulischen Werdegang, seiner Ausreise aus Afghanistan und seinen Familienangehörigen ergeben sich aus seinen im Laufe des Verfahrens hierzu getätigten, aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes glaubhaften Angaben. Das Datum der Antragstellung ergibt sich aus dem Akteninhalt.

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem eingeholten Strafregisterauszug.

2.2. Soweit das vom Beschwerdeführer behauptete Fluchtvorbringen nicht festgestellt werden konnte (Pkt. II.1.2.), ist Folgendes festzuhalten:

2.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 29/2020, (in der Folge: AsylG 2005) liegt es auch am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Begriff der „Glaubhaftmachung“ im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd § 274 ZPO zu verstehen. Ausgehend von § 274 Abs. 1 letzter Satz ZPO eignet sich nur eine Beweisaufnahme, die sich sofort ausführen lässt (mit Hilfe so genannter „parater“ Bescheinigungsmittel) zum Zwecke der Glaubhaftmachung (VwGH 27.05.2014, 2014/16/0003 mwN), wobei der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen seiner asylrechtlichen Spruchpraxis von dieser Einschränkung abweicht.

Mit der Glaubhaftmachung ist auch die Pflicht der Verfahrenspartei verbunden, initiativ alles darzulegen, was für das Zutreffen der behaupteten Voraussetzungen spricht und diesbezüglich konkrete Umstände anzuführen, die objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Voraussetzung liefern. Insoweit trifft die Partei eine erhöhte Mitwirkungspflicht. Allgemein gehaltene Behauptungen reichen für eine Glaubhaftmachung nicht aus (vgl. VwGH 17.10.2007, 2006/07/0007).

Die Glaubhaftmachung hat das Ziel, die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit bestimmter Tatsachenbehauptungen zu vermitteln. Glaubhaftmachung ist somit der Nachweis einer Wahrscheinlichkeit. Dafür genügt ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit als der, der die Überzeugung von der Gewissheit rechtfertigt (VwGH 29.05.2006, 2005/17/0252). Im Gegensatz zum strikten Beweis bedeutet Glaubhaftmachung ein reduziertes Beweismaß und lässt durchwegs Raum für gewisse Einwände und Zweifel am Vorbringen des Asylwerbers. Entscheidend ist, ob die Gründe, die für die Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung sprechen, überwiegen oder nicht. Dabei ist eine objektivierte Sichtweise anzustellen.

In diesem Zusammenhang ist Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. L 337, 9, (Statusrichtlinie), maßgeblich:

„Artikel 4

Prüfung der Tatsachen und Umstände

(1) – (4) […]

(5) Wenden die Mitgliedstaaten den Grundsatz an, wonach der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz begründen muss, und fehlen für Aussagen des Antragstellers Unterlagen oder sonstige Beweise, so bedürfen diese Aussagen keines Nachweises, wenn

a) der Antragsteller sich offenkundig bemüht hat, seinen Antrag zu begründen;

b) alle dem Antragsteller verfügbaren Anhaltspunkte vorliegen und eine hinreichende Erklärung für das Fehlen anderer relevanter Anhaltspunkte gegeben wurde;

c) festgestellt wurde, dass die Aussagen des Antragstellers kohärent und plausibel sind und zu den für seinen Fall relevanten, verfügbaren besonderen und allgemeinen Informationen nicht in Widerspruch stehen;

d) der Antragsteller internationalen Schutz zum frühestmöglichen Zeitpunkt beantragt hat, es sei denn, er kann gute Gründe dafür vorbringen, dass dies nicht möglich war; und

e) die generelle Glaubwürdigkeit des Antragstellers festgestellt worden ist.“

2.2.2. Unter diesen Maßgaben ist das Vorbringen eines Asylwerbers also auf seine Glaubhaftigkeit hin zu prüfen. Dabei ist v.a. auf folgende Kriterien abzustellen: Zunächst bedarf es einer persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers, die insbesondere dann getrübt sein wird, wenn sein Vorbringen auf ge- oder verfälschte Beweismittel gestützt ist oder er wichtige Tatsachen verheimlicht respektive bewusst falsch darstellt, im Laufe des Verfahrens das Vorbringen auswechselt oder unbegründet und verspätet erstattet oder mangelndes Interesse am Verfahrensablauf zeigt und die nötige Mitwirkung verweigert. Weiters muss das Vorbringen des Asylwerbers – unter Berücksichtigung der jeweiligen Fähigkeiten und Möglichkeiten – genügend substantiiert sein; dieses Erfordernis ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn der Asylwerber den Sachverhalt sehr vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt, nicht aber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen. Das Vorbringen hat zudem plausibel zu sein, muss also mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen; diese Voraussetzung ist u.a. dann nicht erfüllt, wenn die Darlegungen mit den allgemeinen Verhältnissen im Heimatland nicht zu vereinbaren sind oder sonst unmöglich erscheinen. Schließlich muss das Fluchtvorbringen in sich schlüssig sein; der Asylwerber darf sich demgemäß nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen.

2.2.3. Es wird seitens des Bundesverwaltungsgerichtes nicht verkannt, dass die vom Beschwerdeführer geschilderten Ausreisegründe aus Afghanistan schon einige Jahre zurückliegen und dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der von ihm dargelegten Ereignisse und auch bei seiner Erstbefragung sowie seiner Einvernahme noch minderjährig war, was bei der Beurteilung seiner Angaben entsprechend zu berücksichtigen ist (s. hierzu etwa VwGH 06.09.2018, 2018/18/0150). Dennoch geht der zur Entscheidung berufene Richter des Bundesverwaltungsgerichtes v.a. aufgrund seines in der mündlichen Verhandlung vom Beschwerdeführer erhaltenen persönlichen Eindrucks sowie der im erstinstanzlichen Verwaltungsakt einliegenden niederschriftlichen Erstbefragung und Einvernahme des Beschwerdeführers davon aus, dass ihm hinsichtlich seines Fluchtvorbringens (betreffend die Gefahr, bei einer Rückkehr in Afghanistan aufgrund einer Flucht vor den Taliban und seiner Ausreise aus Afghanistan von ihnen getötet zu werden) keine Glaubwürdigkeit zukommt:

2.2.3.1. Im Vorbringen des Beschwerdeführers finden sich folgende Ungereimtheiten bzw. Widersprüche:

So gab ein Cousin des Beschwerdeführers ( XXXX ) in seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl an, dass die Taliban seine beiden Cousins (also den Beschwerdeführer und XXXX ) und ihn damals um ca. zehn Uhr am Vormittag mitgenommen hätten (vgl. Aktenseite [in der Folge: AS] 121 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes des XXXX ). Demgegenüber führte der weitere Cousin des Beschwerdeführers ( XXXX ) in seiner mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Taliban damals am Abend gekommen seien (s. S. 19 f. des Verhandlungsprotokolls vom 23.11.2018 im zur Zl. W245 2186868-1 protokollierten Verfahren). Im groben Widerspruch zu den Angaben seiner beiden Cousins führte der Beschwerdeführer hierzu aus, dass die Taliban am Nachmittag („zwischen der Mittagszeit und dem späten Nachmittag“) gekommen seien (vgl. S. 11 f. des Verhandlungsprotokolls). Die auf entsprechenden Vorhalt durch den erkennenden Richter vom Beschwerdeführer hierzu getätigten Ausführungen (insbesondere im Hinblick auf die bestehenden familiären Schwierigkeiten mit seinem Cousin XXXX ) vermögen diesen Widerspruch nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht zu beseitigen (s. S. 12 des Verhandlungsprotokolls: „R: Ihr Cousin XXXX hat in seinem Verfahren angegeben, dass diese Personen abends bzw. nachts gekommen wären. Ihr Cousin XXXX hat in seinem Verfahren angegeben, dass sie um 10:00 Uhr am Vormittag gekommen wären. Können Sie diese unterschiedlichen Angaben irgendwie erklären? BF: Sie sind gegen Nachmittag gekommen. Wie ich schon angeführt habe, war es zwischen der Mittagszeit und dem späten Nachmittag. Wir sind gegen Abend wieder zu Hause gewesen. Möglicherweise hat XXXX gemeint, dass wir gegen Abend wieder zurückgekehrt sind. Bezüglich XXXX muss ich angeben, dass es familiäre Schwierigkeiten mit ihm gegeben hat. Er hatte von Anfang nicht vor, in Österreich zu bleiben und wollte nach XXXX weiterziehen. Als ich erfuhr, dass er sein Interview hatte, sagte ich noch zu ihm, dass er bei der Wahrheit bleiben solle und dass er keine Spiele spielen solle. Er sagte dann zu mir, dass mich dies nichts anginge und er das tun würde, was ihm sein Vater aufgetragen habe. […]“).

Weiters fällt auf, dass der Beschwerdeführer in seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl noch angab, dass er gemeinsam mit seinen beiden Cousins von den Taliban aus demselben Haus mitgenommen worden sei (vgl. AS 93: „LA: Wie viele waren das? VP: Die Taliban kamen mit zwei Geländewägen und es waren ca. 8 Personen. 2 blieben in den Fahrzeugen und 6 Personen kamen in das Haus. Sie sagten, dass ich und meine zwei Cousins mitkommen sollen und haben uns mitgenommen.“), wohingegen der Beschwerdeführer in seiner mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht ausführte, dass die Taliban zuerst ihn und seinen Cousin XXXX mitgenommen hätten, bevor sie seinen Cousin XXXX aus seinem Haus geholt hätten (s. S. 14 des Verhandlungsprotokolls).

Zudem gab XXXX in seiner mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht an, dass er und seine beiden Cousins an jenem Tag, an dem sie von den Taliban mitgenommen worden seien, auch die Nacht bei den Taliban verbracht hätten (vgl. S. 19 f. des Verhandlungsprotokolls vom 23.11.2018 im zur Zl. W245 2186868-1 protokollierten Verfahren). Demgegenüber führte der Beschwerdeführer in seiner mündlichen Verhandlung hierzu aus, dass sie an diesem Tag gegen Abend wieder zu Hause gewesen seien (S. 12 des Verhandlungsprotokolls) und dass sie nie über Nacht bei den Taliban geblieben seien (vgl. S. 16 und 19 des Verhandlungsprotokolls). Der Beschwerdeführer vermochte auch diesen Widerspruch zu den Angaben seines Cousins auf entsprechenden Vorhalt durch den erkennenden Richter nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht in nachvollziehbarer Weise aufzuklären (s. S. 12 des Verhandlungsprotokolls: „R: Ihr Cousin XXXX hat in seiner Verhandlung vor dem BVwG ausgeführt, dass sie drei, nachdem Sie von den Taliban mitgenommen seien, über Nacht bei ihnen geblieben seien, am kommenden Tag unterrichtet worden seien und dann erst entlassen worden seien. Sie haben jetzt gerade angeführt, dass Sie am Abend schon wieder nach Hause zurückgekehrt seien. Welche Angaben sind richtig? BF: Das ist so nicht richtig. XXXX hat dabei einen Fehler gemacht. Nach seiner Befragung habe ich ihn gefragt, wie es gelaufen sei. Er sagte mir dann, dass er Probleme mit dem Richter oder der Richterin gehabt habe. Es sei sogar zum Streit gekommen. Er sei ständig nach einem Datum gefragt worden. Er habe angeführt, dass er das Datum nicht wissen würde und auch keine Zeitangaben machen könne. Daraufhin sei er immer wieder nach einem Datum gefragt worden. Er sei dann wütend geworden und habe zum Richter gesagt, dass dieser sich ja beispielsweise auch nicht erinnern könne, wann genau er in einem bestimmten Jahr Urlaub gemacht habe. Es sei dann zu einer Diskussion gekommen. In der Folge habe XXXX gesagt, dass er hier nur rauswolle und gar keinen Bescheid haben wolle. XXXX ist von seiner Persönlichkeit her sehr temperamentvoll und reizbar. Er wird schnell wütend und alles wird ihm dann egal. Er ist in dieser Hinsicht genauso wie sein Vater.“), womit auch diese Angaben als Indiz für ein insgesamt nicht glaubhaftes Vorbringen zu werten sind. An dieser Annahme vermögen auch die hierzu getätigten Ausführungen des Beschwerdeführers und seines Rechtsvertreters in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht nichts zu ändern (vgl. S. 19 des Verhandlungsprotokolls).

Zur Lage des Hauses der Taliban befragt, gab der Beschwerdeführer in seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl noch an, dass es von seinem Elternhaus einen ca. 15-minütigen Fußmarsch entfernt gewesen sei (vgl. AS 93). Auch die beiden Cousins des Beschwerdeführers führten in ihren Einvernahmen vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl damit übereinstimmend jeweils an, dass das Haus der Taliban ungefähr 15 bis 20 Minuten zu Fuß von ihren Häusern entfernt gelegen sei (s. AS 121 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes des XXXX und AS 99 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes des XXXX ). In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht führte der Beschwerdeführer im Widerspruch hierzu aus, dass schon die Autofahrt zwischen den beiden Orten ungefähr 10 bis 15 Minuten gedauert habe und dass er für diese Strecke zu Fuß ca. eine halbe Stunde oder mehr, auf jeden Fall aber weniger als eine Stunde, benötigt habe (vgl. S. 14 f. des Verhandlungsprotokolls). Diese Ausführungen des Beschwerdeführers sind zumindest als Ungereimtheit zu werten und sprechen daher ebenfalls gegen die Glaubhaftigkeit seiner Angaben.

2.2.3.2. Es wird seitens des Bundesverwaltungsgerichtes zwar nicht verkannt, dass der Beschwerdeführer seine Ausreisegründe v.a. in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in weiten Teilen vergleichsweise ausführlich schilderte. Es kommt dem Beschwerdeführer jedoch nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes v.a. aufgrund der oben aufgezeigten Widersprüche bzw. Ungereimtheiten zu seinem Fluchtvorbringen (betreffend die Gefahr, bei einer Rückkehr in Afghanistan aufgrund einer Flucht vor den Taliban und seiner Ausreise aus Afghanistan von ihnen getötet zu werden) unter Berücksichtigung der auch zum Zeitpunkt seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl noch vorliegenden Minderjährigkeit und entgegen den Ausführungen in der Beschwerdeschrift keine Glaubwürdigkeit zu.

2.2.4. Die Feststellungen, dass dem Beschwerdeführer aufgrund seines Aufenthalts in Europa und somit im „westlichen“ Ausland keine konkret gegen ihn gerichtete physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan droht, ergeben sich aus seinem diesbezüglichen Vorbringen, mit dem er keine konkrete individuelle Bedrohung seiner Person im Falle einer Rückkehr aus diesen Gründen aufzuzeigen vermochte (vgl. hierzu S. 18 f. des Verhandlungsprotokolls).

2.3. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat (Pkt. II.1.3.):

2.3.1. Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

2.3.2. Den Parteien wurden gemeinsam mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung – neben weiteren Länderberichten – das unter Pkt. II.1.3.2. sowie Pkt. II.1.3.3. auszugsweise wiedergegebene Länderberichtsmaterial übermittelt und ihnen dahingehend die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt. Das unter Pkt. II.1.3.1. auszugsweise angeführte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019 samt Aktualisierungen bis 29.06.2020 wurde vom Bundesverwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung in das Verfahren eingeführt und dem Beschwerdeführer dahingehend die Möglichkeit zur Stellungnahme innerhalb zweiwöchiger Frist eingeräumt. Der Beschwerdeführer trat den vom Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten und nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes unbedenklichen Länderberichten nicht entgegen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG,

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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