TE Bvwg Beschluss 2020/7/28 W241 2202474-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.07.2020
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Entscheidungsdatum

28.07.2020

Norm

AsylG 2005 §12a Abs2
AsylG 2005 §22 Abs10
BFA-VG §22
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W241 2202474-2/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. HAFNER als Einzelrichter in dem von Amts wegen eingeleiteten Verfahren über die durch den mündlich verkündeten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.07.2020, 1111101609/200611465, erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes betreffend XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA. Afghanistan, beschlossen:

A)

Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs. 2 und § 22 Abs. 10 AsylG 2005 in Verbindung mit § 22 BFA-VG rechtmäßig.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1. Vorverfahren:

1.1. Der Asylwerber (in der Folge: AW), ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 11.04.2016 beim Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) einen (ersten) Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge: AsylG).

Als Fluchtgrund gab der AW im Wesentlichen an, dass er und seine Familie in Afghanistan von Taliban bedroht worden seien, weil er als Soldat tätig gewesen sei. Sein Vater sei von Taliban entführt worden, damit der AW an diese ausgeliefert werde.

1.2. In seiner Einvernahme am 19.04.2018 gab der AW zusammenfassend an, dass er zweieinhalb Jahre als Ingenieur bei der Afghanischen Nationalarmee in Paktia und Gardez gearbeitet habe. Er habe Bomben entschärft. Aufgrund der Präsenz der Taliban in seiner Heimatprovinz habe er seine Familie nicht besuchen können. Er selbst sei nicht bedroht worden, jedoch hätten die Taliban seinen Vater mitgenommen und von diesem gefordert, den AW an sie auszuliefern. In Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif hätte er nicht leben können, da sein Vater sich dort ein Leben nicht leisten hätte können.

Der AW reichte einen Ausweis der Afghanischen Nationalarmee, weitere Unterlagen und Fotos im Zusammenhang mit der angegebenen Tätigkeit für die Afghanische Nationalarmee sowie eine Tazkira nach.

1.3. Mit Urteil vom 09.02.2017 wurde der AW nach § 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall SMG (unerlaubter Umgang mit Suchtgiften), zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten, bedingt nachgesehen auf eine Probezeit von zwei Jahren verurteilt.

1.4. Mit Urteil vom 30.11.2017 wurde er nach § 15 StGB, § 87 Abs. 1 StGB (absichtliche schwere Körperverletzung), zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Es wurde unter Bedachtnahme auf das erstgenannte Urteil eine Zusatzstrafe gemäß §§ 31, 40 StGB verhängt.

1.5. Mit Bescheid des BFA vom 25.06.2018 wurde der Antrag des AW auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den AW eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des AW nach Afghanistan gemäß 46 FPG zulässig ist. Weiters sprach das AWA aus, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht, und dass einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt wird. Schließlich wurde gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG gegen den AW ein auf Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

1.6. Mit Teilerkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 07.08.2018, W238 2202474-1/10E, wurde Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG ersatzlos behoben. Gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

1.7. Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 04.04.2018 wurde mit Erkenntnis vom 27.11.2018, W238 2202474-1, die Beschwerde gegen Spruchpunkte I. bis V. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen. Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides wurde dahingehend abgeändert, dass er zu lauten hat: „Gemäß § 55 Abs. 2 iVm § 59 Abs. 4 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Ihrer Enthaftung.“

Hinsichtlich der Beschwerde gegen Spruchpunkt VIII. (Einreiseverbot) des Bescheides wurde das Verfahren wegen Zurückziehung der Beschwerde gemäß § 28 Abs. 1, § 31 Abs. 1 VwGVG eingestellt.

Im Erkenntnis wurde festgestellt, dass der AW aufgrund seiner Tätigkeit für die Afghanische Nationalarmee nicht in den Fokus der Taliban geraten wäre. Insbesondere wäre der AW wegen seiner beruflichen Tätigkeit nicht von Taliban telefonisch oder auf andere Weise bedroht worden. Die Familie des AW sei in Afghanistan keinen gegen sie gerichteten Verfolgungshandlungen ausgesetzt. Der Vater des AW wäre wegen der beruflichen Tätigkeit des AW von Taliban weder bedroht noch entführt worden. Der AW hätte im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan keine Verfolgung durch den Staat zu befürchten. Er hätte ohne Hinzutreten weiterer wesentlicher individueller Merkmale auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine gegen ihn gerichtete Verfolgung oder Bedrohung durch staatliche Organe oder (von staatlichen Organen geduldet) durch Private, sei es vor dem Hintergrund seiner ethnischen Zugehörigkeit (Tadschike), seiner Religion (sunnitischer Islam), Nationalität (Afghanistan), Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung zu erwarten.

1.8. Mit Urteil vom 06.12.2018 wurde der BF wegen Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt.

2. Gegenständliches Verfahren:

2.1. Am 29.06.2020 stellte der AW aus dem Stande der Strafhaft einen Folgeantrag und er wurde dazu am selben Tag einer Erstbefragung unterzogen. Dabei gab er zu den Gründen für die Antragstellung an, dass er erst am 06.05.2020 von der negativen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts erfahren habe. Er habe bisher nicht erwähnt, dass er persönliche Feinde in Afghanistan habe. Er sei zum Militär gegangen, weil er gehofft habe, dass es dort sicherer sei. Er habe aber immer noch Feinde in Afghanistan. Sein Cousin sei 2018 von diesen Feinden getötet worden, da er mit ihm verwechselt worden sei.

2.2. Am 10.07.2020 wurde der AW vor dem BFA niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er zu seinen nunmehrigen Gründen für die Antragstellung soweit wesentlich zu Protokoll, dass er einen Bescheid über die bevorstehende Schubhaft erhalten habe. Seine Abschiebung stehe bevor, und in Afghanistan sei sein Leben in Gefahr. Zu den Gründen für seine neuerliche Antragstellung gab er an, dass er sich während der Schulzeit in ein Mädchen verliebt und mit ihr zwei Jahre eine Beziehung geführt habe. Die Familie des Mädchens habe davon erfahren, deshalb sei er geflohen und zum Militär gegangen. Dort sei er sicher gewesen. Später habe der Vater des Mädchens Kontakt zu den Taliban aufgenommen. Die Taliban hätten dann von ihm gefordert, dass er seine Arbeit aufgeben solle. Sie hätten auch zwei Mal seine Familie angegriffen und einmal seinen Vater entführt. Bei einem dritten Angriff sei sein Vater wieder entführt und geschlagen worden. Er habe daraufhin das Land verlassen. Im Iran habe er von seinem Bruder erfahren, dass sein Vater freigelassen worden sei. Er habe diese Fluchtgründe bisher nicht erwähnt, weil er keine Beweise gehabt hätte und gedacht habe, die Probleme beim Militär seien genug. Nachdem er erfahren habe, dass er abgeschoben werden sollte, sei er gezwungen gewesen, das nunmehr als Beweismittel vorgelegte Schreiben anzufordern.

Sein Vater habe es ausstellen lassen, sein Cousin habe es ihm geschickt. Er habe im ersten Verfahren nicht alles in so kurzer Zeit erzählen können.

Der AW legte zwei mit „Bittschrift“ betitelte Schriftstücke auf Dari, datiert mit 01.06.2020 und 02.06.2020, vor.

2.3. Im Rahmen einer weiteren Einvernahme am 22.07.2020 wiederholte der AW im Wesentlichen seine bisherigen Angaben.

2.4. Im Zuge der Niederschrift wurde dem AW der nunmehr verfahrensgegenständliche mündliche Bescheid verkündet, mit dem der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12 AsylG 2005 gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 aufgehoben wurde.

2.5. Am 24.07.2020 legte das BFA dem Bundesverwaltungsgericht den Akt zur Überprüfung der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes vor.

2. Beweisaufnahme:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

- Einsicht in den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, beinhaltend insbesondere die Aktenteile betreffend das Vorverfahren und die Niederschriften der Erstbefragung und der Einvernahme vor dem BFA sowie den mündlich verkündeten (Mandats-) Bescheid vom 22.07.2020

- Einsicht in Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat des AW im gegenständlichen Verfahren (Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 29.06.2020)

- die vom AW vorgelegten Schriftstücke

3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):

Die nachfolgenden Feststellungen gründen sich auf die unter Punkt 2. erwähnten Beweismittel.

3.1. Zur Person des AW:

Der AW ist afghanischer Staatsangehöriger und in der Provinz Nuristan, Distrikt XXXX , Dorf XXXX , geboren. Er ist afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und sunnitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Dari. Er spricht auch Paschtu. Die Eltern des AW sowie seine drei Brüder und vier Schwestern leben nach wie vor im Heimatdorf.

3.2. Das vom AW mit Antrag vom 11.04.2016 initiierte (erste) Asylverfahren wurde mit Entscheidung des BFA vom 25.06.2018 sowie der Beschwerdeentscheidung des BVwG vom 27.11.2018, zugestellt am 29.11.2018, mit diesem Datum rechtskräftig negativ abgeschlossen.

Der Antrag auf internationalen Schutz wurde gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen, subsidiärer Schutz wurde in Bezug auf Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 AsylG nicht gewährt. Dem AW wurde kein Aufenthaltstitel gewährt, und es wurde eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung getroffen.

3.3. Der AW brachte in der Folge aus der Strafhaft am 29.06.2020 einen neuerlichen (den gegenständlichen) Antrag auf internationalen Schutz ein.

Im gegenständlichen Verfahren bezieht sich der AW auf Gründe, die bereits zum Zeitpunkt des Abschlusses des ersten vom AW initiierten Verfahrens bestanden haben. Sein bisheriges Vorbringen, nämlich eine Verfolgung durch die Taliban aufgrund seiner Tätigkeit bei der afghanischen Armee, wurde durch eine private Verfolgung durch die Familie eines Mädchens, mit dem er eine heimliche Beziehung geführt habe, ergänzt. Diese Familie habe auch Kontakte zu den Taliban und sei die Verfolgung durch die Familie der Grund gewesen, weshalb er zur Armee gegangen sei.

Der AW bezog sein Vorbeingen damit ausschließlich auf Gründe, die bereits vor seiner Ausreise bestanden hatten.

3.4. In Bezug auf den ledigen und kinderlosen AW besteht kein hinreichend schützenswertes Privat- und/oder Familienleben im Bundesgebiet. Der BF war in Österreich bisher nicht erwerbstätig. Er befindet sich derzeit in Strafhaft.

Mit Urteil vom 09.02.2017 wurde er wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten, bedingt nachgesehen auf eine Probezeit von zwei Jahren, verurteilt.

Mit Urteil vom 30.11.2017 wurde der AW wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung (teilweise im Versuch) nach § 15 StGB, § 87 Abs. 1 StGB, zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von (nach Stattgebung der Berufung) fünf Jahren verurteilt. Es wurde unter Bedachtnahme auf das erstgenannte Urteil eine Zusatzstrafe gemäß §§ 31, 40 StGB verhängt.

Mit Urteil vom 06.12.2018 wurde er wegen Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt.

Es bestehen keine Hinweise, dass beim AW etwaige physische beziehungsweise psychische Erkrankungen vorlägen, die einer Rückkehr nach Afghanistan entgegenstehen würden. Beim AW handelt es sich somit um einen gesunden Mann im arbeitsfähigen Alter, der sich gegebenenfalls auch ohne Unterstützung in Afghanistan zurechtfinden kann, da er eine Landessprache beherrscht und in einem afghanisch geprägten Umfeld aufgewachsen ist.

Eine Rückkehr des AW in seine Heimatprovinz Nuristan ist aufgrund der dortigen Sicherheitslage nicht möglich, eine Ansiedlung des AW in Mazar-e Sharif oder Herat ist jedoch möglich und zumutbar. Er kann die Städte Mazar-e Sharif und Herat von Österreich sicher mit dem Flugzeug erreichen. Der AW hat bisher in Nuristan gelebt und verfügt dort über familiäre Anknüpfungspunkte. Der AW hat bislang nicht in Mazar-e Sharif oder Herat gelebt und verfügt in diesen Städten über keine familiären Anknüpfungspunkte. Angesichts seines guten Gesundheitszustandes und seiner Arbeitsfähigkeit kann sich der AW in Mazar-e Sharif oder Herat eine Existenz aufbauen und diese – zumindest anfänglich – mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Der BF ist in der Lage, in Mazar-e Sharif oder Herat eine einfache Unterkunft zu finden. Er hat zudem die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen.

Es ist nicht ersichtlich, dass eine Abschiebung des AW nach Afghanistan eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Es liegen keine Umstände vor, welche seiner Außerlandesbringung aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich entgegenstünden.

3.5. Eine entscheidungswesentliche Änderung der Ländersituation im Herkunftsstaat ist seit der rechtskräftigen Entscheidung des BVwG vom 27.11.2018 nicht eingetreten.

3.6. Der AW verfügt über keine sonstige Aufenthaltsberechtigung, sodass der Folgeantrag voraussichtlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sein wird.

4. Beweiswürdigung:

Der Beweiswürdigung liegen folgende maßgebende Erwägungen zugrunde:

4.1. Der Verfahrensgang ergibt sich aus den zur gegenständlichen Rechtssache vorliegenden Verfahrensakten des BFA und des BVwG.

Die Rechtskraft des Erkenntnisses des BVwG vom 27.11.2018, mit welchem die Beschwerde gegen die Abweisung des (ersten) Antrags auf internationalen Schutz vom 11.04.2016 als unbegründet abgewiesen wurde, ergibt sich mit dem Zustellungsdatum. Das Protokoll über die Zustellung liegt im Akt des BVwG auf.

Die Feststellungen zum zweiten Antrag auf internationalen Schutz und dem hierzu erstatteten Vorbringen des Betroffenen ergeben sich aus dem Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsverfahrensakts des BFA.

4.2. Zur Person des AW und zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates:

4.2.1. Die Feststellungen zur Identität und zur Staatsangehörigkeit des AW ergeben sich aus seinen Angaben vor dem BFA und dem BVwG.

Die Feststellungen zu den allgemeinen Lebensumständen des AW stützen sich auf die diesbezüglich nicht widersprüchlichen Angaben des AW im Verfahren vor dem BFA sowie auf die Kenntnis und Verwendung der Sprache Dari.

4.2.2. Das Vorliegen eines schützenswerten Privat- oder Familienlebens in Österreich wurde im Verfahren nicht behauptet beziehungsweise nicht hinreichend dargelegt.

Sonstige erhebliche Integrationsmerkmale des AW – abgesehen von rudimentären Deutschkenntnissen – sind auf Grund der Aktenlage nicht erkennbar und wurden vom AW auch weder dargelegt noch behauptet.

Die strafrechtlichen Verurteilungen des AW liege im Akt auf.

Hinweise auf erhebliche gesundheitliche Probleme liegen nicht vor und wurden vom AW auch nicht behauptet.

4.2.3. Die vom AW im gegenständlichen Verfahren vorgebrachten Gründe für das Verlassen seines Herkunftsstaates, in den er zwischenzeitlich auch nicht zurückgekehrt ist, und die einer Rückkehr entgegenstehen, bauen auf die Fluchtgründe auf, die bereits im Vorverfahren als unglaubhaft erkannt worden waren. Die im gegenständlichen Verfahren wiederholte Gefährdung stützt der AW auf jenen Sachverhalt, der im ersten Verfahren als nicht glaubhaft festgestellt wurde.

Der AW ergänzte sein bisheriges Vorbringen nunmehr damit, dass seit 2013 auch eine private Feindschaft bestehe, da er seit seiner Schulzeit eine heimliche Beziehung zu einem Mädchen gehabt habe. Aufgrund befürchteter Verfolgung durch die Familie des Mädchens sei er zum Militär gegangen, was schließlich zur Verfolgung durch die Taliban aufgrund dieser Tätigkeit geführt habe. Die Familie des Mädchens habe Verbindungen zu den Taliban und befürchte er neben der Verfolgung durch die Taliban auch Verfolgung durch die Familie des Mädchens.

Hierzu ist festzuhalten, dass der AW im ersten Verfahren dies heimliche Beziehung und die dadurch entstandene Privatfehde mit keinem Wort erwähnte, obwohl diese nunmehr der Grund dafür sein sollte, weshalb der AW zu Armee gegangen sei. Wenn der AW als Grund dafür, weshalb er dieses neue Vorbringen im ersten Verfahren nicht erwähnte, vorbringt, dass er nicht alles habe erzählen können („Man kann ein ganzes Leben nicht in 1-2 Stunden erzählen“ Aktenseite 225), so ist festzuhalten, dass der AW vor dem BFA ausführlich einvernommen und gefragt wurde, ob er noch weitere Fluchtgründe vorzubringen habe, was er verneinte. Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde er ausführlich befragt (die Verhandlung dauerte von 09:15 Uhr bis 16:05 Uhr) und erwähnte er mit keinem Wort eine private Feindschaft oder eine daraus resultierende Verfolgung durch Private oder die Taliban.

Wenn der AW weiters vorbringt, dass er für sein neues Vorbringen im ersten Verfahren keine Beweise gehabt habe und er der Ansicht gewesen sei, dass sein Vorbringen hinsichtlich des Militärdienstes für Asyl „genügen“ würde, so ist festzuhalten, dass grundsätzlich von einem Asylwerber erwartet werden kann, dass er alle für sein Verfahren wesentlichen Sachverhaltselemente von sich aus vorbringt. Dies umso mehr, als es sich beim neuen Vorbringen des AW nicht um einen von seinem ersten Fluchtgrund getrennten Sachverhalt handelt, sondern das neue Vorbringen vielmehr eng mit seinem bisherigen Vorbringen verknüpft ist. Es wäre daher nur logisch anzunehmen, dass der AW es in seinem ersten Verfahren zumindest erwähnt hätte, dass er aufgrund einer Verfolgung durch Private zur Armee gegangen sei, was jedoch nicht der Fall war. Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass der AW im ersten Verfahren zwar für seinen Militärdienst, nicht jedoch für seine Bedrohung durch die Taliban Beweismittel vorlegen konnte und dennoch ein entsprechendes Vorbringen erstattete, weshalb die Behauptung, er habe das neue Vorbringen verschwiegen, weil er keine Beweismittel gehabt habe, ins Leere geht.

Bei den vom AW vorgelegten Beweismittel handelt es sich um zwei mit „Bittschrift“ betitelte Schriftstücke, in denen der Vater des AW gleichlautend das um neue Elemente ergänzte Fluchtvorbringen des AW schildert. Die Richtigkeit des Inhalts wird anschließend durch die Unterschriften eines Angeordneten des Parlaments der Provinz Nuristan, eines Bürgermeisters, des Gouverneurs der Provinz Nuristan und durch einen Stempel des Innenministeriums bestätigt.

Zu diesen Schriftstücken ist zunächst festzuhalten, dass es sich um zwei inhaltlich idente Schreiben handelt, wobei eines jedoch am 01.06.2020 unter der Nummer 418, eines am 02.06.2020 unter der Nummer 423 registriert worden sein soll. Weshalb zwei identische Schrieben bei derselben Behörde zwei Mal registriert werden sollten, erschließt sich dem erkennenden Gericht nicht.

Inhaltlich gibt dieses Schreiben im Wesentlichen das Fluchtvorbringen des AW im ersten Verfahren wider. Das Vorbringen wurde lediglich dadurch ergänzt, dass der AW wegen einer heimlichen Beziehung verfolgt worden sei, er sich aus diesem Grund der Armee angeschlossen habe und die Familie des Mädchens die Taliban ersucht hätten, Druck auf den AW und seine Familie auszuüben. Der übrige Inhalt des Schreibens deckt sich weitgehend mit dem früheren Vorbringen des AW, das schon im ersten Verfahren als nicht glaubhaft beurteilt wurde. Aus diesem Grund kann dem Schreiben auch jetzt keine Glaubhaftigkeit zugebilligt werden.

Darüber hinaus wurde es am 01.06.2020 vom Vater des AW, offenbar auf Basis von dessen Angaben, verfasst und die Registrierung veranlasst. Es ist daher davon auszugehen, dass es sich um ein Gefälligkeitsschreiben oder eine Fälschung handelt. Wie aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation hervorgeht, kann auch von der inhaltlichen Richtigkeit formell echter Urkunden nicht in jedem Fall ausgegangen werden. Urkunden werden oft erst viele Jahre nachträglich, ohne adäquaten Nachweis und sehr häufig auf Basis von Aussagen mitgebrachter Zeugen ausgestellt. Gefälligkeitsbescheinigungen und/oder Gefälligkeitsaussagen kommen sehr häufig vor. Sämtliche Urkunden in Afghanistan können problemlos gegen finanzielle Zuwendungen oder aus Gefälligkeit erhalten werden.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der AW sein bisheriges Vorbingen nur um neue Elemente ergänzte, sich im Grunde aber auf sein bisheriges Fluchtvorbringen stützte. Diese neuen Elemente wurden von ihm im ersten Verfahren mit keinem Wort erwähnt. Der AW versuchte daher, durch missbräuchliche Stellung eines zweiten Asylantrags seine nach der vorzeitigen Entlassung bevorstehende Abschiebung zu verhindern.

4.3. Zur Lage im Herkunftsstaat des AW:

4.3.1. Die diesem Beschluss zugrunde liegenden Länderfeststellungen (siehe oben Punkt 2.) gründen sich auf Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in Afghanistan ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Die Lage in Afghanistan stellt sich diesbezüglich im Wesentlichen unverändert dar, wie sich das erkennende Gericht durch ständige Beachtung der aktuellen Quellenlage (u.a. durch Einschau in aktuelle Berichte) versichert hat.

Der AW bzw. der Rechtsberater haben diese Feststellungen nicht bestritten.

Dass die allgemeine Situation in Afghanistan seit rechtskräftigem Abschluss des Vorverfahrens im Wesentlichen unverändert geblieben ist und sich die maßgebliche Lage in Afghanistan für den Betroffenen nicht geändert hat, ergibt sich aus den im Bescheid des BFA sowie im Erkenntnis des BVwG enthaltenen Feststellungen zu Afghanistan.

4.3.2. In den aktuellen Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 äußert UNHCR angesichts der gegenwärtigen Sicherheitslage sowie der menschenrechtlichen und humanitären Situation in Kabul die Auffassung, dass eine interne Flucht- und Neuansiedlungsalternative in dieser Stadt „generell“ nicht zur Verfügung stehe (arg. S. 114: „UNHCR considers that given the current security, human rights and humanitarian situation in Kabul, an Internal Flight or Relocation Alternative (IFA/IRA) is generally not available in the city.“).

UNHCR änderte damit in Relation zu den Richtlinien vom 19.04.2016 seine Schlussfolgerung zur Relevanz und Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative in der Stadt Kabul, dies auf Basis der (sofern nichts anderes angegeben) dem UNHCR am 31.05.2018 bekannten Informationen (vgl. FN 2 auf S. 5 der Richtlinien).

Nach den aktuellen Richtlinien vom 30.08.2018 ist UNHCR außerdem vor dem näher dargestellten Hintergrund der Ansicht, dass eine vorgeschlagene innerstaatliche Flucht- und Neuansiedlungsalternative nur sinnvoll möglich (und zumutbar) ist, wenn die Person Zugang zu Unterkünften, grundlegenden Dienstleistungen, wie Sanitärversorgung, Gesundheitsversorgung und Bildung sowie Möglichkeiten für den Lebensunterhalt oder nachgewiesene und nachhaltige Unterstützung für den Zugang zu einem angemessenen Lebensstandard hat. Darüber hinaus hält UNHCR eine innerstaatliche Flucht- und Neuansiedlungsalternative nur für zumutbar, wenn die Person Zugang zu einem Unterstützungsnetzwerk von Mitgliedern ihrer (erweiterten) Familie oder Mitgliedern ihrer größeren ethnischen Gemeinschaft in der Gegend der potenziellen Umsiedlung hat, die beurteilt wurden, bereit und in der Lage zu sein, dem Antragsteller in der Praxis echte Unterstützung zu leisten.

UNHCR ist weiters der Ansicht, dass die einzige Ausnahme von der Anforderung der externen Unterstützung alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im erwerbsfähigen Alter sind, soweit keine spezifischen Vulnerabilitäten (wie näher beschrieben) vorliegen. Unter bestimmten Umständen können diese Personen ohne familiäre und soziale Unterstützung in urbaner und semi-urbaner Umgebung leben, soweit diese Umgebung über die notwendige Infrastruktur und Lebensgrundlagen verfügt, um die Grundbedürfnisse des Lebens zu decken und soweit diese einer wirksamen staatlichen Kontrolle unterliegt (vgl. S. 109 f.).

Insofern ergibt sich aus den aktualisierten UNHCR-Richtlinien, ausgenommen der Stadt Kabul, keine maßgeblich andere Schlussfolgerung hinsichtlich innerstaatlichen Fluchtalternativen in urbanen Gebieten als aus jenen zum Stand 19.04.2016.

Das europäische Asyl- Unterstützungsbüro EASO geht in seiner Country Guidance: Afghanistan, Juni 2018 (in Folge: "EASO-Länderleitfaden Afghanistan", abrufbar hier: https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/easo-country-guidance-afghanistan-2018.pdf, vgl. dort S. 30), und in der aktuellen Country Guidance vom Juni 2019 (abrufbar hier: https://easo.europa.eu/sites/default/files/Country_Guidance_Afghanistan_2019.pdf) generell davon aus, dass in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif interne Schutzalternativen für „Single able-bodied adult men“ als zumutbar angesehen werden können, auch wenn der Antragsteller in der jeweiligen Region kein unterstützendes Netzwerk hat. Obwohl die Situation in Bezug auf die Ansiedlung in den drei Städten mit gewissen Schwierigkeiten verbunden ist, kann, so der Leitfaden, dennoch der Schluss gezogen werden, dass diese Antragsteller ihren Lebensunterhalt, Unterkunft und Hygiene unter Berücksichtigung der Tatsache, dass ihre individuellen Umstände keine zusätzlichen Vulnerabilitäten darstellen, gewährleisten können.

4.3.3. Die dargestellten Umstände rechtfertigen aus Sicht des erkennenden Gerichtes im Lichte einer Gesamtbetrachtung die Annahme, dem AW als interstaatliche Flucht- und Schutzalternative eine Rückkehr in eine der Städte Mazar-e Sharif oder Herat zur Verfügung steht:

So besteht in Mazar-e Sharif für den AW keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, und ist ihm unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände und auch unter dem Aspekt der Sicherheit die Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative in Mazar-e Sharif zumutbar.

Was die allgemeine Sicherheitslage betrifft, ist zunächst festzuhalten, dass die Stadt Mazar-e Sharif nach den Länderfeststellungen jedenfalls als unter Kontrolle der afghanischen Regierung stehend zu betrachten ist. Auch ergibt sich daraus nicht, dass dort von einem aktiven Konflikt zwischen der Regierung bzw. deren Kräften und regierungsfeindlichen Kräften auszugehen wäre. Grundsätzlich zählt die Provinz Balkh zu den ruhigen Provinzen in Nordafghanistans mit neun zivilen Opfern auf 100.000 Einwohnern im Jahr 2017.

Allerdings übersieht das erkennende Gericht nicht, dass es auch in der Stadt Mazar-e Sharif wiederkehrend zu sicherheitsrelevanten Vorfällen kommt. Aus dem Berichtsmaterial geht hervor, dass Terroranschläge bzw. sonstige sicherheitsrelevante Vorfälle durch regierungsfeindliche Gruppierungen, insbesondere auf Einrichtungen mit Symbolcharakter ("high-profile"-Ziele) wie insbesondere Regierungseinrichtungen oder Armeestützpunkte, in der Stadt Mazar-e Sharif nicht auszuschließen sind und in unregelmäßigen Abständen auch stattfinden. Jedoch begründet aus Sicht des BVwG allein der Umstand, dass an diesen Orten ein Vorfall ausgelöst durch regierungsfeindliche Gruppierungen erfolgen könnte, bei der derzeitigen Gefahrenlage für den AW noch keine stichhaltigen Gründe für ein reales Risiko der Verletzung seiner durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte bzw. liegt deshalb noch keine ernsthafte Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konflikts vor (dazu VwGH 25.04.2017, 2017/01/0016, m.w.N.):

Die in Mazar-e Sharif verzeichneten Anschläge ereigneten sich hauptsächlich im Nahebereich der dargestellten "high-profile"-Ziele. Diese Gefährdungsquellen sind jedoch in reinen Wohngebieten und auch bei Berücksichtigung bestimmter, üblicherweise zu erwartender Bewegungen des AW nach seiner Neuansiedlung (insbesondere der Weg zu Orten des Einkaufs von Gegenständen des täglichen Bedarfs, zu [möglichen, zukünftigen] Arbeitsstätten oder medizinischen Einrichtungen) nicht in einem solchen Ausmaß anzunehmen, dass von einem bereits erreichten Gewaltausmaß, wonach es geradezu wahrscheinlich wäre, dass auch der AW tatsächlich und durch seine bloße Anwesenheit in der Stadt Mazar-e Sharif Opfer eines Gewaltaktes werden würde, gesprochen werden muss. Dies insbesondere, wenn man dabei die Häufigkeit der dargestellten Anschläge dem Gesamtgebiet und der gesamten Einwohnerzahl von Mazar-e Sharif (rund 500.000) gegenüberstellt. Auch EASO geht (vgl. dazu EASO-Länderleitfaden Afghanistan) vor dem Hintergrund von Art. 8 Statusrichtlinie grundsätzlich davon aus, dass das Ausmaß der willkürlichen Gewalt in Mazar-e Sharif nicht ein so hohes Niveau erreicht, dass ernsthafte Gründe für die Annahme vorliegen, dass ein Zivilist allein aufgrund seiner Anwesenheit dort einem tatsächlichen Risiko eines schweren Schadens ausgesetzt wäre.

Beim AW handelt es sich um einen arbeitsfähigen Mann im erwerbsfähigen Alter mit Schulbildung, der im Heimatland als Soldat gearbeitet hat und bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Aufgrund seiner Arbeitsfähigkeit hat er die Möglichkeit, sich in Mazar-e Sharif allenfalls durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern. Zudem gehört der AW keinem Personenkreis an, von dem anzunehmen ist, dass er sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellt als die übrige Bevölkerung, die ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann. Die Rückkehrsituation des AW erschwert, dass er bislang noch nicht in Mazar-e Sharif gelebt hat und er dort über keine sozialen bzw. familiären Anknüpfungspunkte verfügt. Er stammt allerdings aus einem Kulturkreis, in dem auf den familiären Zusammenhalt und die gegenseitige Unterstützung im Familienkreis großer Wert gelegt wird. Es ist daher möglich, dass ihm seine in Nuristan aufhältige Familie zumindest zu Beginn als Starthilfe – wenn auch in geringem Ausmaß – finanzielle Unterstützung zukommen lassen kann. Es ist auch nicht ersichtlich, weshalb eine räumliche Trennung den Angehörigen des AW außer Stande setzen sollte, ihn finanziell zu unterstützen. Außerdem kann der AW durch die Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe zumindest übergangsweise in Mazar-e Sharif das Auslangen finden; deshalb ist auch nicht zu befürchten, dass er bereits unmittelbar nach seiner Rückkehr und noch bevor er in der Lage wäre, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen, in eine existenzbedrohende bzw. wirtschaftlich ausweglose Lage geraten könnte. Seine Existenz könnte er dort mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern, wobei er in der Verhandlung angab, jede Art von Arbeit annehmen zu können.

Der AW könnte Mazar-e Sharif von Kabul aus sicher erreichen: Was die Reise in Gebiete außerhalb der Hauptstadt Kabul betrifft, ist auszuführen, dass angesichts der auf den meisten Hauptverkehrsrouten gestiegenen Unsicherheit grundsätzlich zwar nicht erwartet werden kann, dass afghanische Staatsangehörige von Kabul aus auf dem Landweg durch unsichere Gebiete reisen müssen, um ihren endgültigen (sicheren) Zielort zu erreichen. Im gegenständlichen Fall ist jedoch festzuhalten, dass dem AW im Falle der Rückkehr nach Afghanistan die Möglichkeit offen steht, auf dem Luftweg von Kabul nach Mazar-e Sharif zu gelangen, auch wenn diese Art der Reise mit höheren Kosten als die Anreise auf dem Landweg verbunden ist. Wie sich aus den Länderberichten ergibt, stehen in der Hauptstadt Kabul mehrere Transportmöglichkeiten in andere Gebiete Afghanistans zur Verfügung. Die Entfernung zwischen Kabul und Mazar-e Sharif beträgt auf dem Landweg ca. 425 km (Wegzeit ca. 6 bis 7 Stunden). Es besteht auch eine Flugverbindung zwischen Kabul und Mazar-e Sharif. Kam Air, eine afghanische Fluggesellschaft mit Sitz in Kabul, bietet für diese Verbindung zwei Flüge am Tag an; die Kosten für einen Inlandsflug von Kabul nach Mazar-e Sharif belaufen sich einer Internet-Recherche zufolge derzeit auf etwa ca. 81 USD (= 75 EUR). Es kann dem AW unter Berücksichtigung seiner bereits dargelegten persönlichen Verhältnisse durchaus zugemutet werden, die Kosten für diesen Flug aus Eigenem aufzubringen.

Auch in Herat besteht für den AW keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK und ist ihm die Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative in Herat zumutbar. Die Stadt Herat ist die Hauptstadt der vergleichsweise gut entwickelten gleichnamigen Provinz im Westen des Landes. Herat wird als relativ friedliche Provinz gewertet. Aufständische sind in einigen Distrikten der Provinz, nicht jedoch in der Stadt Herat, aktiv. Die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle ist vergleichsweise gering. Die Lage in der Stadt Herat kann daher insgesamt als ausreichend sicher bewertet werden. Bei der Stadt Herat handelt es sich folglich um einen Ort, an dem die willkürliche Gewalt ein derart niedriges Ausmaß erreicht, dass es im Allgemeinen für Zivilisten nicht geradezu wahrscheinlich erscheint, dass sie tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein werden.

Der AW könnte Herat von Kabul aus sicher erreichen: Was die Reise in Gebiete außerhalb der Hauptstadt Kabul betrifft, ist auszuführen, dass angesichts der auf den meisten Hauptverkehrsrouten gestiegenen Unsicherheit grundsätzlich zwar nicht erwartet werden kann, dass afghanische Staatsangehörige von Kabul aus auf dem Landweg durch unsichere Gebiete reisen müssen, um ihren endgültigen (sicheren) Zielort zu erreichen. Im gegenständlichen Fall ist jedoch festzuhalten, dass dem AW im Falle der Rückkehr nach Afghanistan die Möglichkeit offensteht, auf dem Luftweg von Kabul nach Herat zu gelangen, auch wenn diese Art der Reise mit höheren Kosten als die Anreise auf dem Landweg verbunden ist. Der Flughafen liegt zwar etwa 18,5 Kilometer im Süden von der Provinzhauptstadt Herat, jedoch ist aufgrund von verfügbaren Länderinformationen der Schluss zu ziehen, dass die Fahrt vom Flughafen in die Stadt während der Tageszeit als grundsätzlich sicher einzustufen ist (s. EASO-Länderleitfaden Afghanistan). Es kann dem AW unter Berücksichtigung seiner bereits dargelegten persönlichen Verhältnisse durchaus zugemutet werden, die Kosten für diesen Flug aus Eigenem aufzubringen.

5. Rechtliche Beurteilung:

5.1. Anzuwendendes Recht:

Gegenständlich sind die Verfahrensbestimmungen des AVG, des BFA-VG, des VwGVG und jene im AsylG enthaltenen sowie die materiellen Bestimmungen des AsylG in der geltenden Fassung samt jenen Normen, auf welche das AsylG verweist, anzuwenden.

Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2013, entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 in der geltenden Fassung. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes – AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

5.2. Rechtlich folgt daraus:

5.2.1. Die gegenständliche Rechtssache betreffend den am 22.07.2020 mündlich erlassenen (Mandats-) Bescheid des BFA ist nach Vorlage am 24.07.2020 beim BVwG und am selben Tag bei der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung eingegangen. Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des BVwG zuständigen Einzelrichter.

Zu Spruchteil A):

5.2.2. Anzuwendendes Recht:

Der mit „Faktischer Abschiebeschutz bei Folgeanträgen" betitelte § 12a AsylG in der geltenden Fassung lautet:

„§ 12a (1) Hat der Fremde einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) nach einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG gestellt, kommt ihm ein faktischer Abschiebeschutz nicht zu, wenn
1.         gegen ihn eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG oder eine Ausweisung gemäß § 66 FPG erlassen wurde,
2.         kein Fall des § 19 Abs. 2 BFA-VG vorliegt,
3.         im Fall des § 5 eine Zuständigkeit des anderen Staates weiterhin besteht oder dieser die Zuständigkeit weiterhin oder neuerlich anerkennt und sich seit der Entscheidung gemäß § 5 die Umstände im zuständigen anderen Staat im Hinblick auf Art. 3 EMRK nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit maßgeblich verschlechtert haben., und
4.         eine Abschiebung unter Berücksichtigung des Art. 8 EMRK (§ 9 Abs. 1 bis 2 BFA-VG) weiterhin zulässig ist.

(2) Hat der Fremde einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) gestellt und liegt kein Fall des Abs. 1 vor, kann das Bundesamt den faktischen Abschiebeschutz des Fremden aufheben, wenn
1.         gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht,
2.         der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist, und
3.         die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(3) Hat der Fremde einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) gemäß Abs. 2 binnen achtzehn Tagen vor einem bereits festgelegten Abschiebetermin gestellt, kommt ihm ein faktischer Abschiebeschutz nicht zu, wenn zum Antragszeitpunkt
1.         gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht,
2.         der Fremde über den Abschiebetermin zuvor nachweislich informiert worden ist und
3.         darüber hinaus
a)         sich der Fremde in Schub-, Straf- oder Untersuchungshaft befindet;
b)         gegen den Fremden ein gelinderes Mittel (§ 77 FPG) angewandt wird, oder
c)         der Fremde nach einer Festnahme gemäß § 34 Abs. 3 Z 1 oder 3 BFA-VG iVm § 40 Abs. 1 Z 1 BFA-VG angehalten wird.

Liegt eine der Voraussetzungen der Z 1 bis 3 nicht vor, ist gemäß Abs. 2 vorzugehen. Für die Berechnung der achtzehntägigen Frist gilt § 33 Abs. 2 AVG nicht.

(4) In den Fällen des Abs. 3 hat das Bundesamt dem Fremden den faktischen Abschiebeschutz in Ausnahmefällen zuzuerkennen, wenn der Folgeantrag nicht zur ungerechtfertigten Verhinderung oder Verzögerung der Abschiebung gestellt wurde. Dies ist dann der Fall, wenn
1.         der Fremde anlässlich der Befragung oder Einvernahme (§ 19) glaubhaft macht, dass er den Folgeantrag zu keinem früheren Zeitpunkt stellen konnte oder
2.         sich seit der letzten Entscheidung die objektive Situation im Herkunftsstaat entscheidungsrelevant geändert hat.

Über das Vorliegen der Voraussetzungen der Z 1 und 2 ist mit Mandatsbescheid (§ 57 AVG) zu entscheiden. Wurde der Folgeantrag binnen zwei Tagen vor dem bereits festgelegten Abschiebetermin gestellt, hat sich die Prüfung des faktischen Abschiebeschutzes auf das Vorliegen der Voraussetzung der Z 2 zu beschränken. Für die Berechnung der zweitägigen Frist gilt § 33 Abs. 2 AVG nicht. Die Zuerkennung des faktischen Abschiebeschutzes steht einer weiteren Verfahrensführung gemäß Abs. 2 nicht entgegen.

(5) Abweichend von §§ 17 Abs. 4 und 29 Abs. 1 beginnt das Zulassungsverfahren in den Fällen des Abs. 1 und 3 bereits mit der Stellung des Antrags auf internationalen Schutz.

(6) Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 FPG bleiben 18 Monate ab der Ausreise des Fremden aufrecht, es sei denn es wurde ein darüber hinausgehender Zeitraum gemäß § 53 Abs. 2 und 3 FPG festgesetzt. Anordnungen zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, Ausweisungen gemäß § 66 FPG und Aufenthaltsverbote gemäß § 67 FPG bleiben 18 Monate ab der Ausreise des Fremden aufrecht. Dies gilt nicht für Aufenthaltsverbote gemäß § 67 FPG, die über einen darüber hinausgehenden Zeitraum festgesetzt wurden.“

§ 22 Abs. 10 AsylG lautet:

„Entscheidungen des Bundesamtes über die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 ergehen mündlich in Bescheidform. Die Beurkundung gemäß § 62 Abs. 2 AVG gilt auch als schriftliche Ausfertigung gemäß § 62 Abs. 3 AVG. Die Verwaltungsakten sind dem Bundesverwaltungsgericht unverzüglich zur Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG zu übermitteln. Diese gilt als Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht; dies ist in der Rechtsmittelbelehrung anzugeben. Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes hat das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG mit Beschluss zu entscheiden.“

Der mit „Überprüfung der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes" betitelte § 22 BFA-VG lautet:

„§22 (1) Eine Entscheidung des Bundesamtes, mit der der faktische Abschiebeschutz eines Fremden aufgehoben wurde (§ 12a Abs. 2 AsylG 2005), ist vom Bundesverwaltungsgericht unverzüglich einer Überprüfung zu unterziehen. Das Verfahren ist ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden. § 20 gilt sinngemäß. § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG ist nicht anzuwenden.

(2) Die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 und eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG oder eine Ausweisung gemäß § 66 FPG sind mit der Erlassung der Entscheidung gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 durchsetzbar. Mit der Durchführung der die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung umsetzenden Abschiebung gemäß § 46 FPG ist bis zum Ablauf des dritten Arbeitstages ab Einlangen der gemäß § 22 Abs. 10 AsylG 2005 zu übermittelnden Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuzuwarten. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Bundesamt unverzüglich vom Einlangen der Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung und von der im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 getroffenen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes zu verständigen.

(3) Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 hat das Bundesverwaltungsgericht binnen acht Wochen zu entscheiden."

5.2.3. Zu den Voraussetzungen des § 12a AsylG, auf den gegenständlichen Fall bezogen, im Detail:

5.2.3.1. Aufrechte Rückkehrentscheidung:

Gegen den AW liegt eine rechtskräftige aufrechte Rückkehrentscheidung vor. Er hat am 29.06.2020 den vorliegenden Folgeantrag gestellt. Die gegen ihn mit Bescheid des Bundesamtes vom 25.06.2018 ausgesprochene und mit Erkenntnis des BVwG vom 27.11.2018 rechtskräftig bestätigte Rückkehrentscheidung ist noch aufrecht.

5.2.3.2. Res iudicata (entschiedene Sache):

Die im gegenständlichen Verfahren behauptete Gefährdungssituation stützt der AW auf jenen Sachverhalt, der im ersten Verfahren als nicht glaubhaft festgestellt wurde. Er bezieht sich somit auf die im Zuge der ersten Antragstellung vorgebrachten Fluchtgründe (VwGH 20.03.2003, Zl 99/20/0480).

5.2.3.2.1. Aus dem Vorbringen zum Folgeantrag ergibt sich daher, wie auch in der Sachverhaltsdarstellung und der Beweiswürdigung aufgezeigt, kein entscheidungswesentlicher neuer Sachverhalt.

5.2.3.2.2. Auch die für den AW maßgebliche Ländersituation ist seit dem Erkenntnis des BVwG vom 27.11.2018 zur Frage der Zuerkennung von Asyl beziehungsweise subsidiären Schutz in Hinblick auf Afghanistan im Wesentlichen gleich geblieben, und wurde Gegenteiliges auch nicht behauptet (siehe oben Punkt 4.3.).

5.2.3.3. Prüfung der Verletzung von Rechten nach der EMRK:

Im ersten Verfahrensgang haben das BFA sowie das BVwG ausgesprochen, dass der AW bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat keiner realen Gefahr einer Verletzung der Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ausgesetzt wäre oder für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes bestehen würde (§ 50 FPG).

Auch im nunmehr zweiten Asylverfahren vor dem BFA sind – im Lichte der eben getroffenen Erwägungen – keine Risiken für den AW im Sinne von § 12a Abs. 2 Z 3 AsylG hervorgekommen oder substantiiert behauptet worden. Es sind auch keine erheblichen in der Person des AW liegenden neuen Sachverhaltselemente bekannt geworden, wie beispielsweise eine schwere Erkrankung, die eine umfassende Prüfung für notwendig erscheinen lassen würden. Auch seitens des AW wurde kein entsprechendes konkretes Vorbringen hiezu getätigt.

Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte beruhenden Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen (vgl. VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0063). Das Vorliegen solch exzeptioneller Umstände ist vor dem Hintergrund der Feststellungen jedenfalls zu verneinen.

Darüber hinaus ist auf die Rechtsprechung der Höchstgerichte zu verweisen, wonach es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl. VwGH 05.10.2016, Ra 2016/19/0158, mit Verweis auf das Urteil des EGMR vom 05.09.2013, I gegen Schweden, Appl. 61.204/09 mwH).

Hinsichtlich der derzeit bestehenden COVID-19-Pandemie ist auf eine jüngst erfolgte Revisionszurückweisung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wo dieser festhielt, dass es einer ganzheitlichen Betrachtung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat, bedarf. Eine Verletzung von Art. 3 EMRK ist demnach nur dann anzunehmen, wenn der Betroffene keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Solche exzeptionellen Umstände konnte der VwGH in Bezug auf Mazar-e Sharif aufgrund der COVID-19-Situation nicht ersehen (vgl. VwGH 23.06.2020, Ra 2020/20/0188).

Weiters ist auf ein jüngstes Erkenntnis des BVwG vom 22.06.2020, Zahl W240 2199489-2/2E, hinzuweisen, mit dem ein neuerlicher Antrag auf internationalen Schutz eines afghanischen Staatsangehörigen wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde.

Die Feststellungen im Erkenntnis vom 27.11.2018, wonach der Gesundheitszustand, die Arbeitsfähigkeit, die Schulbildung und die mehrjährige Berufserfahrung des AW zu berücksichtigen sind, der AW mit den Gepflogenheiten und den in Afghanistan gesprochenen Sprachen (Dari und Paschtu) vertraut ist, und die Familie des AW in der Lage ist, ihn im Fall der Rückkehr zu unterstützen, haben keinerlei Änderungen erfahren.

Auch mit Blick auf die derzeit bestehende Pandemie aufgrund des Corona ist daher festzuhalten, dass der AW ein junger Mann im Alter von (mindestens) 24 Jahren ist und an keinen schwerwiegenden Erkrankungen leidet und sohin kein Anhaltspunkt besteht, dass er unter die Risikogruppe der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen fällt. Ferner kann in Zusammenhang mit der weltweiten Ausbreitung des COVID-19-Erregers unter Zugrundelegung der Entwicklungen (auch) im Herkunftsland des AW (Reisebeschränkungen wurden mittlerweile aufgehoben, die Bevölkerung kann nun in alle Provinzen reisen) bislang keine derartige Entwicklung erkannt werden, die im Hinblick auf eine Gefährdung nach Art. 2 und Art. 3 EMRK eine entscheidungsrelevante Lageänderung erkennen lässt.

Im vorliegenden Fall ist auch sonst davon auszugehen, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des gesunden und arbeitsfähigen AW, keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 und 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilpersonen auch keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringt. Unter realer Gefahr ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr („a sufficiently real risk“) möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (vgl. etwa VwGH 19.02.2004, 99/20/0573). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre und es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichen nicht aus.

Es sind auch keine erheblichen in der Person des AW liegenden neuen Sachverhaltselemente bekannt geworden, die eine umfassende Refoulementprüfung für notwendig erscheinen lassen würden.

Ebenso wenig sind Umstände bekannt geworden, die nahelegen würden, dass bezogen auf den AW ein „reales Risiko“ einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK erschlossenen Behandlung bzw. der Todesstrafe besteht. Der AW hat auch solche Umstände weder in der Erstbefragung noch in der Einvernahme durch das BFA vorgebracht.

Im Hinblick auf Art. 8 EMRK hat der Betroffene bereits im ersten Asylverfahren angegeben, in Österreich keine Familie oder familienähnliche Lebensgemeinschaft zu haben. Gegenteiliges wurde auch im gegenständlichen Verfahren nicht behauptet. Eine besondere Aufenthaltsverfestigung kann angesichts der vergleichsweise kurzen Dauer seines Aufenthalts im Bundesgebiet, der seit rechtskräftigem Abschluss des Erstverfahrens unrechtmäßig ist, und seines Aufenthalts In Strafhaft nicht angenommen werden. Es kann daher auch keine Verletzung seines Rechts auf Privat- oder Familienleben durch eine Abschiebung festgestellt werden.

Entsprechend den obigen Ausführungen stellt – nach einer Grobprüfung des Aktes – die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des AW in seinen Herkunftsstaat für ihn somit keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK dar bzw. ist ein Eingriff in allfällig bestehende Rechte nach Art. 8 EMRK gerechtfertigt. Es besteht für ihn als Zivilperson auch keine ernsthafte Bedrohung seines Lebens und seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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