Entscheidungsdatum
10.08.2020Norm
AsylG 2005 §18 Abs1Spruch
I406 2231432-1/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard KNITEL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. ungeklärt alias Marokko, vertreten durch: Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH als Mitglied der ARGE Rechtsberatung, Wattgasse 48/3, 1170 Wien, gegen Spruchpunkte II. bis VIII. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.02.2020, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer reiste zu einem unbekannten Zeitpunkt unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet ein. Am 14.01.2019 wurde er erstmalig in der Notschlafstelle in XXXX einer fremdenrechtlichen Kontrolle unterzogen und sein unrechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet festgestellt.
2. Mit Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA; belangte Behörde) vom 22.01.2020, Zl. XXXX , wurde über den Beschwerdeführer die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme sowie der Sicherung der Abschiebung angeordnet. Dagegen erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde.
3. Am 13.02.2020 stellte der Beschwerdeführer aus dem Stande der Schubhaft den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. In seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag erklärte er, aus „Polisario“ in der Westsahara zu stammen. Aus diesem Grund werde er in seinem Herkunftsstaat Marokko unmenschlich behandelt.
4. Am 25.02.2020 wurde der Beschwerdeführer durch das BFA niederschriftlich zu seinem Asylantrag einvernommen. Er sei Staatsangehöriger Marokkos und in einem Camp in „Polisario“ geboren, situiert in der Wüste, an der Grenze zwischen Algerien und Marokko, und habe dort bis zu seiner Ausreise gelebt. Bis heute würden beide Staaten um das Land streiten. Er habe sein ganzes Leben in der Wüste verbracht. „Polisario“ gehöre nicht zu Marokko. Marokkaner dürften nicht dorthin und die Menschen von dort nicht nach Marokko. Den Asylantrag habe er gestellt, weil jeden Tag Krieg herrsche. Es gebe keine Sicherheit und er könne kein normales Leben führen.
5. Mit verfahrensgegenständlichem Bescheid des BFA vom 27.02.2020 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Marokko (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gleichzeitig wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und es wurde festgestellt, dass seine Abschiebung nach Marokko zulässig ist (Spruchpunkt V.). Eine Frist für eine freiwillige Ausreise wurde dem Beschwerdeführer nicht gewährt (Spruchpunkt VI.). Überdies wurde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII.) und gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VIII.).
Das BFA stellte zur Person des Beschwerdeführers fest, dass seine Identität nicht feststehe und er im gegenständlichen Verfahren mit dem Namen XXXX Staatsangehörigkeit Marokko, individualisiert werde. Er sei algerischer Staatsangehöriger und gehöre der Volksgruppe der Berber an. Es wurden Länderfeststellungen zu Marokko getroffen. Bei einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Marokko sei nicht mit dem Entzug seiner Lebensgrundlage zu rechnen und er würde auch nicht in eine aussichtslose Situation geraten.
Beweiswürdigend führte das BFA zur festgestellten Staatsangehörigkeit aus, dass der Beschwerdeführer keine geeigneten identitätsbezeugenden Dokumente vorgelegt habe und seine Identität nicht festgestellt werden könne. Glaubhaft sei, dass der Beschwerdeführer aus „Polisario“ stamme und es dort immer wieder zu Unruhen kommen könne.
6. Mit mündlich verkündetem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 05.03.2020, Zl. W140 2229100-1/14E, wurde die zuvor gegen den Schubhaftbescheid des BFA vom 22.01.2020 erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen und die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft vom 22.01.2020 bis 12.02.2020 für rechtmäßig erklärt. Ebenso wurde die Beschwerde hinsichtlich der Anhaltung von 13.02.2020 bis 05.03.2020 als unbegründet abgewiesen. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht mehr vorliegen.
Im Vorfeld zur mündlichen Schubhaft-Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht übermittelte das BFA am 03.03.2020 eine schriftliche Stellungnahme, im Zuge derer es zur Frage der Herkunft des Beschwerdeführers ausführte: „Der Beschwerdeführer gab an, freiwillig in den Herkunftsstaat auszureisen. Welcher Staat das ist, konnte nicht mit Sicherheit festgestellt werden. Jedenfalls waren die Angaben zur angeblichen Heimatregion Polisario unvollständig und mit Widersprüchen behaftet. Insbesondere wird hier auf die Asyleinvernahme verwiesen (u.a. Kontakt zu den Geschwistern, Schulbesuche in verschiedenen Ländern, Wohnort, Verbleib der engsten Verwandten). Es kommen aufgrund der Angaben des Beschwerdeführers neben Marokko auch Algerien als Herkunftsstaaten in Frage, da der Beschwerdeführer unter anderem angab, in Algerien gelebt und dort zur Schule gegangen zu sein. Beim Erstkontakt mit der österreichischen Polizei am 14.01.2020 wurde bei den Personendaten Marokko als Staatsangehörigkeit in den Bericht aufgenommen. Auch gab der Beschwerdeführer einmal an, auch dort zur Schule gegangen zu sein. Durch ein Interview vor der marokkanischen Botschaft oder gegebenenfalls eine Vorführung vor die algerische Delegation könnte zumindest die Staatsangehörigkeit von Marokko bzw. Algerien letztlich bestätigt oder eben ausgeschlossen werden.“
In der mündlichen Verhandlung am 05.03.2020 führte der Vertreter der belangten Behörde aus: „Grundsätzlich sei festgehalten, dass für Angehörige der Westsahara, also die Sahrauis, welche sich auf algerischem Territorium aufhalten, ohne weitere Probleme seitens der algerischen Behörden Identitätsdokumente ausgestellt werden. Die Wahrscheinlichkeit einer Identifikation wird die algerische Vertretung als äußerst groß zu betrachten. Zum Vorbringen bezüglich des völkerrechtlichen Status der Westsahara wird ergänzend vorgebracht, dass natürlich die marokkanischen Behörden ihren Zuständigkeitsbereich auch für das Gebiet der Polisario und Heimreisezertifikate auch für solche Bewohner ausstellen. Im Vorjahr wurden für Marokko insgesamt 52 Heimreisezertifikate ausgestellt. In den ersten zwei Monaten dieses Jahres 8. Sowohl eine Vorführung vor die algerische Delegation, welche monatlich stattfindet, als auch die Erlangung eines marokkanischen HRZ, insbesondere nach Vorführung vor die algerische Delegation, zumal mit hoher Wahrscheinlichkeit zumindest ein Identitätsdokument aufgrund des langen Aufenthaltes in Algerien naheliegend ist. Nahezu jeder Sahraui verfügt über Identitätsdokumente seitens der algerischen Behörden.“ (Verhandlungsprotokoll Seite 14).
7. Gegen Spruchpunkte II. bis VIII. des verfahrensgegenständlichen Bescheides richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde vom 25.05.2020. Der Beschwerdeführer machte inhaltliche Rechtswidrigkeit und die Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend. Das BFA behandle das Gebiet der Westsahara als Staatsgebiet Marokkos, obwohl auch aus den im Bescheid abgedruckten Länderberichten ausgeführt werde, dass das Königreich Marokko von der UN nicht als Verwaltungsmacht anerkannt worden sei. Die Behandlung von Flüchtlingen aus diesem Gebiet als marokkanische Staatsangehörige komme daher einer Anerkennung der völkerrechtswidrigen Annexion durch die österreichischen Behörden gleich. Gleichzeitig werde die Westsahara von Österreich nicht als Staat anerkannt. Der Beschwerdeführer wäre daher als Staatenloser und nicht als Staatsangehöriger Marokkos zu behandeln gewesen. Eine Rückkehr in das Gebiet der Westsahara sei dem Beschwerdeführer jedenfalls aufgrund der dort herrschenden humanitären Lage nicht zumutbar und dem Beschwerdeführer wäre daher subsidiärer Schutz zuzuerkennen gewesen. Entgegen den Feststellungen des BFA handle es sich beim Beschwerdeführer nicht um einen gesunden, arbeitsfähigen jungen Mann, zumal er an einer reaktiven Depression bei chronischem Alkoholismus leide. Auch erweise sich die Erlassung eines Einreiseverbotes in der Dauer von zwei Jahren als unrechtmäßig.
8. Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 15.06.2020 vorgelegt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:
Das BFA hat die Staatsangehörigkeit und damit verbunden die Rückkehrgefährdung des Beschwerdeführers nicht bzw. nur ansatzweise ermittelt.
Es wurden ausschließlich die Spruchpunkte II. bis VIII. des verfahrensgegenständlichen Bescheides angefochten, sodass Spruchpunkt I. bereits in Rechtskraft erwachsen ist.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen ergeben sich aus den von der belangten Behörde vorgelegten, unstrittigen Verwaltungsunterlagen.
Die Anfechtung lediglich der Spruchpunkte II. bis VIII. folgt dem diesbezüglich unmissverständlichen Inhalt der Beschwerde.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchpunkt A)
3.1. Gemäß § 28 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (in Folge: VwGVG), hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Gemäß § 28 Abs. 2 leg.cit. hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gem. Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Liegen die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG nicht vor, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/2014).
Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
3.2. Gema?ß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG ist einem Fremden der Status eines subsidia?r Schutzberechtigten zuzuerkennen, der in O?sterreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, wenn eine Zuru?ckweisung, Zuru?ckschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK (ZPERMRK) bedeuten wu?rde oder fu?r ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willku?rlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen wu?rde.
Im Rahmen der Pru?fung des Einzelfalls ist die Frage zu beantworten, ob einem Fremden im Falle der Abschiebung in seinen Herkunftsstaat ein - u?ber eine bloße Mo?glichkeit hinausgehendes - "real risk" einer gegen Art 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht (vgl VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0372; ua.). Die dabei aufgrund konkreter vom Fremden aufgezeigter oder von Amts wegen bekannter Anhaltspunkte anzustellende Gefahrenprognose erfordert eine ganzheitliche Bewertung der Gefahren und hat sich auf die perso?nliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen (vgl. VwGH 29.08.2019, Ra 2019/19/0143; ua.).
3.3. Gemäß § 18 Abs. 1 AsylG 2005 hat das BFA in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen.
3.4 Konkret hat das BFA geeignete Ermittlungsschritte zur Feststellung der Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers und damit verbunden die sich auf den Herkunftsstaat beziehenden Feststellungen unterlassen bzw. lediglich ansatzweise ermittelt. Der Beweiswürdigung kann nicht entnommen werden, aus welchen konkreten und logisch nachvollziehbaren Gründen das BFA davon ausgeht, dass der laut eigenen Angaben aus „Polisario“ in der Westsahara stammende Beschwerdeführer marokkanischer Staatsangehöriger sei.
Der Beschwerdeführer gab zwar in der polizeilichen Erstbefragung am 13.02.2020 an, marokkanischer Staatsangehöriger zu sein, gleichzeitig erklärte er, ein „Polisario“ zu sein und in Westsahara zu leben. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme durch das BFA am 25.02.2020 gab er an, aus einem Flüchtlingscamp in „Polisario“, einem umstrittenen Gebiet, zu kommen. „Polisario“ gehöre nicht zu Marokko.
In seinem Bescheid vom 27.02.2020 ging das BFA davon aus, dass der Beschwerdeführer marokkanischer Staatsangehöriger sei. Zwar sind die Feststellungen nicht eindeutig („Im gegenständlichen Verfahren werden Sie mit dem Namen […] geb. am […], Staatsangehörigkeit Marokko, individualisiert. Sie sind algerischer Staatsangehöriger (…)“), doch im Spruch des angefochtenen Bescheides, den Länderfeststellungen und dem restlichen Bescheid bezieht sich das BFA ausschließlich auf Marokko und nicht Algerien.
In seiner Beweiswürdigung führt das BFA lediglich an: „Ihre Identität steht in Ermangelung geeigneter, heimatstaatlicher, identitätsbezeugender Dokumente nicht fest.“ Weshalb das BFA von einer marokkanischen Staatsbürgerschaft des Beschwerdeführers ausgeht, erschließt sich aus der Beweiswürdigung nicht.
Wie nämlich aus dem Akteninhalt hervorgeht, hegte auch das BFA Zweifel an der Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers. So führte es in einer schriftlichen Stellungnahme vom 03.03.2020 bezüglich des Verfahrens zur Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft zur Frage der Herkunft aus, dass der Herkunftsstaat des Beschwerdeführers nicht mit Sicherheit festgestellt werden habe können. Seine Angaben zur angeblichen Heimatregion „Polisario“ seien unvollständig und mit Widersprüchen behaftet gewesen. Es komme neben Marokko auch Algerien als Herkunftsstaat in Frage, da der Beschwerdeführer unter anderem angegeben habe, in Algerien gelebt zu haben und dort zur Schule gegangen zu sein.
Den beweiswürdigenden Ausführungen ist nicht zu entnehmen, dass sich das BFA hinreichend mit der Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers auseinandergesetzt hat. Das BFA hat trotz der Erklärung des Beschwerdeführers, aus „Polisario“ zu stammen und trotz seiner eigenen offenkundigen Zweifel weder den Beschwerdeführer weiterführend befragt, noch sonstige Ermittlungsschritte zu seiner genauen Identität und Herkunft gesetzt. Die Länderfeststellungen der belangten Behörde beziehen sich ausschließlich auf Marokko.
Das BFA hätte aber gehörige Ermittlungen dahingehend zu tätigen, ob es sich beim Beschwerdeführer tatsächlich um einen Staatsangehörigen Marokkos handelt, da es sich gerade bei der Feststellung der Staatsangehörigkeit bzw. des Herkunftsstaates zweifellos um eine zentrale Frage im Asylverfahren handelt (vgl. etwa VwGH E 16.04.2009, 2008/19/0706; 20.02.2099, 2007/19/0535), welche grundsätzlich vom BFA zu tätigen ist, da ansonsten im Fall der Klärung des Herkunftsstaates durch das Bundesverwaltungsgericht das gesamte an die Feststellung knüpfende Ermittlungsverfahren zum Herkunftsstaat vor das Bundesverwaltungsgericht verlagert wäre.
Aus den dargelegten Gründen erweisen sich die durchgeführten Sachverhaltsermittlungen des BFA als ungenügend und es liegen besonders schwerwiegende Mängel des behördlichen Verfahrens bei der Ermittlung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes vor. Folglich hat eine Zurückverweisung der Sache an das BFA zu erfolgen, weil die belangte Behörde die erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen bzw. den maßgebenden Sachverhalt bloß ansatzweise ermittelt hat (vgl. VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).
Im weiteren Verfahren wird das BFA diesen Verfahrensmangel sanieren müssen und ein umfassendes Ermittlungsverfahren zu führen haben, indem entsprechend den obigen Ausführungen konkrete Ermittlungsschritte zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers und den Rückkehrbefürchtungen in Bezug auf den (tatsächlichen) Herkunftsstaat des Beschwerdeführers gesetzt werden.
Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich, weshalb von dem in § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG eingeräumten Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung Gebrauch zu machen war. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind daher im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.
4. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:
3.5. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist. Dies ist gegenständlich der Fall.
Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.
Schlagworte
Asylverfahren Behebung der Entscheidung Beweiswürdigung Ermittlungspflicht Identitätsfeststellung Kassation mangelhaftes Ermittlungsverfahren mangelnde Sachverhaltsfeststellung real risk reale Gefahr Rückkehrentscheidung Staatsbürgerschaft subsidiärer Schutz ZurückverweisungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:I406.2231432.1.00Im RIS seit
17.11.2020Zuletzt aktualisiert am
17.11.2020