Entscheidungsdatum
20.08.2020Norm
BBG §40Spruch
W133 2228137-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Natascha GRUBER als Vorsitzende und den Richter Mag. Michael SCHWARZGRUBER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumsservice, Landesstelle Niederösterreich, vom 09.12.2019, betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin stellte am 25.06.2019 beim Sozialministeriumservice (in der Folge auch als „belangte Behörde“ bezeichnet) einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO (Parkausweis), der entsprechend dem von der Beschwerdeführerin unterfertigten Antragsformular für den - auf die Beschwerdeführerin zutreffenden - Fall, dass sie nicht über einen Behindertenpass mit der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ in diesem Behindertenpass verfügt, auch als Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses bzw. auf Vornahme der genannten Zusatzeintragung in den Behindertenpass galt. Diesem Antrag legte sie einen ambulanten Arztbrief eines näher genannten Universitätsklinikums vom 06.06.2019 bei.
Die belangte Behörde gab in der Folge ein Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin und Chirurgie unter Anwendung der Bestimmungen der Einschätzungsverordnung in Auftrag. In diesem Gutachten vom 04.11.2019 wurde auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung und umfassender Darstellung der Statuserhebung die Funktionseinschränkung der Leidensposition
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
Position
GdB %
1
Colitis ulcerosa (ED 2017)
Wahl dieser Richtsatzposition bei gutem Allgemein - und Ernährungszustand
oberer Rahmensatz da bereits mehrmaliges Therapieversagen
07.04.05
40
zugeordnet und nach der Einschätzungsverordnung ein Gesamtgrad der Behinderung von 40 von Hundert (v.H.) eingeschätzt. Der Gutachter stellte fest, dass der Beschwerdeführerin die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar sei.
Mit Schreiben vom 05.11.2019 räumte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin ein förmliches Parteiengehör gemäß § 45 AVG samt Möglichkeit zur Stellungnahme ein. Das Gutachten vom 04.11.2019 wurde der Beschwerdeführerin als Beilage übermittelt.
Mit Schreiben vom 12.11.2019, bei der Behörde eingelangt am 14.11.2019, brachte die Beschwerdeführerin bei der belangten Behörde eine Stellungnahme ein. In dieser moniert sie im Wesentlichen die vom beigezogenen Sachverständigen durchgeführte Untersuchung und bringt vor, dass ihr – entgegen der Ansicht des Sachverständigen – die Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln nicht zumutbar sei. Sie legte dieser Stellungnahme keine medizinischen Unterlagen bei.
Aufgrund der eingebrachten Stellungnahme holte die belangte Behörde eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme des Arztes, welcher das Gutachten vom 04.11.2019 erstattet hatte, vom 05.12.2019 ein. Darin geht der Gutachter ausführlich auf das Stellungnahmevorbringen ein und führt zusammenfassend aus, dass der Gesamtgrad der Behinderung unverändert bleibe.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 09.12.2019 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß §§ 40, 41 und 45 Bundesbehindertengesetz (BBG) ab, da sie mit dem festgestellten Grad der Behinderung von 40 v.H. die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht erfülle. In der Begründung verwies die belangte Behörde auf das Ergebnis der ärztlichen Begutachtung, wonach der Grad der Behinderung 40 v.H. betrage. Das Gutachten vom 04.11.2019 und die ergänzende Stellungnahme vom 05.12.2019 wurden der Beschwerdeführerin als Beilage übermittelt.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin ohne Vorlage medizinischer Beweismittel mit E-Mailschreiben vom 24.01.2020 fristgerecht eine Beschwerde. Darin bringt sie erneut vor, dass ihr die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aufgrund ihrer Erkrankung nicht zumutbar sei. Da die Psyche bei ihrer Erkrankung eine wesentliche Rolle spiele, habe sie am 05.02.2020 einen Termin bei einer Neurologin. Den entsprechenden Befund werde sie nachreichen.
Die belangte Behörde legte dem Bundesverwaltungsgericht am 30.10.2020 die Beschwerde und den Bezug habenden Verwaltungsakt zur Entscheidung vor. Das Verfahren wurde der hg. Gerichtsabteilung W115 zugeteilt.
Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21.01.2020 wurde das gegenständliche Beschwerdeverfahren mit Wirksamkeit vom 07.02.2020 der Gerichtsabteilung W115 abgenommen und der Gerichtsabteilung W133 neu zugeteilt.
Bis zum Entscheidungszeitpunkt wurden von der Beschwerdeführerin keine medizinischen Unterlagen nachgereicht.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:-
1. Feststellungen:
Die Beschwerdeführerin brachte am 25.06.2019 den gegenständlichen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses bei der belangten Behörde ein.
Sie ist österreichische Staatsbürgerin und hat ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich.
Bei der Beschwerdeführerin besteht folgende Funktionseinschränkung, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern wird:
? Colitis ulcerosa (Erstdiagnose 2017) bei gutem Allgemein - und Ernährungszustand, bereits mehrmaliges Therapieversagen.
Der Gesamtgrad der Behinderung der Beschwerdeführerin beträgt aktuell 40 v.H.
Die Entfernung der Gallenblase ohne Komplikationen erreicht keinen Grad der Behinderung.
Hinsichtlich der bei der Beschwerdeführerin bestehenden Funktionseinschränkung, deren Ausmaß, medizinischer Diagnose und medizinischer Einschätzung werden die diesbezüglichen Beurteilungen im Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin und Chirurgie vom 04.11.2019 und in der ergänzend eingeholten medizinischen Stellungnahme vom 05.12.2019 der nunmehrigen Entscheidung zu Grunde gelegt.
Unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden medizinischen Befunde und der Untersuchungsergebnisse im Gutachten ist eine höhere Einschätzung des festgestellten Leidenszustandes zum Entscheidungszeitpunkt nicht möglich.
2. Beweiswürdigung:
Das Datum der Einbringung des gegenständlichen Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses basiert auf dem Akteninhalt.
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und zum Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Inland ergeben sich aus einem vom Bundesverwaltungsgericht aktuell eingeholten Auszug aus dem zentralen Melderegister und ihren eigenen Angaben bei der Antragstellung; konkrete Anhaltspunkte dafür, dass sie ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr im Inland hätte, sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Auch die belangte Behörde ging vom Vorliegen dieser Voraussetzung aus.
Der Gesamtgrad der Behinderung basiert auf dem seitens der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin und Chirurgie vom 04.11.2019 und der ergänzend eingeholten medizinischen Stellungnahme vom 05.12.2019. Darin wird auf die Art des Leidens der Beschwerdeführerin und dessen Ausmaß vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei eingegangen. Die getroffene Einschätzung, welche auf den im Rahmen einer persönlichen Untersuchung erhobenen Befunden basiert, entspricht auch der festgestellten Funktionsbeeinträchtigung (diesbezüglich wird auch auf die oben auszugsweise wiedergegebenen Ausführungen in den Gutachten verwiesen); die Gesundheitsschädigung wurde nach der Einschätzungsverordnung richtig eingestuft.
Bei der Beschwerdeführerin wurde im Jahr 2017 eine Colitis ulcerosa diagnostiziert. Dieses Leiden wurde vom Sachverständigen korrekt der Positionsnummer 07.04.05 der Anlage zur Einschätzungsverordnung zugeordnet. Diese betrifft chronische Darmstörungen mittleren Grades mit chronischen Schleimhautveränderungen. Auch die Zuordnung zum oberen Rahmensatz dieser Positionsnummer mit einem Grad der Behinderung von 40 v.H. ist nachvollziehbar und richtig, da es bei der Beschwerdeführerin zu mehrmaligem Therapieversagen (unter anderem mit Remicade, Simponi, Humira und Entyvio) gekommen ist. Nunmehr wird das Leiden der Beschwerdeführerin mit Xeljanz (Einnahme zweimal täglich) behandelt. Laut den Angaben der Beschwerdeführerin bei ihrer persönlichen Untersuchung am 14.10.2019 und in ihrem Schreiben vom 12.11.2019 spricht sie gut auf dieses Medikament an und kann damit ihre Situation besser kontrollieren. Die Zuordnung zur nächst höheren Positionsnummer 07.04.06 der Anlage zur Einschätzungsverordnung würde insbesondere nicht nur eine mittelschwere Beeinträchtigung des Allgemein- und Ernährungszustandes, sondern bereits eine erhebliche Beeinträchtigung des Allgemeinzustandes und eine schwere Beeinträchtigung des Ernährungszustandes erfordern. Eine erhebliche Beeinträchtigung des Allgemeinzustandes bzw. eine schwere Beeinträchtigung des Ernährungszustandes liegen bei der Beschwerdeführerin allerdings nicht vor. Aus der Statuserhebung des Gutachtens vom 04.11.2019 ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin zum Untersuchungszeitpunkt am 14.10.2019 ein Gewicht von 79,00 kg bei einer Größe von 172,00 cm aufwies und sowohl ihr Allgemein- als auch ihr Ernährungszustand als gut zu bezeichnen waren. Insofern wurde vom beigezogenen Gutachter richtigerweise keine erhebliche Beeinträchtigung des Allgemeinzustandes bzw. keine schwere Beeinträchtigung des Ernährungszustandes angenommen, da diese nachweislich nicht vorliegen.
Dass der Gutachter, an dessen Qualifikation kein Zweifel besteht, die Funktionseinschränkung der Beschwerdeführerin tatsachenwidrig beurteilt hätte, kann vor dem Hintergrund der vorgelegten Befunde sowie unter Berücksichtigung der Untersuchungsergebnisse nicht erkannt werden. Die Funktionseinschränkung der Beschwerdeführerin wurde umfassend und differenziert nach dem konkret vorliegenden Krankheitsbild nachvollziehbar und richtig berücksichtigt.
Insoweit die Beschwerdeführerin in ihrem Schreiben vom 12.11.2019 bzw. in der Beschwerde mehrfach darauf Bezug nimmt, dass ihr die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar sei, ist darauf hinzuweisen, dass die belangte Behörde über die beantragte Zusatzeintragung nicht bescheidmäßig abgesprochen hat, weshalb diese Frage nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht ist. Da aber mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 40 v.H. kein Anspruch auf die Ausstellung eines Behindertenpasses besteht, ist im Übrigen – dies sei lediglich der Vollständigkeit halber angemerkt - auch die Vornahme allfälliger Zusatzeintragungen (wie z.B. „Unzumutbarkeit der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel“) und die Ausstellung eines Ausweises gemäß § § 29 b StVO (Parkausweis) rechtlich nicht zulässig.
Die Ausführungen der Beschwerdeführerin im Rahmen der Stellungnahme zum Parteiengehör bzw. in der Beschwerde waren somit im Ergebnis nicht geeignet, das vorliegende Sachverständigengutachten (inklusive ergänzender Stellungnahme) zu entkräften und eine Änderung des Ermittlungsergebnisses herbeizuführen. Die Beschwerdeführerin ist dem Sachverständigengutachten auch nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, steht es dem Antragsteller, so er der Auffassung ist, dass seine Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27.06.2000, Zl. 2000/11/0093).
Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen folglich keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit des vorliegenden Sachverständigengutachtens vom 04.11.2019 (inklusive ergänzender gutachterlicher Stellungnahme vom 05.12.2019). Diese werden daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten auszugsweise:
"§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder
3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder
...
5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.
(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpass auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.
§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn
1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder
2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder
3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.
...
§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familiennamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
...
§ 45.
(1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.
…
§ 46. Die Beschwerdefrist beträgt abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beträgt zwölf Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.“
Wie oben unter Punkt II.2. eingehend ausgeführt wurde, wird der gegenständlichen Entscheidung das seitens der belangten Behörde eingeholte Gutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin und Chirurgie vom 04.11.2019 und die ergänzend eingeholte medizinische Stellungnahme vom 05.12.2019 zu Grunde gelegt, wonach der Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin aktuell 40 v.H. beträgt. Die Gesundheitsschädigungen wurden in dem Gutachten auch nach den Bestimmungen der Einschätzungsverordnung richtig eingestuft; diesbezüglich wird auch auf die obigen Ausführungen im Rahmen der Beweiswürdigung verwiesen. Wie ebenfalls bereits oben im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt wurde, waren die im Rahmen der Beschwerde erhobenen Einwendungen nicht geeignet, das vorliegende Gutachten (inklusive Stellungnahme) zu entkräften.
Mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 40 v.H. sind die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs. 1 BBG, wonach behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbstätigkeit von mindestens 50 v.H. ein Behindertenpass auszustellen ist, nicht erfüllt.
Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass für das Verfahren nach § 46 BBG eine Neuerungsbeschränkung besteht, wonach im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden dürfen. Bei einer Verschlechterung des Leidenszustandes kommt jedoch eine neuerliche Einschätzung des Grades der Behinderung nach Maßgabe des § 41 Abs. 2 BBG in Betracht.
Die Beschwerde war daher spruchgemäß abzuweisen.
Im gegenständlichen Fall wurde die Frage der Feststellung des Gesamtgrades der Behinderung unter Mitwirkung eines ärztlichen Sachverständigen geprüft. Die strittigen Tatsachenfragen (Schmerzen, Art und Ausmaß der Funktionseinschränkungen) gehören dem Bereich zu, der von Sachverständigen zu beleuchten ist. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist vor dem Hintergrund des vorliegenden, nicht substantiiert bestrittenen schlüssigen Sachverständigengutachtens (inklusive Stellungnahme) geklärt, sodass im Sinne der Judikatur des EGMR und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.12.2013, Zl. 2011/11/0180) eine mündliche Verhandlung nicht geboten war. Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG nicht entgegen (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.12.2013, Zl. 2011/11/0180 mit weiterem Verweis auf die Entscheidung des EGMR vom 21.03.2002, Nr. 32.636/96). Beide Parteien stellten zudem keinen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird (vgl. dazu die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 09.06.2017, Zl. E 1162/2017-5).
Zu Spruchteil B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Schlagworte
Behindertenpass Grad der Behinderung SachverständigengutachtenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W133.2228137.1.00Im RIS seit
16.11.2020Zuletzt aktualisiert am
16.11.2020