TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/26 G303 2224898-1

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Veröffentlicht am 26.08.2020
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Entscheidungsdatum

26.08.2020

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch

G303 2224898-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Simone KALBITZER als Vorsitzende sowie die Richterin Dr. Eva WENDLER und den fachkundigen Laienrichter Herbert WINTERLEITNER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Steiermark, vom 07.10.2019, OB: XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung“ in den Behindertenpass, zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

II. Es wird festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass bis 31.08.2021 vorliegen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) brachte am 26.05.2019 über die Zentrale Poststelle beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Steiermark (im Folgenden: belangte Behörde), einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b Straßenverkehrsordnung 1960 (Parkausweis) ein. Dieser Antrag gilt entsprechend dem Antragsformular der belangten Behörde auch als Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses bzw. auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" in den Behindertenpass.

2. Im Rahmen des seitens der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungsverfahrens wurde ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt.

In dem eingeholten Gutachten von XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, vom 12.08.2019 wurden nach erfolgter persönlicher Untersuchung des BF am 06.08.2019, zusammengefasst folgende Funktionseinschränkungen festgehalten:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos. Nr.

GdB %

1

Degenerative Wirbelsäulenveränderungen mit Versteifungsoperation der Lendenwirbelsäule von L4/L5 und L5/S1 2015; unterer Rahmensatzwert der gewählten Position entspricht der mittelgradigen Funktionseinschränkung und chronischen Schmerzaktivierung unter dauerhafter Schmerzmitteleinnahme mit Einschluss von Morphinen und gezielten Nervenwurzel- und Facettenblockaden

02.02.03

50

 

Gesamtgrad der Behinderung

 

50 v.H.

Hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Zusatzeintragung wurde zusammengefasst ausgeführt, dass bei degenerativen Wirbelsäulenveränderungen mit Versteifungsoperation der Lendenwirbelsäule von L4/L5 und L5/S1 2015 mit chronischer Schmerzaktivierung eine geringgradige Funktionseinschränkung der Wirbelsäulen- und Beinfunktion sowie der Gehfunktion bestehe; bei Verwendung einer Stützkrücke ist diese nicht als dauerhaft hochgradig zu qualifizieren. Eine kurze Gehstrecke und Stufen würden selbständig bewältigt werden können, ebenso wie das Hinsetzen und Aufstehen, sodass auch der sichere Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel gegeben sei.

3. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 13.08.2019 wurde dem BF zum Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme ein schriftliches Parteiengehör gemäß § 45 AVG gewährt und die Möglichkeit eingeräumt, dazu binnen zwei Wochen ab Zustellung eine schriftliche Stellungnahme einzubringen.

3.1. Nach der vorliegenden Aktenlage erstattete der BF dazu keine Stellungnahme.

4. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 07.10.2019 wurde der Antrag des BF auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass abgewiesen. Gestützt wurde die Entscheidung der belangten Behörde auf das Ergebnis des ärztlichen Begutachtungsverfahrens. Danach würden die Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung nicht vorliegen. Das oben angeführte ärztliche Sachverständigengutachten von XXXX wurde dem angefochtenen Bescheid als Beilage angeschlossen und zum Bestandteil der Begründung des Bescheides erklärt. In der rechtlichen Begründung des angefochtenen Bescheides wurden die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes und der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013, zitiert. Des Weiteren wurden die maßgeblichen Kriterien, welche entsprechend der VwGH-Judikatur für die gegenständliche Zusatzeintragung relevant sind, angeführt.

5. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 08.10.2019 wurde dem BF der beantragte Behindertenpass übermittelt. Der Grad der Behinderung wurde darin mit 50 v.H. eingetragen.

6. Gegen diesen Bescheid erhob der BF mit Schreiben vom 23.10.2019 bei der belangten Behörde fristgerecht Beschwerde. Darin führte der BF im Wesentlichen aus, dass der Sachverständige die Immobilität durch das Einknicken des linken Beines und den daraus resultierenden Stürzen nicht berücksichtigt habe. Der BF beziehe seit ungefähr einem Jahr Rehabilitationsgeld und müsse abermals auf Rehabilitation gehen. Nach der letzten Operation an der Wirbelsäule (Verplattung LWS-Bereich) seien nach 1,5 Jahren die Schmerzzustände massiv zurückgekehrt. Der BF habe im letzten Jahr mehrere „Blockaden“ sowie eine Stromtestung durchführen lassen; diese hätten jedoch keine Verbesserung seiner Schmerzsituation bewirkt; im Gegenteil dazu würde seitdem sein linkes Bein ständig aussetzen, wodurch es zu Stürzen komme. Der BF habe ein Taubheitsgefühl im Bein abwechselnd mit Schwellung und Rötung, Überwärmung sowie starken Schmerzen. Der BF habe sich deswegen durch einen Sturz auf der Treppe eine Knöchelzerrung zugezogen. Zur Feststellung des Gutachters, wonach der BF gehen könne, brachte der BF vor, dass er maximal 5 bis 10 Minuten gehen könne, dann würde er es auf Grund von Verstärkung der Schmerzen nicht mehr schaffen und würde ein Auslassen des Beines durch Überlastung provozieren. Zudem habe der BF dem Gutachter mitgeteilt, dass er laufend stürzen würde, nur Kurzstrecken gehen könne und er auf eine Gehhilfe angewiesen sei. Der BF wohne im ländlichen Gebiet, wo der Gehweg zur Bahn und zum Bus mindestens 30 Minuten betrage. Das sei für den BF nicht zu schaffen, auch seien die Parkplätze oftmals weiter als 10 Minuten vom Zielort entfernt. Der BF ersuche um nochmalige Beurteilung seiner Situation.

7. Die gegenständliche Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht von der belangten Behörde am 30.10.2019 vorgelegt.

8. Zur Überprüfung des Beschwerdegegenstandes wurde seitens des erkennenden Gerichtes XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, mit der Begutachtung und Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt.

8.1. Im medizinischen Sachverständigengutachten von XXXX vom 18.05.2020 wird, basierend auf einer persönlichen Untersuchung des BF am selben Tag, im Wesentlichen folgendes festgehalten:

?        Degenerative Wirbelsäulenveränderungen mit Versteifungsoperation der Lendenwirbelsäule von L4/L5 und L5/S1 mit Nervenwurzelreizsymptomatik und Giving way-Symptomatik im Bereich der linken unteren Extremität

?        Zustand nach Karpaltunnelsyndrom-Operation 2020 mit Restsymptomatik

Zum Gangbild und zur Mobilität des BF wurde festgehalten, dass der BF mit einer Unterarmstützkrücke zur Untersuchung gekommen und der Gang im Schonhinken linksseitig gewesen sei. Der Einbeinstand sei beidseits möglich, dies etwas unsicher mit teilweisem Anhalten. Der Zehen- und Ferstenstand sei möglich, der Finger- bzw. Bodenabstand betrage ca. 50 cm.

Zur Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wurde ausgeführt, dass gegenständlich die Wirbelsäulensymptomatik relevant sei. Es zeige sich eine Nervenwurzelreizsymptomatik mit Giving-way-Effekt im Bereich der linken unteren Extremität. Die Schmerzen nach einer ausgedehnten dorsalen Stabilisierungsoperation seien medizinisch nachvollziehbar; es sei auch eine entsprechende Medikation von Seiten der Schmerzambulanz etabliert. Die Schmerzen und das Einknicken des linken Kniegelenkes werden als limitierender Faktor der Mobilität angegeben; dies sei medizinisch nachvollziehbar, jedoch sei einzuwenden, dass mit einem Hilfsmittel, einer Unterarmstützkrücke, eine gewisse Stabilität der Extremität erreicht werden könne und somit eine relevante Wegstrecke umsetzbar wäre. Das zügige Einsteigen mit der Unterarmstützkrücke in ein öffentliches Verkehrsmittel sei sicher als erschwert anzusehen und auch der sichere Transport mit einer Unterarmstützkrücke im öffentlichen Verkehrsmittel sei nur im Sitzen als gegeben anzunehmen, zumal aktuell die rechte Hand in der Belastbarkeit und Beweglichkeit nach stattgehabter Operation (2/2020) eingeschränkt sei. Eine Besserung der Handfunktion sei zu erwarten.

Beim BF würden keine direkten, erheblichen Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten, keine erheblichen Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit, keine erheblichen Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten und Funktionen oder schwere, anhaltende Erkrankungen des Immunsystems vorliegen. Es würde keine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubheit bestehen.

9. Das Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme wurde den Verfahrensparteien im Rahmen eines schriftlichen Parteiengehörs gemäß § 45 Abs. 3 AVG in Verbindung mit § 17 VwGVG seitens des erkennenden Gerichtes mit Schreiben vom 27.05.2020 zur Kenntnis gebracht und die Möglichkeit eingeräumt, sich dazu binnen zwei Wochen ab Zustellung zu äußern.

9.1. Mit Schreiben vom 28.05.2020 teilte die belangte Behörde im Rahmen des Parteiengehörs stellungnehmend mit, dass aus dem Gutachten von XXXX vom 18.05.2020 zwar ersichtlich sei, dass dem BF aufgrund der eingeschränkten Handfunktion derzeit die Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel unzumutbar sei, es werde jedoch nicht angegeben, wie lange dieser Zustand andauern werde bzw. wann eine Nachuntersuchung notwendig sei.

9.2. Diesbezüglich teilte der Sachverständige XXXX auf Ersuchen des erkennenden Gerichtes ergänzend zum vorliegenden Gutachten mit, dass eine Besserung der Handfunktion innerhalb der nächsten sechs Monate zu erwarten sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF ist am XXXX geboren und ist im Besitz eines Behindertenpasses mit einem eingetragenen Grad der Behinderung in Höhe von 50 von Hundert.

Der BF leidet an folgenden Gesundheitsschädigungen:

?        Degenerative Wirbelsäulenveränderungen mit Versteifungsoperation der Lendenwirbelsäule von L4/L5 und L5/S1 mit einer Nervenwurzelreizsymptomatik und einer „Giving way-Symptomatik“ im Bereich der linken unteren Extremität

?        Zustand nach Karpaltunnelsyndrom-Operation 2020 mit Restsymptomatik

Im Vordergrund des Gesamtleidenszustandes des BF stehen die degenerativen Wirbelsäulenveränderungen mit Versteifungsoperation der Lendenwirbelsäule. Die bestehenden Schmerzen und das Einknicken des linken Kniegelenkes (sog. „Giving-way-Symptomatik“) schränken die Mobilität des BF ein.

Der BF verwendet beim Gehen eine Unterarmstützkrücke. Das zügige Einsteigen mit einer Unterarmstützkrücke in ein öffentliches Verkehrsmittel ist als erschwert anzusehen, zusätzlich besteht aufgrund der Karpaltunneloperation im Februar 2020 eine eingeschränkte Belastbarkeit sowie Beweglichkeit der rechten Hand. Diesbezüglich ist mit einer Besserung innerhalb der nächsten sechs Monate zu rechnen.

Insgesamt ist der sichere Transport des BF in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter den üblichen Transportbedingungen derzeit nicht gewährleistet.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang sowie die Feststellungen zum Geburtsdatum und zum Besitz des Behindertenpasses ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten, der Beschwerde und dem vorliegenden Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes.

Das seitens des Bundesverwaltungsgerichtes eingeholte medizinische Sachverständigengutachten von XXXX vom 18.05.2020 ist vollständig, schlüssig und widerspruchsfrei. Die festgestellten Gesundheitsschädigungen und deren Auswirkungen auf die Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln ergeben sich daraus.

Insbesondere ergibt sich aus dem Sachverständigengutachten zweifelsfrei, dass beim BF aufgrund der Gesamtfunktionsstörung, insbesondere des Einknickens des linken Kniegelenkes und der nachvollziehbaren Schmerzen, die Mobilität eingeschränkt ist.

Gutachterlich erscheint der sichere Transport des BF nur im Sitzen gewährleistet, zumal die rechte Hand derzeit nur eingeschränkt belastbar sowie beweglich ist. Aus Sicht des erkennenden Senates ist dies nicht ausreichend, damit die Feststellung getroffen werden kann, dass ein sicherer Transport im öffentlichen Verkehrsmittel unter den üblichen Transportbedingungen insgesamt gewährleistet ist, da nicht generell davon ausgegangen werden kann, dass immer ein Sitzplatz zur Verfügung steht und auch ein kurzes Fortbewegen im öffentlichen Verkehrsmittel aus verschiedensten Gründen (Ticketkauf, Sitzplatzsuche etc.) notwendig werden kann.

Die Feststellung, dass eine Besserung der Handfunktion innerhalb der nächsten sechs Monate zu erwarten sei, konnte aufgrund einer eingeholten Ergänzung des Sachverständigengutachtens von XXXX getroffen werden.

Der Inhalt dieses ärztlichen Sachverständigengutachtens wurde den Verfahrensparteien seitens des erkennenden Gerichts im Rahmen eines schriftlichen Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht und zur Möglichkeit einer Stellungnahme übermittelt. Der BF erstattete keinerlei Stellungnahme dazu. In der Stellungnahme der belangten Behörde wurden keine Einwände dagegen erhoben und sogar ausgeführt, dass die Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln für den BF aufgrund der eingeschränkten Handfunktion derzeit unzumutbar sei. Es blieb somit im gegenständlichen Verfahren unbestritten und wird der Entscheidung des erkennenden Gerichtes in freier Beweiswürdigung zu Grunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter gemäß § 45 Abs. 4 BBG mitzuwirken.

Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.).

Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4 VwGVG) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Das Verwaltungsgericht kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, ungeachtet eines Parteienantrags, von einer Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art 6 Abs. 1 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) noch Art 47 GRC (Charta der Grundrechte) entgegenstehen.

Der im gegenständlichen Fall entscheidungsrelevante Sachverhalt wurde größtenteils auf gutachterlicher Basis ermittelt. Die ärztliche Begutachtung basierte auch auf einer persönlichen Untersuchung des BF. Der Inhalt des vorliegenden Sachverständigengutachtens wurde zudem von den Verfahrensparteien im Rahmen ihres schriftlichen Parteiengehörs nicht beeinsprucht.

Da der Sachverhalt auch aus der Aktenlage in Verbindung mit den Beschwerdegründen und dem Begehren des BF geklärt erscheint und unstrittig ist, konnte eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 VwGVG entfallen.

Im vorliegenden Fall wurde darüber hinaus seitens beider Parteien eine mündliche Verhandlung nicht beantragt.

3.2. Zu Spruchteil A):

Unter Behinderung im Sinne des Bundesbehindertengesetzes ist gemäß § 1 Abs. 2 BBG die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Der Behindertenpass hat gemäß § 42 Abs. 1 BBG den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

Treten Änderungen ein, durch die behördliche Eintragungen im Behindertenpaß berührt werden, hat das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen gemäß § 43 Abs. 1 BBG diese zu berichtigen oder erforderlichenfalls einen neuen Behindertenpaß auszustellen. Bei Wegfall der Voraussetzungen ist der Behindertenpaß einzuziehen.

Gemäß § 45 Abs. 1 BBG sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

Ein Bescheid ist gemäß § 45 Abs. 2 BBG nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3 BBG) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

Gemäß § 1 Abs. 4 Z 3 der am 01. Jänner 2014 in Kraft getretenen Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen idgF ist auf Antrag des Menschen mit Behinderung jedenfalls einzutragen, die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

-        erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

-        erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

-        erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller   Fähigkeiten, Funktionen oder

-        eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

-        eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 4 Z 1 lit. b oder d vorliegen.

Unter erheblicher Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten sind entsprechend der Erläuterungen der oben angeführten Verordnung ungeachtet der Ursache eingeschränkte Gelenksfunktionen, Funktionseinschränkungen durch Erkrankungen von Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Muskeln, Nerven, Gefäßen, durch Narbenzüge, Missbildungen und Traumen zu verstehen.

Entscheidend für die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist, wie sich eine bestehende Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt (VwGH vom 20.10.2011, Zl. 2009/11/0032).

Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung“ regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden (vgl. etwa VwGH 18.12.2006, Zl. 2006/11/0211; VwGH 20.04.2004, Zl. 2003/11/0078).

Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche sowie bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt (VwGH 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242; 14.05.2009, Zl. 2007/11/0080).

Es war aus folgenden Gründen spruchgemäß zu entscheiden:

In der gegenständlichen Rechtssache verfügt der BF aufgrund seines Wirbelsäulenleidens mit Nervenwurzelreizsymptomatik und „Giving-Way-Effekt“ im Bereich der linken unteren Extremität sowie aufgrund der derzeitigen eingeschränkten Belastbarkeit und Beweglichkeit der rechten Hand nicht über die Fähigkeit ein öffentliches Verkehrsmittel insgesamt sicher zu benützen, da ein sicherer Transport des BF nur im Sitzen gewährleistet ist. Bei der Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln sind jedoch auch Niveauunterschiede beim Ein- und Aussteigen zu überwinden, oftmals mangels eines Sitzplatzes ein längeres Stehen notwendig und eine Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt erforderlich. Zudem konnte durch die bestehenden Schmerzen und durch das Einknicken des linken Kniegelenkes („Giving-way-Symptomatik“) eine Mobilitätseinschränkung festgestellt werden.

Auch wenn der BF direkt an keinen Einschränkungen und Erkrankungen im Sinne der anzuwendenden Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen leidet, bedingen die Gesamtheit aller gesundheitlichen Einschränkungen, dass ihm die Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln derzeit nicht zumutbar ist.

Dem steht die demonstrative ("insbesondere") Aufzählung der Fälle in § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, in denen die Feststellung der genannten Unzumutbarkeit gerechtfertigt erscheint, nicht entgegen (vgl. VwGH 09.11.2016, Ra 2016/11/0137; 21.04.2016, Ra 2016/11/0018 zur demonstrativen Aufzählung).

Die Zusatzeintragung ist befristet zu gewähren, da mit einer Besserung der Handfunktion der rechten Hand medizinisch zu rechnen ist, welche ihn derzeit maßgeblich hindert ein öffentliches Verkehrsmittel insgesamt sicher zu benützen. Auch wenn bereits die Besserung der Handfunktion innerhalb der nächsten sechs Monate erwartet werden kann, ist die Zusatzeintragung bis 31.08.2021 vorzunehmen, da das Wirbelsäulenleiden Hauptursache für die Mobilitätseinschränkung ist.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

3.3. Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlicher Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung.

Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Befristung Behindertenpass Sachverständigengutachten Unzumutbarkeit Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G303.2224898.1.00

Im RIS seit

17.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

17.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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