TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/27 G303 2227250-1

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Veröffentlicht am 27.08.2020
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Entscheidungsdatum

27.08.2020

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch

G303 2227250-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Simone KALBITZER als Vorsitzende sowie die Richterin Dr. Eva WENDLER und den fachkundigen Laienrichter Herbert WINTERLEITNER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Steiermark, vom 22.11.2019, OB: XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung“ in den Behindertenpass, zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird gemäß §§ 1 Abs. 2, 42 Abs. 1 und 45 des Bundesbehindertengesetzes (BBG) idgF sowie § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen idgF stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

II. Es wird festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Der Inhaberin des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass vorliegen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) brachte am 17.09.2019 über die Zentrale Poststelle beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Steiermark (im Folgenden: belangte Behörde), einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b Straßenverkehrsordnung 1960 (Parkausweis) ein. Dem Antrag waren medizinische Befunde sowie eine Kopie des Behindertenpasses angeschlossen.

Dieser Antrag gilt entsprechend dem Antragsformular der belangten Behörde auch als Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses bzw. auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" in den Behindertenpass.

2. Im Rahmen des seitens der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungsverfahrens wurde ein medizinisches Sachverständigengutachten von Dr. XXXX , Facharzt für Orthopädie, vom 02.11.2019, basierend auf einer persönlichen Untersuchung der BF am 31.10.2019, eingeholt.

Hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Zusatzeintragung wurde zusammengefasst ausgeführt, dass die BF zur Untersuchung ohne Hilfsmittel erschienen sei und insgesamt problemlos mobilisiert sei. Sie beschreibe, dass sie nicht mehr allzu weit gehen könne, vor allem wegen der Wadenkrämpfe und auch der Schmerzen am rechten Fuß. Die Gehdauer werde mit einer Viertelstunde angegeben. Bei der Prüfung des Barfuß- Gangbildes zeige sich ein hinkfreies Gangbild mit normaler Schrittlänge, wobei rechts lediglich ein gestörtes Abrollverhalten und ein schmerzhaft eingeschränkter Zehengang festgestellt werden konnte. Aus orthopädischer Sicht sei der BF eine kurze Wegstrecke zur Erreichung von öffentlichen Verkehrsmitteln auch weiterhin zumutbar. Auch das Ein- und Aussteigen in öffentliche Verkehrsmittel könne mit ausreichender Sicherheit gewährleistet werden.

3. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 04.11.2019 wurde der BF zum Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme ein schriftliches Parteiengehör gemäß § 45 AVG gewährt und die Möglichkeit eingeräumt, dazu binnen zwei Wochen ab Zustellung eine schriftliche Stellungnahme einzubringen.

4. Mit undatiertem Schreiben, bei der belangten Behörde eingelangt am 15.11.2019, erstattete die BF im Rahmen des Parteiengehörs eine Stellungnahme. Darin brachte die BF vor, dass bei ihr eine dauerhafte Mobilitätseinschränkung aufgrund ihrer Behinderung vorliege. Die BF besitze seit 08.10.2012 einen Behindertenausweis mit einem eingetragenen Grad der Behinderung von 60 %. Es entspreche nicht den Tatsachen, dass bei der BF seit Ausstellung des Behindertenpasses keine Verschlechterung eingetreten sei. Sie ersuche um neuerliche Prüfung.

5. In der als „Sofortige Beantwortung“ bezeichneten medizinischen Stellungnahme des Ärztlichen Dienstes der belangten Behörde vom 22.11.2019 wurde ausgeführt, dass seitens der BF keine neuen Befunde vorgelegt worden seien. Das Gutachten von Dr. XXXX , Facharzt für Orthopädie und orthopädische Chirurgie, sei schlüssig und nachvollziehbar. Trotz der Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule und der Beine sei eine kurze Wegstrecke bewältigbar, ebenso das Ein- und Aussteigen sowie ein sicherer Transport in öffentliche Verkehrsmittel unter den üblichen Bedingungen. Auch bei nochmaliger Durchsicht der Befunde und des Gutachtens sei keine Änderung der Beurteilung möglich.

6. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 22.11.2019 wurde der Antrag der BF auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass abgewiesen. Gestützt wurde die Entscheidung der belangten Behörde auf das Ergebnis des ärztlichen Begutachtungsverfahrens. Danach würden die Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung nicht vorliegen. Das oben angeführte ärztliche Sachverständigengutachten und die medizinische Stellungnahme von Dr. XXXX wurden dem angefochtenen Bescheid als Beilage angeschlossen und zum Bestandteil der Begründung des Bescheides erklärt. In der rechtlichen Begründung des angefochtenen Bescheides wurden die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes und der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013, zitiert. Des Weiteren wurden die maßgeblichen Kriterien, welche entsprechend der VwGH-Judikatur für die gegenständliche Zusatzeintragung relevant sind, angeführt.

7. Gegen diesen Bescheid erhob die BF mit Schreiben vom 05.12.2019 bei der belangten Behörde fristgerecht Beschwerde. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge aussprechen, dass auf Grund der massiven gesundheitlichen Beeinträchtigungen der BF die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar sei und ein entsprechender Zusatzeintrag in den Behindertenpass vorzunehmen sei.

Begründend brachte die BF zusammengefasst vor, dass ihre Gesundheit vor allem durch schmerzhafte Veränderungen im Bereich der gesamten Wirbelsäule maßgeblich beeinträchtigt sei. Sie leide unter starken Schmerzen im Halswirbelsäulenbereich mit schmerzhafter Ausstrahlung in den hinteren Kopfbereich und in die oberen Extremitäten sowie unter starken Schmerzen im Lendenwirbelsäulenbereich mit Ausstrahlung in die unteren Extremitäten. Insbesondere belaste sie ein Zustand nach 3maliger Bandscheibenoperation L4/5 mit fortgeschrittener Osteochondrose L4/5, mehrsegmentalen Bandscheibenprotrusionen zervikal und lumbal sowie ein Bandscheibenprolaps L2/3 und C4/5. Außerdem habe die BF eine Großzehenhebeschwäche links sowie einen Senkspreizfuß beidseits mit Achsfehlstellung des 2. und 3. Strahles rechts nach operativer Hammerzehenkorrektur und Entfernung eines Morton Neuroms interdigital zwischen den 3. und 4. Strahl im Mai 2015. Die BF kämpfe mit belastungsabhängigen Beschwerden und einer Gangerschwernis. Außerdem leide sie unter einer Engpasssymptomatik der rechten Schulter und Funktionseinschränkungen und belastungsabhängigen Beschwerden. Darüber hinaus weise sie auch psychische Beschwerden auf und leide unter einer Depression mit Somatisierungsneigung. Aufgrund all dieser Beschwerden sei es der BF nur mehr möglich sehr wenige Meter zu Fuß zurückzulegen. Als Beweis werde ein Sachverständiger für Orthopädie sowie für Neurologie und Psychiatrie angeführt.

8. Die gegenständliche Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht von der belangten Behörde am 08.01.2020 vorgelegt.

9. Zur Überprüfung des Beschwerdegegenstandes wurde seitens des erkennenden Gerichtes XXXX Dr. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, mit der Begutachtung und Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt.

9.1. Im medizinischen Sachverständigengutachten von XXXX Dr. XXXX vom 25.05.2020 wird, basierend auf einer persönlichen Untersuchung der BF am selben Tag, im Wesentlichen folgendes festgehalten:

Diagnosen:

?        Degeneratives Wirbelsäulensyndrom, die Hals- und deutlicher die Lendenwirbelsäule betreffend, bei stattgehabter 3-maliger Bandscheibenoperation lumbal L4/5 (2009) mit fortgeschrittener Osteochondrose L4/5 sowie mehrsegmentaler Bandscheiben- protrusionen zervikal und lumbal, Bandscheibenprolaps L2/3 und C4/5, mit neuromotorischen Einschränkungen (Großzehenheberschwäche links)

?        Senkspreizfuß bds. mit Achsenfehlstellung des 2. und 3. Strahles rechts nach operativer Hammerzehenkorrektur und Entfernung eines Morton Neuroms interdigital zwischen dem 3. und 4. Strahl (05/2019) belastungsabhängige Beschwerden, Gangerschwernis

?        Engpasssymptomatik der rechten Schulter mit mittelgradiger Funktionseinschränkung und belastungsabhängigen Beschwerden

?        Reaktive Depression mit Somatisierungsneigung

Zum Gangbild und zur Mobilität der BF wurde festgehalten, dass sich ein linksseitig humpelndes, etwas breitbeiniges Gangbild mit verkürzter Schrittlänge zeige. Der Einbeinstand sei nur unter Anhalten möglich.

Zur Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wurde ausgeführt, dass im Gegensatz zum Vorgutachten eine Verschlechterung der Gangfunktion eingetreten sei. Es werde im Rahmen der Untersuchung auch angegeben, dass nie behauptet worden sei, eine Viertelstunde gehen zu können. Es zeige sich aktuell das klinisch verdächtige Bild einer „Claudicatio spinalis“ mit zusätzlichen Durchblutungsstörungen im Bereich des linken Beines, welche sich in erster Linie als krampfartige Schmerzen äußern würden. Eine Schmerztherapie der Stufe 3 laut WHO-Kriterien sei etabliert. Eine relevante Wegstrecke scheine dadurch eingeschränkt. Das rasche Überwinden von Niveauunterschieden und auch der sichere Transport im Stehen in einem öffentlichen Verkehrsmittel sei als eingeschränkt anzusehen.

Bei der BF würden keine direkten, erheblichen Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten, keine erheblichen Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit, keine erheblichen Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten und Funktionen oder schwere, anhaltende Erkrankungen des Immunsystems vorliegen. Es würde keine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubheit bestehen.

10. Das Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme wurde den Verfahrensparteien im Rahmen eines schriftlichen Parteiengehörs gemäß § 45 Abs. 3 AVG in Verbindung mit § 17 VwGVG seitens des erkennenden Gerichtes mit Schreiben vom 08.06.2020 zur Kenntnis gebracht und die Möglichkeit eingeräumt, sich dazu binnen zwei Wochen ab Zustellung zu äußern.

10.1. Die belangte Behörde erstattete dazu keine Stellungnahme beziehungsweise Äußerung. Die BF teilte lediglich mit, dass sie das Parteiengehör zur Kenntnis nehme.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die BF ist am XXXX geboren und ist im Besitz eines Behindertenpasses mit einem eingetragenen Grad der Behinderung in Höhe von 60 von Hundert.

Die BF leidet an folgenden Gesundheitsschädigungen:

?        Degeneratives Wirbelsäulensyndrom, welches die Hals- und deutlicher die Lendenwirbelsäule betrifft; bei stattgehabter 3-maliger Bandscheibenoperation lumbal L4/5 (2009) mit fortgeschrittener Osteochondrose L4/5 sowie mehrsegmentaler Bandscheibenprotrusionen zervikal und lumbal, Bandscheibenprolaps L2/3 und C4/5, mit neuromotorischen Einschränkungen (Großzehenheberschwäche links)

?        Senkspreizfuß bds. mit Achsenfehlstellung des 2. und 3. Strahles rechts nach operativer Hammerzehenkorrektur und Entfernung eines Morton Neuroms interdigital zwischen dem 3. und 4. Strahl (05/2019) belastungsabhängige Beschwerden und Gangerschwernis

?        Engpasssymptomatik der rechten Schulter mit mittelgradiger Funktionseinschränkung und belastungsabhängigen Beschwerden

?        Reaktive Depression mit Somatisierungsneigung

Im Vordergrund des Gesamtleidenszustandes der BF stehen die orthopädischen Leiden mit einer Claudicatio spinalis mit zusätzlichen Durchblutungsstörungen im Bereich des linken Beines, wodurch krampfartige Schmerzen entstehen.

Das Gangbild der BF ist linksseitig humpelnd, etwas breitbeinig mit verkürzter Schrittlänge. Der Einbeinstand ist nur unter Anhalten möglich. Insgesamt besteht eine Gangerschwernis.

Die BF erhält eine Schmerztherapie der Stufe 3 laut WHO-Kriterien.

Die BF ist nicht in der Lage eine kurze Wegstrecke im Ausmaß von 300-400 Metern selbständig und durchgehend zurückzulegen. Auch das zügige Überwinden von Niveauunterschieden ist nicht möglich. Insgesamt ist der sichere Transport der BF in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter den üblichen Transportbedingungen nicht gewährleistet.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang sowie die Feststellungen zum Geburtsdatum und zum Besitz des Behindertenpasses ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten, der Beschwerde und dem vorliegenden Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes.

Das seitens des Bundesverwaltungsgerichtes eingeholte medizinische Sachverständigengutachten von XXXX Dr. XXXX vom 25.05.2020 ist vollständig, schlüssig und widerspruchsfrei. Die festgestellten Gesundheitsschädigungen und deren Auswirkungen auf die Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln ergeben sich daraus.

Insbesondere wurde darin ausgeführt, dass bei der BF eine Verschlechterung der Gangfunktion eingetreten ist und die BF an einer „Claudicatio spinalis“ mit zusätzlichen Durchblutungsstörungen im Bereich des linken Beines leidet, die krampfartige Schmerzen verursachen.

Auf Basis der gutachterlichen Ausführung, dass eine relevante Wegstrecke nur eingeschränkt möglich erscheine und aufgrund des sonstigen Leidenszustandes der BF wurde festgestellt, dass sie nicht in der Lage ist, eine kurze Wegstrecke im Ausmaß von 300-400 Metern selbständig und durchgehend zurückzulegen.

Gutachterlich erscheint der sichere Transport der BF im Stehen und das rasche Überwinden von Niveauunterschieden als nur eingeschränkt möglich. Aus Sicht des erkennenden Senates ist dies nicht ausreichend, damit die Feststellung getroffen werden kann, dass ein sicherer Transport im öffentlichen Verkehrsmittel unter den üblichen Transportbedingungen insgesamt gewährleistet ist, da nicht generell davon ausgegangen werden kann, dass immer ein Sitzplatz zur Verfügung steht und auch ein kurzes Fortbewegen im öffentlichen Verkehrsmittel aus verschiedensten Gründen (Ticketkauf, Sitzplatzsuche etc.) notwendig werden kann.

Der Inhalt des ärztlichen Sachverständigengutachtens von XXXX Dr. XXXX wurde den Verfahrensparteien seitens des erkennenden Gerichts im Rahmen eines schriftlichen Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht und zur Möglichkeit einer Stellungnahme übermittelt. Die Verfahrensparteien erstatteten keinerlei inhaltliche Stellungnahme dazu. Es blieb somit im gegenständlichen Verfahren unbestritten und wird der Entscheidung des erkennenden Gerichtes in freier Beweiswürdigung zu Grunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter gemäß § 45 Abs. 4 BBG mitzuwirken.

Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.).

Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4 VwGVG) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Das Verwaltungsgericht kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, ungeachtet eines Parteienantrags, von einer Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art 6 Abs. 1 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) noch Art 47 GRC (Charta der Grundrechte) entgegenstehen.

Der im gegenständlichen Fall entscheidungsrelevante Sachverhalt wurde größtenteils auf gutachterlicher Basis ermittelt. Die ärztliche Begutachtung basierte auch auf einer persönlichen Untersuchung der BF. Der Inhalt des vorliegenden Sachverständigengutachtens wurde zudem von den Verfahrensparteien im Rahmen ihres schriftlichen Parteiengehörs nicht beeinsprucht.

Da der Sachverhalt auch aus der Aktenlage in Verbindung mit den Beschwerdegründen und dem Begehren der BF geklärt erscheint und unstrittig ist, konnte eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 VwGVG entfallen.

Im vorliegenden Fall wurde darüber hinaus seitens beider Parteien eine mündliche Verhandlung nicht beantragt.

3.2. Zu Spruchteil A):

Unter Behinderung im Sinne des Bundesbehindertengesetzes ist gemäß § 1 Abs. 2 BBG die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Der Behindertenpass hat gemäß § 42 Abs. 1 BBG den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

Gemäß § 45 Abs. 1 BBG sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

Ein Bescheid ist gemäß § 45 Abs. 2 BBG nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3 BBG) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

Gemäß § 1 Abs. 4 Z 3 der am 01. Jänner 2014 in Kraft getretenen Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen idgF ist auf Antrag des Menschen mit Behinderung jedenfalls einzutragen, die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

-        erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

-        erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

-        erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller   Fähigkeiten, Funktionen oder

-        eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

-        eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 4 Z 1 lit. b oder d vorliegen.

Unter erheblicher Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten sind entsprechend der Erläuterungen der oben angeführten Verordnung ungeachtet der Ursache eingeschränkte Gelenksfunktionen, Funktionseinschränkungen durch Erkrankungen von Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Muskeln, Nerven, Gefäßen, durch Narbenzüge, Missbildungen und Traumen zu verstehen.

Entscheidend für die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist, wie sich eine bestehende Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt (VwGH vom 20.10.2011, Zl. 2009/11/0032).

Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung“ regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden (vgl. etwa VwGH 18.12.2006, Zl. 2006/11/0211; VwGH 20.04.2004, Zl. 2003/11/0078).

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt.

Betreffend das Kalkül "kurze Wegstrecke" wird angemerkt, dass der Verwaltungsgerichtshof von einer unter Zugrundelegung städtischer Verhältnisse durchschnittlich gegebenen Entfernung zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel von 300 - 400 m ausgeht (vgl. u.a. VwGH 27.05.2014, Ro 2014/11/0013).

Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche sowie bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt (VwGH 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242; 14.05.2009, Zl. 2007/11/0080).

Es war aus folgenden Gründen spruchgemäß zu entscheiden:

In der gegenständlichen Rechtssache verfügt die BF aufgrund ihrer festgestellten Gesundheitsschädigungen nicht über die Fähigkeit ein öffentliches Verkehrsmittel unter den üblichen Transportbedingungen insgesamt sicher zu benützen, da ein sicherer Transport der BF nur im Sitzen gewährleistet ist. Bei der Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln sind jedoch auch Niveauunterschiede beim Ein- und Aussteigen zu überwinden, oftmals mangels eines Sitzplatzes ein längeres Stehen notwendig und eine Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt erforderlich. Auch ist die BF nicht in der Lage eine kurze Wegstrecke im Ausmaß von 300-400m selbstständig und durchgehend zurückzulegen.

Auch wenn die BF direkt an keinen Einschränkungen und Erkrankungen im Sinne der anzuwendenden Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen leidet, bedingen die Gesamtheit aller gesundheitlichen Einschränkungen, dass ihr die Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln nicht zumutbar ist.

Dem steht die demonstrative ("insbesondere") Aufzählung der Fälle in § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, in denen die Feststellung der genannten Unzumutbarkeit gerechtfertigt erscheint, nicht entgegen (vgl. VwGH 09.11.2016, Ra 2016/11/0137; 21.04.2016, Ra 2016/11/0018 zur demonstrativen Aufzählung).

Da die BF zudem Inhaberin eines Behindertenpasses ist, liegen die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Der Inhaberin des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass jedenfalls vor.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

3.3. Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlicher Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung.

Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Behindertenpass Sachverständigengutachten Unzumutbarkeit Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G303.2227250.1.00

Im RIS seit

17.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

17.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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