TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/28 W253 2231982-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.08.2020
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Entscheidungsdatum

28.08.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs3 Z2
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §6 Abs1 Z4
AsylG 2005 §8 Abs3a
AsylG 2005 §9 Abs2
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §53 Abs3 Z5
FPG §53 Abs3 Z6
FPG §55

Spruch

W253 2231982-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Jörg C. BINDER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , staatenlos, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung – Diakonie Flüchtlingsdienst, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien, gegen die Spruchpunkte I. – IV. sowie VI. – IX. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.02.2020, Zl. 15-1070175806/150542744, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 02.07.2020 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte am 21.05.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Am 16.07.2015 wurden seitens des Beschwerdeführers Unterlagen zum Beweis seiner Identität und seiner Fluchtgründe vorgelegt, genauer ein Auszug aus dem Familienregister, eine UNHCR-Bestätigung für palästinensische Flüchtlinge, ein Einberufungsbefehl vom syrischen Militär sowie ein Antrag auf Ausstellung einer ID-Card.

3. Am 19.10.2015 wurde der Beschwerdeführer durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich einvernommen. Im Rahmen dieser Einvernahme gab er an, dass er in Homs, Syrien geboren worden, Palästinenser und traditionell verheiratet sei. Sein Vater und seine zwei Brüder seien verstorben, seine Mutter und seine Ehefrau würden in Homs leben, genauer in XXXX , einem UNO-Flüchtlingscamp. Der Beschwerdeführer habe von 1996 bis 1999 die Grundschule in Homs in diesem Camp besucht und nachfolgend von 1999 bis 2002 das Gymnasium XXXX in Homs. Er habe eine Lehre als Elektriker abgeschlossen und habe diesen Beruf auch zuletzt ausgeübt. Der Beschwerdeführer sei in Syrien aufgewachsen, da seine Eltern Asylwerber in Syrien gewesen seien. Er habe das Land verlassen müssen, weil dort Krieg herrsche. Seine Ehefrau sei in Syrien verblieben, da der Beschwerdeführer nicht genug Geld gehabt habe. Sein Vater und seine Brüder seien im Krieg gestorben. Bei einer Rückkehr fürchte er sich im Krieg zu sterben oder umgebracht zu werden.

4. Einem Aktenvermerk seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 03.07.2017 ist zu entnehmen, dass das Verfahren hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 38 AVG bis zur Klärung einer Vorfrage auf unbestimmte Zeit ausgesetzt wurde. Die Vorfrage sei, die ausstehende Entscheidung der Schuldfrage wegen § 278c Abs. 1 Z1 StGB; § 75 StGB durch das Landesgericht Innsbruck (LG Innsbruck). Abhängig von der gerichtlichen Entscheidung werde das weitere Asylverfahren geführt bzw. werde zu prüfen sein, ob bei einer Verurteilung ein Ausschlussgrund gem. § 6 AsylG 2005 vorliege.

5. Am 11.12.2018 wurde der Beschwerdeführer durch das LG Innsbruck zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe aufgrund von 20 Verbrechen des Mordes als terroristische Straftat nach § 278c Abs. 1 Z1 (§ 75 StGB) verurteilt. Dieses Urteil erwuchs am 12.09.2019 in Rechtskraft.

6. Die Einvernahme durch einen Referenten des BFA fand am 11.11.2019 in Räumlichkeiten der Justizvollzugsanstalt Innsbruck statt. Festgehalten wurde, dass der Beschwerdeführer am Fußknöchel rechts sowie am Oberschenkel links und an der Schläfe links Narben in der Länge von 2 cm, nach Schussverletzungen habe.

Der Beschwerdeführer gab im Rahmen dieser Einvernahme an, dass er schon 2017 seinen Asylantrag zurückziehen und Österreich verlassen habe wollen. Er habe in einem anderen Land um Asyl ansuchen wollen.

Der Beschwerdeführer gab an, keine physischen oder psychischen Probleme zu haben. Er leide aber an Epilepsie und habe in der Justizanstalt Medikamente erhalten, solche brauche er seit 1,5 Jahren nicht mehr. Es gehe ihm „jetzt“ gut und er habe keine Probleme mehr. Er sei auch in seiner Heimat diesbezüglich behandelt worden, anfangs habe er Tabletten bekommen und als es ihm schlecht gegangen sei, habe ihn seine Mutter ins Krankenhaus gebracht und er habe dort „eine Spritze“ bekommen. Er habe vor der Haft einen Arzt in Kufstein aufgesucht, danach sei er einem Psychiater zugewiesen worden, jetzt werde er nicht mehr diesbezüglich betreut, da es ihm „gut“ gehe.

Der Beschwerdeführer habe keinen Reisepass besessen, da er als Palästinenser keinen Reisepass sondern nur ein „Reisedokument für palästinensische Flüchtlinge“ bekommen habe. Die Originale zu den kopierten, vorgelegten Dokumenten könne der Beschwerdeführer nicht vorlegen, da er diese „den Menschen, die damals den Flüchtlingen geholfen haben“ übergeben habe.

Die Eltern des Beschwerdeführers seien in Palästina geboren und Palästinenser. Die palästinensischen Flüchtlinge in Syrien würden in einem großen Flüchtlingslager wohnen und würden von der UNO betreut. Die Palästinenser bekommen „alles“ von der UNO (Arbeit, Bildung und medizinische Versorgung). Die Eltern hätten von Geburt an bis 1948 in Palästina gelebt.

Sein Vater sei verstorben, seine Mutter und zwei Schwestern würden noch in Homs im UNO Flüchtlingscamp leben. Der Beschwerdeführer habe einen Zwillingsbruder, ein weiterer Bruder sei verstorben und ein Bruder gelte als vermisst. Eine Schwester des Beschwerdeführers lebe im Libanon, seine ehemalige Verlobte lebe in Homs, Syrien. Eine Tante des Beschwerdeführers lebe in Palästina.

Der Beschwerdeführer habe von 1995 bis 2001 in Homs im Flüchtlingscamp die Grundschule besucht und nachfolgend von 2001 bis 2004 die Mittelschule ebendort. Zwischen 2005 und 2006 habe er „nichts“ getan. Nach der Schule habe er ein Jahr eine Ausbildung für den Beruf des Elektroschlossers absolviert und habe dann ca. drei Monate als solcher gearbeitet. Danach habe er in der Schule als Aushilfe gearbeitet (bis 2008). Danach habe er einen Einberufungsbefehl erhalten und sei zum Militär gegangen.

Von 2008 bis 2010 sei er „einfacher Soldat“ gewesen. Er habe keinen Rang gehabt und sei in Damaskus stationiert gewesen. Sie hätten „nur trainiert“. Er habe drei Tage die Woche Wache gehalten, sonst habe er „nichts“ getan. Er sei nur bis 2010 beim Militär gewesen, danach, bis zu seiner Ausreise 2013, habe er weiter in der Schule als Aushilfe gearbeitet und Fußball gespielt.

Der Beschwerdeführer rufe seine Familie in Homs jeden Sonntag an, diese lebe „ganz normal“. Seine Mutter arbeite nicht, die Menschen würden ihr finanziell helfen und seine Schwestern seien verheiratet.

Zu seinem Fluchtgrund befragt gab der Beschwerdeführer an, dass er „wegen dem Krieg“ geflohen sei. Seine Brüder seien im Krieg getötet worden und er habe in Österreich ein ruhiges Leben führen wollen. Dies seien alle Gründe, wieso der Beschwerdeführer Syrien verlassen habe. Er habe alle Beweismittel dem Gericht vorgelegt, darüber sei aber nicht gesprochen worden. Er wolle „die Fotos“ nicht dem BFA zukommen lassen, da das die einzigen Kopien seien, die er noch habe.

Zu seinem Strafverfahren befragt gab der Beschwerdeführer an, dass die Anschuldigungen vor Gericht „falsch“ gewesen seien, er habe Beweise, dass er unschuldig sei. Er habe drei Videos, dass er seine Waffe an die staatlichen Behörden abgegeben habe. Diese hätten nur ein paar Sachen überprüft und ihn dann wieder freigelassen. Das sei ein Beweis, dass er niemanden getötet habe. Er habe versucht, diese Videos vor Gericht vorzulegen, es habe ihm aber niemand zugehört. Es sei die Schuld des Dolmetschers, dass der Staatsanwalt bzw. das Gericht zur Auffassung gekommen sei, dass der Beschwerdeführer an der Ermordung von Menschen beteiligt gewesen sei. Der Beschwerdeführer wisse nicht, wieso der Dolmetscher das gesagt habe. Der Beschwerdeführer habe mehrfach vor Gericht gesagt, dass der Dolmetscher schuld sei, der Dolmetscher habe vor Gericht auch bei jeder Verhandlung andere Angaben gemacht. Der Beschwerdeführer werde in Syrien vom Regime gesucht, da jeder der gegen das Regime sei, gesucht werde. Zur Teilnahme an Kampfhandlungen wolle der Beschwerdeführer nichts mehr sagen, er habe seine Angabe schon vor Gericht gemacht. Befragt zur FSA bzw. zur „kataib al farouq“ gab der Beschwerdeführer an, dass dies Menschen seien, die von der syrischen Armee desertiert seien. Eine mögliche Mitgliedschaft des Beschwerdeführers bei diesen Organisationen sei vom Dolmetscher erfunden worden. Der Beschwerdeführer habe vor dem Krieg keine Probleme mit den syrischen Behörden gehabt, erst während des Krieges, wie „jeder Syrer“.

Zu seinem Leben in Österreich befragt gab der Beschwerdeführer an, dass er im Mai 2015 nach Österreich eingereist sei und sich seit seiner Einreise durchgehend im Bundesgebiet aufhalte. Er sei nie einer legalen Beschäftigung nachgegangen und arbeite auch in der Justizanstalt nicht. Der Beschwerdeführer habe viele Österreicher kennengelernt und habe beim Roten Kreuz geholfen. In der Justizanstalt werde er von „einer Österreicherin mit ihrem Ehemann“ besucht. Die Frau heiße glaublich Maria, den Namen des Mannes kenne der Beschwerdeführer nicht. Auch noch „zwei Männer“ (einer aus Palästina und einer aus Syrien) würden den Beschwerdeführer im Gefängnis besuchen. Die beiden Männer habe er im Flüchtlingslager kennengelernt.

Die Unterschrift der Niederschrift wurde vom Beschwerdeführer verweigert, da er „nichts gegen die Anwesenden habe, er aber schlechte Erfahrungen mit dem Dolmetscher in seinem Strafverfahren“ gemacht habe.

7. Einlangend mit 14.11.2019 und mit 19.11.2019 übersendete der Beschwerdeführer zwei handgeschriebene Briefe in arabischer Sprache an das BFA.

8. Am 22.11.2019 stellte das BFA eine Anfrage an die Staatendokumentation den Beschwerdeführer betreffend. Es sollte ermittelt werden, ob der Beschwerdeführer tatsächlich unter dem Schutz der UNRWA stand und wann er die letzte Unterstützung der UNRWA erhalten hat. Weiters wurde beauftragt zu beantworten, ob Syrien für UNRWA-Mitglieder Schutz gewährleisten könne.

9. Am 25.11.2019 wurde dem BFA mitgeteilt, dass eine Anfrage nur dann möglich sei, wenn der Beschwerdeführer das Dokument „Verification of Palestine Refugee Registration“ unterschreibe.

10. Mit Mail vom 02.12.2019 teilte die Justizvollzugsanstalt mit, dass der Beschwerdeführer das o.g. übersendete Dokument nicht unterfertigen werde.

11. Einlangend mit 05.12.2019 übermittelte der Beschwerdeführer erneut einen handgeschriebenen Brief in der arabischen Sprache.

12. Am 11.12.2019 wurde mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer in die Justizanstalt XXXX überstellt wurde.

13. Am 17.12.2019 wurde dem BFA seitens der Staatendokumentation eine Anfragebeantwortung die Frage betreffend, ob in Syrien staatlicher Schutz für UNRWA-Mitglieder besteht übermittelt.

14. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkte I. und II.). Es wurde dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt (Spruchpunkt III.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan nicht zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer sein Recht auf Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 16.06.2016 verloren habe (Spruchpunkt VI.). Einer Beschwerde gegen den gegenständlichen Bescheid wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII.) und es wurde dem Beschwerdeführer keine Frist für die freiwillige Ausreise gesetzt (Spruchpunkt VIII.) Gegen den Beschwerdeführer wurde ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IX.).

Festgestellt wurde, dass die Identität des Beschwerdeführers nicht feststehe. Er sei nicht verheiratet und kinderlos und seine Kernfamilie halte sich in Syrien auf. Der Beschwerdeführer leide an keinen lebensbedrohlichen physischen oder psychischen Beeinträchtigungen seines Gesundheitszustandes. Er bedürfe auch keiner medizinischen Behandlung oder medikamentöser Therapie. Festgestellt wurde, dass der Beschwerdeführer wegen der Verbrechen des Mordes als terroristische Straftat nach § 278c Abs. 1 Z1, Abs. 2 (§ 75) StGB zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist. Den Fluchtgrund betreffend wurde festgestellt, dass der vorgebrachte Fluchtgrund nicht als entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt werden habe können und mangels GFK-Relevanz nicht unter die taxativ angeführten Gründe subsumiert werden habe können. Zu einer allfälligen Rückkehr des Beschwerdeführers nach Syrien wurde festgestellt, dass davon auszugehen sei, dass er in Syrien in der Lage sei, sich ein ausreichendes Auskommen zu sichern und daher nicht in eine hoffnungslose Lage zu kommen. Fest stehe auch, dass es in Syrien ausreichend medizinische Behandlungsmöglichkeiten gebe und diese dem Beschwerdeführer auch zugänglich seien.

Den Verlust des Aufenthaltrechts betreffend wurde festgestellt, dass gegen den Beschwerdeführer am 16.06.2019 die Untersuchungshaft verhängt worden sei. Auch fest stehe, dass dieser mit Urteil des LG Innsbruck vom 11.12.2018 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden sei und das der OGH mit Beschluss vom 23.07.2019 die dagegen erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen habe. Das OLG Innsbruck habe der gegen das Urteil erhobenen Berufung keine Folge gegeben.

Die aufschiebende Wirkung sei aberkannt worden, da fest stehe, dass der Beschwerdeführer eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle und der Entfall der Frist zur freiwilligen Ausreise ergebe sich eindeutig aus den diesbezüglichen gesetzlichen Bestimmungen.

Das unbefristete Einreiseverbot sei erlassen worden, da der Beschwerdeführer in Österreich zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden sei.

Fest stehe, dass der Beschwerdeführer von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden sei und somit einen Asylausschlussgrund gesetzt habe.

15. Der Beschwerdeführer erhob gegen die Spruchpunkte I., II., III., IV., VII., VIII. und IX. des angefochtenen Bescheides fristgerecht Beschwerde. Die Spruchteile V. und VI. blieben unangefochten. Er brachte im Wesentlichen vor, dass die im angefochtenen Bescheid getroffenen Länderfeststellungen unvollständig und teilweise veraltet seien. Diese würden zwar allgemeine Aussagen über Syrien treffen, würden sich jedoch kaum mit dem vorgebrachten Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers befassen und seien daher als Begründung der Aberkennung eines Antrages auf internationalen Schutz unzureichend. Laut ständiger Rechtsprechung der Höchstgerichte sei jedoch eine aktuelle Beurteilung der Lage in der Herkunftsregion des Beschwerdeführers notwendig um die Asylrelevanz des Fluchtvorbringens ausreichend beurteilen zu können. Es wurden ergänzende Länderberichte vorgelegt. Auch habe das BFA den Antrag des Beschwerdeführers abgewiesen, da keine konkreten Verfolgungsgründe vorgebracht worden seien und somit keine aktuelle Verfolgungsgefahr aus einem in der GFK angeführten Gründe gegeben sei. Diese Feststellung basiere auf einer unschlüssigen Beweiswürdigung und einer mangelhaften Sachverhaltsermittlung. Entgegen der Feststellung des BFA sei der Beschwerdeführer von staatlicher Verfolgung bedroht. Auch wenn es bis dato zu keinen Verfolgungshandlungen gekommen sein mag, so sei dies für die Beurteilung ob Asyl zu gewähren sei nicht notwendig. Dass der Beschwerdeführer in Syrien allein schon aufgrund des langen Auslandsaufenthaltes und der Asylantragstellung in Österreich eine regimefeindliche Gesinnung unterstellt werde und ihm deshalb asylrelevante Verfolgung drohe, ergebe sich aus den aktuellen Länderberichten sowie aus der Judikatur des BVwG. Der Beschwerdeführer habe keine Unterstützung bei seiner Rückkehr zu erwarten. Seine Mutter lebe selbst in einem Flüchtlingslager und die Schwester seien verheiratet. Zwei seiner Brüder seien bereits im Krieg ums Leben gekommen und ein Bruder sei seit ca. 2 ½ Jahren verschwunden. Das BFA habe also nach mangelhaftem Ermittlungsverfahren und Verletzung des Grundsatzes des Parteiengehörs das Verfahren zusätzlich mit einer mangelhaften Beweiswürdigung und Begründung belastet.

Die Gewährung von Asyl betreffend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer wegen der Verbrechen des Mordes (20) als terroristische Straftat nach § 278c Abs. 1 Z1 StGB zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden sei. Der Beschwerdeführer habe jedoch vor dem BFA angegeben, dass dies falsche Anschuldigungen seien. Auch sei dies die erste Straftat des Beschwerdeführers, er sei in Syrien weder festgenommen noch strafrechtlich verurteilt worden. Auch sei derzeit eine Beschwerde vor dem EGMR anhängig, der Beschwerdeführer und befreundete Unterstützer seien dahinter den Fall aufzuklären. Es wurde nochmalig erwähnt, dass der Beschwerdeführer vorher unbescholten gewesen sei. Im Falle des Beschwerdeführers sei davon auszugehen, dass diesem eine regimekritische Gesinnung von den staatlichen Organen unterstellt würde, sodass eine individuelle Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliege. Es kann vor den aktuellen Verhältnissen in Syrien nicht ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Syrien einer staatlichen Verfolgung ausgesetzt wäre. Aufgrund der früheren Rechtsstellung des Beschwerdeführers als UNRWA-Flüchtling und aufgrund des Umstandes, dass diesem dieser Schutz nicht mehr länger gewährt wird, ist der Beschwerdeführer darüber hinaus auch ipso facto als Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt D der GFK zu qualifizieren. Dies ergebe sich aus der Status—Richtlinie. Der Beschwerdeführer befürchte Verfolgung aufgrund seiner politischen Gesinnung, als ein Gegner des Regimes. Die Bedrohung gehe gerade vom Staat aus und eine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe (daher) nicht. Somit wäre dem Beschwerdeführer internationaler Schutz zu gewähren gewesen.

Zur Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten wurde ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer neben einer Verfolgung nach § 3 AsylG 2005 auch eine Verletzung seines Rechtes auf Leben drohe. Eine Verletzung des Art. 3 EMRK würde im gegebenen Fall der Abschiebung nach Syrien auf jeden Fall vorliegen, und mache jene somit unzulässig. Das BFA hätte dem Beschwerdeführer den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen müssen. Der Beschwerdeführer habe Syrien aufgrund des herrschenden, langjährigen Krieges verlassen, an der katastrophalen Lage habe sich in den letzten Jahren nichts geändert, dies würden auch die Länderberichte zeigen. Es bestehe keine innerstaatliche Fluchtalternative. Die Schutzunfähigkeit bzw. Schutzunwilligkeit des Staates ergebe sich auch aus den Länderberichten.

Auch im Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung habe das BFA den Bescheid auf Grundlage eines mangelhaft geführten Verfahrens und einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung erlassen. Der relevante Sachverhalt sei nicht erhoben worden. Das BFA habe es insbesondere unterlassen, ausreichende Ermittlungen zum bestehenden Privatleben des Beschwerdeführers in Österreich anzustellen. Wäre das BFA ihrer Ermittlungspflicht nachgekommen, so hätte es feststellen müssen, dass der Beschwerdeführer in Österreich ein Privatleben im Sinne des Art. 8 EMRK führe. Der Bescheid sei auch inhaltlich rechtswidrig, da er das Recht des Beschwerdeführers auf Privat- und Familienleben aufgrund einer falschen Beurteilung anhand des Kriterienkatalogs (§ 9a BFA-VG) verletze. Der Beschwerdeführer habe in Österreich ein breites soziales Netzwerk und zahlreiche Kontakte und Unterstützer, die ihn immer wieder in der Haft besuchen und sich für ihn (auch finanziell) einsetzen würden.

Ein Einreiseverbot betreffend wurde ausgeführt, dass sich, falls das BFA nicht schon zu dem Schluss komme, dass die Rückkehrentscheidung rechtswidrig sei, jedenfalls das Einreiseverbot als unrechtmäßig und unverhältnismäßig erweise. Die Verhängung des Einreiseverbotes stelle einen Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers dar. Im vorliegenden Fall sei das Gesamtverhalten des Beschwerdeführers als nicht so schwerwiegend anzusehen, dass die Verhängung eines unbefristeten Einreiseverbotes als notwendig und verhältnismäßig anzusehen sei. Es sei eine Abwägung zwischen den privaten und den öffentlichen Interessen durchzuführen. Dabei sei es nicht ausreichend auf die Interessensabwägung im Rahmen der Rückkehrentscheidung zurückzugreifen, da die Verhängung eines Einreiseverbotes einen wesentlichen schwerwiegenden Eingriff in das Recht auf Privat- und Familienleben darstelle. Das BFA habe es unterlassen genaue Ermittlungen durchzuführen, ob das Verhalten des Beschwerdeführers tatsächlich eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit oder anderer in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Interessen darstelle. Hätte das BFA eine Abwägung durchgeführt, wäre es zum Schluss gekommen, dass im konkreten Fall die Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich überwiegen. Es hätte insbesondere das Privatleben des Beschwerdeführers berücksichtigt werden müssen. Der Beschwerdeführer ist wegen 20fachen Mordes von einem inländischen Gericht verurteilt worden, es sei nicht anzunehmen, dass der Beschwerdeführer weitere derartige Straftaten verüben werde, da laut dem Beschwerdeführer die Anschuldigungen im Strafverfahren unrichtig gewesen seien. Es sei überdies die erste Straftat des Beschwerdeführers und er stelle trotz seiner Verurteilung keine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar.

16. Mit Schreiben vom 12.06.2020 wurde die gegenständliche Beschwerde – ohne von der Möglichkeit eine Beschwerdevorentscheidung zu erlassen Gebrauch zu machen – dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Ergänzend wurde in diesem Vorlageschreiben ausgeführt, dass das BFA in seinem Bescheid die Abschiebung des fremden nach Syrien für „zulässig“ zu erklären beabsichtigt habe. Aufgrund eines „Tippfehlers“ in Spruchpunkt V. sei die Abschiebung für „unzulässig“ erklärt worden. Aus dem Inhalt des Bescheides, insbesondere aus der rechtlichen Beurteilung zu Spruchpunkt V. gehe eindeutig der Wille des BFA hervor, eine „Abschiebung des Fremden für zulässig“ zu erkennen. Es wurde beantragt, „das Bundesverwaltungsgericht möge die Beschwerde als unbegründet abweisen und nach Möglichkeit dem Willen der Behörde, der sich aus dem Bescheid ergibt, Rechnung tragen“.

17. Mit h.g. Beschluss vom 16.06.2020 wurde der gegenständlichen Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

18. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 02.07.2020 eine mündliche Verhandlung – aufgrund der Tatsache, dass sich der Beschwerdeführer in Strafhaft der Justizanstalt XXXX befindet - per Videokonferenzanlage durch. Im Rahmen dieser Verhandlung gab der Beschwerdeführer – in Anwesenheit seines Vertreters sowie eines Dolmetschers für die arabische Sprache - an, dass er gesund sei. Er stamme aus Palästina, sei in Homs, Syrien geboren. Seine Eltern seien dort als Flüchtlinge gewesen, sein Vater habe Palästina 1948 verlassen. Der Beschwerdeführer sei ledig und habe keine Kinder. Es habe eine Verlobung gegeben, das letzte Mal Kontakt mit seiner Verlobten habe er 2016 gehabt. Die Angaben in der Verhandlung zu seiner Schul- bzw. Berufsausbildung sowie –tätigkeit und zu den familiären Umständen deckten sich mit denen im bisherigen Verfahren. Befragt zu seinen Brüdern gab der Beschwerdeführer an, dass einer seiner Brüder 2011 umgebracht worden sei, da er gegen die Regierung demonstriert habe. Der zweite Bruder sei 2012 auf der Straße erschossen worden. Syrien verlassen habe der Beschwerdeführer wegen des Krieges, weil seine Brüder ermordet worden seien und er habe die Befürchtung, dass er von der Regierung umgebracht werde, da er gegen diese gewesen sei. Alle die gegen die Regierung demonstrieren würden, seien Gegner. Der Beschwerdeführer sei 2008 bis 2010 beim Militär gewesen, in dieser Zeit sei „alles in Ordnung“ gewesen, in Syrien habe es keinen Krieg gegeben. Es gebe in Syrien ein Gesetz, wonach jeder der den Militärdienst absolviert hat bis zu zweimal im Zuge einer Mobilmachung einberufen werden könne. Das zweite Mal sei der Beschwerdeführer nicht eingerückt, sondern habe sich an Demonstrationen gegen die Regierung beteiligt. Die in Österreich erfolgte Verurteilung sei „ein Fehler des Dolmetschers“, der Beschwerdeführer habe niemanden umgebracht. Er kenne „niemanden von denen“ und bekenne sich auch nicht schuldig. Die diktatorische Regierung werde von der Bevölkerung abgelehnt, nicht nur vom Beschwerdeführer selbst. Man dürfe gegen die Regierung nichts sagen, es gebe keine freie Meinungsäußerung und keine Jobs. Bei einer Rückkehr fürchte der Beschwerdeführer um sein Leben, er werde umgebracht, da jeder der gegen die syrische Regierung sei, umgebracht werde.

Zu seinem Leben in Österreich befragt gab der Beschwerdeführer an, dass er „niemanden in Österreich habe“. Auf Deutsch befragt, ob sich der Beschwerdeführer auch ohne Dolmetscher mit dem erkennenden Richter unterhalten könne gab der Beschwerdeführer an, dass er „nicht viel verstehe“. Er habe keinen Deutschkurs besucht, er habe nichts gelernt „in der Schule“, aber eine „Frau im Haus“ habe ihm 2016 ein bisschen Deutsch beigebracht. Der Beschwerdeführer sei vier Jahre in Österreich, er habe „ein bisschen Deutsch beim Fernsehen“ gelernt. Er habe noch Kontakt mit seiner Mutter und seinen Schwestern, er telefoniere einmal wöchentlich mit ihnen. Der Mutter und der Schwester gehe es gut.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurden die aktuellen Länderberichte in das Verfahren eingebracht und es wurde dem Beschwerdeführer die Möglichkeit zur Abgabe einer diesbezüglichen Stellungnahme eingeräumt, welche dieser ablehnte.

Der Vertreter des Beschwerdeführers gab ergänzend an, dass der Beschwerdeführer als palästinensischer Flüchtling einer besonders vulnerablen Bevölkerungsgruppe angehöre, seine Situation sei „schlimmer“ als für „andere Syrer mit Staatsbürgerschaft“. Bei einer Einreise würde der Beschwerdeführer einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen werden und es bestehe die Gefahr, dass die syrischen Sicherheitskräfte dabei Informationen erlangen würden, weswegen der Beschwerdeführer in Österreich verurteilt worden ist. Davon abgesehen sei der 31jährige Beschwerdeführer ein Mann im wehrfähigen Alter und es sei wahrscheinlich, dass er als Reservist sofort eingezogen werden würde. Die Straftaten habe der Beschwerdeführer dem Urteil nach, zumindest teilweise, in Homs begangen, d.h. es würde auch die Gefahr bestehen, dass er bei einer Rückkehr erkannt werden würde.

II.     Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

1.1. Zum Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte am 21.05.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vollinhaltlich ab (Spruchpunkte I. und II.) und es wurde ihm kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.) erteilt. Es wurde eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer erlasen (Spruchpunkt IV.) und es wurde festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan unzulässig sei (Spruchpunkt V.). Es wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet mit 16.06.2016 verloren habe (Spruchpunkt VI.). Einer Beschwerde gegen den Bescheid wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII.) und es wurde festgestellt, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VIII.). Mit Spruchpunkt IX. wurde gegen den Beschwerdeführer ein unbefristetes Einreiseverbot verhängt. Gegen die Spruchpunkte I. – IV. und VII. – IX. dieses Bescheides erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde, woraufhin vor dem Bundesverwaltungsgericht am 02.07.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung, aufgrund der Tatsache, dass sich der Beschwerdeführer aufgrund seiner Verurteilung in der Justizanstalt XXXX befindet, im Rahmen einer Videokonferenz durchgeführt wurde, in welcher der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Fluchtgründen sowie seinem Leben in Österreich bzw. seinen Integrationsbemühungen befragt und ihm Gelegenheit gegeben wurde, diese umfassend darzulegen.

1.2. Zum Beschwerdeführer:

Der volljährige Beschwerdeführer führt den im Spruch angeführten Namen und ist zum dort angegebenen Datum geboren. Er ist ein staatenloser Palästinenser und gehört der Volksgruppe der Araber an. Er ist Moslem, ledig und hat keine Sorgepflichten. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Arabisch.

Der Beschwerdeführer leistete von 2008 -2010 seinen Wehrdienst bei der syrischen Armee ab.

Der Beschwerdeführer weist folgende strafrechtliche Verurteilungen auf:

Mir Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 11.12.2018 wurde der Beschwerdeführer wegen der zwanzig Verbrechen des Mordes als terroristische Straftat nach § 278c Abs. 1 Z1 StGB (§ 75 StGB) nach § 278c Abs. 2 (§ 75) StGB in Anwendung des § 28 StGB zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Der Beschwerdeführer hat zu nicht genau feststellbaren Zeitpunkten im Zeitraum von ca. Anfang des Jahres 2013 bis Februar 2014 in XXXX und Homs in Syrien terroristische Straftaten (§ 278c Abs. 1 Z1 StGB) begangen und zwar die Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB, indem er zumindest 20 verwundete und wehrlose Soldaten der staatlichen syrischen Armee durch gezielte Schüsse mit seinem Kalaschnikow-Gewehr in die Brust oder in den Kopf vorsätzlich tötete, wobei diese Taten geeignet waren, eine schwere oder länger anhaltende Störung des öffentlichen Lebens und eine schwere Schädigung des Wirtschafslebens in Syrien, zumindest in den Regionen XXXX und Homs, herbeizuführen, und mit dem Vorsatz begangen wurden, die dort lebende Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern, öffentliche Stellen, nämlich die staatliche syrische Armee, zu einer Handlung, nämlich zum Verlassen des umkämpften syrischen Gebiets, zu nötigen und die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen des Staates Syrien ernsthaft zu erschüttern oder zu zerstören. Mildernd wurde gewertet, dass der Beschwerdeführer bisher unbescholten war, dass er ein Geständnis vor der Polizei ablegte und das längere Zurückliegen der Taten. Als erschwerend wurde das Zusammentreffen von 20 Verbrechenstatbeständen sowie die grausame Tatbegehung zumindest teilweise durch Hinrichtung von wehrlosen, um Gnade flehenden Opfern gewertet.

Die gegen dieses Urteil erhobene Nichtigkeitsbeschwerde wurde mit Beschluss des Obersten Gerichtshofes zurückgewiesen.

Auch einer durch den Beschwerdeführer erhobene Berufung an das Oberlandesgericht Innsbruck gegen das oben angeführte Urteil wurde nicht stattgegeben.

Der Beschwerdeführer befindet sich in der Justizanstalt XXXX in Strafhaft.

Der Beschwerdeführer verfügt über keine familiären, verwandtschaftlichen oder sonstigen sozialen Anknüpfungspunkte in Österreich. Maßgebliche sprachliche oder berufliche Integrationsaspekte liegen nicht vor. Weiters zeigt er kein Werteverständnis für die öffentliche Ordnung und das Gemeinschaftsleben.

1.3.    Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat

Die Länderfeststellungen zur Lage in Syrien basieren auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 13.05.2019 mit der letzten einfügten Aktualisierung vom 17.10.2019. Auszugsweise wird – soweit für den gegenständlichen Fall notwendig – wie folgt zitiert:

1.3.1. Folter, Haftbedingungen und unmenschliche Behandlung

Das Gesetz verbietet Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen oder Strafen, wobei das Strafgesetzbuch eine Strafe von maximal drei Jahren Gefängnis für Täter vorsieht. Nichtsdestotrotz wenden die Sicherheitskräfte in Tausenden Fällen solche Praktiken an (USDOS 13.3.2019). Willkürliche Festnahmen, Misshandlung, Folter und Verschwindenlassen sind in Syrien weit verbreitet (HRW 18.1.2018; vgl. AI 22.2.2018, USDOS 13.3.2019, AA 13.11.2018). Sie richten sich von Seiten der Regierung insbesondere gegen Oppositionelle oder Menschen, die vom Regime als oppositionell wahrgenommen werden (AA 13.11.2018).

NGOs berichten glaubhaft, dass die syrische Regierung und mit ihr verbündete Milizen physische Misshandlung, Bestrafung und Folter an oppositionellen Kämpfern und Zivilisten begehen (USDOS 13.3.2019; vgl. TWP 23.12.2018). Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Frauen, Männern und Minderjährigen sind weit verbreitet. Die Regierung soll hierbei auch auf Personen abzielen, denen Verbindungen zur Opposition vorgeworfen werden (USDOS 13.3.2019). Es sind zahllose Fälle dokumentiert, bei denen Familienmitglieder wegen der als regierungsfeindlich wahrgenommenen Tätigkeit von Verwandten inhaftiert und gefoltert wurden, auch wenn die als regierungsfeindlich wahrgenommenen Personen ins Ausland geflüchtet waren (AA 13.11.2018; vgl. AI 22.2.2018).

Systematische Folter und die Bedingungen in den Haftanstalten führen häufig zum Tod der Insassen. Die Gefängnisse sind stark überfüllt, es mangelt an Nahrung, Trinkwasser, Hygiene und Zugang zu sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung. Diese Bedingungen waren so durchgängig, dass die UN Commission of Inquiry zu dem Schluss kam, diese seien Regierungspolitik. Laut Berichten von NGOs gibt es zahlreiche informelle Hafteinrichtungen in umgebauten Militärbasen, Schulen, Stadien und anderen unbekannten Lokalitäten. So sollen inhaftierte Demonstranten in leerstehenden Fabriken und Lagerhäusern ohne angemessene sanitäre Einrichtungen festhalten werden. Die Regierung hält weiterhin Tausende Personen ohne Anklage und ohne Kontakt zur Außenwelt („incommunicado“) an unbekannten Orten fest (USDOS 20.4.2018; vgl. AA 13.11.2018, SHRC 24.1.2019). Von Familien von Häftlingen wird Geld verlangt, dafür dass die Gefangenen Nahrung erhalten und nicht mehr gefoltert werden, was dann jedoch nicht eingehalten wird. Große Summen werden gezahlt, um die Freilassung von Gefangenen zu erwirken (MOFANL 7.2019).

In jedem Dorf und jeder Stadt gibt es Haft- bzw. Verhörzentren für die ersten Befragungen und Untersuchungen nach einer Verhaftung. Diese werden von den Sicherheits- und Nachrichtendiensten oder auch regierungstreuen Milizen kontrolliert. Meist werden Festgenommene in ein größeres Untersuchungszentrum in der Provinz oder nach Damaskus und schließlich in ein Militär- oder ziviles Gefängnis gebracht. Im Zuge dieses Prozesses kommt es zu Folter und Todesfällen. Selten wird ein Häftling freigelassen. Unschuldige bleiben oft in Haft, um Geldsummen für ihre Freilassung zu erpressen oder um sie im Zuge eines „Freilassungsabkommens“ auszutauschen (SHRC 24.1.2019).

Seit Sommer 2018 werden von den Regierungsbehörden Sterberegister veröffentlicht, wodurch erstmals offiziell der Tod von 7.953 Menschen in Regierungsgewahrsam bestätigt wurde, wenn auch unter Angabe wenig glaubwürdiger amtlich festgestellter natürlicher Todesursachen (Herzinfarkt, etc.). Berichte von ehemaligen Insassen sowie Menschenrechtsorganisationen benennen als häufigste Todesursachen Folter, Krankheit als Folge mangelnder Ernährung und Hygiene in den Einrichtungen und außergerichtliche Tötung (AA 13.11.2018; vgl. SHRC 24.1.2019). Die syrische Regierung übergibt die Überreste der Verstorbenen nicht an die Familien (HRW 17.1.2019).

Mit Stand Dezember 2018 ist der Verbleib von 100.000 syrischen Gefangenen noch immer unbekannt. Laut Menschenrechtsgruppen und den Vereinten Nationen sind wahrscheinlich Tausende, wenn nicht Zehntausende davon umgekommen (TWP 23.12.2018).

Die Methoden der Folter, des Verschwindenlassens und der schlechten Bedingungen in den Haftanstalten sind jedoch keine Neuerung der Jahre seit Ausbruch des Konfliktes, sondern waren bereits zuvor gängige Praxis der unterschiedlichen Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden in Syrien (SHRC 24.1.2019).

Russland, der Iran und die Türkei haben im Zusammenhang mit den Astana-Verhandlungen wiederholt zugesagt, sich um die Missstände bezüglich willkürlicher Verhaftungen und Verschwindenlassen zu kümmern. Im Dezember 2017 gründeten sie eine Arbeitsgruppe zu Inhaftierungen und Entführungen im syrischen Konflikt, es waren bisher jedoch nur geringe Fortschritte zu verzeichnen (HRW 17.1.2019).

Auch die Rebellengruppierungen werden außergerichtlicher Tötungen und der Folter von Inhaftierten beschuldigt (FH 1.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Opfer sind vor allem (vermutete) regierungstreue Personen und Mitglieder von Milizen oder rivalisierenden bewaffneten Gruppen. Zu den Bedingungen in den Hafteinrichtungen der verschiedenen regierungsfeindlichen Gruppen ist wenig bekannt, NGOs berichten von willkürlichen Verhaftungen, Folter und unmenschlicher Behandlung. Der IS bestrafte häufig Opfer in der Öffentlichkeit und zwang Bewohner, darunter auch Kinder, Hinrichtungen und Amputationen mitanzusehen. Es gibt Berichte zu Steinigungen und Misshandlungen von Frauen. Dem sogenannten Islamischen Staat (IS) werden systematische Misshandlungen von Gefangenen der Freien Syrischen Armee (FSA) und der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) vorgeworfen. Berichtet werden auch Folter und Tötungen von Gefangenen durch den IS (USDOS 13.3.2019).

1.3.2. Allgemeine Menschenrechtslage

Schätzungen besagen, dass etwa eine halbe Million Menschen im syrischen Bürgerkrieg getötet wurden (BS 2018).

Die syrische Verfassung sieht die Baath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat. Ein Dekret von 2011 erlaubt die Bildung anderer politischer Parteien, jedoch nicht auf Basis von Religion, Stammeszugehörigkeit oder regionalen Interessen. Die Regierung erlaubt nur regierungsnahen Gruppen offizielle Parteien zu gründen und zeigt wenig Toleranz gegenüber anderen politischen Parteien, auch jenen, die mit ihr verbündet sind. Parteien wie das Communist Union Movement, die Communist Action Party und die Arab Social Union werden schikaniert. Gesetze, welche die Mitgliedschaft in illegalen Organisationen verbieten, wurden auch verwendet um Hunderte Mitglieder von Menschenrechts- und Studentenorganisationen zu verhaften. Es gibt auch zahlreiche Berichte zu anderen Formen der Belästigung von Menschenrechtsaktivisten, Oppositionellen oder Personen, die als oppositionell wahrgenommen werden, von Reiseverboten, Enteignung und Überwachung bis hin zu willkürlichen Festnahmen, „Verschwindenlassen“ und Folter (USDOS 13.3.2019).

Es sind zahllose Fälle bekannt, bei denen Personen für als regierungsfeindlich angesehene Tätigkeiten ihrer Verwandten inhaftiert und gefoltert werden, darunter sollen auch Fälle sein, bei denen die gesuchten Personen ins Ausland geflüchtet sind (AA 13.11.2018). Frauen mit familiären Verbindungen zu Oppositionskämpfern werden z.B. als Vergeltung oder zur Informationsgewinnung festgenommen. Außerdem werden Personen festgenommen, die Kontakte zu Verwandten oder Freunden unterhalten, die in oppositionell kontrollierten Gebieten leben (UNHRC 31.1.2019).

Die Methoden der Folter, des Verschwindenlassens und der schlechten Bedingungen in den Haftanstalten sind keine Neuerung der letzten Jahre seit Ausbruch des Konfliktes, sondern waren bereits zuvor gängige Praxis der unterschiedlichen Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden in Syrien (SHRC 24.1.2019).

Russland, der Iran und die Türkei haben im Zusammenhang mit den Astana-Verhandlungen wiederholt zugesagt, sich um die Missstände bezüglich willkürlicher Verhaftungen und Verschwindenlassen zu kümmern. Im Dezember 2017 gründeten sie eine Arbeitsgruppe zu Inhaftierungen und Entführungen im syrischen Konflikt, es waren bisher jedoch nur geringe Fortschritte zu verzeichnen (HRW 17.1.2019).

Weitere schwere Menschenrechtsverletzungen, derer das Regime und seine Verbündeten beschuldigt werden, sind willkürliche und absichtliche Angriffe auf Zivilisten, darunter auch der Einsatz von chemischen Waffen; Massaker und Vergewaltigungen als Kriegstaktik; Einsatz von Kindersoldaten sowie übermäßige Einschränkungen der Bewegungs-, Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit, inklusive Zensur. Die Regierung überwacht die Kommunikation im Internet, inklusive E-Mails, greift in Internet- und Telefondienste ein und blockiert diese. Die Regierung setzt ausgereifte Technologien und Hunderte von Computerspezialisten für Überwachungszwecke ein (USDOS 13.3.2019).

Orte, die im Laufe der vergangenen Jahre wieder unter die Kontrolle der Regierung gelangt sind, erlebten organisierte und systematische Plünderungen durch die bewaffneten Einheiten der Regierung (SHRC 24.1.2019). Berichten zufolge sind Personen in Gebieten, die erst vor kurzer Zeit durch die Regierung wiedererobert wurden, aus Angst vor Repressalien oft zurückhaltend über die Situation in diesen Gebieten zu berichten (USDOS 13.3.2019).

Bewaffnete terroristische Gruppierungen, wie die mit al-Qaida in Verbindung stehende Gruppe Hay‘at Tahrir al-Sham (HTS), sind für weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen wie Massaker, Beschuss, Entführung, unrechtmäßige Inhaftierung, Folter, Tötung und Zwangsvertreibung auf Basis der Konfession Betroffener, verantwortlich. Der sogenannte Islamische Staat (IS) agiert(e) mit Brutalität gegenüber Bewohnern des von ihm kontrollierten Territoriums. Ihm werden u.a. vorgeworfen: außergerichtliche Hinrichtungen und Verhaftungen, Haft unter unmenschlichen Bedingungen, Folter, Verschwindenlassen und Anwendung von Körperstrafen. Frauen erleb(t)en in vom IS gehaltenen Gebieten willkürliche und schwere Bestrafungen, inklusive Hinrichtung durch Steinigung (USDOS 13.3.2019). Sexuelle Versklavung und Zwangsverheiratung sind zentrale Elemente der Ideologie des IS. Mädchen und Frauen wurden zur Heirat mit Kämpfern gezwungen. Frauen und Mädchen, die Minderheiten angehören, wurden sexuell versklavt, zwangsverheiratet und anderen Formen sexueller Gewalt ausgesetzt (USDOS 20.6.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Im Bezug auf Kampfhandlungen wird dem IS der Einsatz von Kindersoldaten sowie von Zivilisten als menschliche Schutzschilde vorgeworfen. Außerhalb der (ehemals) kontrollierten Gebiete verübte der IS Entführungen und Anschläge (USDOS 13.3.2019).

Auch die oppositionellen bewaffneten Gruppen der Syrian Democratic Forces (SDF) werden für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht, darunter die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG). Es gibt Berichte über Verschwindenlassen von Gegnern der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) und deren Familien, unrechtmäßige Verhaftungen, Folter von politischen Gegnern, sowie vereinzelte Berichte über Festnahmen von Journalisten, Mitgliedern von Menschenrechtsorganisationen und Oppositionsparteien und Personen, die sich weigerten mit den kurdischen Gruppen zu kooperieren (USDOS 13.3.2019; vgl. HRW 10.9.2018). Familienmitglieder von gesuchten Aktivisten, darunter auch Verwandte von Mitgliedern des IS, sollen von den SDF in den von ihnen kontrollierten Gebieten gefangen genommen worden sein, um Informationen zu erhalten oder um Druck auszuüben. Weiters gibt es Berichte über vermehrte Verhaftungen von Männern für versuchte Wehrdienstverweigerung und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit in den befreiten Gebieten (USDOS 13.3.2019).

Berichten zufolge kam es 2017 auch zur Vertreibung von arabischen Bewohnern aus Gegenden, die durch kurdische Einheiten vom IS befreit worden waren (USDOS 20.4.2018; vgl. AA 13.11.2018).

Die YPG gehört seit 2014 zu den vom VN-Generalsekretär gelisteten Konfliktparteien, die Kindersoldaten einsetzen und Kinderrechte verletzen (AA 13.11.2018). Nach Berichten zu Rekrutierungen von Kindern, auch unter Zwang, durch die SDF, verabschiedeten diese ein Verbot der Rekrutierung und Verwendung von Personen unter 18 Jahren zum Kampf. Verboten sind, unter Androhung von Strafen für die Befehlshaber, auch Hilfsdienste wie Ausspähen, Wach- und Versorgungsdienste. Die kurdischen Gruppen erklärten ihre volle Unterstützung der Anordnung. Im Dezember 2018 wurden 56 Unter-18-Jährige ihren Eltern übergeben (USDOS 13.3.2019).

Die menschenrechtliche Situation in den kurdisch kontrollierten Gebieten stellt sich insgesamt deutlich weniger gravierend dar, als in den Gebieten, die sich unter Kontrolle des syrischen Regimes oder islamistischer bis jihadistischer Gruppen befinden (AA 13.11.2018).

Ein Charakteristikum des Bürgerkriegs in Syrien ist, dass in ganz Syrien bestimmte Personen aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen bzw. zugeschriebenen politischen Meinung oder Zugehörigkeit direkt angegriffen werden oder ihnen auf andere Weise Schaden zugefügt wird. Diese Zuschreibung basiert oft nur auf den familiären Verbindungen der Person, ihrem religiösen oder ethnischen Hintergrund oder einfach auf ihrer Präsenz in oder Herkunft aus einem bestimmten Gebiet, das als „regierungsfreundlich“ oder „regierungsfeindlich“ gilt (UNHCR 11.2015).

1.3.3. Todesstrafe

Die syrische Strafgesetzgebung sieht für Mord, schwere Drogendelikte, Terrorismus, Hochverrat, und weitere Delikte die Todesstrafe vor. Vor allem die durch das Regime betriebene unterschiedslose Diffamierung von politischen Gegnern, bewaffneten Rebellen und selbst den syrischen „Weißhelmen“ als „Terroristen“, oder die sehr weite Fassung des Begriffs Hochverrat, ermöglicht den Missbrauch der Todesstrafe zu politischen Zwecken. Verurteilungen wegen Mitgliedschaft in der Muslimbruderschaft, worauf ebenfalls die Todesstrafe steht, werden seit einigen Jahren in der Regel in zwölfjährige Freiheitsstrafen umgewandelt. Im Jahr 2010 wurden siebzehn Hinrichtungen bekannt. Seit Beginn des bewaffneten Konflikts liegen jedoch keine offiziellen Zahlen mehr vor. Im Rahmen der Kampfhandlungen seit 2011 kam es zu einer Vielzahl von außergerichtlichen Tötungen und Hinrichtungen, über die keine belastbaren Zahlen vorliegen. Nach Aussagen von freigelassenen Häftlingen gegenüber Amnesty International finden regelmäßig Exekutionen in Gefängnissen statt (AA 13.11.2018). Zwischen 2011 und 2015 wurden etwa 13.000 Gefangene, überwiegend Zivilpersonen, die als Regierungskritiker angesehen wurden, Opfer massenhafter außergerichtlicher Hinrichtungen. Die Gerichtsverfahren vor einem militärischen Feldgericht hätten die internationalen Mindeststandards für faire Gerichtsverfahren bei weitem nicht erfüllt (AI 22.2.2018). Im Verlauf des Jahres 2018 wurde eine steigende Zahl von Todesurteilen, unter anderem vor Feldgerichten in Damaskus ausgesprochen, um die Zahl der politischen Gegner zu verringern (TWP 23.12.2018). Die Unabhängige Untersuchungskommission der Vereinten Nationen (VN) für Syrien berichtete ebenfalls von außergerichtlichen Hinrichtungen in Gebieten unter Regierungskontrolle. Menschenrechtsorganisationen berichteten von summarischen Hinrichtungen mutmaßlicher Deserteure. Im Laufe des bewaffneten Konflikts kam es ebenfalls zu Hinrichtungen von gefangengenommenen Angehörigen der syrischen Sicherheitskräfte durch zumeist radikalislamische bewaffnete Oppositionsgruppen (AA 13.11.2018). Der sogenannte Islamische Staat (IS) exekutiert Personen, die sich nicht an seine strengen islamischen Regeln halten (USDOS 13.3.2019).

1.3.4. Palästinensische Flüchtlinge

Rechtlicher Status der palästinensischen Flüchtlinge in Syrien und das Mandat der UNRWA

Die United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (UNRWA) ist entsprechend der Resolution 302 IV (1949) der Generalversammlung der Vereinten Nationen mit einem Mandat zur Förderung der menschlichen Entwicklung palästinensischer Flüchtlinge ausgestattet. Das Mandat wurde jüngst bis zum 30. Juni 2020 verlängert. Per definitionem sind palästinensische Flüchtlinge Personen, deren gewöhnlicher Aufenthaltsort zwischen 1. Juni 1946 und 15. Mai 1948 Palästina war und die sowohl ihr Zuhause wie auch ihre Mittel zur Lebenshaltung aufgrund des Konflikts von 1948 verloren haben. Dienste von UNRWA stehen all jenen Personen offen, die im Einsatzgebiet der Organisation leben, von der Definition umfasst und bei UNRWA registriert sind, sowie Bedarf an Unterstützung haben. Nachkommen männlicher palästinensischer Flüchtlinge können sich ebenfalls bei UNRWA registrieren. Darüber hinaus bietet UNRWA ihre Dienste auch palästinensischen Flüchtlingen und Vertriebenen des Arabisch-Israelischen Konflikts von 1967 und nachfolgender Feindseligkeiten an (BFA 8.2017).

Schon vor dem Ausbruch des Konflikts im Jahr 2011 waren die Palästinenser in Syrien eine vulnerable Bevölkerungsgruppe (BFA 8.2017).

In Syrien lebende Palästinenser werden in Abhängigkeit vom Zeitpunkt ihrer Ankunft in Syrien in verschiedene Kategorien eingeteilt, von denen jeweils auch ihre rechtliche Stellung abhängt. Zu unterscheiden ist zwischen jenen Palästinensern, die als palästinensische Flüchtlinge in Syrien anerkannt sind und jenen, die in Syrien keinen Flüchtlingsstatus genießen. Da Syrien nicht Vertragspartei der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 ist, richtet sich der Flüchtlingsstatus nach syrischem Recht (ÖB 7.2019).

Die größte Gruppe bilden Palästinenser, die bis zum oder im Jahr 1956 nach Syrien gekommen sind, sowie deren Nachkommen. Diese Palästinenser fallen unter die Anwendung des Gesetzes Nr. 260 aus 1956, welches Palästinenser, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes einen Wohnsitz in Syrien hatten, im Hinblick auf Arbeit, Handel, Militärdienst und Zugang zum öffentlichen Dienst syrischen Staatsbürgern gleichstellt. Ausgeschlossen ist diese Gruppe jedoch vom Wahlrecht, der Bekleidung öffentlicher Ämter sowie vom Erwerb landwirtschaftlicher Nutzflächen. Sie erhalten auch nicht die syrische Staatsbürgerschaft. Unter diese Kategorie fallende Personen sind bei der General Authority for Palestinian Arab Refugees (GAPAR) registriert. Für die Palästinenser, die sich nach Inkrafttreten des Gesetzes Nr. 260 noch im Jahr 1956 in Syrien niedergelassen haben, gelten bestimmte Modifikationen und Einschränkungen (va. Anstellung im öffentlichen Dienst nur auf Grundlage zeitliche befristeter Verträge; keine Ableistung von Militärdienst). Sie sind aber ebenfalls bei GAPAR registriert. Diese Gruppen von Palästinensern und ihre Nachkommen sind somit als Flüchtlinge in Syrien anerkannt (ÖB 7.2019).

Die nach 1956, insbesondere ab 1967 nach Syrien gekommenen Palästinenser und deren Nachkommen umfassen ihrerseits eine Reihe weiterer Untergruppen: Unter anderem fallen darunter Personen, die nach 1970 aus Jordanien, nach 1982 aus dem Libanon und während der letzten beiden Dekaden aus dem Irak gekommen sind. Ihnen ist gemeinsam, dass sie nicht bei GAPAR registriert und nicht als palästinensische Flüchtlinge anerkannt sind. In Syrien gelten sie als „Arabs in Syria“ und werden wie Staatsbürger anderer arabischer Staaten behandelt. Sie können ihren Aufenthaltstitel in Syrien alle 10 Jahre beim Innenministerium erneuern lassen und müssen um Arbeitsgenehmigungen ansuchen. Einige Personen aus dieser Gruppe fallen unter das Mandat von UNHCR (ÖB 7.2019). Palästinenser dieser Gruppe können in Syrien jedoch öffentliche Leistungen des Gesundheits- oder Bildungsbereiches kostenfrei nutzen, abgesehen von einem Studium an der Universität, für welches sie eine Gebühr bezahlen müssen (BFA 8.2017).

Die Sicherheitslage in den palästinensischen Flüchtlingslagern und Wohngebieten

Schätzungen aus dem Jahr 2018 zufolge sind noch 438.000 palästinensische Flüchtlinge in Syrien aufhältig (UNRWA 5.12.2018). Vor Ausbruch des Bürgerkrieges lebten geschätzte 560.000 palästinensische Flüchtlinge in Syrien, und davon mehr als 80% in und um Damaskus. Die palästinensischen Flüchtlinge in Syrien waren von schweren Kämpfen in und um manche palästinensische Flüchtlingslager und Stadtteile erheblich betroffen (USAID 4.8.2017).

Zu Beginn des Konfliktes versuchten die Bewohner der meisten palästinensischen Flüchtlingslager neutral zu blieben. Als der Konflikt aber gewalttätiger wurde und sich regionale Allianzen änderten, führten die Diskrepanzen unter den palästinensischen Fraktionen, besonders zwischen Hamas und Fatah, zu einer Spaltung der Palästinenser in ihrer Position gegenüber dem Regime (NOREF 24.1.2017). Manche Palästinenser in Syrien sind für und andere gegen das Regime, die Palästinenser sind somit zwischen den Konfliktparteien gespalten. Palästinenser sind hauptsächlich Sunniten und werden von Seiten des Regimes und dessen Verbündeten auch wie Sunniten behandelt, also mit Misstrauen, wobei es natürlich Ausnahmen hierzu gibt. Was die Vulnerabilität betrifft, scheint jedoch die Herkunft einer Person aus einem bestimmten Gebiet wichtiger zu sein, als ihre Konfession und ob sie der palästinensischen Minderheit angehört oder nicht. Dabei determinierten die Anfangsjahre des Konflikts 2011-2013, welche Gebiete zu welchen Konfliktparteien zugeordnet werden. Die Bewegungsfreiheit von Palästinensern ist eingeschränkt. Berichten zufolge müssen sie z.B. in Damaskus eine Genehmigung der Mukhabarat (Geheimdienst) und der Sicherheitskräfte bekommen, um ihren Wohnsitz verlegen zu können. Palästinenser müssen den Wohnsitz bei den Mukhabarat registrieren, was dazu führt, dass manche Personen nicht an Palästinenser vermieten wollen (BFA 8.2017).

Allgemein gesprochen sind die Palästinenser vulnerabler als der durchschnittliche Syrer, was auch mit fehlenden Identitätsdokumenten in Verbindung steht (BFA 8.2017). Palästinenser, die bereits vor dem Konflikt deutlich ärmer als Syrer waren, sind nun eine der am meisten vom Konflikt betroffenen Bevölkerungsgruppen in Syrien (UNRWA 5.12.2018). Sie sind außerdem häufig von mehrfachen Vertreibungen betroffen (BFA 8.2017). Dies ist mitunter auch auf die strategische Relevanz der von Palästinensern bewohnten Gebiete zurück zu führen. Beispielsweise waren die Lager südlich von Damaskus strategisch bedeutend, weil sie die beiden oppositionellen Hochburgen im westlichen Damaskus und in Ost-Ghouta trennten und dadurch im bewaffneten Konflikt zum Ziel von Beschuss und Blockaden wurden. Dies führte zur Vertreibung der Bewohner dieser Lager (NOREF 24.1.2017). Sowohl das Regime als auch oppositionelle Gruppierungen belagerten oder beschossen manche palästinensische Flüchtlingslager und Nachbarschaften, oder machten diese anderweitig praktisch unzugänglich, was zu Fällen von schwerer Unterernährung und fehlendem Zugang zu medizinischer und humanitärer Versorgung und Todesfällen von Zivilisten führte (USDOS 13.3.2019).

Die Leistungen der UNRWA im Rahmen ihrer Zugangsmöglichkeiten

Die offiziellen UNRWA-Flüchtlingslager sind Gebiete, die UNRWA von der Regierung des jeweiligen Gastlandes zur Errichtung eines Lagers und der notwendigen Infrastruktur überlassen werden. Die Aktivitäten von UNRWA erstrecken sich jedoch auch auf nicht offiziell diesem Zweck zugewiesene Gebiete (sog. „Inoffizielle Lager“). Dies trifft auch auf Yarmouk zu, einen Stadtteil von Damaskus, der lange Zeit die größte Dichte an palästinensischen Flüchtlingen in Syrien aufwies (BFA 8.2017).

UNRWA bietet Unterstützungsleistungen in zwölf Flüchtlingslagern in Syrien an (neun offizielle und drei inoffizielle Lager). Diese Lager werden von UNRWA jedoch nicht verwaltet, und UNRWA ist nicht für die Sicherheit in den Lagern zuständig. Dies liegt in der Verantwortung der Behörden des Gaststaates (UNRWA o.D.). Die palästinensischen Flüchtlingslager in Syrien sind nicht durch physische Begrenzungen, wie z.B. Mauern, eingefriedet, sondern sie sind Teil der Städte, und gleichen eher Wohnvierteln. In Syrien leben Teile der palästinensischen Bevölkerung innerhalb und andere außerhalb der Lager (BFA 8.2017). Das Land, auf welchem sich die UNRWA-Lager befinden, befindet sich im Eigentum des Gaststaates. Den palästinensischen Familien wurden in der Vergangenheit Grundstücke zugeteilt, worauf Häuser gebaut wurden. Rechtlich gehört den palästinensischen Bewohnern das Land, auf dem die Häuser stehen, nicht. Dennoch werden die dort errichteten Wohnungen und Häuser mittlerweile auch vermietet und verkauft (BFA 8.2017). Der Zugang zu UNRWA-Lagern ist rechtlich nicht eingeschränkt, es kann jedoch faktische Probleme geben, die den Zugang einschränken (BFA 8.2017).

Etwa 95% der in Syrien verbliebenen palästinensischen Flüchtlingsbevölkerung hängen von humanitärer Hilfe ab, um ihre Grundbedürfnisse zu stillen, und etwa 254.000 wurden zumindest einmal innerhalb Syriens vertrieben. 34.200 palästinensische Flüchtlinge in Syrien waren in der ersten Hälfte des Jahres 2018 noch immer in für UNRWA „schwer zugänglichen“ Gebieten (UNRWA 5.12.2018). Für Palästinenser ist es zudem schwierig sich durch Checkpoints zu bewegen, z.B. wenn sie keine gültigen syrischen Dokumente vorweisen können. Ihre Bewegungsfreiheit innerhalb Syriens ist aufgrund der Notwendigkeit, die Genehmigung für Wohnortwechsel einzuholen, und aufgrund der Registrierungspflicht eingeschränkt (BFA 8.2017).

Viele UNRWA Einrichtungen wurden durch den Konflikt in Syrien zerstört oder sind für UNRWA nicht zugänglich, wie z.B. 40% der UNRWA Klassenräume oder 25% der Gesundheitszentren (UNRWA o.D.). UNRWA versucht, Alternativen zu den Bildungseinrichtungen zu finden und bietet, sofern möglich, auch Bildung in staatlichen Schulen für palästinensische Kinder an, oft in Form einer zweiten Schicht von Unterrichtsstunden (BFA 8.2017; vgl. UNRWA o.D.). In mehreren Flüchtlingslagern, besonders in Yarmouk, fanden schwere Kämpfe zwischen dem Regime und der Opposition statt und die Lager wurden dabei fast gänzlich zerstört (AJ 20.10.2018). Zudem musste UNRWA aufgrund fehlender Mittel die finanzielle Unterstützung von palästinensischen Flüchtlingen im Jahr 2018 reduzieren (UNRWA o.D.).

Auch 2019 kam es zu Reduzierungen aufgrund fehlender finanzieller Mittel. So erhalten die sogenannte „Cash Assistance“ nur noch die vulnerabelsten Personen, wie weibliche Haushaltsvorstände, Waisen, Alte oder Personen mit Behinderungen. Es ist unklar ob das „Cash Assistance“ Programm 2020 fortgeführt werden kann (IO A 1.4.2019).

Reisedokumente und Ausreiseregelungen für Palästinenser

Wie und wo Palästinenser in Syrien Dokumente erhalten, hängt von ihrem rechtlichen Status ab. Nur jene Palästinenser, die als palästinensische Flüchtlinge anerkannt sind (also zwischen 1948 und 1956 nach Syrien gekommen sind, bzw. deren Nachkommen) können von der syrischen General Authority for Palestinian Arab Refugees (GAPAR) ein Reisedokument erhalten. Den Reisedokumenten, wie auch den Personalausweisen ist zu entnehmen, dass die Besitzer syrische Palästinenser sind. Palästinenser, die in Syrien den Status „Arabs in Syria“ haben, da sie nach 1956 nach Syrien gekommen waren, erhalten von Syrien keine Reisedokumente. Mangels anderer gültiger Reisedokumente beantragen Personen aus dieser Kategorie über die Vertretung der Palästinensischen Behörde (Botschaft Palästinas in Syrien) in Damaskus die Ausstellung eines Reisedokuments durch die Palästinensische Autonomiebehörde in Ramallah. Eine persönliche Vorsprache in Ramallah ist für die Ausstellung dieses Reisedokuments nicht erforderlich (ÖB 7.2019).

Einige in Syrien aufhältige Palästinenser brauchen für eine legale Ausreise aus Syrien eine Genehmigung und müssen sich zusätzlich einer weiteren Sicherheitskontrolle unterziehen, dies hängt jedoch wieder von ihrem rechtlichen Status in Syrien ab. Auch in der Türkei sind Einreisebeschränkungen für Palästinenser in Kraft (BFA 8.2017).

Ein Palästinenser, der in Syrien bei UNRWA registriert ist und dann in ein anderes Land geht, das auch im Mandatsgebiet der UNRWA liegt (wie z.B. der Libanon), bleibt in Syrien registriert („registered“), wird aber im Libanon erfasst („recorded“) und hat dort Zugang zu UNRWA-Leistungen. UNRWA schränkt den Zugang zu UNRWA-Leistungen für Palästinenser aus anderen Staaten nicht ein, jedoch können die Staaten die Einreise von Palästinensern und somit deren Zugang zu UNRWA Leistungen in Nachbarstaaten einschränken (BFA 8.2017).

Für Palästinenser ist es nicht nur schwieriger als für syrische Flüchtlinge in Nachbarländern einzureisen, sondern auch dort zu bleiben und einen legalen Aufenthaltsstatus beizubehalten und folglich Leistungen zu erhalten. Ohne legalen Aufenthaltsstatus ist es nicht möglich, eine Ehe zu registrieren, weshalb in weiterer Folge auch die Geburt eines Kindes aus dieser Ehe nicht registriert werden kann (BFA 8.2017).

1.3.5. Grundversorgung und Wirtschaft

Vor dem Krieg betrug das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Syriens 60 Milliarden USD, aufgrund des Konfliktes verschlechterte sich die Wirtschaft und das BIP sank im Jahr 2017 auf 12 Milliarden USD. Schätzungen setzen die Kosten für den Wiederaufbau bei 250 Milliarden USD fest (TE 28.6.2018). Internationale Sanktionen, große strukturelle Schäden, der verringerte Konsum und die geminderte Produktion, reduzierte Subventionen und die hohe Inflation senken unter anderem den Wert des syrischen Pfund und die Kaufkraft privater Haushalte (CIA 3.4.2019).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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