Entscheidungsdatum
02.09.2020Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W176 2220056-1/7E
Antragsgemäße schriftliche Ausfertigung des am 06.07.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. NEWALD als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Syrien, vertreten durch DIAKONIE FLÜCHTLINGSDIENST gemeinnützige GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.05.2019, Zl. 1152055405-181097520, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. Nr. 33/2013 (VwGVG), iVm § 3 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG 2005), als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin stellte zunächst einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels im Rahmen einer Familienzusammenführung nach § 35 AsylG 2005. Nach positiver Prognoseentscheidung und legaler Einreise ins Bundesgebiet brachte sie am 16.11.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz ein.
2. Bei ihrer Erstbefragung an, Syrien legal am 10.11.2018 per Flugzeug verlassen zu haben; ihre drei Söhne hätten in Österreich den Status von Asylberechtigten erlangt, weshalb sie denselben Schutz wie ihre Familienangehörigen beantrage.
3. Am 26.03.2019 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) einvernommen, brachte die Beschwerdeführerin in Wesentlichen Folgendes vor: Sie sei im Damaskus geboren, habe sechs Kinder und sei verwitwet. Seit ca. 2016 habe sie sich mit ihrer jüngeren Tochter im Libanon aufgehalten. Zuvor – als ihr Ehemann noch gelebt habe – habe sie in einem Einfamilienhaus in einem Stadtteil von Damaskus gewohnt. Sie sei syrische Araberin und Muslimin. Es gehe ihr gut, jedoch sehe sie auf dem linken Auge nichts, weil ihre Netzhaut zerstört sei. Sie habe acht Schuljahre absolviert, aber nie einen Beruf ausgeübt, weil sie sich mit 16 Jahren verlobt und eine Familie gegründet habe. Ihr Ehemann sei XXXX gewesen und habe die Familie versorgt. Das Haus, in dem sie gelebt hätten, befinde sich noch in ihrem Besitz, ihre wirtschaftliche Situation sei durchschnittlich gewesen. Eine Tochter und ein Sohn lebten im Libanon, drei Söhne in Österreich und ein Sohn in Syrien. Die Beschwerdeführerin habe noch fünf Brüder und fünf Schwestern in Syrien, ein Bruder sei bereits verstorben. Es bestehe telefonischer Kontakt zu ihnen. In der Zeit, als sie mit ihrer Tochter im Libanon gelebt habe, sei sie dreimal in Syrien zu Besuch gewesen. Zum Fluchtgrund führte sie aus, aus Syrien weggegangen zu sein, weil sie niemanden mehr dort habe, der für sie Zeit gehabt habe. Außerdem herrsche in Syrien Krieg und man könne alleine dort nicht überleben.
4. Mit dem im Spruch genannten Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. des Bescheides wurde ihr gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und unter Spruchpunkt III. gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine (zunächst bis zum 14.05.2020 befristete und in der Folge verlängerte) Aufenthaltsberechtigung erteilt.
Die belangte Behörde stellte die Identität der Beschwerdeführerin fest. Sie habe Syrien aufgrund der allgemeinen Bürgerkriegssituation verlassen. Ihr Vorbringen sei glaubhaft, aber nicht asylrelevant. Eine individuell gegen sie gerichtete Gefährdung habe sie nicht dargetan.
5. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde, in welcher die Beschwerdeführerin darauf hinwies, dass der in Syrien verbliebene Sohn in Südafrika arbeite, daher nicht dauerhaft in Syrien lebe und sich nicht um die Beschwerdeführerin kümmern könne. Allein die Tatsache, dass die Beschwerdeführerin im Ausland einen Asylantrag gestellt habe und drei ihrer Söhne in Österreich asylberechtigt seien, reiche für die syrischen Behörden aus, um sie zu verfolgen. Die Söhne würden im Falle einer Rückkehr nach Syrien zum Militärdienst eingezogen; bereits aufgrund der Asylgründe ihrer Söhne drohe der Beschwerdeführerin die Gefahr einer Unterstellung einer politischen Gesinnung. Die Behörde habe die Situation alleinstehender Frauen in Syrien nicht hinreichend ermittelt; die Einvernahme sei zu knapp gehalten gewesen. Auch Familienangehörige von Deserteuren/Wehrdienstverweigerern seien gefährdet. Sie sei von ihren Söhnen finanziell abhängig. Sie plane mit einem ihrer Söhne in einer gemeinsamen Wohnung zu leben; dabei könnte sie ihn unterstützen, weil er an Epilepsie erkrankt sei, er würde sich um seine Mutter kümmern, die an gelegentlichen Schwächeanfällen leide. Aufgrund des mangelhaften Ermittlungsverfahrens werde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.
6. In der Folge legte die belangte Behörde die Beschwerde samt den Verwaltungsunterlagen dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.
7. Am 06.07.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche Beschwerdeverhandlung statt, in der die Beschwerdeführerin als Partei sowie einer ihrer asylberechtigten Söhne als Zeuge einvernommen wurden.
Im Anschluss an die Beschwerdeverhandlung wurde das gegenständliche Erkenntnis mündlich verkündet.
8. Am 10.07.2020 beantragte die Beschwerdeführerin die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Beschwerdeführerin:
Der Beschwerdeführerin wurde aufgrund der allgemeinen prekären Lage in Syrien der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt, wobei ihre Aufenthaltsberechtigung mit Bescheid der belangen Behörde vom 08.06.2020 für ein weiteres Jahr verlängert wurde.
Die in Damaskus geborene 60-jährige, gesunde Beschwerdeführerin ist syrische Staatsangehörige arabischer Volksgruppenzugehörigkeit und sunnitisch-muslimischen Glaubens. Ihrer Ehe mit ihrem XXXX verstorbenen Ehemann entstammen eine Tochter und fünf Söhne. Die Beschwerdeführerin war nie berufstätig, sondern kümmerte sich um die Kinder.
Den Großteil ihres Lebens verbrachte die Beschwerdeführerin in ihrem Geburtsort, dem Damaszener Stadtteil XXXX ; die letzten Jahre vor ihrer Einreise nach Österreich lebte sie gemeinsam mit ihrer Tochter im Libanon. In dieser Zeit reiste die Beschwerdeführerin mehrmals nach Syrien, wobei sie in ihrem Elternhaus lebte und von einer ihrer Schwester unterstützt wurde.
Im Herkunftsstaat leben noch zahlreiche nahe Familienangehörige der Beschwerdeführerin, mit denen sie auch in Kontakt steht. Diese leben unbehelligt in Damaskus.
Es kann daher nicht angenommen werden, dass die Beschwerdeführerin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nach einer Rückkehr nach Syrien als alleinstehende Frau einer Bedrohungssituation von asylrelevanter Intensität ausgesetzt wäre.
Drei Söhne der Beschwerdeführerin ( XXXX ) leben in Österreich als anerkannte Flüchtlinge. Bei ihnen handelt es sich nicht um Wehrdienstverweigerer mit hohem Profil.
Die Beschwerdeführerin hat sich zu keinem Zeitpunkt oppositionell betätigt und es ist auch keine regierungsfeindliche Gesinnung bei ihr zutage getreten.
Es ist daher nicht davon auszugehen, dass die sechzigjährige Beschwerdeführerin, die nach ihren ursprünglichen, glaubwürdigen Angaben Syrien aus persönlich-familiären Gründen verlassen hat, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen hätte, in Syrien Verfolgung aufgrund (zumindest) unterstellter politischen Gesinnung ausgesetzt zu sein.
1.2. Hinsichtlich der Lage in Syrien:
Wehrdienst
Männliche Staatsbürger Syriens unterliegen ab dem Alter von 18 Jahren dem verpflichtenden Wehrdienst. Im März 2011 erließ Präsident Assad ein Dekret, in welchem er die Länge des verpflichtenden Wehrdienstes von 21 auf 18 Monaten verringerte. Dies wurde als Versuch gewertet, den Unmut unter vielen jungen Syrern zu besänftigen, die über den Entzug der Lebensmittelhilfe für Familien von vor der Einberufung Geflohenen und über die willkürliche Überprüfung von Personaldokumenten verärgert waren.
Alle Männer zwischen 18 und 40 Jahren kommen für den Militärdienst in Frage, mit Ausnahme von Juden und staatenlosen Kurden. Der Militärdienst in den syrischen Streitkräften ist auch von syrischen bzw. staatenlosen Palästinensern - in der Palästinensischen Befreiungsarmee - und von Kurden, die einen syrischen Personalausweis besitzen, abzuleisten. Als der Aufstand in Syrien begann, versuchte die Assad-Regierung die Minderheiten zu besänftigen und versprach den Kurden die Staatsbürgerschaft. Da für den Erhalt der Staatsbürgerschaft auch ein Interview mit den Sicherheitsbehörden notwendig ist, sind nur wenige bereit die Staatsbürgerschaft zu beantragen. Junge Kurden, die um die Staatsbürgerschaft ansuchten, wurden aufgefordert den Militärdienst abzuleisten. Wehrpflichtige können auch im Kampf gegen Protestierende eingesetzt werden.
Ausnahmen vom Militärdienst sind aus familiären Gründen möglich, z. B. wenn eine Familie nur einen Sohn hat oder wenn schwere gesundheitliche Probleme vorliegen. Trotz der Reduzierung der Länge des Militärdienstes auf 18 Monate folgte eine Entscheidung im November 2011, den Aufschub der Einberufung aus administrativen oder schulischen Gründen aufzuheben. Daraufhin verließen dutzende junge Männer das Land. Im Legislativdekret Nr. 124 für das Jahr 2011 wurde den Personen im Einberufungsalter eine Generalamnestie gewährt, welche die Frist für die Einberufungstests nicht eingehalten hatten oder welche ohne legale Entschuldigung die Frist zum Eintritt in die Armee nicht eingehalten hatten. Diese Personen wurden aufgefordert, sich innerhalb von 60 Tagen ab dem Veröffentlichungsdatum des Dekrets bei ihren Rekruteneinheiten zu melden.
Eine Befreiung ist bei Vorliegen folgender Voraussetzungen möglich, wobei es jedoch keine gesetzlich geregelte Grundlage gibt, sich freizukaufen:
*aus gesundheitlichen Gründen
*wenn man nach Erreichen des 18. Lebensjahres für mindestens 5 Jahre ununterbrochen im Ausland gelebt hat, kann man sich freikaufen.
*dasselbe gilt für Männer, die älter als 45 Jahre sind
Präsident al-Assad verkündete im Legislativdekret Nr. 94 für das Jahr 2011 die Reduktion der Zahlung, die anstatt des Militärdienstes von Personen, die längere Zeit im Ausland gelebt haben, zu leisten ist, von USD 6.500 auf USD 5.000. Da es sich bei diesen Möglichkeiten zum Freikauf um "Kann–Bestimmungen" handelt, ist eine Befreiung in Krisenzeiten unwahrscheinlich.
Die den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad unterstützende Zeitung "Al-Watan" berichtete im Jänner 2013, dass das syrische Verteidigungsministerium damit begonnen habe, zusätzliche Wehrpflichtige einzuziehen. Immer wieder gibt es Berichte, wonach Männer bei Kontrollen an Checkpoints zum Wehrdienst eingezogen werden. Auch von der Einberufung von Reservisten (d.h., Personen, die bereits den Wehrdienst abgeleistet haben) wird berichtet. Die Regierung hat Schwierigkeiten neue Rekruten auszuheben und die, die zum normalen verpflichtenden Militärdienst einberufen werden sollten, weigern sich, sich zu melden. Diese Situation zwang die Regierung die Einberufung auf jene auszuweiten, die ihren Militärdienst bereits abgeleistet haben.
Die Ablehnung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen wird in Syrien nicht anerkannt, und es gibt keine Möglichkeit eines Ersatzdienstes.
Die Strafen für Wehrdienstverweigerung hängen von den Umständen ab und reichen von einem Monat bis zu fünf Jahren Haft.
Laut Artikel 98 des Militärstrafgesetzes wird Desertion in Friedenszeiten mit Haftstrafen von einem bis zu sechs Monaten bestraft. Artikel 99 regelt Desertionen in Kriegszeiten, und spricht über Haftstrafen zwischen drei und fünf Jahren, vorausgesetzt der Betroffene stellt sich innerhalb einer Frist von 3 Monaten freiwillig den Behörden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wäre mit einer hohen Haftstrafe zu rechnen. Desertion ist mit fünf bis zehn Jahren, wenn der Deserteur das Land verlassen hat, Haftstrafe bedroht. Die Strafen für Desertion variieren nach dem Rang des Deserteurs und den Umständen unter denen die Desertion stattfand. Das Überlaufen zum Feind ist mit der Exekution strafbar. Obwohl die Soldaten streng beaufsichtigt werden und ihre Familien bei Fahnenflucht mit Repressalien rechnen müssen, gibt es immer wieder Deserteure. Die meisten von ihnen seien Angehörige der sunnitischen Bevölkerungsmehrheit. Unter den Überläufern war auch der sunnitische General Manaf Tlass, ein früherer Vertrauter Bashar al-Assads. Im Vergleich zur ersten Hälfte 2012 gingen die Desertionen zurück, wahrscheinlich weil die Regierungstruppen den Bodenkampf reduzierten und die Kontrolle des Militär- und Sicherheitspersonals verstärkten. Möglicherweise sehen potentielle Überläufer keine Gelegenheit mehr zum Überlaufen. Desertion kann – abhängig von den Umständen – einem Todesurteil gleichkommen, das Berichten von Deserteuren zufolge, oftmals auch unmittelbar vollstreckt wird. Grundwehrdiener werden mit Zwangsmaßnahmen zum Einsatz gezwungen. Syrischen Soldaten droht, bei Weigerung gegen die Protestierenden vorzugehen, Haft und Folter. Außerdem wird berichtet, dass Soldaten am Ende der Haft ein Dokument unterschreiben mussten, in dem sie bestätigten, dass ihnen während der Haft nichts angetan wurde, und sie mussten sich verpflichten, Kameraden, die sich weigerten auf Demonstranten zu schießen, ihren Vorgesetzten zu melden. Erst dann durften sie zu ihren Einheiten zurückkehren. Andere Soldaten wurden hingegen Opfer von "Verschwindenlassen."
Desertierte syrische Soldaten berichteten, dass sie gezwungen wurden auf unbewaffnete Zivilisten und Protestierende, darunter Frauen und Kinder, zu schießen. Falls sie sich weigerten, wären sie Gefahr gelaufen erschossen zu werden. Eine große Zahl an Soldaten wurde tatsächlich bereits getötet, als sie versuchten zu desertieren oder sich weigerten auf Zivilisten zu schießen.
Opposition/Zuschreibung einer oppositionellen Gesinnung
Bestimmte Personen werden aufgrund ihrer politischen Meinung oder Zugehörigkeit direkt angegriffen oder ihnen wird auf andere Weise Schaden zugefügt. Aber die Konfliktparteien wenden Berichten zufolge breitere Auslegungen an, wen sie als der gegnerischen Seite zugehörig betrachten. Diese basieren z.B. auf den familiären Verbindungen der Person, ihrem religiösen oder ethnischen Hintergrund oder einfach auf ihrer Präsenz in einem bestimmten Gebiet, das als "regierungsfreundlich" oder "regierungsfeindlich" gilt.
Eine sich verstärkende Besonderheit des Konflikts in Syrien ist der Umstand, dass – auch - die syrische Regierung als Konfliktpartei oftmals größeren Personengruppen, einschließlich Familien, Stämmen, religiösen bzw. ethnischen Gruppen sowie ganzen Städten, Dörfern und Wohngebieten, eine politische Meinung unterstellt. Die Annahme, dass eine Person eine bestimmte politische Meinung hat, oder eine bestimmte Konfliktpartei unterstützt, basiert oft nur auf wenig mehr als der physischen Anwesenheit dieser Person in einem bestimmten Gebiet oder ihrer Abstammung aus diesem Gebiet oder auf ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund oder ihrer Stammeszugehörigkeit.
Bestimmte Personen werden aufgrund ihrer politischen Meinung oder Zugehörigkeit direkt angegriffen oder ihnen wird auf andere Weise Schaden zugefügt. Aber die Konfliktparteien wenden Berichten zufolge breitere Auslegungen an, wen sie als der gegnerischen Seite zugehörig betrachten – diese basieren z.B. auf den familiären Verbindungen der Person, ihrem religiösen oder ethnischen Hintergrund oder einfach auf ihrer Präsenz in einem bestimmten Gebiet, das als regierungsfreundlich oder –feindlich gilt.
Frauen
Außerhalb der Gebiete, die unter der Kontrolle des Regimes stehen, unterscheiden sich die Bedingungen für Frauen sehr stark voneinander. Von extremer Diskriminierung, sexueller Versklavung und erdrückenden Verhaltens- und Kleidungsvorschriften in Gebieten des IS, zu formaler Gleichberechtigung in den Gebieten unter der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD), wo Regierungssitze immer von einer Frau und einem Mann besetzt sind und Frauen in der Politik und im Militärdienst gut vertreten sind (FH 1.2017).
Frauen in Syrien haben eine relativ lange Historie der Emanzipation und vor dem Konflikt war Syrien eines der vergleichsweise fortschrittlicheren Länder der Arabischen Welt in Bezug auf Frauenrechte. Die Situation von Frauen verschlechtert sich durch den andauernden Konflikt dramatisch, weil Frauen Opfer unterschiedlicher Gewalthandlungen der verschiedenen Konfliktparteien werden. Aufgrund der Kampfhandlungen (orig. shelling) zögern Familien, Frauen und Mädchen das Verlassen des Hauses zu erlauben. Sie nehmen diese aus der Schule, was zur Minderung der Rolle von Frauen und zu ihrer Isolation in der Gesellschaft führt (BFA 8.2017).
In oppositionellen Gebieten, welche von radikalislamistischen Gruppen kontrolliert werden (z.B. in Idlib oder umkämpften Gebieten östlich von Damaskus), sind Frauen besonders eingeschränkt. Es ist schwer für sie, für einfache Erledigungen das Haus zu verlassen. Außerdem ist es schwierig für sie zu arbeiten, weil sie unter Druck stehen, zu heiraten. Dies hängt jedoch von der Region ab (BFA 8.2017).
Extremistische Gruppierungen wie der sogenannte Islamische Staat (IS) oder Jabhat Fatah ash-Sham setzen Frauen in den von ihnen kontrollierten Gebieten diskriminierenden Beschränkungen aus. Solche Beschränkungen sind z.B. strikte Kleidervorschriften, Einschränkungen bei der Teilnahme am öffentlichen Leben, bei der Bewegungsfreiheit und beim Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt. In Gebieten, die der IS kontrolliert(e), wurde ein Dokument veröffentlicht, welches Frauen unter Androhung der Todesstrafe die Befolgung von 16 Punkten vorschreibt. Die Punkte waren unter anderem, das Haus nicht ohne einen männlichen nahen Verwandten (mahram) zu verlassen, weite Kleidung, ein Kopftuch und einen Gesichtsschleier zu tragen, Friseursalons zu schließen, in der Öffentlichkeit nicht auf Stühlen zu sitzen und keine männlichen Ärzte aufzusuchen (USDOS 3.3.2017; vgl. BFA 8.2017). In Raqqa gründete der IS die „al-Khansaa“-Brigade, welche hauptsächlich aus nicht-syrischen Frauen besteht und die Regeln des IS bei anderen Frauen durchsetzen soll (USDOS 3.3.2017). Familien werden auch gezwungen ihre Töchter an IS-Kämpfer zu verheiraten. Jabhat Fatah ash-Sham [Anm.: vormals Jabhat al-Nusra] ist Frauen gegenüber etwas weniger restriktiv, die Situation ist jedoch ähnlich. Generell wird die Lage junger unverheirateter Frauen in Syrien allgemein, im Speziellen jedoch in den von radikalislamistischen Gruppierungen kontrollierten Gebieten, als prekär bezeichnet (BFA 8.2017).
Alleinstehende Frauen
Alleinstehende Frauen sind in Syrien aufgrund des Konfliktes einem besonderen Risiko von Gewalt oder Schikane ausgesetzt, jedoch hängt dies von der sozialen Schicht und der Position der Frau bzw. ihrer Familie ab. Man kann die gesellschaftliche Akzeptanz von alleinstehenden Frauen aber in keinem Fall mit europäischen Standards vergleichen, und Frauen sind potentiell Belästigungen ausgesetzt. In Syrien ist es fast undenkbar als Frau alleine zu leben, da eine Frau ohne Familie keine gesellschaftlichen und sozialen Schutzmechanismen besitzt. Beispielsweise würde nach einer Scheidung eine Frau in den meisten Fällen wieder zurück zu ihrer Familie ziehen. Vor dem Konflikt war es für Frauen unter bestimmten Umständen möglich alleine zu leben, z.B. für berufstätige Frauen in urbanen Gebieten (BFA 8.2017).
Der Zugang von alleinstehenden Frauen zu Dokumenten hängt von deren Bildungsgrad, individueller Situation und bisherigen Erfahrungen ab. Beispielsweise werden ältere Frauen, die immer zu Hause waren, mangels vorhandener Begleitperson und behördlicher Erfahrung nur schwer Zugang zu Dokumenten bekommen können (BFA 8.2017). Im Dezember 2017 hat das von Hay‘at Tahrir ash-Sham gestützte Syrian Salvation Government (SSG) in der Provinz Idlib, die großteils von islamistischen Oppositionsgruppen kontrolliert wird, eine Entscheidung verkündet, laut welcher alle Witwen in ihrem Kontrollgebiet mit einem Shari‘a-konformen männlichen Familienangehörigen wohnen müssen. Die Meldung warnt auch vor Bestrafung für „jeden, der sich nicht nach dieser Regelung richtet“, es ist jedoch noch unklar wie die Entscheidung umgesetzt wird (Syria Direct 14.12.2017).
Rückkehr
Es muss davon ausgegangen werden, dass syrische Sicherheitsdienste in der Lage sind, exilpolitische Tätigkeiten auszuspähen und darüber zu berichten (AA 13.11.2018; vgl. ÖB 7.2019). Es gibt Berichte, dass syrische Sicherheitsdienste mit Drohungen gegenüber noch in Syrien lebenden Familienmitgliedern Druck auf in Deutschland lebende Verwandte ausüben (AA 13.11.2018). Die syrische Regierung hat Interesse an politischen Aktivitäten von Syrern im Ausland. Eine Gefährdung eines Rückkehrers im Falle von exilpolitischer Aktivität hängt jedoch von den Aktivitäten selbst, dem Profil der Person und von zahlreichen anderen Faktoren, wie dem familiären Hintergrund und den Ressourcen ab, die der Regierung zur Verfügung stehen (BFA 8.2017). Der Sicherheitssektor nützt den Rückkehr- und Versöhnungsprozess, um, wie in der Vergangenheit, lokale Informanten zur Informationsgewinnung und Kontrolle der Bevölkerung zu institutionalisieren. Die Regierung weitet ihre Informationssammlung über alle Personen, die nach Syrien zurückkehren oder die dort verblieben sind, aus. Historisch wurden Informationen dieser Art benutzt, um Personen, die aus jedwedem Grund als Bedrohung für die Regierung gesehen werden, zu erpressen oder zu verhaften (EIP 6.2019).
UNHCR zufolge weisen folgende Personen bzw. Personengruppen ein "Risikoprofil" für eine asylrelevante Bedrohung in Syrien auf:
Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen, einschließlich, jedoch nicht beschränkt auf Mitglieder politischer Oppositionsparteien; Aufständische, Aktivisten und sonstige Personen, die als Sympathisanten der Opposition angesehen werden; Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen bzw. Personen, die als Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen angesehen werden; Wehrdienstverweigerer und Deserteure der Streitkräfte; Mitglieder der Regierung und der Baath-Partei, die ihre Ämter niedergelegt haben; Familienangehörige von tatsächlichen oder vermeintlichen Regierungsgegnern sowie andere Personen, die mit tatsächlichen oder vermeintlichen Regierungsgegnern in Verbindung gebracht werden; Zivilisten, die in vermeintlich regierungsfeindlichen städtischen Nachbarschaften, Städten und Dörfern leben.
Personen, die tatsächlich oder vermeintlich die Regierung unterstützen, einschließlich, jedoch nicht beschränkt auf Mitglieder von Parteien, die der Regierung verbunden sind; tatsächliche und vermeintliche Mitglieder von Streitkräften der Regierung sowie Zivilbürger, von denen angenommen wird, dass sie mit Streitkräften der Regierung zusammenarbeiten; Familienangehörige von Personen, die tatsächlich oder vermeintlich die Regierung unterstützen; Zivilisten, die in vermeintlich regierungsnahen städtischen Nachbarschaften, Städten und Dörfern leben.
Personen, die tatsächliche oder vermeintliche Gegner von ISIS sind, und sich in Gebieten aufhalten, in denen ISIS de facto die Kontrolle oder Einfluss ausübt.
Personen, die tatsächliche oder vermeintliche Gegner bewaffneter oppositioneller Gruppen sind, und sich in Gebieten aufhalten, in denen diese Gruppen de facto die Kontrolle ausüben.
Personen, die tatsächliche oder vermeintliche Gegner von PYD/YPG sind und sich in Gebieten aufhalten, in denen PYD/YPG de facto die Kontrolle ausüben.
Angehörige bestimmter Berufsgruppen, insbesondere Journalisten und andere in der Medienbranche tätige Personen, Laienjournalisten; Ärzte und andere im Gesundheitswesen tätige Personen; Menschenrechtsaktivisten; humanitäre Helfer; Künstler; Unternehmer und andere Personen, die tatsächlich oder vermeintlich vermögend oder einflussreich sind.
Mitglieder religiöser Gruppen, einschließlich Sunniten, Alawiten, Ismailis, Zwölfer-Schiiten, Drusen, Christen und Jesiden.
Personen, die vermeintlich gegen die Scharia verstoßen und in Gebieten leben, die unter der Kontrolle oder dem Einfluss extremistischer islamistischer Gruppen stehen.
Angehörige ethnischer Minderheiten, einschließlich Kurden, Turkmenen, Assyrer, Tscherkessen und Armenier.
Frauen, insbesondere Frauen ohne Schutz durch Männer, Frauen, die Opfer von sexueller Gewalt, von Kinder- und Zwangsheirat, häuslicher Gewalt, Verbrechen zur Verteidigung der Familienehre ("Ehrendelikt") und Menschenhandel wurden, oder einem entsprechenden Risiko ausgesetzt sind.
Kinder, insbesondere Kinder, die in der Vergangenheit festgenommen wurden, oder die einem entsprechenden Risiko ausgesetzt sind; sowie Kinder, die Opfer von Zwangsrekrutierung als Kindersoldaten, sexueller und häuslicher Gewalt, Kinderarbeit, Menschenhandel und systematischer Verweigerung des Zugangs zu Bildungsangeboten wurden, oder die einem entsprechenden Risiko ausgesetzt sind.
Personen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung und/oder geschlechtlicher Identität.
Palästinensische Flüchtlinge.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin und ihrer Herkunft stützen sich auf ihre diesbezüglich glaubwürdigen Angaben in Verbindung mit den von ihr vorgelegten Dokumenten. Sie legte ihr Familienbuch vor, wodurch sich ihre Ausführungen zu ihrer familiären Situation, insbesondere ihren sechs Kindern, bestätigten. Auch die Sterbeurkunde ihres Ehemannes sowie der Reisepass der Beschwerdeführerin liegen im Akt ein, wobei auch die belangte Behörde bereits ihre Identität als erwiesen zugrunde legte. Dass sie aus XXXX , Damaskus, stammt, wo sie den Großteil ihres Lebens verbrachte, zuletzt aber mit ihrer Tochter im Libanon lebte, hat sie im Verfahren gleichbleibend und somit glaubhaft vorgebracht.
Gleichgeblieben ist weiters, dass die Beschwerdeführerin angab, über familiäre Anknüpfungspunkte in Syrien zu verfügen. Auch in der mündlichen Verhandlung sagte sie aus, dass ihre vier Brüder und vier Schwestern und zT auch deren Kinder im Herkunftsstaat leben würden. Dagegen versuchte sie die Reichweite ihres in Syrien bestehenden familiären Netzes zu schmälern, indem sie in der Verhandlung aussagte, ihr Sohn XXXX lebe seit drei oder vier Jahren in Afrika, während sie nach am 26.03.2019 vor der Behörde davon gesprochen hatte, dass er sich in Syrien aufhalte. Es war daher davon auszugehen, dass auch ihr Sohn XXXX weiterhin in Syrien lebt. Dass sie mit den in Syrien verbliebene Angehörigen auch in (telefonischem) Kontakt steht, sagte sie ebenfalls durchwegs gleichlautend aus. In der Beschwerdeverhandlung gab sie überdies glaubwürdig an, sie habe während ihrer Aufenthalte in Damaskus in ihrem Elternhaus gelebt und sei von ihrer (unverheirateten) Schwester XXXX unterstützt worden.
Im Verfahren hat sich klar ergeben, dass die Beschwerdeführerin gesund ist, sie bracht einzig Sehbeschwerden vor, gab jedoch an, dass es ihr insgesamt gut gehe. Soweit die Beschwerdeführerin in der Verhandlung – erstmals – vorbrachte, an Depressionen gelitten zu haben, ist festzuhalten, dass dazu keinerlei medizinische Unterlagen vorgelegt wurden und dieses Vorbringen – wenig glaubwürdig – im Zusammenhang mit Abweichungen zu ihrem Angaben vor der belangten Behörde erstattet wurde.
Dass die Beschwerdeführerin im Falle der Rückkehr nach Syrien keine Verfolgung zu gewärtigen hätte, legt schon der Umstand nahe, sie ihre Fluchtgründe im Verfahren schlichtweg austauschte. Hatte sie vor der Behörde noch ins Treffen geführt, sie sei – abgesehen vom Krieg – deshalb aus Syrien weggegangen, weil sie niemanden gehabt habe, der für sie Zeit habe, stützte sie sich in der Verhandlung fast ausschließlich darauf, dass ihr im Falle der Rückkehr eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werden könnte.
Gegen die Annahme, dass die Beschwerdeführerin ins Visier der syrischen Behörden geraten würde, spricht weiters, dass es der Beschwerdeführerin in der jüngeren Vergangenheit mehrmals möglich war, unbehelligt aus dem Libanon nach Syrien und wieder zurück zu reisen.
Es ist auch nicht ersichtlich, weshalb die Beschwerdeführerin von Interesse für die syrische Regierung sein sollte:
Soweit dies mit der Wehrdienstverweigerung ihrer Söhne begründet wurde, kann daraus keine konkret gegen sie gerichtete Bedrohung abgeleitet werden. Zwar ist den Länderfeststellungen zu entnehmen, dass es in der Vergangenheit Fälle gab, in denen Familienmitglieder von Wehrdienstverweigerern oder Deserteuren Vergeltungsmaßnahmen wie Unterdrucksetzung und Inhaftierung ausgesetzt waren, jedoch ist nicht anzunehmen, dass Beschwerdeführerin davon betroffen sein würde. Aus den Länderberichten ist nämlich ebenfalls abzulesen, dass dies insbesondere bei Familien von „high profile“-Deserteuren der Fall sein kann, also z.B. Deserteure, die Soldaten oder Offiziere getötet oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen haben. Hinweise darauf, dass Derartiges für die Söhne der Beschwerdeführerin zutrifft, ergaben sich während des Verfahrens jedoch nicht.
Sofern in der Beschwerde überdies auf die Asylantragstellung der Beschwerdeführerin in Österreich und an die Asylgewährung an ihre Söhne hingewiesen wurde – in der Beschwerdeverhandlung wies sie darauf nicht (mehr) hin –, sind im Verfahren keine Umstände hervorgekommen, aufgrund derer anzunehmen wäre, dass die syrischen Behörden von diesen Umständen Kenntnis erlangt haben. Zum anderen ist auch im Fall einer solchen Kenntnisnahme aufgrund des Umstandes, dass selbst bei exilpolitischer Betätigung keineswegs automatisch von einer Verfolgungsgefahr auszugehen ist, sondern das Risiko einer solchen von den Aktivitäten selbst, dem Profil der Person und von zahlreichen anderen Faktoren, wie dem familiären Hintergrund und den Ressourcen ab, die der Regierung zur Verfügung stehen, abhängt, insbesondere in Hinblick auf das Alter und das Profil der Beschwerdeführerin nicht anzunehmen, dass sie in dieser Hinsicht gefährdet wäre.
Die Feststellung, wonach die Beschwerdeführerin in Syrien nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit als alleinstehende Frau asylrelevante Verfolgung zu gewärtigen hat, stützt sich auf den Umstand, dass sie weiterhin über zahlreiche, in Damaskus lebende Familienangehörige, darunter (neben männlichen Verwandten) ihre unverheiratete Schwester, von der sie in der jüngeren Vergangenheit unterstützt wurde, und somit – auch für den Fall, dass ihr Sohn XXXX tatsächlich nicht mehr in Syrien, sondern in Afrika lebt – über ein hinreichendes familiäres Netzwerk verfügt.
Die Feststellung zur Zuerkennung von subsidiärem Schutz an die Beschwerdeführerin ergibt sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt, jene zum Aufenthaltsstatus ihrer Söhne aus der Einsichtnahme in das Betreuungsinformationssystem, wobei hinsichtlich XXXX auch der Asylbescheid der belangten Behörde vorliegt.
Die strafrechtliche Unbescholtenheit der Beschwerdeführerin ist dem eingeholten Strafregisterauszug zu entnehmen.
2.2. Die Feststellungen zur Situation in Syrien stützen sich auf das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.05.2019, aktualisiert am 17.10.2019, sowie die UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 5. Fassung, November 2017. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben. Die der Entscheidung zu Grunde gelegten Länderberichte wurden den Verfahrensparteien zur Kenntnis gebracht, welche die Richtigkeit der Berichte nicht in Abrede stellten.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zu A) Nichtzuerkennung des Asylstatus:
3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung i.S.d. Art. 1 Abschnitt A Z. 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht. Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.
Flüchtling i.S.d. Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK (i.d.F. des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) - deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/-20/0771). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK nennt (VwGH 9.9.1993, 93/01/0284; 15.3.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.
Gemäß § 3 Abs. 3 Z. 1 und § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Asylantrag abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann ("innerstaatliche Fluchtalternative"). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK vorliegen kann (vgl. zur Rechtslage vor dem AsylG 2005 z.B. VwGH 15.3.2001, 99/20/0036; 15.3.2001, 99/20/0134, wonach Asylsuchende nicht des Schutzes durch Asyl bedürfen, wenn sie in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen). Damit ist - wie der Verwaltungsgerichtshof zur GFK judiziert - nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 9.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "inländischen Flucht- oder Schutzalternative" (VwGH 9.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal wirtschaftliche Benachteiligungen auch dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 8.9.1999, 98/01/0614, 29.3.2001, 2000/20/0539).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.3.1995, 95/19/0041; 27.6.1995, 94/20/0836; 23.7.1999, 99/20/0208; 21.9.2000, 99/20/0373; 26.2.2002, 99/20/0509 m.w.N.; 12.9.2002, 99/20/0505; 17.9.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.3.2000, 99/01/0256 m.w.N.).
Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht "zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht" (VwGH 22.3.2000, 99/01/0256) -, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichen Schutzes einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (vgl. VwGH 22.3.2000, 99/01/0256 im Anschluss an Goodwin-Gill, The Refugee in International Law, 2. Auflage [1996] 73; weiters VwGH 26.2.2002, 99/20/0509 m.w.N.; 20.9.2004, 2001/20/0430; 17.10.2006, 2006/20/0120; 13.11.2008, 2006/01/0191). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert wird. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat "nicht gewillt oder nicht in der Lage" sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.2.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH 22.3.2000, 99/01/0256; 13.11.2008, 2006/01/0191).
3.1.2. Es ist der Beschwerdeführerin nicht gelungen, eine drohende Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK glaubhaft zu machen:
Denn – wie sich aus den oben getroffenen Feststellungen ergibt – kann nicht angenommen werden, dass sie im Falle einer Rückkehr nach Syrien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevanten Verfolgungshandlungen von hinreichender Intensität ausgesetzt wäre.
Die Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen.
3.2. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die vorliegende Entscheidung hängt nicht von der Lösung einer Rechtsfrage ab, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes noch weicht die gegenständliche Entscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor. Das Bundesverwaltungsgericht kann sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich im konkreten Fall eine Rechtsfrage stellt, die über den (hier vorliegenden konkreten) Einzelfall hinaus Bedeutung entfaltet. Ausgehend davon kann eine Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG von grundsätzlicher Bedeutung auch insofern nicht bejaht werden (vgl. etwa VwGH 25.09.2015, Ra 2015/16/0085, mwN). Es war daher auszusprechen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig ist.
Schlagworte
Asylantragstellung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren begründete Furcht vor Verfolgung Fluchtgründe Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit mündliche Verhandlung mündliche Verkündung schriftliche Ausfertigung staatlicher Schutz Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete FurchtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W176.2220056.1.00Im RIS seit
17.11.2020Zuletzt aktualisiert am
17.11.2020