TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/3 I414 2226752-1

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Veröffentlicht am 03.09.2020
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Entscheidungsdatum

03.09.2020

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch

I414 2226752-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christian EGGER als Vorsitzender und den Richter Dr. Harald NEUSCHMID sowie die fachkundige Laienrichterin Dr. Elisabeth RIEDER als Beisitzerin über die Beschwerde von XXXX gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Vorarlberg (SMS) vom 15.11.2019, Zl. OB: XXXX, betreffend den Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Am 04.09.2019 beantragte XXXX (in der Folge als Beschwerdeführer bezeichnet) die Ausstellung eines Behindertenpasses.

Mit Bescheid vom 15.11.2019 wies das Sozialministeriumservice, Landesstelle Vorarlberg (in der Folge als belangte Behörde bezeichnet) den Antrag ab. Begründend wurde auf das Gesamtgutachten von Dr. L. vom 16.10.2018 verwiesen. Das Gutachten wurde dem Beschwerdeführer mittels Parteiengehör am 17.10.2019 zur Kenntnis gebracht. Darin wird festgehalten, dass beim Beschwerdeführer ein Gesamtgrad der Behinderung von 20% vorliege. Als Funktionseinschränkungen wurden nach persönlicher Untersuchung am 09.10.2019 festgestellt:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktions-einschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos.Nr.

Gdb %

1

axonal demyelinisierende Polyneuropathie der unteren Extremitäten (Parästhesien, keine motorischen Paresen, sicheres Gangbild, keine dementsprechende Medikation)

04.06.01

20

2

Arterielle Hypertonie

(Mehrfachmedikation)

05.01.02

20

3

Diabetes mellitus Typ II diätisch kontrolliert

(diätische Kontrolle, HbA1c 6,3%)

09.02.01

10

4

geringgradige Bewegungseinschränkung und Schmerzen im Bereich der linken Schulter

(entsprechende Einschränkung der Abduktion sowie des Nackengriffs)

02.06.01

10

5

Agoraphobie

(keine dementsprechende Therapie, keine Medikation)

03.06.01

10

Das führende Leiden 1 werde von den Leiden 2 bis 5 wegen fehlendem direkten negativen Einfluss bzw. aufgrund von Geringfügigkeit nicht erhöht.

Der Beschwerdeführer nahm am 05.11.2019 dazu Stellung und führte Einschränkungen der Gehstrecke ins Treffen. Um die Ordination zu erreichen, habe unter großer Anstrengung und mit mehreren Pausen die Treppe benützt, weil er aufgrund der Platzangst in keine Aufzüge steigen könne. Mit ergänzender Stellungnahme vom 15.11.2019 führte der Facharzt aus, dass zur Fortbewegung keine Hilfsmittel außer Schuheinlage notwendig seien, keinerlei Befunde über kardiopulmonale Beeinträchtigungen oder über die Klaustrophobie/Agoraphobie vorliegen.

Mit Rechtmittel vom 13.12.2019 beschwerte sich der Beschwerdeführer gegen die Einschätzung des Leidens 1. Er legte ein Attest bei, aus dem hervorgehe, dass eine Funktionseinschränkung der unteren Extremitäten mittleren Grades vorliege und eine Einschätzung mit 50-70% zu erfolgen hätte. Ein sicheres Gangbild liege jedenfalls nicht vor.

Vom erkennenden Gericht wurde Dr. L. mit der Erstellung eines ergänzenden Gutachtens unter Einbeziehung des Beschwerdevorbringens beauftragt. Dr. L. führte im Gutachten vom 18.02.2019 zusammengefasst aus, dass für eine höhere Einschätzung (30-40%) innerhalb des Rahmensatzes eine entsprechende Medikation vorliegen müsste und eine Einstufung unter Positionsnummer 04.06.02 nur bei unbedingter Verwendung von Hilfsmitteln wie Gehstock, Rollator, etc. und entsprechender Therapie erfolgen könne.

Innerhalb der Frist zum Parteiengehör monierte der Beschwerdeführer, dass das ergänzende Gutachten neuerlich von Dr. L. erstellt wurde. Er ersuchte um Vorlage an einen Zweitgutachter und machte Befangenheit des Dr. L. geltend.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer hat seinen Wohnsitz im Inland und ist österreichischer Staatsangehöriger.

Er beantragte die Ausstellung eines Behindertenpasses.

Der Beschwerdeführer leidet an folgenden Gesundheitseinschränkungen:

1. Polyneuropathie geringen Grades, Pos. Nr. 04.06.01, mit einem Grad der Behinderung von 20% (Leiden 1),

2. arterielle Hypertonie, Pos. Nr. 05.01.02, mit einem Grad der Behinderung von 20% (Leiden 2),

3. Diabetes mellitus Typ II, Pos. Nr. 09.02.01, mit einem Grad der Behinderung von 10% (Leiden 3),

4. Funktionseinschränkung der Schulter geringen Grades, Pos. Nr.02.06.01, mit einem Grad der Behinderung von 10% (Leiden 4),

5. Agoraphobie, Pos. Nr. 03.06.01, mit einem Grad der Behinderung von 10% (Leiden 5).

Es bestehen keine wechselseitig negativen Leidensbeeinflussungen.

Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt somit 20%.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde aufgenommen durch Einsicht in den Akt der belangten Behörde, in die Gutachten und Stellungnahmen von Dr. L., in den bekämpften Bescheid sowie in den Beschwerdeschriftsatz und die Schreiben des Beschwerdeführers nach Parteiengehör.

Die Feststellungen zur Person und zum Antrag ergeben sich aus dem Veraltungsakt der belangten Behörde und sind unstrittig.

Den festgestellten Funktionseinschränkungen wurden letztlich nicht mehr entgegengetreten und ergeben sich diese aus den Gutachten des Dr. L. und insbesondere aus seiner abschließenden Beurteilung in der Stellungnahme vom 18.02.2020.

Die getroffenen Einschätzungen basieren auf dem erhobenen klinischen Befund und den vorgelegten medizinischen Beweismitteln und entsprechen den festgestellten Funktionseinschränkungen nach der Einschätzungsverordnung. Der Sachverständige konnte sich auch durch persönliche Untersuchung des Beschwerdeführers ein Bild vom aktuellen und ganzheitlichen Gesundheitszustand machen.

Strittig blieb letzten Endes Leiden 1, die Polyneuropathie leichten Grades. Aufgrund der im Rahmen des Parteiengehörs weiter vorgelegten Befunde war die Einholung einer ergänzenden Stellungnahme durch den Sachverständigen notwendig, um eine abschließende Beurteilung zu erreichen.

Der Sachverständige führt darin schlüssig und nachvollziehbar aus, dass sich weder Positionsnummer, noch der Rahmensatz ändern. Dies wird einerseits mit fehlender Einschränkung der Gehstrecke und andererseits mit nicht indizierter Medikation und Therapie begründet.

Der Sachverständige berücksichtigte, dass sich beim Gangbild keine Unsicherheiten zeigten, keine Hilfsmittel nötig waren und der Beschwerdeführer die Ordination im vierten Stock über die Treppen alleine erreichen konnte. Er führte auch nachvollziehbar an, dass eine Polyneuropathie mitunter auch als sehr schmerzhaft empfunden werden kann, eine medikamentöse Therapie beim Beschwerdeführer aber nicht vorliegt und von diesem ein typisches Kribbeln, besonders nachts, beschrieben wurde. Es wurden auch keine objektivierbaren Befunde einer elektrophysiologischen Untersuchung wie Elektroneurographie bzw. Elektromyographie vorgelegt. Nur bei schmerzhaften und störenden Parästhesien und entsprechender Medikation wäre ein höherer Rahmensatz von 30-40% gerechtfertigt. Eine Einschätzung unter die nächsthöhere Positionsnummer mit einem Rahmensatz von 50-70% wurde ausgeschlossen und ebenso begründet. Dr. L. legte schlüssig dar, dass dafür eine erhebliche Einschränkung vorliegen müsste. Dafür wäre eine derartige Unsicherheit beim Gehen zu erwarten, dass die Verwendung von Hilfsmitteln unumgänglich wäre und in Folge der schmerzhaften Parästhesien jedenfalls eine entsprechende medikamentöse Therapie angeführt. Zudem wäre es dem Beschwerdeführer aller Voraussicht nach nicht möglich gewesen, die Wegstrecke zwischen seiner Wohnung und der Ordination ohne Hilfsmittel zurückzulegen und vier Stockwerke über das Treppenhaus zu überwinden.

Bezüglich der weiteren Leiden führte Dr. L. bereits im Gutachten vom 16.10.2019 unter Pkt. „Ergebnis der durchgeführten Begutachtung“ die entsprechenden Begründungen verständlich an. Seitens des Beschwerdeführers wurden auch keinerlei Einwände gegen die Einschätzungen der Leiden 2 bis 5 getätigt.

Insgesamt ist festzuhalten, dass der Gutachter auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausreichend eingegangen ist und die Beeinträchtigungen im Sinne der Einschätzungsverordnung richtig eingestuft wurden.

Hinsichtlich des Gesamtgrades führt der Gutachter schlüssig aus, dass das führende Leiden 1 durch die übrigen Leiden nicht negativ beeinflusst werden, da keine direkten negativen Zusammenhänge bestehen bzw. diese aufgrund Geringfügigkeit (10%) nicht erhöhen.

Die Gutachten von Dr. L. wurde dem Beschwerdeführer sowie der belangten Behörde zur Stellungnahme übermittelt. Diese sind der zuletzt eingeholten Stellungnahme zum Gutachten vom 18.02.2020 fachlich jedoch nicht mehr entgegengetreten. Der Beschwerdeführer brachte Befangenheit des Gutachters vor, da dieser sein eigenes Gutachten nicht unterlaufen werde und ersuchte um eine weitere Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen.

Der erkennende Senat stützt sich dabei auf gefestigte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes und sah aus folgenden Gründen von der Einholung eines weiteren Gutachtens durch einen Sachverständigen ab:

Jeder Vorwurf einer Befangenheit hat konkrete Umstände aufzuzeigen, welche die Objektivität des Entscheidungsträgers (hier: des Amtssachverständigen) in Frage stellen oder zumindest den Anschein erwecken können, dass eine parteiische Entscheidung möglich ist. Nur eindeutige Hinweise, dass ein Entscheidungsträger seine vorgefasste Meinung nicht nach Maßgabe der Verfahrensergebnisse zu ändern bereit ist, können seine Unbefangenheit in Zweifel ziehen (VwGH 25.06.2009, 2007/07/0050).

Die allfällige Befangenheit eines Sachverständigen kann nur dann mit Erfolg eingewendet werden, wenn sich sachliche Bedenken gegen die Erledigung dieses Verwaltungsorganes ergeben oder besondere Umstände hervorkommen, die geeignet sind, die volle Unbefangenheit desselben in Zweifel zu ziehen, etwa wenn aus konkreten Umständen der Mangel einer objektiven Einstellung gefolgert werden kann. Der Umstand allein, dass der in beiden Instanzen beigezogenen Amtssachverständige gleichzeitig Beamter der Behörde erster Instanz ist, vermag keine Bedenken gegen seine volle Unbefangenheit zu begründen, insbesondere auch, weil seine allein auf seiner fachlichen Qualifikation beruhende Begutachtung keinem Weisungsrecht unterliegt (vgl. E VwGH 29.04.2011, 2010/09/0230).

Der Beschwerdeführer brachte weder Zweifel an der fachlichen Kompetenz des Gutachters vor, noch konkrete Gründe, die gegen seine Objektivität sprechen könnten. Dass er sein eigenes Gutachten nicht unterlaufen wolle, geht schon alleine aufgrund des Vorliegens eines vollständigen, schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachtens mit richtiger Einordnung unter die entsprechende Positionsnummer ins Leere, das eine Einschätzung unter einen höheren Rahmensatz aufgrund der festgestellten Fakten schon nicht zulässt.

Aus diesen Gründen legt der erkennende Senat dieses Gutachten samt Stellungnahme unter freier Beweiswürdigung seiner Entscheidung zu Grunde.

Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Nach § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen (§ 24 Abs. 1 VwGVG). Wurde - wie im vorliegenden Fall - kein entsprechender Antrag gestellt, ist die Frage, ob von Amts wegen eine Verhandlung durchgeführt wird, in das pflichtgemäße - und zu begründende - Ermessen des Verwaltungsgerichts gestellt, wobei die in § 24 Abs. 2, 3, 4 und 5 normierten Ausnahmebestimmungen als Anhaltspunkte der Ermessensübung anzusehen sind (vgl. zur insofern gleichartigen Regelungsstruktur des § 67d Abs. 1 und 2 bis 4 AVG [alte Fassung] die Darstellung bei Hengstschläger/Leeb, AVG [2007] § 67d Rz 17 und 29, mwH). Gemäß Abs. 3 leg. cit. hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Gemäß Abs. 4 leg. cit. kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde und dem eingeholten Ergänzungsgutachten. Zudem sind die Verfahrensparteien dem letztlich eingeholten Ergänzungsgutachten nicht (mehr) fachlich entgegengetreten.

Dies lässt - gerade auch vor dem Hintergrund des Umstandes, dass eine mündliche Verhandlung nicht beantragt wurde - die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

§ 7 Abs. 1 BVwGG lautet wie folgt:

„Senate

§ 7. (1) Die Senate bestehen aus einem Mitglied als Vorsitzendem und zwei weiteren Mitgliedern als Beisitzern. Für jeden Senat sind mindestens ein Stellvertreter des Vorsitzenden und mindestens zwei Ersatzmitglieder (Ersatzbeisitzer) zu bestimmen.“

§ 45 Abs. 3 und 4 Bundesbehindertengesetz (BBG), BGBl 1990/283 in der geltenden Fassung, lauten wie folgt:

„(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.“

Über die vorliegende Beschwerde war daher durch einen Senat, bestehend aus zwei Berufsrichtern und einem fachkundigen Laienrichter, zu entscheiden.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

Die maßgeblichen Bestimmungen des BBG lauten wie folgt:

„§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpaß auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.

§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.“

§ 4 der Einschätzungsverordnung (EVO) in der geltenden Fassung, lautet wie folgt:

„Grundlage der Einschätzung

§ 4. (1) Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. Erforderlichenfalls sind Experten aus anderen Fachbereichen - beispielsweise Psychologen - zur ganzheitlichen Beurteilung heran zu ziehen.
(2) Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten.“

Dem vom Bundesverwaltungsgericht als schlüssig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei gewertete Sachverständigengutachten von Dr. L. vom 16.10.2019 und der dazu erstatteten ergänzenden Stellungnahmen vom 15.11.2019 und 18.02.2020 folgend, beträgt der Gesamtgrad der Behinderung des Beschwerdeführers 20%.

Die führende funktionelle Einschränkung wurde vom Gutachter unter die Positionsnummer 04.06.01 eingestuft. Die Anlage zur Einschätzungsverordnung sieht bei dieser Positionsnummer einen Grad der Behinderung zwischen 10% und 40% vor. Der Gutachter führt begründend für den herangezogenen Rahmensatz von 20% aus, dass derzeit zur Schmerzbewältigung keine medikamentösen Therapiemaßnahmen notwendig sind und das für die sensiblen und motorischen Ausfälle leichten Grades typische, besonders nächtliche, Kribbeln in den Beinen vorliegt. Diese Einordnung entspricht den Voraussetzungen der Anlage zur Einschätzungsverordnung, da der Beschwerdeführer also ohne Medikamente und Hilfsmittel ein stabiles Gangbild aufweist.

Die weiteren Einschätzungen der Leiden 2 bis 5 unter die Positionsnummern 05.01.02, 09.02.01, 02.06.01 sowie 03.06.01 und die gewählten Rahmensätze entsprechen ebenfalls dem vorgegebenen Rahmen der Anlage zur Verordnung, den vorgelegten Befunden und den Angaben des Beschwerdeführers im Rahmen der persönlichen Untersuchung.

Gemäß § 40 Abs 1 BBG erfordert die Ausstellung eines Behindertenpasses einen Gesamtgrad der Behinderung von mindestens 50%. Dieser könnte nur erreicht werden, wenn Leiden 1 mit 40% eingeschätzt wird und ein weiteres Leiden dieses wegen negativer Leidensbeeinflussung um eine Stufe erhöht, oder Leiden 1 bereits für sich unter die Positionsnummer 04.06.02 und einem Grad der Behinderung von 50-70% eingeschätzt wird. Weder für Variante 1 noch 2 liegen, wie in der Beweiswürdigung ausgeführt, die entsprechenden Voraussetzungen vor.

Auch bei der Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist der Gutachter nach den Vorgaben von § 3 Abs 3 der Einschätzungsverordnung ausgegangen, wonach eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, (nur) dann vorliegt, wenn sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt oder zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen. Diesbezüglich hat der Gutachter angegeben, dass das Leiden 1 durch keine wechselseitig negative Beeinflussung erhöht wird bzw. Geringfügigkeit hinsichtlich Leiden 3 bis 6 vorliegt. Der Gesamtgrad der Behinderung des Beschwerdeführers wurde daher zu Recht mit 20 % festgestellt.

Zusammengefasst liegen die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht vor, da ein Grad der Behinderung von 50% nicht erreicht wird.

Der Beschwerde war daher abzuweisen und spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder fehlt es an einer Rechtsprechung zur Begründungspflicht bei Einschätzung unter eine Positionsnummer oder zum Heranziehen eines medizinischen Sachverständigen und einer möglichen Befangenheit von diesem, noch weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Behindertenpass Grad der Behinderung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I414.2226752.1.00

Im RIS seit

17.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

17.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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