TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/3 I414 2228028-1

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Veröffentlicht am 03.09.2020
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Entscheidungsdatum

03.09.2020

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch

I414 2228028-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christian EGGER als Vorsitzender und den Richter Dr. Harald NEUSCHMID sowie die fachkundige Laienrichterin Dr. Elisabeth RIEDER als Beisitzerin über die Beschwerde von XXXX gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Tirol (SMS) vom 18.12.2019, Zl. OB: XXXX , in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und festgestellt, dass der Gesamtgrad der Behinderung 60% beträgt. Die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses liegen vor.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Am 08.10.2019 beantragte XXXX (in der Folge als Beschwerdeführer bezeichnet) die Ausstellung eines Behindertenpasses und die Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO 1960.

Mit Bescheid vom 18.12.2019 wies das Sozialministeriumservice, Landesstelle Tirol (in der Folge als belangte Behörde bezeichnet) den Antrag ab. Begründend wurde auf das Aktengutachten von Dr. K. vom 05.11.2019 verwiesen. Darin wird festgehalten, dass beim Beschwerdeführer ein Gesamtgrad der Behinderung von 40% vorliege. Als Funktionseinschränkungen wurden festgestellt:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktions-einschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos.Nr.

Gdb %

1

Hüftgelenke – Untere Extremitäten, Hüftgelenke – Funktionseinschränkung geringen Grades beidseitig

Z.n. Hüft TEP rechts 2007; Z.n. Hüft TEP links 2017, septische Lockerung und Ausbau 06/2019, Spacerausbau und Revisionsprotheseneinbau 07/2019, Pfannenwechsel 08/2019, Hüfte links Streckung/Beugung 0-0-90°, Abduktion 45°

02.05.08

40

2

Stoffwechselstörung, Stoffwechselstörungen leichten Grades

Hyperlipidämie, medikamentöse Behandlung

09.03.01

10

Eine Erhöhung komme aufgrund der Geringfügigkeit des Leidens 2 nicht in Betracht und betrage der Gesamtgrad der Behinderung 40%. Da die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht vorliegen, habe auch ein Absprechen über die Ausstellung eines § 29b-Ausweises unterbleiben können.

Am 17.01.2020 erhob der Beschwerdeführer das Rechtsmittel der Beschwerde. Er können nach nunmehr fünfmonatiger Genesung nach der letzten OP immer noch nicht richtig gehen und hinke stark. Dies könnte nur durch eine persönliche Untersuchung festgestellt werden. Auch sei es ihm unmöglich, eine längere Wegstrecke ohne Schmerzen zurückzulegen.

Vom erkennenden Gericht wurde Dr. G. beauftragt, unter Einbeziehung des Beschwerdevorbringens ein ergänzendes Gutachten zu erstatten. Nach persönlicher Untersuchung des Beschwerdeführers am 19.02.2020 hielt der Sachverständige in seinem Gutachten vom 20.02.2020 einen Gesamtgrad der Behinderung von 50% fest. Nach Parteiengehör machte die belangte Behörde auf die Unschlüssigkeit des Gutachtens aufmerksam. Es seien zur Einschätzung des Hüftleidens Positionsnummern angeführt wurden, die sich auf einen anderen Körperteil, nämlich das Knie beziehen.

Der Gutachter wurde mit den Ausführungen der belangten Behörde konfrontiert und berichtigte sein ursprüngliches Gutachten mit Eingabe vom 20.03.2020. Es sei versehentlich eine falsche Seite dazwischengekommen, weshalb es zum Vertauschen der Positionsnummern gekommen sei. Richtigerweise sollten seine Ausführungen zu den Leiden des Beschwerdeführers lauten wie folgt:

„Hüftgelenk rechts: 02.05.09  30% von 100

Funktionseinschränkung mittleren Grades einseitig

fixer Rahmensatz

Hüftgelenk links: 02.05.11  50% von 100
Funktionseinschränkung schweren Grades einseitig
fixer Rahmensatz

Somit ergibt sich ein Gesamtgrad der Behinderung mit 60% von 100, da das Hauptleiden das Hüftleiden links darstellt und durch das Leiden der rechten Hüfte nach Totalendoprothesenimplantation negativ im Wechsel gegenseitig beeinflusst wird und dadurch um eine Stufe erhöht wird. […]“ Außerdem wurde eine Stoffwechselstörung nach Pos. Nr. 09.03.01 und einem Grad der Behinderung von 10% angeführt, die wegen Geringfügigkeit nicht weiter erhöht.

Dieses korrigierte Gutachten wurde den Verfahrensparteien neuerlich im Rahmen eines Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht. Von der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme wurde von keiner Seite Gebrauch gemacht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer hat seinen Wohnsitz im Inland und ist österreichischer Staatsangehöriger.

Er beantragte die Ausstellung eines Behindertenpasses und die Ausstellung eines Parkausweises gemäß § 29b StVO.

Der Beschwerdeführer leidet an folgenden Gesundheitseinschränkungen:

1. Funktionseinschränkung schweren Grades der linken Hüfte, Pos. Nr. 02.05.11, mit einem Grad der Behinderung von 50% (Leiden 1),

2. Funktionseinschränkung mittleren Grades der rechten Hüfte, Pos. Nr. 02.05.09, mit einem Grad der Behinderung von 30% (Leiden 2),

3. Stoffwechselstörung, Pos. Nr. 09.03.01, mit einem Grad der Behinderung von 10% (Leiden 3).

Leiden 2 steht in wechselseitig negativem Einfluss mit Leiden 1 und erhöht um eine Stufe. Leiden 3 erhöht wegen Geringfügigkeit nicht weiter.

Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt somit 60%.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde aufgenommen durch Einsicht in den Akt der belangten Behörde, in die Gutachten und Stellungnahmen von Dr. K. und Dr. G., in den bekämpften Bescheid sowie in den Beschwerdeschriftsatz und das Schreiben der belangten Behörde nach Parteiengehör.

Die Feststellungen zur Person und zum Antrag ergeben sich aus dem Veraltungsakt der belangten Behörde und sind unstrittig.

Den festgestellten Funktionseinschränkungen wurde letztlich nicht mehr entgegengetreten und ergeben sich diese aus dem Gutachten des Dr. G. und insbesondere aus seiner Gesamtbeurteilung in der Stellungnahme vom 18.03.2020.

Die getroffenen Einschätzungen basieren auf dem erhobenen klinischen Befund und den vorgelegten medizinischen Beweismitteln und entsprechen den festgestellten Funktionseinschränkungen nach der Einschätzungsverordnung. Der Sachverständige konnte sich auch durch persönliche Untersuchung des Beschwerdeführers ein Bild vom aktuellen und ganzheitlichen Gesundheitszustand machen.

Strittig blieb die Einschätzung der Hüftleiden und divergieren die eingeholten Sachverständigengutachten von Dr. K. und Dr. G. in dem Sinne, dass im Gutachen von Dr. K. das Hüftleiden als ein Leiden eingeschätzt wurde und die Einschränkungen beidseits als geringen Grades festgestellt wurden. Dr. G. hingegen bewertete die rechte und linke Hüfte unterschiedlich und stellte eine Einschränkung schweren Grades links und mittleren Grades rechts fest, sodass es auch zu einer Subsumtion unter verschiedene Positionsnummern kam und das Hüftleiden letztlich in zwei Leiden aufgeteilt wurde.

Der erkennende Senat folgt nicht zuletzt aufgrund des persönlichen Eindrucks nach Untersuchung dem zuletzt eingeholten Gutachten von Dr. G., es steht auch mit den allgemeinen Gesetzen der Logik in Einklang, ist schlüssig und vollständig und ihm wurde nicht entgegengetreten.

Der Sachverständige führt darin schlüssig und nachvollziehbar aus, dass die linke und rechte Seite unterschiedliche Zustände nach diversen Operationen und Methoden aufweisen. Zuletzt wurden im Juli und August operative Eingriffe an der linken Hüfte durchgeführt und konnte sich der Sachverständige diesbezüglich auch auf die beigebrachten ärztlichen Unterlagen stützen. Es wurde linksseitig bereits mehrfach eine Hüfttotalprothesenimplantation durchgeführt und ist das rechte Hüftgelenk mit einer Vollprothese versorgt. Daran anknüpfend legte Dr. G. auch anschaulich dar, dass das Hauptleiden (links) durch die Einschränkungen rechtsseitig negativ beeinflusst wird und sich der Gesamtgrad der Behinderung deshalb um eine Stufe erhöht. Auch die Frage nach einem Dauerzustand konnte mit den mehrfachen operativen Eingriffen bejaht werden. Eine wesentliche Besserung kann nach Versorgung mit Totalprothesenimplantation bzw. Vollprothese nicht erwartet werden.

Bezüglich des Leidens 3 führt Dr. G. übereinstimmend mit dem Sachverständigengutachten von Dr. K. eine Stoffwechselstörung mit einem Grad der Behinderung von 10% an und richtete sich die Beschwerde nicht gegen diese Einschätzung. Es wurden auch keine weiteren Befunde diesbezüglich vorgelegt.

Insgesamt ist festzuhalten, dass der Gutachter auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausreichend eingegangen ist und die Beeinträchtigungen im Sinne der Einschätzungsverordnung richtig eingestuft wurden. Das zunächst erstattete Gutachten wurde nach Überarbeitung und Entfernung der versehentlich eingefügten Positionsnummern von Dr. G. am 18.03.2020 berichtigt.

Das endgültige Gutachten von Dr. G. wurde den Verfahrensparteien neuerlich zur Kenntnis gebracht und sind diese nicht mehr entgegengetreten. Aus diesen Gründen legt der erkennende Senat dieses Gutachten von Dr. G. in der korrigierten Version vom 18.03.2020 unter freier Beweiswürdigung seiner Entscheidung zu Grunde.

Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Nach § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen (§ 24 Abs. 1 VwGVG). Wurde - wie im vorliegenden Fall - kein entsprechender Antrag gestellt, ist die Frage, ob von Amts wegen eine Verhandlung durchgeführt wird, in das pflichtgemäße - und zu begründende - Ermessen des Verwaltungsgerichts gestellt, wobei die in § 24 Abs. 2, 3, 4 und 5 normierten Ausnahmebestimmungen als Anhaltspunkte der Ermessensübung anzusehen sind (vgl. zur insofern gleichartigen Regelungsstruktur des § 67d Abs. 1 und 2 bis 4 AVG [alte Fassung] die Darstellung bei Hengstschläger/Leeb, AVG [2007] § 67d Rz 17 und 29, mwH). Gemäß Abs. 3 leg.cit. hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Gemäß Abs. 4 leg. cit. kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde und dem eingeholten Gutachten von Dr. G. nach persönlicher Untersuchung. Zudem sind die Verfahrensparteien dem letztlich eingeholten Gutachten nicht (mehr) entgegengetreten. Es wurde keinerlei Stellungnahme abgegeben.

Dies lässt - gerade auch vor dem Hintergrund des Umstandes, dass eine mündliche Verhandlung nicht beantragt wurde - die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

§ 7 Abs. 1 BVwGG lautet wie folgt:

„Senate

§ 7. (1) Die Senate bestehen aus einem Mitglied als Vorsitzendem und zwei weiteren Mitgliedern als Beisitzern. Für jeden Senat sind mindestens ein Stellvertreter des Vorsitzenden und mindestens zwei Ersatzmitglieder (Ersatzbeisitzer) zu bestimmen.“

§ 45 Abs. 3 und 4 Bundesbehindertengesetz (BBG), BGBl 1990/283 in der geltenden Fassung, lauten wie folgt:

„(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.“

Über die vorliegende Beschwerde war daher durch einen Senat, bestehend aus zwei Berufsrichtern und einem fachkundigen Laienrichter, zu entscheiden.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A) Stattgabe der Beschwerde:

Die maßgeblichen Bestimmungen des BBG lauten wie folgt:

„§ 43 (1) Treten Änderungen ein, durch die behördliche Eintragungen im Behindertenpass berührt werden, hat das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen diese zu berichtigen oder erforderlichenfalls einen neuen Behindertenpass auszustellen. Bei Wegfall der Voraussetzungen ist der Behindertenpass einzuziehen.

(2) Der Besitzer des Behindertenpasses ist verpflichtet, dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen binnen vier Wochen jede Änderung anzuzeigen, durch die behördliche Eintragungen im Behindertenpass berührt werden, und über Aufforderung dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen den Behindertenpass vorzulegen.

§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.“

§ 4 der Einschätzungsverordnung (EVO) in der geltenden Fassung, lautet wie folgt:

„Grundlage der Einschätzung

§ 4. (1) Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. Erforderlichenfalls sind Experten aus anderen Fachbereichen - beispielsweise Psychologen - zur ganzheitlichen Beurteilung heran zu ziehen.
(2) Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten.“

Dem vom Bundesverwaltungsgericht als schlüssig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei gewertete Sachverständigengutachten von Dr. G. vom 18.03.2020, beträgt der Gesamtgrad der Behinderung des Beschwerdeführers 60%.

Die führende funktionelle Einschränkung wurde vom Gutachter unter die Positionsnummer 02.05.11 eingestuft. Die Anlage zur Einschätzungsverordnung sieht bei dieser Positionsnummer einen Grad der Behinderung von 50% bis 60% vor. Der Gutachter führt begründend für den herangezogenen unteren Rahmensatz den Zustand nach mehreren operativen Eingriffen, zuletzt im August 2019 an.

Das weitere Leiden 2 wurde separat unter 02.05.09 eingeschätzt, da es sich rechtsseitig um ein Hüftleiden mittleren Grades handelt und die Seiten somit unterschiedlich zu bewerten waren.

Die weitere Einschätzung des Leiden 3 unter die Positionsnummer 09.03.01 und der gewählten Rahmensatz entspricht ebenfalls dem vorgegebenen Rahmen der Anlage zur Verordnung.

Auch bei der Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist der Gutachter nach den Vorgaben von § 3 Abs 3 der Einschätzungsverordnung ausgegangen, wonach eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, (nur) dann vorliegt, wenn sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt oder zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen. Diesbezüglich hat der Gutachter angegeben, dass das Hüftleiden rechts wechselseitig negativ durch das Hüftleiden links beeinflusst wird und begründete dies umfassend. Gemäß Abs 2 leg. cit. sind Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 % außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht. Leiden 3 erhöht somit aufgrund von Geringfügigkeit folgerichtig nicht weiter. Der Gesamtgrad der Behinderung des Beschwerdeführers war daher mit 60 % festgestellt.

Eine Befristung kann ausgesprochen werden, wenn sich nachvollziehbar ergibt, dass eine Nachuntersuchung aufgrund von möglichen Änderungen einer oder mehrerer Funktionseinschränkungen notwendig ist.

Auch dazu wurde schlüssig ausgeführt, dass eine Besserung des Leidenszustandes aufgrund der Totalprothesenimplantation bzw. Vollprothese nicht erwartet werden kann und es sich somit um einen Dauerzustand handelt.

Zusammengefasst liegen die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 60% vor.

Der Beschwerde war daher stattzugeben und spruchgemäß zu entscheiden.

Der Vollständigkeit halbe ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer auch die Ausstellung eines Parkausweises gemäß § 29b StVO beantragt hat. Grundsätzlich vorausgesetzt ist das Vorliegen eines Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50%. In weiterer Folge ist die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zu prüfen und bei Vorliegen kann der beantragte Parkausweis ausgestellt werden.

Ein Absprechen über Antrag auf Ausstellung eines § 29b-Ausweises ist nach seinerzeitiger Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses unterblieben. Da nunmehr die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses vorliegen, wird die belangte Behörde die Prüfung des Antrages auf Ausstellung eines Parkausweises bzw. der Feststellung der Eintragung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in den Behindertenpass nachzuholen haben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder fehlt es an einer Rechtsprechung, noch weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Behindertenpass Grad der Behinderung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I414.2228028.1.00

Im RIS seit

16.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

16.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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