TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/7 W200 2228977-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.09.2020
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Entscheidungsdatum

07.09.2020

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W200 2228977-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Scherz als Vorsitzende und durch den Richter Dr. Kuzminski sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Halbauer als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich vom 29.01.2020, Zl. 742038113000017 über die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird mit der Maßgabe abgewiesen als der Spruch zu lauten hat:

Der Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses vom 26.03.2019 wird abgewiesen. Der Grad der Behinderung beträgt 40%.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Vorverfahren:

Mit Bescheid des Bundessozialamtes vom 22.04.2014 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung eines Behindertenpasses mangels Vorliegen der Voraussetzungen abgewiesen. Der Grad der Behinderung betrug 30 %.

Gegenständliches Verfahren:

Der Beschwerdeführer stellte am 26.03.2019 einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses und nannte als Gesundheitsschädigungen COPD I, Dorsalgie, Scheuermann, chronische Gastritis, grenzwertige Aorta, Nervenschmerzen (Füße). Dem Antrag angeschlossen war ein Konvolut von augenfachärztlichen, lungenfachärztlichen und neurologischen und radiologischen sowie labortechnischen Unterlagen.

Das vom Sozialministeriumservice eingeholte allgemeinmedizinische Gutachten ergab einen Gesamtgrad der Behinderung von 30 von Hundert und gestaltete sich wie folgt:

„Derzeitige Beschwerden:

Schmerzen im Bereich des Hüftgelenkes rechts (Leistenschmerz). Seit 6-8 Wochen Ziehen in der Leiste, noch nicht abgeklärt, kein aktueller Befund. Schmerze immer, Gehen ist möglich. Schmerzen im Bereich des Kniegelenks links, es kracht, pulsierende Schmerzen in Ruhe innenseitig im Bereich des med. Tibiakondyls. Gehen sei in der Ebene gut möglich, treppab sei sehr schmerzhaft.

Luft: er sei früher viel am Berg gegangen, das sei nun nicht mehr möglich. Seit 3-4a Beschwerden.

Polyneuropathie: wechselnde Beschwerden, oft 2-3 Wochen nicht. Lyrica nehme er bei Bedarf, die helfen ihm.

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:

Nexium 40mg, Nomexor 5mg 1/2-0-0, Cosaar plus 1-0-0, Novalgin gtt, Parkemed

Sozialanamnese: Baugewerbe, unbefristete I-Pension ab 2012. 1 erw. Kind. Lebensgemeinschaft.

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

VGA 30% 4.3.14: Dorsalgie 30%, Gelenke (Schulter, Knie links, Hüftgelenke) 20%, Varizen 10%, Hypertonie 10%, Gastritis 10%= Gesamt 30%

Dr. XXXX FA Augen 14.2.18: Fernvisus 1,2

Befundbericht Dr. XXXX 19.2.18: COPD mit einer Atemflusslimitation 1°.

CT Coronarangiographie 19.6.2018: Minimale Coronarsklerose mit einem Gesamt-Agatstonscore von 9,8. Kein Nachweis über 50%iger Lungeneinengungen.

Entlassungsbrief 3. med. UK St- Pölten 19.3.18:

Herr XXXX kommt wegen brennenden Schmerzen im Bereich beider Füße zu uns. Diese haben vor 2 Wochen begonnen und hätten an Intensität zugenommen. Es fühle sich "wie Feuer” unter der Haut an. Es ist kein Diabetes bekannt - auch der letzte HbA1c lag im Normbereich. Trinkt wenig bis gar keinen Alkohol. Keine motorischen Einschränkungen. Z.n. Bandscheibenvorfall. Immer wieder Rückenschmerzen.

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand: gut, Ernährungszustand: adipös, Größe: 174cm Gewicht: 132kg

Klinischer Status – Fachstatus:

(…)

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos. Nr.

GdB %

1

Wirbelsäule - Funktionseinschränkungen mittleren Grades

Unterer Rahmensatz, inkludiert wiederkehrende Beschwerden mit symptomarmen Intervallen.

02.01.02

30

2

Aufbraucherscheinungen im Bereich der Gelenke, Schmerzen mit geringer Bewegungseinschränkung im Bereich des rechten Hüftgelenks und des linken Kniegelenks

Oberer Rahmensatz, inkludiert eine mäßige Belastungseinschränkung

02.02.01

20

3

Chronisch obstruktive Lungenerkrankung Grad I

Oberer Rahmensatz, inkludiert die Belastungseinschränkung bei Adipositas

06.06.01

20

4

Mäßige Hypertonie, mäßige Koronarsklerose

05.01.02

20

5

Polyneuropathie

Unterer Rahmensatz, da intermittierende Beschwerden ohne

dauerhafte Therapieerfordernis

04.06.01

10

6

Sichtbare Varizen

Unterer Rahmensatz, da ohne Kompressionserfordernis

05.08.01

10

7

Gastritis, Reflux

Unterer Rahmensatz, da ohne befundlich belegte Ulcerationen.

07.04.01

10


Gesamtgrad der Behinderung          30 v.H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Leiden 1 wird durch Leiden 2, 3, 4, 5, 6 und 7 nicht erhöht, da keine maßgebliche ungünstige

wechselseitige Leidensbeeinflussung zwischen Leiden 1 und Leiden 2, 3, 4, 5, 6 und 7 besteht

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizieren Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:

Aus dem Augenbefund ergibt sich kein Grad der Behinderung, da volle Sehschärfe mit Korrektur.

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:

Die Polyneuropathie und die COPD ist neu erfasst.

Begründung für die Änderung des Gesamtgrades der Behinderung:

Der Gesamtgrad der Behinderung ist nicht erhöht, da die neu erfassten leiden auf Grund fehlender ungünstiger wechselseitiger Beeinflussung nicht erhöhen.“

Aufgrund eines im Parteiengehör vorgelegten MRT-Befundes wurde neuerlich ein Sachverständigengutachten basierend auf der Aktenlage eingeholt, das nunmehr einen Grad von 40 von Hundert ergab:

„Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

MRT des Kniegelenkes rechts 21.6.2019: Progrädiente Knorpelschädigung: Chondropathie Grad II-III retropatellar, umschriebener größenprogredienter Knorpeldefekt über lateralem Femurcondyl, progrediente Knorpelschädigung Grad III im medialen Kniegelenkskompartment.

(…)

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Begründung der Positionsnummer und des der Rahmensatzes:

Pos. Nr.

GdB %

 

1

Wirbelsäule – Funktionseinschränkungen mittleren Grades
Unterer Rahmensatz, inkludiert wiederkehrende Beschwerden mit symptomarmen Intervallen

02.01.02

30

 

2

Kniegelenk - Funktionseinschränkung geringen Grades beidseitig

Oberer Rahmensatz, da rechts Knorpelschäden medial, lateral und im

Bereich der Kniescheibe

02.05.19

30

 

3

Funktionseinschränkung des rechten Hüftgelenks

Oberer Rahmensatz, da Rotations- und Abduktionseinschränkung

02.05.07

20

 

4

Chronisch obstruktive Lungenerkrankung I

Oberer Rahmensatz, inkludiert die Belastungseinschränkung bei

Adipositas

06.06.01

20

 

5

Mäßige Hypertonie, mäßige Koronarsklerose

05.01.02

20

 

6

Polyneuropathie

Unterer Rahmensatz, da intermittierende Beschwerden ohne

dauerhafte Therapieerfordernis

04.06.01

10

 

7

Sichtbare Varizen

Unterer Rahmensatz, da ohne Kompressionserfordernis

05.08.01

10

 

8

Gastritis, Reflux

Unterer Rahmensatz, da ohne befundlich belegte Ulcerationen.

07.04.01

10

 

Gesamtgrad der Behinderung

40 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Leiden 1 wird durch Leiden 2 und 3 in Kombination um 1 Stufe erhöht, da eine maßgebliche ungünstige wechselseitige Leidensbeeinflussung zwischen Leiden 1 und Leiden 2 und 3 in Kombination besteht. Keine weitere Erhöhung, da keine ungünstige Leidensbeeinflussung zwischen Leiden 1 und Leiden 4, 5, 6, 7 und 8 besteht.

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:

Das Kniegelenksleiden beidseits ist neu erfasst (Vormals war nur links im Leiden 2 des Vorgutachtens inkludiert)

Begründung für die Änderung des Gesamtgrades der Behinderung:

Der Gesamtgrad der Behinderung ist um 1 Stufe erhöht, da das Kniegelenksleiden in Kombination mit dem Hüftgelenksleiden um 1 Stufe erhöhen.“

Neuerlich legte der Beschwerdeführer im Rahmen des Parteiengehörs einen MRT-Befund, nunmehr des linken Knies vor.

Das Sozialministeriumservice holte nunmehr ein Gutachten einer Fachärztin für Orthopädie ein, das ebenfalls einen Gesamtgrad der Behinderung von 40 von Hundert ergab. Das Sachverständigengutachten vom 23.01.2020 gestaltete sich wie folgt:

„Anamnese:

Seitdem letzten h.o. Gutachten am 10.9.19 (GdB 40v.H. – 30% bei degenerativen Wirbelsäulenveränderungen, 30% bei Kniegelenk - Funktionseinschränkung geringen Grades beidseitig, 20% bei Funktionseinschränkung des rechten Hüftgelenks, 20% bei Chronisch obstruktiver Lungenerkrankung I, 20% bei Mäßiger Hypertonie, mäßiger Koronarsklerose, 10% bei Polyneuropathie, 10% bei Sichtbaren Varizen, 10% bei Gastritis, Reflux) sind folgende Änderungen eingetreten: zwischenzeitlich keine Operationen oder Spitalsaufenthalte

Derzeitige Beschwerden:

Schmerzen und "Nachgeben" des rechten Kniegelenkes. Schmerzen vor allem bei Belastung, aber auch nachts im Ruhe. In Bezug auf die Wirbelsäule immer wieder Schmerzen, die rezidivierend tagesverfassungsabhängig auftreten. Gehstrecke in der Ebene: ca. 500 Meter ohne Gehbehelf. Stiegensteigen sei möglich, aufwärts aber schmerzhaft.

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:

Medikamente: Cosaar, Nomexor laut subjektiven Angaben - es liegt keine ärztlich bestätigte Liste vor.

I.a. Injektionen in das rechte Kniegelenk beim FA f. Orthopädie

Laufende Physikotherapie

Sozialanamnese: Pensionist, ledig, lebt in einer Lebensgemeinschaft, 1 Tochter

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

MRT li. Kniegelenk 14.10.19: Grad III-Läsion Im Hinterhorn am medialen Menlscus.

Chondropathie Grad III Im medialen Gelenkkompartment, Grad II im lateralen Gelenkkompartment und Grad III retropatellar. Mäßiger Gelenkerguss.

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand: gut, Ernährungszustand: Adipositas, Größe: 174cm Gewicht: 132kg

Klinischer Status – Fachstatus:

Wirbelsäule – Beweglichkeit:

HWS: Kinn-Jugulum Abstand: 3 cm, alle übrigen Ebenen: endlagig eingeschränkt

BWS: gerade

LWS: Seitneigen nach links bis 30° möglich, nach rechts bis 30° möglich

FBA: 30 cm

Obere Extremitäten: Linkshänder

Rechts: Schultergelenk: Abduktion bis 150° möglich, Ellenbogengelenk: frei, Handgelenk: frei, Finger: o.B.

Links: Schultergelenk: Abduktion bis 150° möglich, Ellenbogengelenk: frei, Handgelenk: frei, Finger: o.B.

Kraft- und Faustschluss: bds. Frei, Kreuz- und Nackengriff: bds. möglich

Untere Extremitäten:

Rechts: Hüftgelenk: S 0-0-130, F 60-0-50, R 50-0-40

Kniegelenk: S 0-0-140, kein Erguß, bandstabil

OSG: frei

Links: Hüftgelenk: S 0-0-130, F 60-0-50, R 50-0-40

Kniegelenk: S 0-0-135, kein Erguß, bandstabil

OSG: frei

Varicen: beide Unterschenkel

Füße: bds. o.B.

Zehen- und Fersenstand: bds. möglich

Gesamtmobilität – Gangbild:

Gangbild: leichtes Hinken beidseits, Gehbehelf: keiner

Status Psychicus:

Allseits orientiert, Gedankengang geordnet, nachvollziehbar, erreicht das Ziel, Mnestik unauffällig, Stimmung ausgeglichen, Antrieb im Normbereich, Affekt stabil, gute Affizierbarkeit in beiden Skalenbereichen

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos. Nr.

GdB %

1

Degenerative Wirbelsäulenveränderungen

Unterer Rahmensatz, inkludiert wiederkehrende Beschwerden mit symptomarmen Intervallen

02.01.02

30

2

Kniegelenksabnützung beidseits

Oberer Rahmensatz, da nachgewiesene, behandlungsbedürftige Knorpelschäden beidseits

02.05.19

30

3

Funktionseinschränkung des rechten Hüftgelenks

Oberer Rahmensatz, da Rotations- und Abduktionseinschränkung

02.05.07

20

4

Chronisch obstruktive Lungenerkrankung I

Oberer Rahmensatz, inkludiert die Belastungseinschränkung bei Adipositas

06.06.01

20

5

Mäßige Hypertonie, mäßige Koronarsklerose

Unterer Rahmensatz, da intermittierende Beschwerden ohne dauerhafte Therapieerfordernis

05.01.02

20

6

Polyneuropathie

Unterer Rahmensatz, da intermittierende Beschwerden ohne dauerhafte Therapieerfordernis

04.06.01

10

7

Sichtbare Varizen

Unterer Rahmensatz, da ohne Kompressionserfordernis

05.08.01

10

8

Gastritis, Reflux

Unterer Rahmensatz, da ohne befundlich belegte Ulcerationen

07.04.01

10


Gesamtgrad der Behinderung          40 v.H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Leiden 1 wird durch Leiden 2 und 3 in Kombination um 1 Stufe erhöht, da eine maßgebliche ungünstige wechselseitige Leidensbeeinflussung zwischen Leiden 1 und Leiden 2 und 3 in Kombination besteht. Keine weitere Erhöhung, da keine ungünstige Leidensbeeinflussung zwischen Leiden 1 und Leiden 4, 5, 6, 7 und 8 besteht.

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizieren Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung: keine

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:

Keine Änderung zum VGA

(…)

Dauerzustand“

Mit Bescheid des Sozialministeriumservice vom 29.01.2020 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung eines Behindertenpasses abgewiesen.

In der dagegen erhobenen Beschwerde erklärte sich der Beschwerdeführer mit der Entscheidung nicht einverstanden und schloss der Beschwerde einen internistisch/kardiologischen Arztbrief, einen radiologischen Befund an.

Das Bundesverwaltungsgericht holte zum Beschwerdevorbringen, dass zwischen Leiden 1 und Leiden 6 eine Leidensbeeinflussung bestehe, und zu den vorgelegten Unterlagen im Beschwerdeverfahren ein Gutachten ein.

Der Sachverständige stellte in seiner Beurteilung fest, dass der vorgelegte internistische Befund im Leiden 5 des Letztgutachtens korrekt abgebildet sei. Ein beginnendes Aorten-Aneurysma ergebe per se kein Leiden. Auch aus einer Fettleber ergebe sich kein Leiden. Zur behaupteten gegenseitigen relevanten Beeinflussung der Leiden 1 und 6 führte er aus, dass dies nicht der Fall sei: Ein 10%-prozentiges Leiden könne prinzipiell nach Gutachterpraxis nicht erhöhen, im speziellen Fall bestünden gelegentliche Beschwerden bei Polyneuropathie der unteren Extremitäten, keine motorischen Ausfälle. So sei keinesfalls eine erhöhende oder leidensverstärkende Wirkung im gutachtensrelevanten Ausmaß gegeben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1.: Der Beschwerdeführer erfüllt nicht die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses. Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt 40 von 100.

1.2.: Art und Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen:

Klinischer Status – Fachstatus:

Allgemeinzustand: gut, Ernährungszustand: Adipositas

Wirbelsäule – Beweglichkeit:

HWS: Kinn-Jugulum Abstand: 3 cm, alle übrigen Ebenen: endlagig eingeschränkt

BWS: gerade

LWS: Seitneigen nach links bis 30° möglich, nach rechts bis 30° möglich

FBA: 30 cm

Obere Extremitäten: Linkshänder

Rechts: Schultergelenk: Abduktion bis 150° möglich, Ellenbogengelenk: frei, Handgelenk: frei, Finger: o.B.

Links: Schultergelenk: Abduktion bis 150° möglich, Ellenbogengelenk: frei, Handgelenk: frei, Finger: o.B.

Kraft- und Faustschluss: bds. Frei, Kreuz- und Nackengriff: bds. möglich

Untere Extremitäten:

Rechts: Hüftgelenk: S 0-0-130, F 60-0-50, R 50-0-40

Kniegelenk: S 0-0-140, kein Erguß, bandstabil

OSG: frei

Links: Hüftgelenk: S 0-0-130, F 60-0-50, R 50-0-40

Kniegelenk: S 0-0-135, kein Erguß, bandstabil

OSG: frei

Varicen: beide Unterschenkel

Füße: bds. o.B.

Zehen- und Fersenstand: bds. möglich

Gesamtmobilität – Gangbild:

Gangbild: leichtes Hinken beidseits, Gehbehelf: keiner

1.3.: Beurteilung der Funktionseinschränkungen:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos. Nr.

GdB %

1

Degenerative Wirbelsäulenveränderungen

Unterer Rahmensatz, inkludiert wiederkehrende Beschwerden mit symptomarmen Intervallen

02.01.02

30

2

Kniegelenksabnützung beidseits

Oberer Rahmensatz, da nachgewiesene, behandlungsbedürftige Knorpelschäden beidseits

02.05.19

30

3

Funktionseinschränkung des rechten Hüftgelenks

Oberer Rahmensatz, da Rotations- und Abduktionseinschränkung

02.05.07

20

4

Chronisch obstruktive Lungenerkrankung I

Oberer Rahmensatz, inkludiert die Belastungseinschränkung bei Adipositas

06.06.01

20

5

Mäßige Hypertonie, mäßige Koronarsklerose

Unterer Rahmensatz, da intermittierende Beschwerden ohne dauerhafte Therapieerfordernis

05.01.02

20

6

Polyneuropathie

Unterer Rahmensatz, da intermittierende Beschwerden ohne dauerhafte Therapieerfordernis

04.06.01

10

7

Sichtbare Varizen

Unterer Rahmensatz, da ohne Kompressionserfordernis

05.08.01

10

8

Gastritis, Reflux

Unterer Rahmensatz, da ohne befundlich belegte Ulcerationen

07.04.01

10

Gesamtgrad der Behinderung  40 v.H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Leiden 1 wird durch Leiden 2 und 3 in Kombination um 1 Stufe erhöht, da eine maßgebliche ungünstige wechselseitige Leidensbeeinflussung zwischen Leiden 1 und Leiden 2 und 3 in Kombination besteht. Keine weitere Erhöhung, da keine ungünstige Leidensbeeinflussung zwischen Leiden 1 und Leiden 4, 5, 6, 7 und 8 besteht.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zu Art und Ausmaß der Funktionseinschränkungen gründen sich - in freier Beweiswürdigung - in nachstehend ausgeführtem Umfang auf die vorgelegten und eingeholten Beweismittel:

Sowohl das vom SMS eingeholte allgemeinmedizinische und orthopädische Sachverständigengutachten als auch das vom BVwG eingeholte Ergänzungsgutachten ist jeweils schlüssig und nachvollziehbar, es weist keine Widersprüche auf. Das vom SMS eingeholte orthopädische Gutachten vom 23.01.2020 entspricht hinsichtlich der einzelnen Positionen dem vom SMS eingeholten allgemeinmedizinischen Gutachten. Beiden Gutachten sind jeweils eine Untersuchung und auch insbesondere sämtliche vom Beschwerdeführer vorgelegten medizinischen Unterlagen, insbesondere die MRTs beider Knie, der lungenfachärztliche Befundbericht sowie das Ergebnis einer Coronarangiographie zu Grunde gelegt.

Auch der Gesamtgrad der Behinderung wird von beiden Gutachterinnen ident bewertet: Konkret wird das Wirbelsäulenleiden durch die Kniegelenksabnützung beidseits und die Funktionseinschränkung des rechten Hüftgelenks um 1 Stufe erhöht, da eine maßgebliche ungünstige wechselseitige Leidensbeeinflussung zwischen Leiden 1 und Leiden 2 und 3 in Kombination besteht. Die COPD, Hypertonie, Polyneuropathie, Varizen und Gastritis erhöhen das Wirbelsäulenleiden mangels Leidensbeeinflussung zwischen diesen Leiden nicht.

Aufgrund der mit der Beschwerde vorgelegten medizinischen Unterlagen (internistisch/kardiologischen, radiologisch) und dem Vorbringen, dass zwischen dem Wirbelsäulenleiden und der Polyneuropathie eine Leidensbeeinflussung bestehe, holte das BVwG dazu noch ein Ergänzungsgutachten ein.

In der sachverständigen Beurteilung wurde festgehalten, dass der vorgelegte internistische Befund im Leiden 5 des Letztgutachtens korrekt abgebildet sei. Ein beginnendes Aorten-Aneurysma ergebe per se kein Leiden. Auch aus einer Fettleber ergebe sich kein Leiden. Die behauptete gegenseitige relevante Beeinflussung der Leiden 1 und 6 führte wurde verneint: Ein 10%-prozentiges Leiden könne prinzipiell nach Gutachterpraxis nicht erhöhen, im speziellen Fall bestünden gelegentliche Beschwerden bei Polyneuropathie der unteren Extremitäten, keine motorischen Ausfälle. So sei keinesfalls eine erhöhende oder leidensverstärkende Wirkung im gutachtensrelevanten Ausmaß gegeben.

Der Inhalt des Gutachtens wurde im Rahmen des Parteiengehörs von den Parteien unbeeinsprucht zur Kenntnis genommen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

Zu A)   

Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten. (§ 1 Abs. 2 BBG)

Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören. (§ 40 Abs. 1 BBG)

Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3) oder ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376.

Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt. (§ 41 Abs. 1 BBG)

Der Behindertenpass hat den Vor- und Familiennamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen (§ 42 Abs. 1 BBG).

Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen (§ 45 Abs. 1 BBG).

Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben oder der Pass eingezogen wird (§ 45 Abs. 2 BBG).

In den vom SMS und vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten wurde übereinstimmend ein Gesamtgrad der Behinderung von 40 % festgestellt. Die angeführten Sachverständigengutachten sind schlüssig und nachvollziehbar und weisen keine Widersprüche auf. Es wurde auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausführlich eingegangen.

Nachdem die Voraussetzungen zur Ausstellung eines Behindertenpasses nicht vorliegen, war spruchgemäß zu entscheiden.

Zum Spruchinhalt des angefochtenen Bescheides, dass der Teil des Spruches zu entfallen hat, wonach der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht erfüllt, wird auf das das Erkenntnis des VwGH Ra 2018/11/0204-7, Rz 24 vom 13. Dezember 2018 betreffend die Einziehung eines Behindertenpasses verwiesen:

§ 43 Abs. 1 BBG ermächtigt die Behörde daher zwar zu einem amtswegigen Vorgehen, allerdings nach den bisherigen Ausführungen nur zu einem Ausspruch der Einziehung des Behindertenpasses. Ein Bescheid, in dem ausgesprochen wird, dass die Betreffende mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50 % nicht mehr die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses erfülle, oder in dem festgestellt wird, dass ein Grad der Behinderung von weniger als 50 % besteht, findet in § 43 Abs. 1 BBG keine Deckung.

Analog dazu wird darauf hingewiesen, dass weder die §§ 40 und 41 noch § 45 BBG die Voraussetzungen für die von der belangen Behörde gewählte Formulierung „Mit einem Grad der Behinderung von 40% erfüllen Sie nicht die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses.“ bieten. Auch die Formulierung „Ihr Antrag ist daher abzuweisen.“ ist insofern falsch als sie eine Handlungsanweisung bzw. eine Forderung an einen Dritten beinhaltet, den Antrag abzuweisen.

Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung

Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen (§ 24 Abs. 1 VwGVG).

Die Verhandlung kann entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist (§ 24 Abs. 2 Z. 1 VwGVG).

Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden. (§ 24 Abs. 3 VwGVG)

Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. (§ 24 Abs. 4 VwGVG)

In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren geben würde, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten würden oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/06/0221). Maßgebend für die gegenständliche Entscheidung über den Gesamtgrad der Behinderung sind die Art und das Ausmaß der bei der beschwerdeführenden Partei festgestellten Gesundheitsschädigungen.

Zur Klärung des Sachverhaltes wurden daher zwei ärztliche Gutachten sowie ein Ergänzungsgutachten eingeholt. Wie unter Punkt II. 2. bereits ausgeführt, wurden diese als nachvollziehbar, vollständig und schlüssig erachtet. Die beschwerdeführende Partei hat mit der Beschwerde keine Beweismittel vorgelegt, welche mit der gutachterlichen Beurteilung der Funktionseinschränkungen nicht in Einklang stehen. Sohin erscheint der Sachverhalt geklärt, dem Bundesverwaltungsgericht liegt kein Beschwerdevorbringen vor, das mit der beschwerdeführenden Partei mündlich zu erörtern gewesen wäre.

Wie in der Beweiswürdigung ausgeführt, ist das Beschwerdevorbringen nicht geeignet darzutun, dass ein höherer Gesamtgrad der Behinderung vorläge und konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, sondern von Tatsachenfragen. Maßgebend ist das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.

Schlagworte

Behindertenpass Grad der Behinderung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W200.2228977.1.00

Im RIS seit

16.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

16.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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