TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/7 W192 2160916-2

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Veröffentlicht am 07.09.2020
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Entscheidungsdatum

07.09.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W192 2160916-2/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Ruso als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA.: Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.07.2020, Zahl 1097194701/151899551 zu Recht:

A) I. Der Beschwerde wird stattgegeben und es wird XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG (jeweils) nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan paschtunischer Volksgruppenzugehörigkeit, stellte am 29.11.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, er sei wegen seiner Arbeit für eine amerikanische Firma durch Taliban bedroht und Anwerbeversuchen ausgesetzt gewesen.

1.2. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Spruchpunkt I. den Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab, erkannte dem Revisionswerber mit Spruchpunkt II. den Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zu und erteilte ihm mit Spruchpunkt III. eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 für ein Jahr.

In ihrer Begründung führte die Behörde zu Spruchpunkt I. im Wesentlichen aus, der Revisionswerber habe glaubhaft gemacht, dass er in seiner Heimatprovinz von Taliban verfolgt worden sei. Es liege jedoch eine Verfolgungsgefahr im gesamten Staatsgebiet von Afghanistan nicht vor, da für ihn bei einer Rückkehr eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in der Stadt Mazar-e Sharif zur Verfügung stehe.

Zum rechtskräftige Spruchpunkt II. wurde demgegenüber festgestellt, dass „für den Beschwerdeführer in Afghanistan derzeit eine nicht ausreichende Lebenssicherheit bestehe“. Es könne „derzeit unter Berücksichtigung der individuellen Umstände nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass [der Beschwerdeführer] im Falle der Rückkehr nach Afghanistan einer realen Gefahr im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt wären, welche unter Berücksichtigung der oben dargelegten persönlichen Verhältnisse und der derzeit in Afghanistan vorherrschenden Versorgungsbedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung darstellen würde.“

1.3. Gegen die Spruchpunkte I. dieses Bescheides wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.

2. Der Sachverhalt ergibt sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Die Beschwerde ist rechtzeitig und zulässig.

3.2. Zu A) Zuerkennung des Status des Asylberechtigten:

3.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Gemäß § 3 Abs. 3 Z 1 und § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann („innerstaatliche Fluchtalternative“). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann (vgl. zur Rechtslage vor dem AsylG 2005 z.B. VwGH 15.03.2001, 99/20/0036; 15.03.2001, 99/20/0134, wonach Asylsuchende nicht des Schutzes durch Asyl bedürfen, wenn sie in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen). Damit ist – wie der Verwaltungsgerichtshof zur Genfer Flüchtlingskonvention judiziert – nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen – mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates – im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (vgl. etwa VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer „internen Flucht- oder Schutzalternative“ innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal wirtschaftliche Benachteiligungen auch dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (vgl. VwGH 08.11.2007, 2006/19/0341, mwN).

3.2.2. Die Behörde hat im vorliegenden Fall die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten an den Beschwerdeführer ausschließlich auf den Umstand gestützt, diesem stünde eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Dazu ist auf die Rechtsprechung des VwGH (Ra 2014/18/0011 vom 13.11.2014, Ra 2014/20/0022 vom 25.03.2015) zu verweisen, wonach dieses Argument im Widerspruch zu einer bereits – im insoweit rechtskräftigen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides - erfolgten Gewährung von subsidiärem Schutz steht, weil § 11 AsylG 2005 die Annahme der inländischen Fluchtalternative nur erlaubt, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben sind.

Da eine solche innerstaatliche Fluchtalternative somit nicht vorliegt, ist dem Beschwerdeführer Asyl zu gewähren.

3.2.3. Gemäß § 3 Abs. 4 iVm § 75 Abs. 24 AsylG 2005 kommt einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu, wenn er einen Antrag auf internationalen Schutz nicht vor dem 15.11.2015 gestellt hat. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird.

Der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz wurde am 29.11.2015, sohin nicht vor dem 15.11.2015, gestellt; dem Beschwerdeführer kommt daher eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung zu. Anders als im Fall der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, für den § 8 Abs. 4 AsylG 2005 die Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung vorsieht, wird das Einreise- und Aufenthaltsrecht des Asylberechtigten unmittelbar kraft Gesetzes bestimmt. Die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter hat somit nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht zu erfolgen. Auch gemäß § 3 Abs. 4 AsylG 2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 24/2016 kommt dem Asylberechtigten eine entsprechende Aufenthaltsberechtigung zu, ohne dass eine darüber hinausgehende Erteilung dieser Berechtigung vorzunehmen wäre (Ra 2017/19/0373 vom 03.05.2018).

3.3. Gemäß § 24 Abs. 1 des VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 21 Abs. 7 erster Fall BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich ausführlich in seinem Erkenntnis vom 28.05.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018, mit dem Verständnis dieser Bestimmung auseinandergesetzt und geht seitdem in seiner ständigen Rechtsprechung (vgl. dazu statt vieler die Erkenntnisse vom 12. November 2014, Ra 2014/20/0029, vom 2. September 2015, Ra 2014/19/0127, vom 15. März 2016, Ra 2015/19/0180, vom 18. Mai 2017, Ra 2016/20/0258, und vom 20. Juni 2017, Ra 2017/01/0039) davon aus, dass für die Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen Wendung "wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint" folgende Kriterien beachtlich sind:

Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.

Im gegenständlichen Fall hat das Bundesverwaltungsgericht keinerlei neue Beweismittel beigeschafft und sich für seine Feststellungen über die Person des Beschwerdeführers und zur Lage im Herkunftsstaat in ihren entscheidungsmaßgeblichen Aspekten auf jene des angefochtenen und teilweise rechtskräftigen Bescheids gestützt.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte daher im vorliegenden Fall von einem geklärten Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA-VG ausgehen; es war nach den oben dargestellten Kriterien nicht verpflichtet, eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

3.4. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu Spruchteil A wiedergegeben.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung befristete Aufenthaltsberechtigung Berufstätigkeit gesamtes Staatsgebiet innerstaatliche Fluchtalternative Rechtskraft subsidiärer Schutz wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W192.2160916.2.00

Im RIS seit

16.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

16.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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