TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/7 I414 2225370-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.09.2020
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Entscheidungsdatum

07.09.2020

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch

I414 2225370-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christian EGGER als Vorsitzender und den Richter Dr. Harald NEUSCHMID sowie die fachkundige Laienrichterin Dr. Elisabeth RIEDER als Beisitzerin über die Beschwerde von XXXX, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Tirol (SMS) vom 21.10.2019, Zl. OB: XXXX, betreffend den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“, in nichtöffentlicher Sitzung, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Mit Bescheid vom 21.10.2019 wies das Sozialministeriumsservice, Landessstelle Tirol (in der Folge als belangte Behörde bezeichnet) den Antrag von XXXX (in der Folge als Beschwerdeführer bezeichnet) auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass ab.

Begründend wurde ausgeführt, dass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar sei, wenn eine kurze Wegstrecke (300 bis 400 Meter) nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe zurückgelegt werden könne oder wenn die Verwendung des erforderlichen Behelfs die Benützung des öffentlichen Transportmittels in hohem Maße erschwere. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sei auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauerhafte Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb des Verkehrsmittels angegebenen Bedingungen auswirke. Die Zumutbarkeit sei auch nicht gegeben, wenn erhebliche Einschränkungen, eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder eine hochgradige Sehbehinderung, Blind- oder Taubblindheit vorliegen.

Das Ermittlungsverfahren habe gezeigt, dass keiner der angeführten Punkte zutreffe. Es sei ein ärztliches Sachverständigengutachten eingeholt worden, welches Stellung zur Frage der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel genommen habe und diese verneine.

Dagegen wurde Rechtsmittel erhoben und führte der Beschwerdeführer aus, dass er nur eine Wegstrecke bis 300 Meter zurücklegen könne, am rechten Auge habe er einen grauen Star, zwei- bis dreimal pro Woche müsse er sich erbrechen, er könne max. einen kg heben und er habe psychische Probleme.

Am 13.11.2019 wurde die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Es wurde ein ergänzendes Gutachten bei Dr. L. eingeholt. Der Sachverständige führte in seinem Gutachten nach persönlicher Untersuchung des Beschwerdeführers am 10.02.2020 aus wie folgt (anonymisiert durch BVwG):

„[…] Zusätzlich zur Untersuchung wurde ein 6 Minuten Gehtest im Krankenhaus Hall durchgeführt, dabei konnte der Patient in 6 Minuten 340 m zurücklegen. Damit kann die 1. Frage, ob der Beschwerdeführer eine kurze Wegstrecke (300 — 400 m) aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe zurücklegen mit JA beantwortet werden. Besondere erforderliche Behelfe sind dazu nicht notwendig. Die Möglichkeiten des Ein- und Aussteigens der zu überwindenden Niveauunterschiede und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel sind gewährleistet. Eine erhebliche Einschränkung der Funktion der unteren Extremitäten besteht nicht. Ebenso besteht beim Beschwerdeführer keine erhebliche Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit. Bezüglich psychischer Einschränkungen weist der Patient erneut eine Bestätigung seines Praktischen Arztes (Dr. W. H.) vor, wonach er an Platzangst leide. Ein psychiatrisches Gutachten liegt nach wie vor nicht vor, eine schwere kognitive Einschränkung mit eingeschränkter Gefahreneinschätzung des öffentlichen Raumes liegt jedenfalls nicht vor. Ein therapierefraktäres schweres cerebrales Anfallsleiden liegt auch nicht vor. […]“

Den Verfahrensparteien wurde das Ergebnis der Beweisaufnahme zur Kenntnis gebracht. Von der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme wurde von keiner Seite Gebrauch gemacht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens steht nachstehender entscheidungswesentlicher Sachverhalt als erwiesen fest:

Der Beschwerdeführer ist am XXXX geboren und hat seinen Wohnsitz in Österreich. Der Beschwerdeführer ist in Besitz eines Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 60% seit 14.06.2018.

Folgende Funktionseinschränkungen liegen beim Beschwerdeführer vor: 1. Teilentfernung des Magens, Magenleiden bei Zustand nach mehreren Fundoplikationen (OPs), guter Ernährungszustand, 2. Generalisierte Erkrankungen des Bewegungsapparates mit funktionellen Auswirkungen mittleren Grades, chronische LWS Schmerezn, künstliches Hüftgelenk links, Coxarthrose rechts, 3. Sehstörungen, Störung des zentralen Sehens (Sehschärfe mit Korrektur), 4. Hauterkrankungen, Entzündliche, exanthematische, toxische, allergische, infektiöse, immunologische bzw. autoimmunologische, nicht entzündliche Erkrankungen und gutartige Neubildungen der Haut, Narben, Fehlbildungen und Pigmentstörungen, sichtbarer Schleimhäute und der Hautanhangsgebilde; Mittelschwere, ausgedehnte Formen und 5. Depressive Störung, soziale Integration, reaktive depressive Phasen.

Es handelt sich um einen Dauerzustand.

Das Ein- und Aussteigen und der sichere Transport im Verkehrsmittel sind dem Beschwerdeführer möglich. Der Beschwerdeführer ist auf keine Hilfsmittel angewiesen. Des Weiteren kann er auch kurze Wegstrecken von 300-400 Meter ohne Hilfsmittel und Unterbrechung zurücklegen.

Der Beschwerdeführer ist nicht hochgradig sehbehindert, blind oder taubblind. Es besteht keine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems und besteht keine erhebliche Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit oder der unteren Extremitäten. Es liegt eine Einschränkung der psychischen Funktion im Sinne der oben angeführten Funktionseinschränkung Pos. Nr. 03.06.01 vor, jedoch ist die Gefahreneinschätzung des öffentlichen Raumes nicht eingeschränkt. Neurologische oder intellektuelle Einschränkungen bzw. Defizite bestehen nicht.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Person und zum Wohnort sowie zum Pass ergeben sich aus dem vorgelegten Akt der belangten Behörde und sind unstrittig.

Die Feststellungen zu den funktionellen Einschränkungen des Beschwerdeführers basieren auf dem von der belangten Behörde eingeholten Gutachten von Dr. L. zur Ausstellung eines Behindertenpasses. In zwei weiteren Gutachten des Dr. L. nach persönlicher Untersuchung des Beschwerdeführers vom 22.07.2019 und 17.10.2019 wird auch dieses Vorgutachten miteinbezogen und jeweils die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel bejaht.

Nach Beschwerdeerhebung wurde ein ergänzendes Gutachten des Dr. L. eingeholt und um Beantwortung spezifischer Fragen gebeten. Darin fand auch die vom Beschwerdeführer mit dem Rechtsmittel neuerlich in Erinnerung gerufene medizinische Bestätigung Berücksichtigung und zeichnet der Sachverständige ein nachvollziehbares Bild hinsichtlich der körperlichen und psychischen Belastbarkeit. Die vom erkennenden Gericht explizit zum Vorbringen des Beschwerdeführers gestellten Fragen beantwortete der Gutachter eingehend, schlüssig und nachvollziehbar. Es wurde widerspruchsfrei dargestellt, dass der Beschwerdeführer bei einem Gehtest im Krankenhaus Hall eine kurze Wegstrecke ohne Unterbrechung und Zuhilfenahme von Behelfen in angemessener Zeit bewältigen konnte und sich auch sonst keine Hinweise auf Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder der unteren Extremitäten abgezeichnet haben. Aus diesem Grund konnte festgehalten werden, dass der Beschwerdeführer Niveauunterschiede überwinden und somit sicher aus bzw. in dem/das Verkehrsmittel steigen kann und der sichere Transport möglich ist. Dr. L. nahm auch auf die von einem praktischen Arzt festgestellte Platzangst Bezug und gab dazu an, dass weder ein psychiatrisches Gutachten dazu vorliege, noch eine eingeschränkte Gefahreneinschätzung des öffentlichen Raumes besteht. Eine Platzangst wurde in den bisherigen Gutachten auch nicht als primäre Angststörung nach ICD-10 eingeschätzt und liegt eine unbedingte Voraussetzung für eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel damit nicht vor. Dies stellt im Übrigen aber eine Rechtsfrage dar und wird in der rechtlichen Beurteilung darauf einzugehen sein.

Das Gutachten nimmt Bezug auf alle Umstände und legt die medizinische Sicht dar. Es steht mit den allgemeinen Gesetzen der Logik im Einklang, ist schlüssig und vollständig und wurde dem nicht (auf derselben fachlichen Ebene) entgegen getreten. Die Ausführungen in der Beschwerde beschränken sich ansonsten auf Vorbringen bzw. ärztliche Befunde, die bereits in den Vorgutachten behandelt wurden und wurden die weiteren Voraussetzungen wie Ein- und Aussteigen oder der sichere Transport im Verkehrsmittel nicht bestritten. Aus diesen Gründen legt der erkennende Senat diese Gutachten unter freier Beweiswürdigung seiner Entscheidung zu Grunde.

Dass der Beschwerdeführer nicht hochgradig sehbehindert, blind oder taubblind ist und bei ihm keine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems besteht, ergibt sich aus den Gutachten und ist unstrittig. Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder neurologische oder intellektuelle Defizite wurden verneint bzw. nicht geltend gemacht.

Im Übrigen wäre es jedoch dem Beschwerdeführer frei gestanden, das im Auftrag der Behörde bzw. des Gerichtes erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften bzw. zu widerlegen zu versuchen. Dies ist im gegenständlichen Verfahren nicht erfolgt (vgl. VwGH vom 26.02.2008, Zl. 2005/11/0210). Es erfolgte auch keine Stellungnahme mehr zum Ergänzungsgutachten und steht der maßgebliche Sachverhalt dadurch für den erkennenden Senat zweifelsfrei fest.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht

§ 6 und 7 Abs. 1 BVwGG lauten wie folgt:

„Einzelrichter

§ 6. Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Senate

§ 7. (1) Die Senate bestehen aus einem Mitglied als Vorsitzendem und zwei weiteren Mitgliedern als Beisitzern. Für jeden Senat sind mindestens ein Stellvertreter des Vorsitzenden und mindestens zwei Ersatzmitglieder (Ersatzbeisitzer) zu bestimmen.“

§ 45 Abs. 3 und 4 BBG lautet wie folgt:

„(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.“

Über die vorliegende Beschwerde war daher durch einen Senat, bestehend aus zwei Berufsrichtern und einem fachkundigen Laienrichter, zu entscheiden.

Die §§ 1, 17 und 58 Abs. 1 und 2 VwGVG lauten wie folgt:

„§ 1. Dieses Bundesgesetz regelt das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes.

§ 17. Soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, sind auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 58. (1) Dieses Bundesgesetz tritt mit 1. Jänner 2014 in Kraft.

(2) Entgegenstehende Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht sind, bleiben unberührt.“

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

3.2.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des BBG lauten wie folgt:

„ABSCHNITT VI

BEHINDERTENPASS

§ 40 (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpaß auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

§ 42 (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
(2) Der Behindertenpaß ist unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist.

§ 45 (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluß der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.“

§ 1 Abs 2 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 2013/495 idgF BGBl. II Nr. 263/2016, lautet wie folgt:

„Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:

3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

-erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

-erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

-erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder

-eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

-eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d
vorliegen.“

3.2.2. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt.

Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt. (VwGH 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242; 14.05.2009, 2007/11/0080)

Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. ua. VwGH vom 27.01.2015, Zl. 2012/11/0186, oder vom 23.05.2012, Zl. 2008/11/0128).

Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. L. wirken sich die dauernden Gesundheitsschädigungen nicht maßgebend auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens sowie auf das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke aus. Der sichere und gefährdungsfreie Transport im öffentlichen Verkehrsmittel ist nicht eingeschränkt.

Im gegenständlichen Fall ist noch die Frage der erheblichen Einschränkung der psychischen Beeinträchtigung zu klären, da der Beschwerdeführer Platzangst geltend macht.

Die Begriffe "erheblich" und "schwer" werden bereits in der Einschätzungsverordnung je nach Funktionseinschränkung oder Erkrankungsbild verwendet und sind inhaltlich gleichbedeutend.

Nach den erläuternden Bemerkungen zu § 1 Abs 2 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen umfassen folgende Krankheitsbilder erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen im Hinblick auf eine Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel:

- Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10 und nach Ausschöpfung des therapeutischen Angebotes und einer nachgewiesenen Behandlung von mindestens 1 Jahr

- hochgradige Entwicklungsstörungen mit gravierenden Verhaltensauffälligkeiten

- schwere kognitive Einschränkungen, die mit einer eingeschränkten Gefahreneinschätzung des öffentlichen Raumes einhergehen

- nachweislich therapierefraktäres, schweres, cerebrales Anfallsleiden - Begleitperson ist erforderlich

Beim Beschwerdeführerin liegt unbestritten eine psychische Einschränkung vor, es handelt sich aber nicht um eine Angststörung (depressive Störung mit einem Grad der Behinderung von 20%) und ist diese ist aber nicht als „erheblich“ oder „schwer“ einzustufen. Eine festgestellte Platzangst durch einen praktischen Arzt ist nicht geeignet, eine Voraussetzung für die unbedingte Eintragung der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ zu begründen, da sie weder als Hauptdiagnose nach ICD 10 eingeschätzt wurde, noch eine therapeutische Behandlung indiziert ist (Ausschöpfung des therapeutischen Angebotes und eine nachgewiesene Behandlung von mindestens 1 Jahr).

Somit fehlt es an einer Voraussetzung für ein unbedingtes Vorliegen der erheblichen psychischen Beeinträchtigung und war dem widerspruchsfreien Gutachten folgend festzustellen, dass eine Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist. Das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke aus eigener Kraft und ohne Unterbrechung wurde durch Gehtest bewiesen, der Zu- und Ausstieg sowie der sichere Transport wurden nicht in Frage gestellt und war insgesamt festzuhalten, dass die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" im Behindertenpass nicht vorliegen, weshalb die Beschwerde abzuweisen war.

4. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Nach § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen (§ 24 Abs. 1 VwGVG). Wurde - wie im vorliegenden Fall - kein entsprechender Antrag gestellt, ist die Frage, ob von Amts wegen eine Verhandlung durchgeführt wird, in das pflichtgemäße - und zu begründende - Ermessen des Verwaltungsgerichts gestellt, wobei die in § 24 Abs. 2, 3, 4 und 5 normierten Ausnahmebestimmungen als Anhaltspunkte der Ermessensübung anzusehen sind (vgl. zur insofern gleichartigen Regelungsstruktur des § 67d Abs. 1 und 2 bis 4 AVG [alte Fassung] die Darstellung bei Hengstschläger/Leeb, AVG [2007] § 67d Rz 17 und 29, mwH). Gemäß Abs. 3 leg.cit. hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Gemäß Abs. 4 leg. cit. kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde sowie aus den eingeholten Gutachten und beschränkt sich gegenständlicher Fall auf eine Rechtsfrage. Von der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme zum ergänzend eingeholten Sachverständigengutachten wurde nicht Gebrauch gemacht, da weder von der belangten Behörde noch von der Beschwerdeführerin ein Schriftsatz einlangte. Der Sachverhalt gilt für den erkennenden Senat somit als erwiesen und unbestritten. Dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird. Im Übrigen wurde die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung von den Parteien auch nicht beantragt.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder fehlt es an einer Rechtsprechung zur Frage der erheblichen psychischen Beeinträchtigung, noch weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Behindertenpass Sachverständigengutachten Zumutbarkeit Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I414.2225370.1.00

Im RIS seit

16.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

16.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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