Entscheidungsdatum
09.09.2020Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
W171 2201132-2/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gregor Morawetz, MBA als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Nigeria, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx und dessen Obmann RA Dr. Lennart Binder, LL.M., gegen die Abschiebung vom XXXX zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde gegen die am XXXX erfolgte Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria wird gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 FPG als unbegründet abgewiesen.
II. Der Antrag auf Kostenersatz wird gemäß § 35 VwGVG abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge als BF bezeichnet) stellte am 29.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
2. Mit Bescheid vom 10.03.2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge als BFA bezeichnet) den Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab und erteilte dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Gegen den BF wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.). Gegen den BF wurde ein Einreiseverbot für die Dauer von acht Jahren erlassen.
3. Der BF erhob gegen den Bescheid des BFA Beschwerde. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.10.2017 wurde die Beschwerde des BF hinsichtlich Spruchpunkt I., II., und IV. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen. Die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt II. wurde mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der erste Satz des Spruchteils des Spruchpunktes III. wie folgt lautet: „Eine ,Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz‘ gemäß § 57 Asylgesetz 2005 wird XXXX nicht erteilt“ Das erlassene Einreiseverbot wurde auf eine Dauer von vier Jahren herabgesetzt. Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts erwuchs in Rechtskraft.
4. Am 24.10.2017 stellte das Bundesamt ein Rückübernahmeersuchen des BF an die Botschaft der Republik Nigeria.
5. Am 24.10.2017 ehelichte der BF die österreichische Staatsbürgerin XXXX .
6. Mit Bescheid vom 08.11.2017 wurde der BF zur Identitätsprüfung mit Vertretern der Botschaft Nigerias am 17.11.2017, zur Prüfung der Ausstellung eines Heimreisezertifikats, geladen. Dieser Bescheid wurde vom BF persönlich am 11.11.2017 übernommen und seinem ausgewiesenen Vertreter zugestellt. Mit Schreiben vom 16.11.2017 teilte der ausgewiesene Vertreter mit, dass der BF krankheitsbedingt nicht am Termin teilnehmen könne.
7. Am 12.01.2018 fand eine Identitätsprüfung an der Wohnadresse des BF statt, die Wohnungstür wurde geöffnet und einer freiwilligen Nachschau im Wohnhaus zugestimmt. Der BF befand sich nicht an der angegebenen Wohnadresse. Eine genaue Adresse, wo sich der BF befinde konnte nicht genannt werden.
8. Mit Bescheid vom 29.01.2018 wurde dem BF mitgeteilt, dass er sich mit der zuständigen ausländischen Behörde seines Herkunftsstaates in Kontakt zu setzten habe und bei den notwendigen Handlungen zur Erlangung eines Ersatzreisedokumentes mitzuwirken habe. Dieser Bescheid wurde am 31.01.2018 hinterlegt, vom BF jedoch nicht behoben.
9. Mit Bescheid vom 03.04.2018 wurde dem BF mitgeteilt, dass er sich mit der zuständigen ausländischen Behörde seines Herkunftsstaates in Kontakt zu treten habe und an den notwendigen Handlungen zur Erlangung eines Ersatzreisedokumentes mitzuwirken habe. Dieser Bescheid wurde am 09.04.2018 hinterlegt, vom BF jedoch wieder nicht behoben.
10. Am 08.06.2018 suchte der BF bei der BH XXXX um Erteilung einer Bewilligung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetze für Angehörige eines EWR-Bürgers oder Schweizer Bürgers an. Zu diesem Zweck legte er eine Kopie seines nigerianischen Reisepasses, ausgestellt am 20.11.2017 vor.
11. Am 13.07.2018 erließ das Bundesamt einen Festnahmeauftrag gemäß § 34 Abs. 3 Z 3 BFA-VG, da gegen den BF ein Auftrag zur Abschiebung erlassen werden sollte.
12. Der BF wurde auf Grund des Festnahmeauftrags vom 13.07.2018 am 17.07.2018 um 09:00 Uhr von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes festgenommen und über die Gründe der Festnahme informiert. Es wurde ihm ein Informationsblatt für Festgenommene in englischer Sprache ausgefolgt. Der BF verweigerte die Unterschrift der Übernahmebestätigung über die Information über die bevorstehende Abschiebung am XXXX .
13. Der Mandatsbescheid vom 13.07.2018 über die Verhängung der Schubhaft wurde dem BF am 17.07.2018 übergeben.
14. Am 17.07.2018 erhob der BF durch seinen ausgewiesenen Rechtsvertreter Beschwerde gegen die Festnahme vom 17.07.2018.
15. Der BF wurde am XXXX nach Nigeria abgeschoben.
16. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 02.08.2018, XXXX , wurde die Beschwerde gegen die Festnahme vom 17.07.2018 als unbegründet abgewiesen.
17. Mit Schriftsatz vom 28.08.2018 erhob der BF Beschwerde gegen die Abschiebung nach Nigeria am XXXX . Begründend führte er aus, dass der BF mit einer Österreicherin verheiratet sei, die ihr Recht auf Personenfreizügigkeit in der EU in Anspruch genommen habe, und er somit begünstigter Drittstaatenangehöriger sei. Europarechtlich komme dem BF eine Aufenthaltserlaubnis zu, die beantragte Karte (für Angehörige von EWR-Bürgern) sei nur noch die Dokumentation des bereits bestehenden Aufenthaltsrechtes. Die Behörde habe kein Recht gehabt, den BF abzuschieben. Der BF beantragte die Rechtswidrigkeit der Abschiebung festzustellen. Darüber hinaus beantragte der BF der belangten Behörde aufzutragen die Verfahrenskosten zu ersetzen.
18. Das Bundesamt legte am 29.08.2018 den Verwaltungsakt vor und beantragte die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der BF ist nigerianischer Staatsangehöriger und stelle infolge unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 29.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
Dieser wurde schließlich mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 05.10.2017, XXXX rechtskräftig abgewiesen.
Gegen den BF bestand eine rechtskräftige und durchsetzbare Rückkehrentscheidung.
Er kam seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach und tauchte im Bundesgebiet unter.
Der BF ehelichte am 24.10.2017 die österreichische Staatsbürgerin XXXX . Diese hat ihr Recht auf Personenfreizügigkeit innerhalb der EU nicht in Anspruch genommen. Der BF ist kein begünstigter Drittstaatsangehöriger.
Der BF wurde am 17.07.2018 festgenommen und am XXXX nach Nigeria abgeschoben.
Zum Zeitpunkt der Abschiebung verfügte der BF über kein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zu Verfahrensgang und zur durchsetzbaren Rückkehrentscheidung ergeben sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt.
Die Feststellung, dass der BF seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkam und untertauchte, ergibt sich ebenfalls aus dem Verwaltungsakt und dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts XXXX .
Der BF legte zum Nachweis seiner Eheschließung mit gegenständlicher Beschwerde eine Kopie einer Heiratsurkunde vor, dies allerdings in so schlechter Qualität, dass lediglich die Namen der Eheleute zu entziffern sind. Das Datum der Eheschließung, 24.10.2017, wurde jedoch im Erkenntnis XXXX festgestellt und wird diese Feststellung daher in der gegenständlichen Entscheidung übernommen.
In der Beschwerde wurde behauptet, dass die Ehefrau des BF ihr Recht auf Personenfreizügigkeit in Anspruch genommen habe, diese Behauptung jedoch nicht weiter konkretisiert und auch keine Beweismittel vorgelegt. Aus einer Abfrage des Zentralen Melderegisters geht auch hervor, dass die Ehefrau seit 19.02.1998 durchgehend in Österreich gemeldet ist. Es kann daher nicht festgestellt werden, dass die Ehefrau ihr Recht auf Freizügigkeit in der EU ausgeübt hätte.
Im Akt finden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der BF österreichischer Staatsbürger, Asylberechtigter, subsidiär Schutzberechtigter oder aus anderen Gründen zum Aufenthalt in Österreich berechtigt ist.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1.
Zu Spruchpunkt A. I.: Abweisung der Beschwerde gegen die Abschiebung nach Nigeria
Gemäß § 9 Abs. 2 FPG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA und gemäß § 7 Abs. 1 Z 3 BFA-VG über Beschwerden gegen Maßnahmen unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt gemäß dem 1. Hauptstück des 2. Teiles des BFA-VG und gemäß dem 7. und 8. Hauptstück des FPG.
Da sich die gegenständliche Beschwerde gegen die Abschiebung des BF, und damit gegen eine Maßnahme unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt des 7. Hauptstückes des FPG richtet, ist das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls für die Entscheidung zuständig.
Gemäß § 46 Abs. 1 FPG können Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Anordnung zur Außerlandesbringung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag des Bundesamtes zur Ausreise verhalten werden (Abschiebung), wenn
1. die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint,
2. sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind,
3. aufgrund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen, oder
4. sie einem Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind.
Es müssen also zur durchsetzbaren Rückkehrentscheidung, Anordnung zur Außerlandesbringung, zur Ausweisung bzw. zum Aufenthaltsverbot noch weitere Voraussetzungen hinzutreten; dass durchsetzbare Bescheide vorliegen, genügt noch nicht; dies ist nur eine der Voraussetzungen für die Abschiebung. Es muss daher ein Weg eröffnet sein, die Rechtswidrigkeit der Abschiebung trotz Vorliegens durchsetzbarer Bescheide betreffend Rückkehrentscheidung, Anordnung zur Außerlandesbringung, Aufenthaltsverbot oder Ausweisung geltend zu machen. Das Gesetz wird dem insofern gerecht, als es die Umsetzung des Bescheides als unmittelbare Befehls- und Zwangsgewalt bezeichnet und damit die Möglichkeit einer Maßnahmenbeschwerde eröffnet (VwGH 23.09.1994, 94/02/0139; VwGH 20.10.2011, 2010/21/0056).
Bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Abschiebung kommt es nach § 46 Abs. 1 FPG nicht nur auf das Vorliegen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Entscheidung, sondern auch auf die Erfüllung einer in den Z 1 bis 4 genannten Tatbestandsvoraussetzungen an. Überdies sieht die Bestimmung bei Vorliegen der dort genannten Bedingungen keine unbedingte Abschiebeverpflichtung vor, sondern stellt die Abschiebung in behördliches Ermessen (VwGH 30.08.2011, 2008/21/0020; VwGH 20.10.2011, 2010/21/0056). Bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme ist die Behörde nicht auf die vorgebrachten Gründe beschränkt. Eine Abschiebung darf im Fall eines gestellten Antrages auf internationalen Schutz bis zur Entscheidung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nach § 12a Abs. 4 AsylG 2005 nicht stattfinden (vgl. VwGH 26.06.2014, 2013/21/0253).
Im vorliegenden Fall wurde der erste Asylantrag des BF mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.10.2017 rechtskräftig abgewiesen. Gegen den BF lag somit zum Zeitpunkt der Festnahme respektive der Abschiebung eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung vor.
Gemäß § 46 Abs. 1 FPG ist nun weiters zu prüfen, ob eine der in den Z 1 bis 4 genannten Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt ist:
Hierzu ist festzuhalten, dass gegen den BF seit 05.10.2017 eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung bestand und er seiner Verpflichtung zur Ausreise nicht nachgekommen ist, sodass der Tatbestand des § 46 Abs. 1 Z 2 FPG dadurch jedenfalls erfüllt ist. Wird eine Außerlandesbringung durchsetzbar, ist damit stets die Verpflichtung zum unverzüglichen Verlassen des Bundesgebietes verbunden (Szymanski in Schrefler-König/Szymanski, Fremdenpolizei- und Asylrecht [2014] § 46 FPG Anm 2).
Es ist weiters zu prüfen, ob im vorliegenden Fall ein Verbot der Abschiebung vorlag:
Gemäß § 50 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder Art. 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre. Gemäß Art. 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.
Für die Gewährung von Abschiebeschutz ist die maßgebliche Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Verletzung der Menschenrechte gefordert. Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre und konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen genügen hingegen nicht (vgl. VwGH 27.02.1997, 98/21/0427).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Antragsteller das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder nicht effektiv verhinderbaren Bedrohung der relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (vgl. VwGH 26.06.1997, 95/18/1293; 17.07.1997, 97/18/0336).
Im verfahrensgegenständlichen Fall kann nicht angenommen werden, dass der BF durch die Abschiebung nach Nigeria einer existentiellen Gefährdung oder sonstigen Bedrohung ausgesetzt war, sodass die Abschiebung eine Verletzung von Art. 2 oder Art 3 EMRK bedeuten würde.
Dass dem BF in Nigeria keine Gefahr für Leib oder Leben in einem Maße droht, welche die Abschiebung im Lichte des Art. 2 und Art. 3 EMRK unzulässig erscheinen lässt, hat bereits das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 05.10.2017 festgestellt.
Die Beschwerde führt zu einer möglichen EMRK Verletzung nichts aus, sondern bezieht sich lediglich auf das ihres Erachtens bestandene Aufenthaltsrecht des BF zum Zeitpunkt der Abschiebung, da er als Ehemann einer österreichischen Staatsbürgerin begünstigter Drittstaatsangehöriger sei.
Im gegenständlichen Fall wurde jedoch eine Inanspruchnahme der Personenfreizügigkeit der Ehefrau innerhalb der EU nicht nachgewiesen.
Die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 - sog. Unionsbürgerrichtlinie - gilt nach ihrem Art. 3 Abs. 1 („Berechtigte“) nur für Unionsbürger,
die sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, begeben oder sich dort aufhalten, und deren Familienangehörige. Damit findet die Richtlinie keine Anwendung auf Unionsbürger, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit keinen Gebrauch gemacht haben und sich stets in dem Mitgliedstaat aufgehalten haben, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen. Folglich können deren Familienangehörige aus der Richtlinie kein abgeleitetes Aufenthaltsrecht herleiten (EuGH, Urteil vom 5. Mai 2011 - Rs. C-434/09,
McCarthy - Rn. 31 ff.).
Familienangehörige von Österreichern unterfallen nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union allerdings dann den aus dem Freizügigkeitsrecht abgeleiteten unionsrechtlichen Nachzugsregelungen, wenn es sich um sog. Rückkehrerfälle handelt (EuGH, Urteile vom 7. Juli 1992 - Rs. C-370/90, Singh - InfAuslR 1992, 341 und vom 11. Dezember 2007 - Rs. C-291/05, Eind - InfAuslR 2008, 114). Dies setzt aber voraus, dass der österreichische Ehegatte in so nachhaltiger Weise von seiner Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, dass die praktische Wirksamkeit seines Freizügigkeitsrechts als Unionsbürger es erfordert, seinem Ehepartner einen unionsrechtlichen Nachzugsanspruch zuzubilligen (vgl. Senatsurteil vom 16. November 2010 – BverwG 1 C 17.09 - NVwZ 2011, 495, zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen, Rn. 10 ff.). Ob bei Bestehen eines solchen unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts des drittstaatsangehörigen Ehegatten eines Österreichers die Regelungen des § 15b FPG in unionsrechtskonformer Auslegung entsprechend anzuwenden sind oder ob eine unionsrechtskonforme Handhabung durch unmittelbaren Rückgriff auf das Unionsrecht sicherzustellen ist, bedarf auch im vorliegenden Fall keiner abschließenden Klärung, da keine Hinweise darauf vorliegen, dass es sich gegenständlich um einen solchen Fall handeln könnte. Wie oben festgestellt, ist die Ehefrau des BF seit frühester Kindheit (1998) durchgehend in Österreich gemeldet, ein längerer Auslandsaufenthalt könnte daher allenfalls vor ihrem zweiten Lebensjahr stattgefunden haben. Damit und durch allenfalls kurze Auslandsaufenthalte, die keine Abmeldung im Zentralen Melderegister zur Folge hatten, hätte nicht in so nachhaltiger Weise von ihrer Freizügigkeit Gebrauch gemacht, dass es die praktische Wirksamkeit des Freizügigkeitsrechts erforderte, dem BF einen unionsrechtlichen Nachzugsanspruch zuzubilligen. Dabei könnte im gegenständlichen Fall auch dahinstehen, ob und in welchem Umfang die Ehefrau des BF in der Vergangenheit von ihrem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht habe, da keine Hinweise darauf vorliegen, dass sie oder der BF sich seit der Eheschließung längere Zeit in einem anderen Mitgliedsstaat der EU aufgehalten hätten. Wie die vom Gerichtshof entschiedenen Fälle zeigen (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Oktober 2004 - Rs. C-200/02, Zhu und Chen - InfAuslR 2004, 413 Rn. 34 ff.), genügt nicht jede auch noch so geringfügige Ausübung des Freizügigkeitsrechts durch den Unionsbürger. Vielmehr ist für eine „Mitnahme“ des Freizügigkeitsstatus in den Heimatstaat und eine entsprechende Begünstigung des drittstaatsangehörigen Ehegatten erforderlich, dass der Unionsbürger mit einer gewissen Nachhaltigkeit von seiner Freizügigkeit Gebrauch macht (Urteil vom 16. November 2010 a.a.O. Rn. 12 m.w.N.). Wo im Einzelnen die Grenze zu ziehen ist, von der an das Gebrauchmachen von den unionsrechtlichen Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechten in einem anderen Mitgliedstaat als ausreichend nachhaltig angesehen werden kann, um bei Rückkehr in den Heimatstaat ein unionsrechtlich begründetes Aufenthaltsrecht des drittstaatsangehörigen Ehegatten zu rechtfertigen, und ob eine verallgemeinerungsfähige Konkretisierung insoweit überhaupt möglich ist, braucht auch im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden, da wie festgestellt überhaupt keine Nachweise einer Inanspruchnahme der Freizügigkeit vorliegen.
Der BF ist daher nicht begünstigter Drittstaatsangehöriger und zum Zeitpunkt der Abschiebung nicht zum Aufenthalt in Österreich berechtigt.
Die Voraussetzungen des § 46 FPG waren vielmehr unstrittig gegeben und die Beschwerde gegen die Abschiebung war daher als unbegründet abzuweisen.
Sonstige außergewöhnliche Umstände, die die Abschiebung des BF nach Nigeria unzulässig machen könnten, sind im gegenständlichen Verfahren nicht hervorgetreten.
Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass der BF durch die von ihm mittels Maßnahmenbeschwerde bekämpfte Abschiebung am XXXX , die zur Durchsetzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erfolgte, nicht in seinen Rechten verletzt wurde.
3.3. Entfall einer mündlichen Verhandlung
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn (Z 1) der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder (Z 2) die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist. Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.
Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben, da der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage und des Inhaltes der Beschwerde geklärt war und Widersprüchlichkeiten in Bezug auf die für die gegenständliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltselemente nicht vorlagen.
3.4. Kostenersatz
3.4.1. Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden nach dieser Bestimmung die für Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist (für die Zeit vor Inkrafttreten des § 22a Abs. 1a BFA-VG s. VwGH 23.04.2015, Ro 2014/21/0077).
3.4.2. Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei. Die §§ 52 bis 54 VwGG sind gemäß Abs. 6 auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.
Dem BF gebührt als unterlegende Partei kein Kostenersatz. Die belangte Behörde ist auf Grund der Beschwerdeabweisung hinsichtlich des angefochtenen Bescheides obsiegende Partei, hat allerdings keinen Antrag auf Kostenersatz gestellt.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.
In der Beschwerde findet sich kein schlüssiger Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Die Entscheidung folgt der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
Die Revision war daher nicht zuzulassen.
Schlagworte
Abschiebung Ausreiseverpflichtung Ehe RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W171.2201132.2.00Im RIS seit
16.11.2020Zuletzt aktualisiert am
16.11.2020