TE Vfgh Erkenntnis 2020/10/6 G178/2020 (G178/2020-9)

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Veröffentlicht am 06.10.2020
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Index

40/01 Verwaltungsverfahrensgesetze außer Finanz- und Dienstrechtsverfahren

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art140 Abs1 Z1 litb
B-VG Art 140 Abs5 / Fristsetzung
VwGVG §33 Abs3, Abs4
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Aufhebung von Teilen einer Bestimmung des VerwaltungsgerichtsverfahrensG betreffend die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand; Verstoß gegen das rechtsstaatliche Gebot der Effektivität des Rechtsschutzes durch die Pflicht der Partei, selbst zu erforschen, wo eine Beschwerde anhängig ist, mangels Verständigungs- bzw Auskunftspflicht der Behörde gegenüber der Partei

Spruch

I. 1. Die Wortfolge "bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht" in §33 Abs3 erster Satz des Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl I Nr 33/2013, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

2. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. Juni 2021 in Kraft.

3. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

4. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

II. Die übrigen Wortfolgen in §33 Abs3 erster Satz sowie §33 Abs4 des Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl I Nr 33/2013, werden nicht als verfassungswidrig aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren

1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zahl E817/2019 eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

1.1. Nach Anzeige der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse (im Folgenden: BUAK) wurde der Beschwerdeführer mit Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom 13. Februar 2018 wegen einer Übertretung des §7i Abs5 AVRAG iVm §9 Abs1 VStG bestraft. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde einen Tag nach Ablauf der Beschwerdefrist (und sohin verspätet) bei der Behörde eingebracht und von dieser dem Verwaltungsgericht Wien vorgelegt. Die rechtsfreundliche Vertretung des Beschwerdeführers beantragte mit Schreiben vom 6. April 2018 die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß §71 AVG bei der Behörde. Das Verwaltungsgericht Wien brachte dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 17. April 2018 die Verspätung der Beschwerde zur Kenntnis. Die Behörde teilte dem Verwaltungsgericht Wien mit, dem Wiedereinsetzungsantrag mit Bescheid vom 20. April 2018 stattgegeben zu haben.

1.2. Das Verwaltungsgericht Wien gab mit Entscheidung vom 15. Jänner 2019 der Beschwerde der BUAK gegen den die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligenden Bescheid statt und behob den Bescheid. Den vom Beschwerdeführer gestellten Wiedereinsetzungsantrag sowie die Beschwerde gegen das Straferkenntnis wies es als verspätet zurück.

Begründend führt das Verwaltungsgericht Wien zur Beschwerde der BUAK gegen den Bescheid der Behörde, mit dem dem Wiedereinsetzungsantrag stattgegeben wurde, wie folgt aus: Auf den Wiedereinsetzungsantrag sei §33 VwGVG anzuwenden, weil es sich um ein Verfahren über eine im VwGVG geregelte Beschwerde handle. Da für die Behörde keine Verständigungspflicht gegenüber den Parteien über die Vorlage der Beschwerde an das Verwaltungsgericht bestehe, müsse ein Antragsteller erforschen, wo die Beschwerde anhängig sei. Zum Zeitpunkt der Antragstellung sei die Beschwerde bereits dem Verwaltungsgericht Wien vorgelegen, weshalb das Verwaltungsgericht Wien (und nicht die Behörde) zur Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag zuständig gewesen sei.

Zur Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrages führt das Verwaltungsgericht Wien aus, dass der Wiedereinsetzungsantrag beim Verwaltungsgericht Wien einzubringen gewesen wäre. Als sorgfältige berufsmäßige Parteienvertretung wäre es (nach der strengen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes) Sache der rechtsfreundlichen Vertretung gewesen, sich vor Einbringung des Wiedereinsetzungsantrages zu erkundigen, ob die (verspätet erhobene) Beschwerde gegen das Straferkenntnis bereits vorgelegt worden sei oder nicht. Eine Weiterleitung sei nach §6 AVG erfolgt; die eingetretene Verzögerung bei der Weiterleitung gehe jedenfalls zu Lasten der Partei, zumal gegen die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist keine Wiedereinsetzung stattfinde.

Die Zurückweisung der Beschwerde gegen das Straferkenntnis begründete das Verwaltungsgericht Wien damit, dass die Beschwerde unbestrittenermaßen erst einen Tag nach Ablauf der Beschwerdefrist (und sohin verspätet) per E-Mail bei der Behörde eingebracht worden sei.

2. Bei der Behandlung der gegen diese Entscheidung gerichteten Beschwerde sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §33 Abs3 erster Satz und Abs4 VwGVG entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher am 10. März 2020 beschlossen, diese Gesetzesbestimmungen von Amts wegen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.

3. Der Verfassungsgerichtshof legte seine Bedenken, die ihn zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens bestimmt haben, in seinem Prüfungsbeschluss wie folgt dar:

"3.1. Gemäß §33 Abs1 VwGVG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist oder eine mündliche Verhandlung versäumt hat und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Der Wiedereinsetzungsantrag ist in diesen Fällen bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht einzubringen (§33 Abs3 VwGVG); die Frist dafür beträgt zwei Wochen ab Wegfall des Hindernisses. Die versäumte Handlung ist gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag nachzuholen.

Über den Wiedereinsetzungsantrag gemäß §33 Abs1 VwGVG entscheidet bis zur Vorlage der Beschwerde die Behörde mit Bescheid, ab Vorlage der Beschwerde, das Verwaltungsgericht mit Beschluss (§33 Abs4 VwGVG). Die Bewilligung der Wiedereinsetzung bewirkt, dass das Verfahren in die Lage vor dem Eintritt der Versäumung zurücktritt. Die Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist ist ausgeschlossen (§33 Abs5 und 6 VwGVG).

3.2. Der Gesetzgeber lässt in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage erkennen, dass die neue Rechtslage (angepasst an die Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz) weitestgehend der bisherigen Rechtslage entspricht (Erläut RV 2009 BlgNR 24. GP, 7 f.):

'Die Bestimmungen über die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entsprechen weitgehend den Bestimmungen der §§69 bis 72 AVG mit den entsprechenden Anpassungen auf Grund der Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz. Durch den Ausschluss der Anwendung der IV. Teiles des AVG im vorgeschlagenen §17 sind Auslegungsprobleme, die sich aus der subsidiären Anwendbarkeit der Bestimmungen des AVG ergeben, ausgeschlossen. Für jene Rechtssachen, die durch die Behörde im Wege einer Beschwerdevorentscheidung oder der Nachholung eines Bescheides gemäß dem 2. Abschnitt des 2. Hauptstückes erledigt wurden, gelten für die Wiederaufnahme des Verfahrens die Bestimmungen des AVG. Über einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist soll die Behörde ebenso die Bestimmungen des AVG anzuwenden haben. Die §§32 und 33 beziehen sich auf jene Verfahren, die von den Verwaltungsgerichten geführt werden und auf den Vorlageantrag selbst. […]'

Gemäß §71 Abs4 AVG entscheidet über den Wiedereinsetzungsantrag die Behörde, bei der auch die versäumte Handlung vorzunehmen war (bzw die die versäumte Verhandlung angeordnet oder die unrichtige Rechtsmittelbelehrung erteilt hat). Mangels ausdrücklicher Anordnung im Gesetz ist der Wiedereinsetzungsantrag grundsätzlich bei der dafür zuständigen Behörde einzubringen. Im Falle der Versäumung einer Handlung ist der Wiedereinsetzungsantrag dort einzubringen, wo auch die versäumte Handlung vorzunehmen war (vgl §71 Abs3 und 4 AVG; VwGH 3.9.1998, 97/06/0023; 18.10.2000, 95/08/0330; vgl zur nicht mit hinreichender Deutlichkeit festgelegten Zuständigkeit iZm der Einbringung von Berufungen nach §71 Abs4 iVm §63 Abs5 AVG, VfSlg 13.816/1994).

Gemäß §17 VwGVG ist im verwaltungsgerichtlichen Verfahren die Anwendung des IV. Teiles des AVG ausgeschlossen, weshalb auch die Bestimmungen den Wiedereinsetzungsantrag betreffend (§§71 f. AVG) von den Verwaltungsgerichten grundsätzlich nicht anzuwenden sind. Daher wurde – im Wesentlichen dem bisherigen System entsprechend, aber an die Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz angepasst – eine Regelung über den Wiedereinsetzungsantrag in das VwGVG aufgenommen. Diese Regelung ist, entgegen den Erläuterungen, bei Versäumen der Beschwerdefrist auch von den Behörden anzuwenden (vgl VwGH 28.9.2016, Ro 2016/16/0013). §33 VwGVG legt nunmehr in Abs3 erster Satz fest, dass der Wiedereinsetzungsantrag – abhängig von der erfolgten Vorlage der Beschwerde – entweder bei der Behörde oder beim Verwaltungsgericht zu stellen ist. Die Zuständigkeit zur Entscheidung über einen Wiedereinsetzungsantrag richtet sich gemäß Abs4 leg cit ebenso nach dem Zeitpunkt der Vorlage der Beschwerde an das Verwaltungsgericht: Bis zur Vorlage entscheidet über den Wiedereinsetzungsantrag die Behörde, ab der Vorlage das Verwaltungsgericht.

4. Zur in §33 Abs4 VwGVG festgelegten Zuständigkeitsregelung hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass sich eine Auslegung verbietet, die es der belangten Behörde überlassen würde, wer über die Wiedereinsetzung zu entscheiden hat. Eine verfassungskonforme Interpretation führt dazu, dass Wiedereinsetzungsanträge, die bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde eingebracht werden, von dieser mit Bescheid zu entscheiden sind. Über jene Wiedereinsetzungsanträge, die ab Vorlage der Beschwerde an das Verwaltungsgericht gestellt werden, hat hingegen das Verwaltungsgericht mit Beschluss zu entscheiden. Maßgeblich ist daher der Zeitpunkt der Antragstellung; die Behörde kann sohin durch die Vorlage des Wiedereinsetzungsantrages keinen Übergang der Entscheidungspflicht auf das Verwaltungsgericht herbeiführen (vgl VwGH 28.9.2016, Ro 2016/16/0013 mit Hinweis auf VfSlg 13.816/1994; vgl auch VwGH 26.9.2018, Ra 2017/17/0015).

Ebenso auf die Vorlage der Beschwerde an das Verwaltungsgericht abstellend regelt §33 Abs3 erster Satz VwGVG, bei welcher Stelle der Wiedereinsetzungsantrag (in den Fällen des Abs1) einzubringen ist. Vor diesem Hintergrund, wonach die Bestimmung auf den Zeitpunkt der Vorlage der Beschwerde durch die Behörde abstellt und somit anscheinend der Wiedereinsetzungsantrag abhängig vom Verfahrensstadium bei unterschiedlichen (sich während eines laufenden Verfahrens ändernden) Stellen einzubringen ist, geht der Verfassungsgerichtshof vorläufig davon aus, dass §33 Abs3 erster Satz VwGVG dem Rechtsstaatsprinzip, dem Sachlichkeitsgebot und dem Bestimmtheitsgebot gemäß Art18 iVm Art83 Abs2 B-VG widersprechen dürfte:

4.1. Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes scheint die Bestimmung gegen das Rechtsstaatsprinzip zu verstoßen:

4.1.1. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner ständigen Rechtsprechung zum rechtsstaatlichen Prinzip ausgesprochen hat, müssen Rechtsschutzeinrichtungen ihrer Zweckbestimmung nach ein bestimmtes Mindestmaß an faktischer Effizienz für den Rechtsschutzwerber aufweisen, worunter insbesondere die Erlangung einer Entscheidung rechtsrichtigen Inhalts zu verstehen ist. Zu berücksichtigen sind in diesem Zusammenhang nicht nur die Position des Rechtsschutzwerbers, sondern auch Zweck und Inhalt der Regelung, ferner die Interessen Dritter sowie das öffentliche Interesse. Der Gesetzgeber hat unter diesen Gegebenheiten einen Ausgleich zu schaffen, wobei aber dem Grundsatz der faktischen Effizienz eines Rechtsbehelfes der Vorrang zukommt und dessen Einschränkung nur aus sachlich gebotenen, triftigen Gründen zulässig ist (vgl VfSlg 11.196/1986, 12.409/1990, 13.003/1992, 14.374/1995, 16.994/2003, 19.921/2014, 20.239/2018). Das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dient in erster Linie dem individuellen Rechtsschutz und dürfte daher mit der rechtsstaatlich gebotenen Effektivität des Rechtsschutzes in Zusammenhang stehen (VfGH 28.2.2019, WIV6/2018).

Das in Art18 Abs1 B-VG verankerte Rechtsstaatsprinzip gebietet, dass Gesetze einen Inhalt haben müssen, durch den das Verhalten der Behörde oder des Gerichts vorherbestimmt ist. Angesichts der unterschiedlichen Lebensgebiete, Sachverhalte und Rechtsfolgen, die Gegenstand und Inhalt gesetzlicher Regelung sein können, ist dabei ganz allgemein davon auszugehen, dass Art18 Abs1 B-VG einen dem jeweiligen Regelungsgegenstand adäquaten Determinierungsgrad verlangt (zB VfSlg 19.700/2012 mwN, 20.235/2018).

4.1.2. Es scheint für den Antragsteller nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellbar zu sein, ob eine Vorlage der Beschwerde erfolgt ist oder (noch) nicht, weshalb er erforschen müsste, wo die Beschwerde anhängig ist (vgl Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte², 2019, §33 VwGVG, K 14; §12 VwGVG, K 1; §20 VwGVG, K 4 und 7; Gruber, §12 VwGVG, in: Götzl/Gruber/Reisner/Winkler, Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte², 2017, Rz 6 f.; vgl auch zur vergleichbaren Bestimmung ders., §46 VwGG, in: Götzl/Gruber/Reisner/Winkler², Rz 3 mwN; §24 VwGG, Rz 3). Dieser Umstand dürfte im Ermessen der Behörde liegen und sich sohin während des laufenden Verfahrens ändern (vgl §14 Abs2 VwGVG). Der Zeitpunkt der erfolgten Vorlage der Beschwerde an das Verwaltungsgericht ist für die Rechtzeitigkeit des Rechtsbehelfs maßgebend. Rechtzeitig ist ein Wiedereinsetzungsantrag, wenn er innerhalb der zweiwöchigen Frist (bei der zuständigen Stelle) erhoben wird. Auf Grund der Frist von zwei Wochen dürfte auch das Weiterleitungsgebot nach §6 Abs1 AVG dem Antragsteller nicht zu einer rechtzeitigen Einbringung verhelfen (vgl Eder/Martschin/Schmid², §33 VwGVG, K 14); eine Weiterleitung an die zuständige Stelle innerhalb der (relativ kurzen) Frist scheint nahezu ausgeschlossen.

Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig von folgender Annahme aus: Soweit ein Wiedereinsetzungsantrag nicht rechtzeitig bei der (gesetzlich vorgesehenen) Einbringungsstelle eingebracht wird, wäre dieser zurückzuweisen. Damit würde der Antragsteller die Möglichkeit verlieren, dass über diesen Rechtsbehelf der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand inhaltlich entschieden wird. Mangels Wiedereinsetzung des Verfahrens wäre damit auch die Zurückweisung der Beschwerde als verspätet verbunden. Der Antragsteller dürfte sohin nicht nur einen Rechtsbehelf verlieren, sondern auch die Möglichkeit der Überprüfung der inhaltlichen Entscheidung im zugrunde liegenden Verfahren. Mit dem Wechsel der in §33 Abs3 erster Satz VwGVG vorgesehenen (variierenden) Einbringungsstellen sind also erhebliche Auswirkungen für den Antragsteller verbunden.

Wenngleich ein Wiedereinsetzungsantrag, der gleichzeitig mit der (erstmals erhobenen) Beschwerde gestellt wird, jedenfalls bei der Behörde einzubringen ist (eine bereits erfolgte Vorlage scheidet in diesem Fall aus), kann damit das Bedenken des Verfassungsgerichtshofes nicht beseitigt werden. Es ist anzunehmen, dass eine nicht unbeträchtliche Anzahl an Fällen gerade jene Konstellation betrifft, in der ein Wiedereinsetzungsantrag erst nach (verspätet) erhobener Beschwerde gestellt wird.

4.1.3. Nach §33 Abs3 erster Satz VwGVG müsste der Antragsteller jeweils tagesaktuell 'erforschen, wo die Beschwerde anhängig ist' (Eder/Martschin/Schmid², §33 VwGVG, K 14). Vor dem Hintergrund, dass zum einen keine Verständigung der Parteien über die Vorlage der Beschwerde vorgesehen ist (vgl Eder/Martschin/Schmid², §20 VwGVG, K 4 und 7) und zum anderen ein Anspruch auf eine rechtsförmliche Auskunft mit entsprechendem Nachweis zur Bescheinigung einer eingeholten Auskunft fehlt, scheint die Regelung im Lichte des rechtsstaatlichen Prinzips den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht zu entsprechen. Auch das Risiko einer (irrtümlich) falsch erteilten Auskunft dürfte mangels eines Nachweises der Antragsteller tragen. Hinzu kommt, dass eine Wiedereinsetzung gegen die Versäumung einer Wiedereinsetzungsfrist nach §33 Abs6 VwGVG ausgeschlossen ist (vgl zur gleichlautenden Bestimmung des §46 Abs6 VwGG, VwGH 16.12.2014, Ra 2014/19/0093). Wenngleich mit einer doppelten Einbringung des Wiedereinsetzungsantrages sowohl bei der Behörde als auch beim Verwaltungsgericht (vgl Gruber, §12 VwGVG, in: Götzl/Gruber/Reisner/Winkler², Rz 7) die rechtzeitige Einbringung gewährleistet werden könnte, scheint eine Bestimmung, die eine doppelte Einbringung erforderlich macht, dem Rechtsstaatsprinzip und dem daraus abgeleiteten Grundsatz der Effektivität des Rechtsschutzes zu widersprechen.

4.1.4. Der in §33 Abs3 erster Satz VwGVG geregelte Zeitpunkt, zu dem der Wiedereinsetzungsantrag bei der einen oder anderen Einbringungsstelle einzubringen ist, scheint unklar. Denkbar wäre es, den Zeitpunkt der Vorlage der Beschwerde entweder mit Einlangen beim Verwaltungsgericht oder mit Absenden durch die Behörde anzunehmen:

Unter der vorläufigen Annahme, dass der maßgebende Zeitpunkt das tatsächliche Einlangen der Beschwerde beim Verwaltungsgericht ('ab Vorlage') ist (vgl idS Eder/Martschin/Schmid², §33 VwGVG, K 14; §20 VwGVG, K 8), würde dies mit §34 Abs1 VwGVG übereinstimmen: Erst mit tatsächlichem Einlangen der Beschwerde beginnt die Entscheidungsfrist zu laufen (vgl VwGH 13.2.2018, Fr 2017/11/0017 mwN). Nicht ausgeschlossen wäre aber, dass sich jener Zeitraum, in dem die Beschwerde dem Verwaltungsgericht übermittelt wird, mit der (relativ kurzen) Wiedereinsetzungsfrist überschneidet: Ein Wiedereinsetzungsantrag wäre demnach während des Zeitraumes der Beschwerdeübermittlung (Postlauf) bei der Behörde einzubringen. Erst ab dem – nicht vorhersehbaren – Tag des Einlangens der (vorgelegten) Beschwerde wäre der Wiedereinsetzungsantrag beim Verwaltungsgericht zu stellen. Einen an diesem Tag an die Behörde adressierten (bei dieser eingebrachten) Wiedereinsetzungsantrag müsste die Behörde dem Verwaltungsgericht weiterleiten. Dies würde auf Gefahr des Einschreiters geschehen (§6 Abs1 AVG), womit eine rechtzeitige Antragstellung (nahezu) ausgeschlossen scheint.

Sollte der maßgebende Zeitpunkt hingegen das Absenden der Beschwerde durch die Behörde ('bis zur Vorlage') sein, wäre jedenfalls mit diesem Tag die Einbringungsstelle bestimmt; die Dauer des Postlaufes wäre somit für den Antragsteller unerheblich. Weiterhin bliebe für den Antragsteller jener Zeitraum unklar, in dem die Behörde entscheidet, ob sie die Beschwerde vorlegt (und von einer Beschwerdevorentscheidung absieht, §14 Abs2 VwGVG): Ab dem – nicht vorhersehbaren – Tag des Absendens müsste der Wiedereinsetzungsantrag beim Verwaltungsgericht eingebracht werden. Zu diesem Zeitpunkt könnte aber das Verwaltungsgericht gegebenenfalls noch keine Kenntnis von seiner Zuständigkeit (als Einbringungsstelle) erlangt haben, zumal es von (der Vorlage) der Beschwerde erst mit deren Einlangen erfährt.

4.1.5. Im Hinblick darauf, dass Unklarheiten über die Zeitpunkte 'bis zur Vorlage' und 'ab Vorlage' bestehen, scheint überdies auch ein mögliches Auseinanderfallen derselben nicht gänzlich ausgeschlossen zu sein. Es könnte daher ein Zeitraum entstehen, in dem ein Wiedereinsetzungsantrag weder bei der Behörde noch beim Verwaltungsgericht einzubringen wäre.

4.1.6. Dabei verkennt der Verfassungsgerichtshof nicht das System, das dem VwGVG bezüglich der Einbringungsstelle für Schriftsätze zugrunde liegt: Gemäß §§12, 20 VwGVG sind Schriftsätze bis zur Vorlage der Beschwerde bei der belangten Behörde, ab Vorlage beim Verwaltungsgericht einzubringen. Für Wiedereinsetzungsanträge nach §33 Abs1 VwGVG wird dies in Abs3 erster Satz leg cit, für Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe in §8a Abs3 VwGVG gesondert festgelegt.

4.1.7. Zusammenfassend vermag der Verfassungsgerichtshof dennoch im Hinblick auf die spezifische Konstellation des Rechtsbehelfs der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vorläufig keine dem rechtsstaatlichen Prinzip entsprechende Regelung in §33 Abs3 erster Satz VwGVG zu erkennen: Weder erfolgt eine Verständigung der Parteien über den Zeitpunkt der Vorlage, noch ist dieser für die Parteien mit der erforderlichen Sicherheit feststellbar. Mit der Unkenntnis über die Einbringungsstelle sind zudem beträchtliche Auswirkungen für den Antragsteller verbunden. Da es sich um einen fristgebundenen Antrag handelt, der binnen zwei Wochen zu stellen ist, ist eine (rechtzeitige) Weiterleitung nach §6 Abs1 AVG nahezu ausgeschlossen. Auch kann eine Wiedereinsetzung gegen die Versäumung einer Wiedereinsetzungsfrist nicht stattfinden. Damit einher geht der Verlust einer inhaltlichen Entscheidung (über den Wiedereinsetzungsantrag und über die Beschwerde). Zudem dürfte ein Zeitraum, in dem gar keine Einbringungsstelle definiert ist, nicht völlig ausgeschlossen sein. Vor diesem Hintergrund scheint die Bestimmung dem Rechtsstaatsprinzip zu widersprechen.

4.2. Die Bestimmungen dürften überdies deswegen bedenklich sein, weil im Hinblick auf Zuständigkeitsregelungen gemäß Art18 iVm Art83 Abs2 B-VG besonders strenge Determinierungsanforderungen gelten: Nach Art83 Abs2 B-VG darf niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Diese Verfassungsnorm bindet nicht nur die Vollziehung, sondern auch die Gesetzgebung. Das bedeutet, dass die sachliche Zuständigkeit einer Behörde – wie der Verfassungsgerichtshof schon wiederholt ausgesprochen hat (VfSlg 2909/1955, 3156/1957, 6675/1972) – im Gesetz selbst festgelegt sein muss. Art18 iVm Art83 Abs2 B-VG verpflichtet den Gesetzgeber zu einer – strengen Prüfungsmaßstäben standhaltenden – präzisen Regelung der Behördenzuständigkeit (vgl auch VfSlg 3994/1961, 5698/1968, 9937/1984, 10.311/1984, 13.029/1992, 13.816/1994, 16.794/2003, 17.086/2003, 18.639/2008). Regelungen, die Zuständigkeitsfestlegungen, vergleichbar zentrale Fragen der Verwaltungsgerichtsbarkeit oder unmittelbar mit zentralen Fragen des Rechtsschutzes verbundene Verfahrensregelungen zum Inhalt haben, müssen somit den strengen, aus dem Legalitätsprinzip des Art18 Abs1 iVm Art83 Abs2 B-VG erfließenden Anforderungen entsprechen (vgl VfSlg 19.965/2015, 19.970/2015; vgl auch VfSlg 13.816/1994).

Ob eine Vorschrift die erforderliche Bestimmtheit aufweist, hängt nicht zuletzt von den mit der Auslegung verbundenen Folgen ab. Der mögliche unbeabsichtigte Verlust eines Rechtsbehelfes ist ein gewichtiger Gesichtspunkt (vgl zum Verlust einer Instanz, VfSlg 13.816/1994). Eine gesetzliche Regelung, die nicht klar erkennen lässt, wo das Rechtsmittel einzubringen ist, könnte auch im Widerspruch zu Art18 iVm Art83 Abs2 B-VG stehen (vgl VfSlg 19.970/2015).

4.3. §33 Abs3 erster Satz VwGVG dürfte auch mit dem Sachlichkeitsgebot (welches dem Gleichheitsgebot immanent ist, vgl zB VfSlg 11.934/1988, 14.039/1995) nicht in Einklang stehen:

Der Gleichheitsgrundsatz bindet auch den Gesetzgeber (s etwa VfSlg 13.327/1993, 16.407/2001). Er setzt ihm insofern inhaltliche Schranken, als er verbietet, sachlich nicht begründbare Regelungen zu treffen (vgl zB VfSlg 14.039/1995, 16.407/2001). Innerhalb dieser Schranken ist es dem Gesetzgeber jedoch von Verfassungs wegen durch den Gleichheitsgrundsatz nicht verwehrt, seine politischen Zielvorstellungen auf die ihm geeignet erscheinende Art zu verfolgen (s etwa VfSlg 16.176/2001, 16.504/2002). Diese Schranken scheinen im vorliegenden Fall jedoch überschritten zu sein.

Wie der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung festgehalten hat, darf einem Rechtsschutzsuchenden die Anrufung der zuständigen Behörde nicht unnötig erschwert werden. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn der Gesetzgeber den Rechtsschutzsuchenden mit weitreichenden, durch die Rechtssache nicht gebotenen Vorkehrungen als Voraussetzung für das Herantreten an die Behörde belastet. Eine Regelung dieser Art ist – vom Blickpunkt des auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgebotes her betrachtet – deshalb verfassungswidrig, weil sie dem Sachlichkeitsgebot (welches dem Gleichheitsgebot immanent ist) widerstreitet (VfSlg 14.039/1995 mwN).

§33 Abs3 erster Satz VwGVG verfolgt offenbar den Zweck, die Weiterleitung eines Wiedereinsetzungsantrages zwischen Behörde und Verwaltungsgericht zu vermeiden; dies dürfte der Vereinfachung von Verfahrensabläufen dienen. Dem steht allerdings zum einen die auferlegte Erforschungspflicht und zum anderen das Risiko des Antragstellers gegenüber, den Wiedereinsetzungsantrag rechtzeitig bei der richtigen/zuständigen Stelle einzubringen (siehe dazu schon die Ausführungen in Rz 31 ff.). Für den Verfassungsgerichtshof ist vorderhand keine sachliche Rechtfertigung für die oben dargelegten nachteiligen Auswirkungen für den Antragsteller ersichtlich.

5. Vor dem Hintergrund der Bedenken ist davon auszugehen, dass §33 Abs3 erster Satz und Abs4 VwGVG in einem Zusammenhang stehen. Ob die Bestimmungen in einem untrennbaren Zusammenhang stehen, wird schließlich im Gesetzesprüfungsverfahren zu klären sein.

6. Es wird auch zu prüfen sein, ob zur Beseitigung der allfälligen Verfassungswidrigkeit die Aufhebung eines Teiles des §33 Abs3 erster Satz VwGVG ausreichen könnte."

4. Die Bundesregierung hat von der Erstattung einer meritorischen Äußerung Abstand genommen und beantragt, für den Fall der Aufhebung eine Frist von 18 Monaten zu bestimmen, um unter Berücksichtigung des zusätzlichen Zeitaufwands für die notwendige Ermöglichung der Mitwirkung der Länder zeitgerecht die allenfalls notwendige Ersatzregelung schaffen zu können.

5. Die BUAK hat als Partei des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht Wien eine Äußerung erstattet, in der sie die Ansicht des Verfassungsgerichtshofes nicht in Frage stellt. Hingewiesen wird darauf, dass es dem Verfassungsgerichtshof nicht möglich sei, fehlende Normen zu ergänzen, sondern lediglich Normen aufzuheben, wenn diese verfassungswidrig seien. Zudem nimmt die BUAK zum Antrag auf Wiedereinsetzung insofern Stellung, als dieser inhaltlich nicht berechtigt und daher abzuweisen gewesen wäre.

II. Rechtslage

1. Die maßgeblichen Bestimmungen des VwGVG, BGBl I 33/2013, lauten wie folgt (die in Prüfung gezogenen Bestimmungen sind hervorgehoben):

"Schriftsätze

§12. Bis zur Vorlage der Beschwerde an das Verwaltungsgericht sind die Schriftsätze bei der belangten Behörde einzubringen. Dies gilt nicht in Rechtssachen gemäß Art130 Abs1 Z2 B-VG.

Schriftsätze

§20. Die Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art130 Abs1 Z2 B-VG und die sonstigen Schriftsätze im Verfahren über diese sind unmittelbar beim Verwaltungsgericht einzubringen. In allen sonstigen Verfahren sind die Schriftsätze ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht unmittelbar bei diesem einzubringen.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

§33. (1) Wenn eine Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis – so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat – eine Frist oder eine mündliche Verhandlung versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, so ist dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

(2) Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Stellung eines Vorlageantrags ist auch dann zu bewilligen, wenn die Frist versäumt wurde, weil die anzufechtende Beschwerdevorentscheidung fälschlich ein Rechtsmittel eingeräumt und die Partei das Rechtsmittel ergriffen hat oder die Beschwerdevorentscheidung keine Belehrung zur Stellung eines Vorlageantrags, keine Frist zur Stellung eines Vorlageantrags oder die Angabe enthält, dass kein Rechtsmittel zulässig sei.

(3) Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist in den Fällen des Abs1 bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses zu stellen. In den Fällen des Abs2 ist der Antrag binnen zwei Wochen

       1. nach Zustellung eines Bescheides oder einer gerichtlichen Entscheidung, der bzw die das Rechtsmittel als unzulässig zurückgewiesen hat, bzw

       2. nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Stellung eines Antrags auf Vorlage Kenntnis erlangt hat,

bei der Behörde zu stellen. Die versäumte Handlung ist gleichzeitig nachzuholen.

(4) Bis zur Vorlage der Beschwerde hat über den Antrag die Behörde mit Bescheid zu entscheiden. §15 Abs3 ist sinngemäß anzuwenden. Ab Vorlage der Beschwerde hat über den Antrag das Verwaltungsgericht mit Beschluss zu entscheiden. Die Behörde oder das Verwaltungsgericht kann dem Antrag auf Wiedereinsetzung die aufschiebende Wirkung zuerkennen.

(5) Durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat.

(6) Gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrags findet keine Wiedereinsetzung statt."

2. Mit BGBl I 24/2017 wurde in §33 VwGVG folgender Abs4a eingefügt:

"(4a) Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Stellung eines Antrags auf Ausfertigung einer Entscheidung gemäß §29 Abs4 ist auch dann zu bewilligen, wenn die Frist versäumt wurde, weil auf das Erfordernis eines solchen Antrags als Voraussetzung für die Erhebung einer Revision beim Verwaltungsgerichtshof und einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof nicht hingewiesen wurde oder dabei die zur Verfügung stehende Frist nicht angeführt war. Der Antrag ist binnen zwei Wochen

       1. nach Zustellung einer Entscheidung, die einen Antrag auf Ausfertigung der Entscheidung gemäß §29 Abs4, eine Revision beim Verwaltungsgerichtshof oder eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof als unzulässig zurückgewiesen hat, bzw

       2. nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit eines Antrags auf Ausfertigung der Entscheidung gemäß §29 Abs4 Kenntnis erlangt hat,

beim Verwaltungsgericht zu stellen. Die versäumte Handlung ist gleichzeitig nachzuholen. Über den Antrag entscheidet das Verwaltungsgericht."

3. §71 AVG, BGBl 51/1991 idF BGBl I 33/2013, lautet:

"Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

§71. (1) Gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn:

       1. die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, oder

       2. die Partei die Rechtsmittelfrist versäumt hat, weil der Bescheid keine Rechtsmittelbelehrung, keine Rechtsmittelfrist oder fälschlich die Angabe enthält, daß kein Rechtsmittel zulässig sei.

(2) Der Antrag auf Wiedereinsetzung muß binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses oder nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Berufung Kenntnis erlangt hat, gestellt werden.

(3) Im Fall der Versäumung einer Frist hat die Partei die versäumte Handlung gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag nachzuholen.

(4) Zur Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist die Behörde berufen, bei der die versäumte Handlung vorzunehmen war oder die die versäumte Verhandlung angeordnet oder die unrichtige Rechtsmittelbelehrung erteilt hat.

(5) Gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrages findet keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand statt.

(6) Die Behörde kann dem Antrag auf Wiedereinsetzung aufschiebende Wirkung zuerkennen.

(7) Der Wiedereinsetzungsantrag kann nicht auf Umstände gestützt werden, die die Behörde schon früher für unzureichend befunden hat, um die Verlängerung der versäumten Frist oder die Verlegung der versäumten Verhandlung zu bewilligen."

III. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Antrages

Im Verfahren hat sich nichts ergeben, was an der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmungen zweifeln ließe. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich das Gesetzesprüfungsverfahren insgesamt als zulässig.

2. In der Sache

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hält seine im Prüfungsbeschluss geäußerten Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des §33 Abs3 erster Satz VwGVG aufrecht. Die Wortfolge "bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht" in §33 Abs3 erster Satz VwGVG widerspricht dem Rechtsstaatsprinzip und dem Sachlichkeitsgebot und ist daher als verfassungswidrig aufzuheben:

2.1.1. Das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dient in erster Linie dem individuellen Rechtsschutz und steht daher mit der rechtsstaatlich gebotenen Effektivität des Rechtsschutzes in Zusammenhang (VfGH 28.2.2019, WIV6/2018).

Für die Rechtzeitigkeit des Rechtsbehelfs, der innerhalb von zwei Wochen ab Wegfall des Hindernisses bei der Einbringungsstelle einzubringen ist, ist der Zeitpunkt der erfolgten Vorlage der Beschwerde an das Verwaltungsgericht maßgebend. Jedoch ist für den Antragsteller nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellbar, ob eine Vorlage der Beschwerde erfolgt ist oder (noch) nicht. Er müsste daher erforschen, wo die Beschwerde anhängig ist.

Vor dem Hintergrund, dass zum einen keine Verständigung der Parteien über die Vorlage der Beschwerde vorgesehen ist und zum anderen ein Anspruch auf eine rechtsförmliche Auskunft mit entsprechendem Nachweis zur Bescheinigung einer eingeholten Auskunft fehlt, entspricht die Regelung im Lichte des rechtsstaatlichen Prinzips nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen.

2.1.2. Dem Zweck, die Weiterleitung von Wiedereinsetzungsanträgen zwischen Behörde und Verwaltungsgericht zu vermeiden, steht zum einen die dem Antragsteller auferlegte Erforschungspflicht und zum anderen dessen Risiko gegenüber, den Wiedereinsetzungsantrag rechtzeitig bei der richtigen/zuständigen Stelle einzubringen. Für den Verfassungsgerichtshof ist keine sachliche Rechtfertigung für die mit der Regelung verbundenen nachteiligen Auswirkungen für den Antragsteller ersichtlich.

2.1.3. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken.

2.2. Der Verfassungsgerichtshof hat den Umfang der zu prüfenden und allenfalls aufzuhebenden Bestimmungen derart abzugrenzen, dass einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, als Voraussetzung für den Anlassfall ist, dass aber andererseits der verbleibende Teil keine Veränderung seiner Bedeutung erfährt; da beide Ziele gleichzeitig niemals vollständig erreicht werden können, ist in jedem Einzelfall abzuwägen, ob und inwieweit diesem oder jenem Ziel der Vorrang vor dem anderen gebührt (VfSlg 7376/1974, 16.929/2003, 16.989/2003, 17.057/2003, 18.227/2007, 19.166/2010, 19.698/2012).

2.2.1. §33 Abs3 erster Satz VwGVG regelt abgesehen von der Einbringungsstelle auch die Frist, innerhalb welcher ein Wiedereinsetzungsantrag zu stellen ist. Um die im Prüfungsbeschluss dargelegte Verfassungswidrigkeit zu beseitigen, ist es ausreichend, lediglich die Wortfolge "bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht" aufzuheben. Dass der Wiedereinsetzungsantrag in den Fällen des Abs1 binnen zwei Wochen ab Wegfall des Hindernisses zu stellen ist, begegnet jedoch – bei entsprechender Klarheit der Bestimmung – für sich allein keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

2.2.2. Vor dem Hintergrund der Bedenken stehen – wie schon im Prüfungsbeschluss dargelegt – §33 Abs3 erster Satz und Abs4 VwGVG in einem Regelungszusammenhang. Im Zuge des Verfahrens hat sich jedoch nicht ergeben, dass sie auch in einem untrennbaren Zusammenhang stehen: §33 Abs3 erster Satz VwGVG regelt, wo ein Wiedereinsetzungsantrag einzubringen ist; demgegenüber legt Abs4 leg cit die davon zu unterscheidende Zuständigkeit fest, über diesen Wiedereinsetzungsantrag (mit Bescheid bzw Beschluss) zu entscheiden (vgl VwGH 28.9.2016, Ro 2016/16/0013 mit Hinweis auf VfSlg 13.816/1994 sowie VwGH 26.9.2018, Ra 2017/17/0015).

IV. Ergebnis

1. Die Wortfolge "bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht" in §33 Abs3 erster Satz VwGVG wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Hingegen sind die übrigen Wortfolgen in §33 Abs3 erster Satz sowie §33 Abs4 VwGVG nicht als verfassungswidrig aufzuheben.

2. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstelle gründet sich auf Art140 Abs5 dritter und vierter Satz B-VG.

3. Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B-VG.

4. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 VfGG iVm §3 Z3 BGBlG.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Wiedereinsetzung, Verwaltungsgerichtsverfahren, Rechtsschutz, Rechtsstaatsprinzip, VfGH / Verwerfungsumfang, VfGH / Fristsetzung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:G178.2020

Zuletzt aktualisiert am

06.04.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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