TE Vwgh Erkenntnis 1997/10/2 95/18/0974

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Veröffentlicht am 02.10.1997
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs3;
AVG §63 Abs5;
AVG §66 Abs4;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):95/18/0975 E 2. Oktober 1997

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Rigler, Dr. Handstanger und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Keller, über die Beschwerde des I, vertreten durch den gesetzlichen Vertreter Yusuf Kilincasan, beide in Wien, beide vertreten durch Dr. Erwin Dick, Rechtsanwalt in 1120 Wien, Hilschergasse 25/15, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 23. März 1995, Zl. 105.453/3-III/11/94, betreffend Zurückweisung einer Berufung in Angelegenheit einer Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.860,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem Bescheid des Bundesministers für Inneres (der belangten Behörde) vom 23. März 1995 wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 27. Juli 1994 gemäß § 66 Abs. 4 AVG zurückgewiesen.

Die belangte Behörde führte begründend aus, daß die Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides rechtswirksam am 3. August 1994 erfolgt, die Berufung jedoch erst am 19. August 1994, und daher verspätet, eingebracht worden sei.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, den angefochtenen Bescheid aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der Beschwerdeführer tritt der Annahme der belangten Behörde, daß die Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides durch Hinterlegung am 3. August 1994 rechtswirksam erfolgt sei, insofern entgegen, als er behauptet, sich ab 30. Juli 1994 in der Türkei aufgehalten zu haben und erst am 17. August 1994 an die Abgabestelle zurückgekehrt zu sein.

2. Gemäß § 17 Abs. 1 ZustG ist dann, wenn die Sendung an der Abgabestelle nicht zugestellt werden kann und der Zusteller Grund zur Annahme hat, daß sich der Empfänger regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, das Schriftstück im Falle der Zustellung durch die Post beim zuständigen Postamt zu hinterlegen. Nach Abs. 2 dieser Bestimmung ist der Empfänger von der Hinterlegung schriftlich zu verständigen. Gemäß § 17 Abs. 3 leg. cit. ist die hinterlegte Sendung mindestens zwei Wochen zur Abholung bereit zu halten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem die Sendung erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Sendungen gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, daß der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem die hinterlegte Sendung behoben werden könnte.

Unterlaufen bei der Zustellung Mängel, so gilt sie gemäß § 7 ZustG in dem Zeitpunkt vollzogen, in dem das Schriftstück der Person, für die es bestimmt ist (Empfänger), tatsächlich zugekommen ist.

3. Nach Ausweis des Verwaltungsaktes wurde der angefochtene Bescheid am 3. August 1994 beim Postamt 1123 Wien hinterlegt. Der Beginn der Abholfrist ist ebenfalls mit 3. August 1994 angegeben.

Unter der Annahme, daß die Abholfrist im gegenständlichen Fall die gesetzliche Mindestdauer von zwei Wochen überschritten haben sollte, wäre von einer rechtswirksamen Zustellung durch Hinterlegung gemäß § 17 Abs. 3 vierter Satz ZustG auszugehen. Sollte die Abholfrist jedoch lediglich die gesetzliche Mindestdauer betragen haben, wäre die Zustellung nicht an dem der Rückkehr an die Angabestelle folgenden Tag wirksam geworden, weil dieser schon außerhalb der Abholfrist gelegen wäre. Dieser Zustellmangel wäre jedoch gemäß § 7 ZustG durch tatsächliches Zukommen des Schriftstückes an den Beschwerdeführer geheilt.

Die Zustellung des angefochtenen Bescheides an den Beschwerdeführer wäre daher frühestens am 17. August 1994 (wenn die Behebung des Schriftstückes noch am Tag der Rückkehr erfolgt sein sollte) oder spätestens am 18. August 1994 (dem Tag der Verfassung der Berufung) rechtswirksam geworden.

4. Vor Zurückweisung einer Berufung als verspätet hat die Behörde entweder von Amts wegen zu prüfen, ob ein Zustellmangel unterlaufen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. Dezember 1951, Slg. NF. Nr. 2367/A), wenn nämlich Umstände auf einen solchen hinweisen, oder dem Berufungswerber die offenbare Verspätung seines Rechtsmittels vorzuhalten; unterläßt sie dies, so kann der Berufungswerber ohne Verstoß gegen das Neuerungsverbot den Zustellmangel in seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof dartun (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 23. März 1988, Zl. 88/18/0048). Geht die Behörde von der Feststellung der Versäumung der Rechtsmittelfrist aus, ohne dies dem Berufungswerber vorgehalten zu haben, so hat sie das Risiko einer Bescheidaufhebung zu tragen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. März 1994, Zl. 94/10/0010, mwN).

5. Der belangten Behörde, die die Feststellung der Versäumung der Berufungsfrist dem Beschwerdeführer vor Erlassung des die Berufung zurückweisenden Bescheides nicht vorgehalten hat, ist somit ein Verfahrensfehler unterlaufen, wobei im Hinblick auf die Darlegungen der Beschwerde und die vorgelegte Fotokopie des Reisepasses nicht ausgeschlossen werden kann, daß die Behörde bei Vermeidung des Verfahrensfehlers zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

6. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Das Kostenersatzbegehren war insoweit abzuweisen, als der Schriftsatzaufwand den die (Umsatzsteuer beinhaltenden) Pauschalsatz übersteigt und als unter dem Titel "Eingabengebühr" der Ersatz von Stempelmarken für eine dritte, zur Beschwerdeführung aber nicht notwendige Beschwerdeausfertigung begehrt wird.

Schlagworte

Verfahrensbestimmungen BerufungsbehördeSachverhalt Neuerungsverbot Allgemein (siehe auch Angenommener Sachverhalt)Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Rechtsmittelverfahren BerufungInhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995180974.X00

Im RIS seit

20.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

22.04.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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