TE Vwgh Beschluss 2020/10/21 Ra 2020/19/0179

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Veröffentlicht am 21.10.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §53
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, in der Revisionssache des Z K, vertreten durch Dr. Peter Lechenauer und Dr. Margrit Swozil, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Hubert-Sattler-Gasse 10, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Jänner 2020, Zl. W129 1241105-3/39E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 10. Mai 2005 wurde dem Revisionswerber, einem der Volksgruppe der Tschetschenen zugehörigen russischen Staatsangehörigen, im Familienverfahren nach § 10 Abs. 2 AsylG 1997 Asyl gewährt und gemäß § 12 AsylG 1997 festgestellt, dass dem Revisionswerber kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

Der Vater des Revisionswerbers sei als tschetschenischer Separatist mehrfach inhaftiert und schweren körperlichen Übergriffen ausgesetzt gewesen und werde mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus politischen Gründen in Verbindung mit seiner ethnischen Herkunft als Gegner der russischen Behörden angesehen.

2        Im August 2018 leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) infolge wiederholter Straffälligkeit unter anderem wegen Raubes, Nötigung, Erpressung und grob fahrlässiger Körperverletzung des Revisionswerbers über einen Zeitraum von neun Jahren ein Aberkennungsverfahren ein.

Mit Bescheid des BFA vom 12. September 2018 wurde dem Revisionswerber der Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 2 AsylG 2005 aberkannt und festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme. Dem Revisionswerber wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt und kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt. Das BFA erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in die Russische Föderation zulässig sei. Gleichzeitig wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Unter einem erließ das BFA ein auf die Dauer von sieben Jahren und sechs Monaten befristetes Einreiseverbot.

3        Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) wies die dagegen erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit der Maßgabe ab, dass das Einreiseverbot auf vier Jahre herabgesetzt wurde. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das BVwG für nicht zulässig.

4        In der Begründung führte das BVwG aus, die entscheidungsrelevante Lage in Tschetschenien habe sich seit dem Zeitpunkt der Asylzuerkennung im Jahr 2005 wesentlich geändert. Insbesondere sei infolge Beendigung des zweiten Tschetschenienkrieges eine nachhaltige Änderung der Sicherheits- und Menschenrechtslage eingetreten und sei nach den Länderfeststellungen nicht mehr von einer Verfolgung von Veteranen der Tschetschenien-Kriege auszugehen. Der Revisionswerber habe auch keine konkrete, individuell gegen ihn gerichtete Verfolgung vorgebracht. Da er sich zuletzt wegen der Absolvierung des Führerscheins im Herkunftsstaat aufgehalten habe und kein Hinweis darauf vorliege, dass er einer gezielten behördlichen Suche ausgesetzt gewesen sei, könne nicht erkannt werden, dass ein die Asylgewährung erforderlich machender Sachverhalt vorliege.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

6        In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit ausgeführt, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten das Vorliegen eines Verbrechens anhand der Definition des § 17 StGB gegeben sein müsse.

Dem ist entgegenzuhalten, dass das BVwG die Aberkennung auf den Endigungsgrund des Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK („Wegfall der Umstände“-Klausel) und nicht auf einen Ausschlussgrund stützte. Eine Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum herangezogenen Endigungsgrund macht die Revision nicht geltend.

7        Die Revision bringt zur Zulässigkeit zudem vor, das BVwG habe auf Grundlage veralteter, nicht mehr aktueller Länderfeststellungen entschieden. Ebenso sei es erforderlich, dass das BVwG einen Vergleich zwischen den Feststellungen zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Schutzstatus und jenen zum Zeitpunkt der Aberkennung vornehme, was gegenständlich nicht erfolgt wäre.

Ausgehend davon, dass - nach den vorliegenden Akten - das BVwG für die von ihm im angefochtenen Erkenntnis getroffenen Länderfeststellungen das im Entscheidungszeitpunkt aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zur Russischen Föderation vom 30. September 2019 mit letzter Kurzinformation vom 3. Dezember 2019 heranzog, vermag die Revision einen diesbezüglichen Verfahrensmangel nicht darzutun.

Dies gilt auch für die zweite Rüge, weil die vom BVwG in Zusammenhang mit dem Vater des Revisionswerbers (Ankerperson) getroffenen Länderfeststellungen überdies explizite Ausführungen zu einer Änderung der Umstände hinsichtlich der Verfolgung von Kämpfern des Ersten und Zweiten Tschetschenienkrieges durch tschetschenische Behörden enthalten.

8        Soweit die Revision vorbringt, das BVwG habe die ungewöhnlich lange, nämlich sechzehn Jahre übersteigende Aufenthaltsdauer bei rechtmäßigem Aufenthalt des Revisionswerbers nicht genügend berücksichtigt und die „Aufenthaltsverfestigung iSd §§ 52 Abs. 5, 66 Abs. 3 und 67 Abs. 1 FPG“ völlig verkannt, übersieht sie, dass § 66 und § 67 FPG auf den Revisionswerber keine Anwendung finden (arg: „EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger“). Ob § 52 Abs. 5 FPG anzuwenden ist, kann dahin gestellt bleiben, weil die dort genannten Voraussetzungen für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung (im Sinn des § 53 Abs. 3 FPG) im gegenständlichen Fall vorliegen.

Dass das BVwG mit der von ihm fallgegenständlich vorgenommenen Gewichtung der öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts des Revisionswerbers infolge wiederholter Straffälligkeit von den Leitlinien des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wäre, wurde von der Revision nicht vorgebracht.

9        Schließlich macht die Revision geltend, das BVwG hätte bei seiner Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Revisionswerbers berücksichtigen müssen. Die bloße Aufzählung der Verurteilungen sei für die Annahme einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit nicht ausreichend. Das BVwG habe auch außer Acht gelassen, dass alle strafrechtlichen Verurteilungen vor dem 12. Juni 2018 liegen würden und es sich dabei auch um Fahrlässigkeitsdelikte handle.

10       Der Verwaltungsgerichtshof hat schon mehrfach ausgeführt, dass die bei der Erlassung eines Einreiseverbotes unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung und Gefährdungsprognose im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgten und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurden - nicht revisibel sind (VwGH 5.5.2020, Ra 2019/19/0528).

Im vorliegenden Fall berücksichtigte das BVwG - entgegen dem Vorbringen der Revision - für seine Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Revisionswerbers und beschränkte sich nicht auf die Aufzählung der - durchwegs vorsätzlich begangenen - Straftaten. Es stellte diese in einen Zusammenhang mit seinem übrigen amtsbekannten Verhalten und führte dazu insbesondere aus, dass der Revisionswerber bereits im Alter von sechzehn Jahren das erste Mal strafgerichtlich verurteilt worden sei. Durch die Begehung mehrerer Straftaten, die zu Verurteilungen zu teilweise unbedingten und auch langen Freiheitsstrafen geführt haben, sowie mehrerer verwaltungsstrafrechtlicher Verstöße habe der Revisionswerber wiederholt und kontinuierlich zum Ausdruck gebracht, dass er die österreichische Rechtsordnung nicht akzeptiere und die durch sie geschützten Werte nicht annehme. Von einer besonderen sozialen Verfestigung könne insofern nicht gesprochen werden und eine positive Zukunftsprognose könne angesichts des Umstandes, dass sich der Revisionswerber auch von mehrfachen Verurteilungen nicht von der Begehung weiterer Straftaten abhalten habe lassen, nicht getroffen werden.

Vor diesem Hintergrund gelingt es der Revision nicht aufzuzeigen, dass das BVwG von den vom Verwaltungsgerichtshof entwickelten Grundsätzen abgewichen wäre.

11       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 21. Oktober 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020190179.L00

Im RIS seit

24.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

24.11.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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