TE Vwgh Erkenntnis 2020/10/21 Ra 2020/18/0284

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Veröffentlicht am 21.10.2020
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht
49/01 Flüchtlinge

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
FlKonv Art1 AbschnA Z2

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des K O, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. April 2020, W252 2183644-1/15E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Spruch

I. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird insoweit, als sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten wendet, zurückgewiesen;

II. zu Recht erkannt:

Im Übrigen wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger aus der Provinz Kunduz, beantragte am 11. Juli 2015 internationalen Schutz, weil er von den Taliban - aus näher dargestellten Gründen - verfolgt werde. Im Laufe des Verfahrens brachte er weiters vor, zum Christentum konvertiert zu sein und deshalb bei Rückkehr in den Herkunftsstaat Verfolgung zu befürchten.

2        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) diesen Antrag in Bestätigung eines entsprechenden Bescheids des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 14. Dezember 2017 zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.

3        Begründend schenkte es der behaupteten Verfolgung durch die Taliban keinen Glauben. Zur Konversion hielt es fest, dass der Revisionswerber im Jahr 2019 zwar einen Glaubenskurs einer Freikirche besucht und am 15. September 2019 getauft worden sei, der christliche Glaube aber aus näher dargestellten Gründen nicht wesentlicher Bestandteil seiner Identität geworden sei und auch nicht zu erwarten sei, dass er diesem Glauben bei Rückkehr nach Afghanistan weiter nachkommen und ihn nach außen zur Schau tragen werde. Eine asylrelevante Verfolgungsgefahr bestehe insoweit nicht.

4        Zum subsidiären Schutz führte das BVwG aus, eine ungefährdete Rückkehr in die Herkunftsregion sei aufgrund der dort herrschenden Sicherheitslage nicht möglich. Dem Revisionswerber stehe aber eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in den afghanischen Städten Herat oder Mazar-e Sharif zur Verfügung.

5        Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Zulässigkeit und in der Sache zum einen geltend macht, das BVwG habe eine unschlüssige Beweiswürdigung zur Konversion des Revisionswerbers vorgenommen. Zum anderen seien in Bezug auf den subsidiären Schutz veraltete Länderberichte herangezogen worden, wobei insbesondere die Auswirkungen der COVID-19 Pandemie im Wirtschafts- und Gesundheitssektor nicht genügend Beachtung gefunden hätten. Aufgrund der COVID-19 Pandemie seien sämtliche Rückkehrhilfen eingestellt worden; die Krise verschärfe die ohnehin schlechte wirtschaftliche Situation für Rückkehrer.

6        Das BFA hat zu dieser Revision keine Revisionsbeantwortung erstattet.

7        Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8        Die Revision ist teilweise zulässig und begründet.

Zu I.:

9        Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann eine begründete Furcht des Asylwerbers vor asylrelevanter Verfolgung wegen einer Vorheriger SuchbegriffKonversionNächster Suchbegriff vorliegen, wenn anzunehmen wäre, dass der konvertierte Asylwerber nach Rückkehr in sein Herkunftsland religiöse Betätigungen vornehmen wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen werden. Wesentlich ist somit, ob der Fremde bei weiterer Ausübung seines (behaupteten) inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden.

10       Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und einer daraus resultierenden Verfolgungsgefahr kommt es wesentlich auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist.

11       Maßgebliche Indizien für einen aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionswechsel sind beispielsweise das Wissen über die neue Religion, die Ernsthaftigkeit der Religionsausübung, welche sich etwa in regelmäßigen Gottesdienstbesuchen oder sonstigen religiösen Aktivitäten manifestiert, eine mit dem Religionswechsel einhergegangene Verhaltens- bzw. Einstellungsänderung des Konvertiten sowie eine schlüssige Darlegung der Motivation bzw. des auslösenden Moments für den Glaubenswechsel (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 12.6.2020, Ra 2019/18/0440, mwN).

12       Im vorliegenden Fall hat das BVwG eine Rückkehrgefährdung des Revisionswerbers wegen seines Glaubenswechsels verneint, weil es ihm beweiswürdigend nicht geglaubt hat, den christlichen Glauben im Falle der Rückkehr nach Afghanistan weiter leben zu wollen und sich dementsprechend zu verhalten. Die Revision wendet sich gegen diese Beweiswürdigung und führt für die Ernsthaftigkeit des Glaubenswechsels ins Treffen, dass der Revisionswerber zumindest Basiswissen über den neuen Glauben gehabt und ein Zeuge aus seiner christlichen Gemeinde bestätigt habe, dass er regelmäßig in den Gottesdienst gehe, am Kirchencafé teilnehme und einen Bibelgesprächskreis besuche.

13       Das BVwG hat alle diese Umstände in seiner Beweiswürdigung berücksichtigt, gleichzeitig aber näher dargelegt, weshalb es ungeachtet dieser religiösen Aktivitäten des Revisionswerbers die ernsthafte Befassung mit dem christlichen Glauben in Zweifel zieht. Dabei stützte sich das Verwaltungsgericht insbesondere auf die wenig überzeugenden Angaben des Revisionswerbers zu den Motiven für seinen Glaubenswechsel und auf sein geringes Wissen über den neuen Glauben sowie die dabei praktizierten Riten. Dass diese Beweiswürdigung nach dem Prüfmaßstab des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. dazu etwa VwGH 25.6.2020, Ra 2019/18/0237, mwN) unvertretbar wäre, vermag die Revision nicht darzutun. Sie zeigt somit nicht auf, dass insoweit eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorläge.

14       Die Revision war daher hinsichtlich des Abspruchs des BVwG über den Status des Asylberechtigten gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG zurückzuweisen.

Zu II.:

15       Zulässig und begründet ist die Revision in Bezug auf die Bekämpfung der Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz und die darauf aufbauenden weiteren Spruchpunkte des angefochtenen Erkenntnisses.

16       Das BVwG verweist den Revisionswerber hinsichtlich seines Begehrens auf subsidiären Schutz auf eine innerstaatliche Fluchtalternative in den afghanischen Städten Herat oder Mazar-e Sharif, wo der Revisionswerber nach den Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis über keine familiären oder sozialen Kontakte verfügt. Ungeachtet dessen vermeint das Verwaltungsgericht, dass der Revisionswerber dort eine grundlegend gesicherte Grundversorgung vorfinde, sich durch Gelegenheitsarbeiten ein Einkommen auf dem üblichen Niveau sichern und eine Unterkunft finden könne (bis zum Auffinden einer dauerhaften Unterkunft könne er in einem Teehaus verbleiben). In diesem Zusammenhang verweist das BVwG vor allem auf einschlägige Länderberichte von Jänner 2018 und Juli 2019.

17       Zu Recht weist die Revision darauf hin, dass das BVwG nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei seiner Entscheidung die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde legen muss, wobei zu beachten ist, dass bei instabilen und sich rasch ändernden Verhältnissen im Herkunftsstaat auch zeitlich nicht lange zurückliegende Berichte ihre Aktualität bereits verloren haben können (vgl. etwa VwGH 10.12.2014, Ra 2014/18/0078, mwN).

18       Die Revision macht näher begründet geltend, dass die Rückkehrsituation für den Revisionswerber aufgrund der COVID-19 Pandemie im Jahr 2020 anders beschaffen sei als es vom BVwG - wie zuvor geschildert - angenommen werde. Sie bezieht sich dabei nicht bloß auf die gesundheitlichen Auswirkungen der Pandemie, sondern zieht insbesondere in Zweifel, dass die Versorgungslage für den Revisionswerber in den als innerstaatliche Fluchtalternative in Rede stehenden Städten noch zumutbar sei. Dem Revisionswerber drohe eine existenzbedrohende Situation, zumal den Länderberichten zu entnehmen sei, dass der Arbeitsmarkt für Tagelöhner nicht mehr existiere.

19       Das BVwG hat sich mit der COVID-19 Pandemie nur insoweit beschäftigt, als es allgemein ausführte, dass diese Viruserkrankung am häufigsten bei älteren Personen und Personen mit Vorerkrankungen zu schweren Krankheitsverläufen führe. Der junge und nicht schwerwiegend erkrankte Revisionswerber zähle nicht zu dieser Risikogruppe, weshalb in seinem Fall kein „real risk“ einer Verletzung des Art. 3 EMRK erkennbar sei.

20       Bei dieser Beurteilung übersieht das BVwG, dass im vorliegenden Fall auch die Frage der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative geprüft werden muss (vgl. dazu insbesondere VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001) und dabei nicht nur auf die Gefahr einer schweren Erkrankung des Revisionswerbers Bedacht zu nehmen ist, sondern auch die sonstigen Auswirkungen der Pandemie auf seine Rückkehrsituation (Versorgungslage, Unterkunft, Arbeitsmarkt) Berücksichtigung finden müssen.

21       Dem vorliegenden Erkenntnis sind jedoch keine diesbezüglichen Feststellungen zu den Auswirkungen der COVID-19 Pandemie zu entnehmen, die sich auf zeitnahe Länderberichte stützen können, und es werden insoweit auch keine rechtlichen Überlegungen zur Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Herat oder Mazar-e Sharif angestellt (vgl. dazu auch VwGH 15.9.2020, Ra 2020/18/0145).

22       Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das BVwG bei Vermeidung der aufgezeigten Verfahrensmängel zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war das angefochtene Erkenntnis daher in Bezug auf die Nichtzuerkennung subsidiären Schutzes und die darauf aufbauenden Spruchpunkte gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

23       Der Kostenausspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 21. Oktober 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020180284.L01

Im RIS seit

30.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

30.11.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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