TE Bvwg Beschluss 2020/7/16 W239 2231901-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.07.2020
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Entscheidungsdatum

16.07.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs2
AsylG 2005 §57
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W239 2231901-1/5E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Theresa BAUMANN als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.05.2020, Zl. XXXX , beschlossen:

A)

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben und die Angelegenheit wird gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Dem Beschwerdeführer, einem Staatsangehörigen Afghanistans, wurde mit 10.05.2016 erstmals ein Aufenthaltstitel für den Zweck „Student“ nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) mit Gültigkeit von 26.04.2016 bis 26.04.2017 erteilt. Danach verfügte er über einen weiteren Aufenthaltstitel zum selben Zweck mit Gültigkeit von 27.04.2017 bis 27.04.2018.

2. Am 12.04.2018 stellte der Beschwerdeführer einen neuerlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck „Student“ nach dem NAG (Verlängerungsantrag).

Mit Bescheid des Magistrats der Stadt Wien, Magistratsabteilung 35 (MA 35) vom 27.09.2018 wurde der Antrag abgewiesen und anhand einer näheren Begründung ausgeführt, dass der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für den beantragten Aufenthaltstitel nicht erfülle; es liege kein ausreichender Studienerfolgsnachweis vor.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer am 01.11.2018 Beschwerde, zog diese jedoch in weiterer Folge am 01.02.2019 zurück, sodass das Beschwerdeverfahren mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Wien vom 04.02.2019 eingestellt wurde.

2. Am 14.02.2019 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck „Familienangehöriger“ nach dem NAG und führte begründend aus, dass er im Bundesgebiet am XXXX eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet habe, die ein Kind von ihm erwarte.

Mit Bescheid der MA 35 vom 17.01.2020 wurde der Antrag abgewiesen. Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, es werde nicht verkannt, dass die Verweigerung des Aufenthaltstitels einen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers darstelle, da der Beschwerdeführer auf eine Ehe bzw. ein Familienleben mit einer Österreicherin verweisen könne. Seinem Wunsch, das bestehende Familienleben in Österreich weiterzuführen, stehe allerdings sein rechtswidriger Verbleib in Österreich gegenüber, sowie der Umstand, dass er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein habe müssen, als er das Ehe- bzw. Familienleben begründet habe.

Die dagegen erhobene Beschwerde ist seit 09.03.2020 beim Verwaltungsgericht Wien anhängig.

3. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 17.01.2020, zugestellt am 23.01.2020, wurde dem Beschwerdeführer seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mitgeteilt, dass eine Beweisaufnahme wegen Erlassung einer Rückkehrentscheidung stattgefunden habe. Es sei beabsichtigt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG zu erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festzustellen, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Um den Sachverhalt im Lichte der persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers beurteilen zu können, wurde er um Beantwortung der beigefügten Fragen und um Vorlage entsprechender Belege gebeten, sofern er Ergänzungen und Anmerkungen zum bisherigen Stand des Ermittlungsverfahrens machen wolle. Dazu wurde dem Beschwerdeführer eine Frist von 14 Tagen ab Zustellung der Verständigung gewährt. Aktuelle Länderberichte zu Afghanistan wurden dem Beschwerdeführer nicht zum Parteiengehör übermittelt.

Mit Stellungnahme vom 05.02.2020, eingelangt beim BFA am 06.02.2020, brachte der Beschwerdeführer durch seine Vertretung vor, dass er am 22.04.2016 in das österreichische Bundesgebiet eingereist sei und bis 04.02.2019 über einen rechtmäßigen Aufenthaltstitel „Student“ verfügt habe. Sodann habe er einen Antrag auf Familiengemeinschaft mit einer österreichischen Staatsbürgerin gestellt. Dieser Antrag sei derzeit noch bei der MA 35 anhängig. Der Beschwerdeführer habe sein Bachelorstudium bereits erfolgreich abgeschlossen, er sei verheiratet und habe mit seiner Frau gemeinsam ein Kind, welches am XXXX zur Welt gekommen sei. Sowohl seine Ehegattin als auch seine Tochter würden über die österreichische Staatsbürgerschaft verfügen. Die gesamte Familie sei in einer näher bezeichneten Mietwohnung wohnhaft. Der Beschwerdeführer verfüge über einen Arbeitsvorvertrag vom 28.01.2020, dem zu entnehmen sei, dass er als Verkäufer angestellt werden könne. Außerdem lebe er von gemeinsamen Ersparnissen von sich und seiner Frau und seine Frau beziehe Kinderbetreuungsgeld. Der Beschwerdeführer verfüge über Deutschkenntnisse auf dem Niveau A1 und sei sowohl in seinem Heimatland als auch in Österreich strafgerichtlich unbescholten. Das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers finde ausschließlich in Österreich mit seiner Kernfamilie gemeinsam statt. Der Beschwerdeführer ersuche, aufgrund seiner langjährigen Integration, der Bindung an Österreich, des durchgehend aufrechten Familienlebens, der strafrechtlichen Unbescholtenheit und auch aufgrund der aktuellen politischen Lage in Afghanistan, von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung abzusehen; dies auch in Hinblick auf Art. 8 EMRK.

Der Stellungnahme beigelegt waren:

-        Heiratsurkunde, ausgestellt vom zuständigen Standesamt

-        Österreichischer Staatsbürgerschaftsnachweis der Ehefrau

-        Österreichischer Reisepass der Tochter

-        Geburtsurkunde der Tochter, ausgestellt vom zuständigen Standesamt

-        Nachweis über den Bezug von Kinderbetreuungsgeld

-        Kontoauszug zum Nachweis über den Bezug von Familienbeihilfe

-        Arbeitsvorvertrag vom 28.01.2020

-        ÖSD Zertifikat A1 vom 04.03.2019

4. Mit Bescheid des BFA vom 04.05.2020 wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß §°52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt II.) und es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Es wurden vom BFA Feststellungen zu drei Themenbereichen getroffen: Einerseits traf das BFA rudimentäre Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, ohne jedoch auf Fragen der bisherigen Sozialisierung, Schul- und Berufsausbildung, Arbeitserfahrung etc. einzugehen, andererseits traf es Feststellungen zum Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich sowie zu seinem Privat- und Familienleben, wobei auch die letztgenannten Feststellungen ausschließlich auf Österreich bezogen waren und etwaige private und familiäre Anknüpfungspunkte an Afghanistan außer Betracht blieben.

Begründend wurde zu Spruchpunkt II. im Wesentlichen ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer erstmals mit 10.05.2015 ein Aufenthaltstitel zum Zweck „Studierender“ mit Gültigkeit vom 26.04.2016 bis 26.04.2017 erteilt worden sei. Seitdem habe er über Aufenthaltstitel zu genanntem Zweck verfügt, zuletzt gültig bis zum 27.04.2018. Am 12.04.2018 habe er einen weiteren Verlängerungsantrag gestellt; dieser sei jedoch am 27.09.2018 abgewiesen worden und die Entscheidung sei am 04.02.2019 in Rechtskraft erwachsen. Spätestens seit 05.02.2019 halte sich der Beschwerdeführer illegal in Österreich auf. Er habe nichtsdestotrotz am 14.02.2019 erneut einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels mit dem Zweck „Familienangehöriger“ im Inland gestellt. Es sei anzumerken, dass er am XXXX - kurz nach der Abweisung seines Antrages - die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin eingegangen sei, um die Behörde vor vollendete Tatsachen zu stellen. Der Beschwerdeführer sei während seiner gesamten Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet vom 09.01.2018 bis zum 01.02.2020 geringfügig beschäftigt gewesen, wobei anzumerken sei, dass seine Erwerbstätigkeit seit 05.02.2019 als Schwarzarbeit zu betrachten sei. Zudem verfüge er seither über keine allumfassende Versicherung. Dadurch, dass er sich seit dem 05.02.2019 bewusst illegal im Bundesgebiet aufgehalten habe und geringfügig beschäftigt gewesen sei, habe er gegen das AuslBG und das FPG verstoßen; dieses Verhalten stelle eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar. Er habe offensichtlich nicht die österreichischen Wertevorstellungen verinnerlicht und ignoriere die aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen. Zudem sei er zu kurz von Afghanistan getrennt, um von einer „Entfremdung“ bzw. „Entwurzelung“ zu sprechen. Er habe selbst angegeben, im August 2018 zuletzt in seiner Heimat gewesen zu sein. In der im Hinblick auf Art. 8 EMRK durchgeführten Güterabwägung hielt das BFA fest, dass der Kontakt zur Gattin und zum gemeinsamen Kind im Falle einer Ausweisung des Beschwerdeführers nach Afghanistan auch durch soziale Netzwerke und über das Telefon aufrechterhalten werden könne; es bleibe der Familie auch nicht verwehrt, den Beschwerdeführer in Afghanistan zu besuchen. Insgesamt kam das BFA zu dem Ergebnis, dass den individuellen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich ein geringeres Gewicht zukomme als den öffentlichen Interessen an der Einhaltung der fremdenpolizeilichen und aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen; diese seien höher zu werten und sei die Rückkehrentscheidung daher zulässig.

Hinsichtlich Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids wurde in einem knappen Absatz ausgeführt, dass sich der Beschwerdeführer in der Stellungnahme auf die politische Lage in seinem Heimatland bezogen habe. Eine Rückkehr sei für ihn aber kein unüberwindliches Problem und er laufe im Falle der Rückkehr keinesfalls Gefahr, in eine bedrohliche oder ausweglose Lebenslage zu geraten, zumal er selbst angegeben habe, seine Familie zuletzt im August 2018 in Afghanistan besucht zu haben. Die politische Lage habe den Beschwerdeführer bei seinem letzten Besuch nicht von einem Aufenthalt dort abgehalten und könne er diese jetzt auch nicht plötzlich derart auslegen, dass sie eine Abschiebung unzulässig erscheinen ließe. Es könne ihm zugemutet werden, in sein Heimatland zurückzukehren. Auch die aktuelle COVID-19-Pandemie erfordere keine Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung, zumal der Beschwerdeführer als junger und gesunder Mann nicht zu einer Risikogruppe gehöre. Weitergehende Ausführungen waren dem Bescheid nicht zu entnehmen. Weder wurden konkrete Ausführungen dazu getroffen, in welchem Landesteil Afghanistans dem Beschwerdeführer nach Ansicht des BFA eine Ansiedlung möglich sei, noch wurden Überlegungen dazu angestellt, unter welchen konkreten persönlichen Umständen seine Rückkehr erfolgen werde.

5. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seine Vertretung am 04.06.2020 rechtzeitig das Rechtsmittel der Beschwerde.

Hinsichtlich Spruchpunkt III wurde zusammengefasst ausgeführt, dass derzeit die politische Lage in Afghanistan, dem Heimatland des Beschwerdeführers, bedenklich sei, da kein geeigneter und funktionierender Behördenapparat zum Schutze des Einzelnen bestehe bzw. dieser nicht effektiv arbeite. Vielmehr sei die Polizei in Afghanistan korrupt und biete einflussreichen Gruppierungen (Taliban) eine wirkungsvolle Durchsetzung von Selbstjustiz in eigener Sache. Besonders die aktuellen Geschehnisse würden die unsichere Lage des Staates bestätigen und würde die Rückkehr des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat mit einer Entführung durch die Taliban einhergehen. Dies aus dem Grund, da der Vater des Beschwerdeführers von den Taliban entführt worden sei. Der Vater sei Unternehmer und betreibe in Afghanistan seit Jahren eine Tankstelle. Er werde von den Taliban seither bedroht und immer wieder genötigt, der terroristischen Vereinigung gratis Benzin zur Verfügung zu stellen. Da sich der Vater des Beschwerdeführers zuletzt geweigert habe, sei er nunmehr von den Taliban verschleppt und eingesperrt worden. Der Beschwerdeführer befürchte, dass er bei seiner Rückkehr ebenso entführt werden würde. Die derzeitige Sicherheitslage des gesamten Staates sei weiterhin signifikant und aufgrund der Vielzahl an terroristischen Anschlägen mit jeweils mehreren Todesopfern als gefährlich einzustufen. Weiter komme es aufgrund der hohen Korruption immer wieder zu Missachtungen des Rechtssystems und führe dies immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Dem Beschwerdeführer, einem Staatsangehörigen Afghanistans, wurde mit 10.05.2016 erstmals ein Aufenthaltstitel für den Zweck „Student“ nach dem NAG mit Gültigkeit von 26.04.2016 bis 26.04.2017 erteilt. Danach verfügte er über einen weiteren Aufenthaltstitel zum selben Zweck mit Gültigkeit von 27.04.2017 bis 27.04.2018. Das Verfahren zum Verlängerungsantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck „Student“ nach dem NAG vom 12.04.2018 wurde mit 04.02.2019 negativ beendet, ohne dem Beschwerdeführer einen entsprechenden Aufenthaltstitel zu erteilen (Einstellung des Beschwerdeverfahrens beim Verwaltungsgericht Wien).

Am 14.02.2019 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck „Familienangehöriger“ nach dem NAG; diesbezüglich ist seit 09.03.2020 beim Verwaltungsgericht Wien das Beschwerdeverfahren anhängig.

Somit hält sich der Beschwerdeführer seit 05.02.2019 unrechtmäßig im Bundesgebiet auf. Seit XXXX ist er mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet. Diese brachte am XXXX die gemeinsame Tochter zur Welt. Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

In weiterer Folge leitete das BFA gegen den Beschwerdeführer das nunmehr gegenständliche Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung ein. Mit angefochtenem Bescheid des BFA vom 04.05.2020 wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß §°52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt II.) und es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Im Verfahren des BFA wurde der Beschwerdeführer nicht niederschriftlich einvernommen, um ihn zu den persönlichen Umständen hinsichtlich einer etwaigen Rückkehr nach Afghanistan zu befragen. Ebenso wenig wurde ihm ein (aktuelles) Länderinformationsblatt zu Afghanistan zur Stellungnahme vorgelegt. Somit wurde dem Beschwerdeführer zur Lage in Afghanistan und zu seinen damit im Zusammenhang stehenden persönlichen Umständen kein Parteiengehör gewährt und es finden sich im Bescheid dazu auch keine ausreichenden Feststellungen, was den Bescheid mit qualifizierter Mangelhaftigkeit belastet.

2. Beweiswürdigung:

Die festgestellten Tatsachen zu den Verfahren nach dem NAG sowie zum gegenständlichen Verfahren ergeben sich in erster Linie aus dem Verwaltungsakt des BFA. Diesem ist auch zu entnehmen, dass sich der Beschwerdeführer seit 05.02.2019 unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.

Dass der Beschwerdeführer in aufrechter Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin lebt und mit ihr eine gemeinsame Tochter hat, wurde durch Vorlage entsprechender Urkunden belegt. Die strafrechtliche Unbescholtenheit lässt sich dem aktuellen Auszug aus dem Strafregister vom 15.06.2020 entnehmen.

Dass im Verfahren vor dem BFA das Recht des Beschwerdeführers auf Parteiengehör verletzt wurde und sich im angefochtenen Bescheid keine hinreichenden Feststellungen zur aktuellen Lage in Afghanistan und zu den damit im Zusammenhang stehenden persönlichen Umständen des Beschwerdeführers finden, ergibt sich aus dem Verwaltungsakt (vgl. zur qualifizierten Mangelhaftigkeit sogleich auch die rechtlichen Ausführungen).

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Behebung und Zurückverweisung:

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG (sog. Bescheidbeschwerden) dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2).

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg. cit. nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Vor dem Hintergrund der soeben zitierten Bestimmung hatte die gegenständliche Entscheidung in Beschlussform zu ergehen.

Das Modell der Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Insoweit erscheinen auch die von der höchstgerichtlichen Judikatur - soweit sie nicht die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung betrifft - anwendbar, weshalb unter Bedachtnahme der genannten Einschränkungen die im Erkenntnis des VwGH vom 16.12.2009, 2007/20/0482, dargelegten Grundsätze gelten. Mängel abseits jener der Sachverhaltsfeststellung legitimieren das Gericht nicht zur Behebung aufgrund § 28 Abs. 3 zweiter Satz (VwGH 19.11.2009, 2008/07/0167; vgl. auch Fischer/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), Anm. 11 zu § 28 VwGVG). Der VwGH hat nun zusammengefasst in ständiger Rechtsprechung betont, dass eine umfangreiche und detaillierte Erhebung des für die Entscheidung jeweils maßgebenden Sachverhalts durch das BFA als Asylbehörde erster und letzter administrativbehördlicher Instanz durchzuführen ist.

Eine Zurückweisung der Sache gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

Gemäß § 60 AVG sind in der Begründung eines Bescheids die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Die Begründung eines Bescheids bedeutet die Bekanntgabe der Erwägungen, aus denen die Behörde zur Überzeugung gelangt ist, dass ein bestimmter Sachverhalt vorliegt und dass damit der Tatbestand einer bestimmten Rechtsnorm verwirklicht ist. Die Begründung eines Bescheids hat Klarheit über die tatsächlichen Annahmen der Behörde und ihre rechtlichen Erwägungen zu schaffen. In sachverhaltsmäßiger Hinsicht hat sie daher alle jene Feststellungen in konkretisierter Form zu enthalten, die zur Subsumierung dieses Sachverhalts unter die von der Behörde herangezogene Norm erforderlich sind. Denn nur so ist es möglich, den Bescheid auf seine Rechtsrichtigkeit zu überprüfen (VwGH 23.11.1993, 93/04/0156; VwGH 13.10.1991, 90/09/0186; VwGH 28.07.1994, 90/07/0029).

Die hier angesprochene klare Begründungspflicht des Bescheids, die eine Überprüfung auf seine Rechtsrichtigkeit überhaupt erst möglich macht, ist gegenständlich seitens des BFA in qualifizierter Weise unterlassen worden.

Ohne auf die Ausführungen des angefochtenen Bescheids hinsichtlich der Frage der Erteilung bzw. Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der vorgenommenen Güterabwägung im Sinne von Art. 8 EMRK im Zusammenhang mit der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt II.) näher einzugehen, erweist sich der angefochtene Bescheid jedenfalls hinsichtlich des Ausspruchs über die Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan in Zusammenhang mit der vorzunehmenden Prüfung hinsichtlich Art. 2 oder 3 EMRK (Spruchpunkt III.) als qualifiziert mangelhaft:

Das BFA hat im vorliegenden Fall jegliche Ermittlungstätigkeit hinsichtlich der aktuellen allgemeinen Situation in Afghanistan unterlassen, indem es weder aktuelle Länderberichte ins Verfahren eingeführt und dazu Parteiengehör eingeräumt hat, noch die Länderinformationen im Bescheid inhaltlich wiedergegeben hat. Des Weiteren hat das BFA keine hinreichenden Ermittlungen zu den persönlichen Umständen des Beschwerdeführers im Hinblick auf eine mögliche Rückkehr nach Afghanistan getätigt. Damit im Zusammenhang stehend mangelt es dem angefochtenen Bescheid an Feststellungen zu den angesprochenen Themenbereichen.

Bei der Prüfung der Zulässigkeit der Abschiebung gemäß § 50 Abs. 1 FPG ist es erforderlich, aktuelle Länderberichte nicht nur „in das Verfahren einzuführen“, sondern in der Entscheidung inhaltlich wiederzugeben (VfGH vom 13.03.2013, U 2375/12). Dem bekämpften Bescheid ist auch nicht zu entnehmen, auf Basis welcher Feststellungen das BFA zu der Beurteilung gelangt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat zulässig ist. In diesem Sinne ist es erforderlich, sich mit der persönlichen Situation des Beschwerdeführers im Hinblick auf getroffene Länderfeststellungen auseinanderzusetzen (VfGH vom 02.05.2011, U 1005/10).

Das seitens des BFA am 17.01.2020 gewährte schriftliche Parteiengehör zum Ergebnis der Beweisaufnahme bezüglich der Rückkehrentscheidung ist angesichts der fehlenden Ausführungen zur Lage in Afghanistan und zu den persönlichen Umständen des Beschwerdeführers im Falle einer möglichen Rückkehr kein geeignetes Instrument, den Anforderungen an ein sorgfältiges Ermittlungsverfahren gerecht zu werden. Es ist darauf hinzuweisen, dass die in diesem Zusammenhang relevanten Fragen (beispielsweise: „Wann waren Sie zuletzt in der Heimat und wie oft halten Sie sich dort auf?“; „Welche Schul- und Berufsausbildung wurde absolviert? Wo wurde diese absolviert?“; „Geben Sie die Anschrift in Ihrer Heimat an. Verfügen Sie dort über eine Wohnmöglichkeit?“; „Haben Sie Ersparnisse oder Vermögenswerte?“; „Werden Sie in Ihrem Heimatland strafrechtlich oder politisch verfolgt? Wenn ja, begründen Sie dies ausführlich.“) vom Beschwerdeführer unbeantwortet blieben und seitens des BFA trotz fehlender Angaben des Beschwerdeführers von einer niederschriftlichen Einvernahme abgesehen wurde. Dementsprechend konnten im angefochtenen Bescheid dazu auch keine Feststellungen getroffen werden, was allerdings nötig gewesen wäre.

Im fortgesetzten Verfahren wird es die Aufgabe des BFA sein, dem Beschwerdeführer Parteiengehör zu den aktuellen Länderfeststellungen zu Afghanistan zu gewähren und ihn zu seinen persönlichen Umständen im Hinblick auf eine mögliche Rückkehr in die Heimat zu befragen und sodann entsprechende Feststellungen zu treffen, um im Rahmen der rechtlichen Beurteilung ausführen zu können, ob dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in die Heimat die reale Gefahr der Verletzung seiner in Art. 2 oder 3 EMRK gewährten Rechten droht. Nur auf diese Weise wird die im Beschwerdefall folgende verwaltungsgerichtliche Kontrolle des Bescheids möglich.

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass das BFA im vorliegenden Fall durch das mangelhaft geführte Ermittlungsverfahren die Vornahme weiterer Ermittlungen bzw. überhaupt die Durchführung des fremdenrechtlichen Verfahrens auf das Bundesverwaltungsgericht verlagert hat, weshalb im Einklang mit den vorzitierten Erkenntnissen des VwGH zu § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (Ro 2014/03/0063 und Ra 2014/08/0005) der angefochtene Bescheid zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das BFA zurückzuverweisen war.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Beurteilung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht kann im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht „im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden“ wäre, ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Da der maßgebliche Sachverhalt noch nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid des BFA gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das BFA zurückzuverweisen.

Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, zumal aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben war.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen wiedergegeben.

Schlagworte

aktuelle Länderfeststellungen Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W239.2231901.1.00

Im RIS seit

12.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

12.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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