TE Bvwg Beschluss 2020/7/20 I408 2232832-1

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Veröffentlicht am 20.07.2020
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Entscheidungsdatum

20.07.2020

Norm

BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs3 Satz2
VwGVG §31 Abs1

Spruch

I408 2232832-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Harald NEUSCHMID als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX gegen den Bescheid des BFA, Regionaldirektion Wien (BAW) vom 08.06.2020, Zl. 401126006-180696675, beschlossen:

A)

Der Beschwerde wird insofern Folge gegeben, als der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs 3 VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit wird zur allfälligen Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer ist serbischer Staatsbürger und mit Strafverfügung vom 02.05.2018 wurde über ihn wegen § 120 FPG (rechtswidrige Einreise und rechtswidriger Aufenthalt) eine Geldstrafe von € 600 verhängt.

Darauf leitete die belangte Behörde ein Verfahren zur beabsichtigten Erlassung einer Rückkehrentscheidung ein, und forderte den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 26.09.2018 zu den Ergebnissen der Beweisaufnahme: „Lt. ha. Aktenlage befinden Sie sich seit 14.03.2012 ohne gültigen Aufenthaltstitel und somit unrechtmäßig im Bundesgebiet. Es ist daher beabsichtigt eine Rückkehrentscheidung gegen Sie zu erlassen“ zu einer Stellungnahme auf.

Darauf reagierte der Beschwerdeführer mit einem Schriftsatz seines Rechtsvertreters vom 12.10.2018, wonach der Beschwerdeführer seit März 2012 sich immer wieder im Rahmen der 90-Tage-Regel bei seiner in Österreich aufenthaltsberechtigten Ehegattin aufgehalten habe, aber erst nach einem Schlaganfall im August 2015 ständig bei seiner Ehegattin lebe und auf deren Pflege angewiesen sei. Er sei alleine nicht lebensfähig und in Österreich bei seiner Ehegattin mitversichert. In Serbien leben nur seine Eltern, sein Vater sei Blind und sie können ihn daher nicht unterstützen. Zudem leben seine beiden erwachsenen Söhne ebenfalls in Österreich.

Mit Schreiben vom 05.04.2019 und 26.04.2019 wurde eine Erledigung urgiert und rsucht, das fremdenrechtliche Verfahren einzustellen.

Ohne sich näher mit dem Gesundheitszustand und das Familienleben des Beschwerdeführers sowie seinen Lebensbedingungen in Serbien auseinanderzusetzen, erließ die am 08.06.2020 den verfahrensgegenständlichen Bescheid, erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen gründen (Spruchpunkt I.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt II.), stellte fest, dass seine Abschiebung nach Serbien zulässig ist (Spruchpunkt III.) und setzte die Frist für eine freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt IV.)

Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht unter Wiederholung der mit Schriftsatz vom 12.10.2018 erstatteten Vorbringens am 29.06.2020Beschwerde erhoben.

2. Beweiswürdigung:

Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des Gerichtsakts des BVwG sowie aus den durchgeführten Abfragen im IZR, ZMR und AJ-WEB. Entscheidungswesentliche Widersprüche liegen insoweit nicht vor, sodass sich eine eingehendere Beweiswürdigung erübrigt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 28 Abs 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über eine Bescheidbeschwerde iSd Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG wie die vorliegende dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder dessen Feststellung durch das Gericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2). Wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, hat das Gericht gemäß § 28 Abs 3 VwGVG dann meritorisch zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an die Behörde zurückverweisen, die dann an die rechtliche Beurteilung, von der das Gericht ausgegangen ist, gebunden ist.

Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Behörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Wenn die Behörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt unzureichend festgestellt hat, indem sie keine für die Sachentscheidung brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert hat, ist eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG zulässig (VwGH 28.03.2017, Ro 2016/09/0009). Von der Möglichkeit einer Zurückverweisung kann nur bei besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren2 § 28 VwGVG Anm 13), wie sie hier vorliegen.

Die belangte Behörde hat sich mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers, insbesondere mit seinem Gesundheitszustand, seines Familienlebens sowie seiner Lage im Herkunftsstaat nicht auseinandergesetzt.

Da das BFA somit noch keine geeigneten Schritte zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts gesetzt hat, kann derzeit nicht beurteilt werden, ob eine Rückkehrentscheidung zulässig ist. Auf der Grundlage der bisherigen Ermittlungen ist noch keine abschließende rechtliche Beurteilung des Sachverhalts möglich; dieser ist vielmehr in wesentlichen Teilen ergänzungsbedürftig.

Da zu den tragenden Sachverhaltselementen noch keine Beweisergebnisse vorliegen und zur Klärung des relevanten Sachverhalts zusätzliche Ermittlungen notwendig sein werden, führt es weder zu einer Kostenersparnis noch zu einer Verfahrensbeschleunigung, zumal die belangte Behörde zwei Jahre lang nicht auf die Stellungnahme des Beschwerdeführers reagierte und dann, ohne erkennbare Ermittlungsschritte den Bescheid erließ.

Im Ergebnis ist der angefochtene Bescheid daher gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur allfälligen Erlassung eines neuen Bescheids an das BFA zurückzuverweisen.

Eine mündliche Verhandlung entfällt gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG, weil schon aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Die Revision ist wegen der Einzelfallbezogenheit der Entscheidung über die Anwendung des § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG, die keine grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG begründet, nicht zuzulassen (siehe z.B. VwGH 25.01.2017, Ra 2016/12/0109).

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Behinderung Ermittlungspflicht Familienleben Gesundheitszustand Interessenabwägung Kassation mangelhaftes Ermittlungsverfahren mangelnde Sachverhaltsfeststellung öffentliche Interessen Privat- und Familienleben private Interessen Rückkehrentscheidung schwere Krankheit Zurückverweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I408.2232832.1.00

Im RIS seit

12.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

12.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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