TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/21 W133 2216711-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.07.2020
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Entscheidungsdatum

21.07.2020

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W133 2216711-2/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Natascha GRUBER als Vorsitzende und den Richter Mag. Michael SCHWARZGRUBER sowie den fachkundigen Laienrichter Prof. Dr. Gerd GRUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch den XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 28.10.2019, betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ im Behindertenpass zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid wie folgt abgeändert:

Dem Antrag des Beschwerdeführers auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" im Behindertenpass vom 05.12.2018 wird stattgegeben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer stellte am 05.12.2018 bei der belangten Behörde den gegenständlichen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses, wobei er unter Punkt 3. die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ begehrte. Dem Antrag wurden ein stationärer Patientenbrief eines näher genannten Krankenhauses vom 23.11.2018, ein Befundbericht einer näher genannten Fachärztin für Urologie und Andrologie vom 09.11.2018 sowie eine Passkopie des Beschwerdeführers beigelegt.

Die belangte Behörde gab in der Folge ein Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin unter Anwendung der Bestimmungen der Einschätzungsverordnung in Auftrag. In diesem Gutachten vom 21.01.2019 wurde auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung und umfassender Darstellung der Statuserhebung die Funktionseinschränkung der Leidensposition

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Position

GdB %

1

Multiple Sklerose

Unterer Rahmensatz, da moderate Gangstörung bei jedoch erhaltener, selbstständiger Gehfähigkeit

04.08.02

50

zugeordnet und nach der Einschätzungsverordnung ein Gesamtgrad der Behinderung von 50 v.H. eingeschätzt. Es wurde festgestellt, dass dem Beschwerdeführer die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar sei.

Mit Schreiben vom 22.01.2019 räumte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer ein förmliches Parteiengehör gemäß § 45 AVG samt Möglichkeit zur Stellungnahme ein. Das Gutachten vom 21.01.2019 wurde dem Beschwerdeführer als Beilage übermittelt.

Der Beschwerdeführer erstattete mit Schreiben vom 01.02.2019, bei der belangten Behörde eingelangt am 04.02.2019, eine Stellungnahme. Darin führt er zusammengefasst aus, aufgrund der durch die vorliegende MS-bedingten Beeinträchtigungen liege die selbständig ohne Pause durchführbare Gehstreckendistanz — je nach Verfassung — bei ca. 100-200 Meter und diese sei für ihn teilweise nur mit Orthese sowie Gehstock und unter größerer Kraftanstrengung bewältigbar. Nach dieser Distanz müsse er zur Entlastung der Muskulatur bzw. aufgrund auftretender Krämpfe in den Beinen eine Sitzpause einlegen. Aus diesem Grund sei ihm die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht mehr zumutbar und beschränke sich seine Mobilität auf sein Auto bzw. auf Taxis. Eine Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln zur Zurücklegung der Strecke zu seinem Arbeitsplatz sei ihm nicht mehr möglich, da der Weg zur Straßenbahn länger als 200 Meter sei und daher für ihn nicht mehr machbar sei. Es sei auch die Fahrt zur durchgeführten Begutachtung am 16.01.2019 mit einem näher genannten Personenbeförderungsdienst erfolgt. Aufgrund der vorliegenden Gehbehinderung sei das Abstellen seines Autos in unmittelbarer Nähe zum jeweiligen Ziel zwecks Reduktion der motorischen Belastung auf die unvermeidbaren täglichen Gehstrecken unerlässlich für ihn. Das Parken auf Behindertenparkplätzen bzw. an in § 29b StVO beschriebenen Straßenstellen wäre eine erhebliche Erleichterung für ihn und wäre er damit nicht mehr in einem so starken Ausmaß auf fremde Hilfe angewiesen. Der Stellungnahme wurden ein ambulanter Patientenbrief eines näher genannten Krankenhauses vom 14.12.2018 und zwei Rechnungen eines näher genannten Personenbeförderungsdienstes vom 16.01.2019 beigelegt.

Aufgrund der eingebrachten Stellungnahme holte die belangte Behörde eine Stellungnahme des Allgemeinmediziners vom 21.02.2019 ein, welcher das Gutachten vom 21.01.2019 erstellt hatte. Darin hielt der Gutachter daran fest, dass dem Beschwerdeführer die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar sei.

Daher wies die belangte Behörde mit Bescheid vom 22.02.2019 den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ vom 05.12.2018 unter Hinweis auf das medizinische Beweisverfahren gemäß §§ 42 und 45 Bundesbehindertengesetz (BBG) ab.

Mit Schriftsatz vom 14.03.2019, bei der belangten Behörde eingelangt am 18.03.2019, erhob der nunmehr durch den XXXX vertretenen Beschwerdeführer gegen den Bescheid vom 22.02.2019 fristgerecht eine Beschwerde. Darin wird zusammengefasst ausgeführt, der Beschwerdeführer leide an Multipler Sklerose mit sekundär progredientem Verlauf, Hemiparese rechts, Gangataxie, Vorfußheberschwäche rechts und Feinmotorikstörung in der rechten Hand. Aufgrund der aufgezählten Leiden sei die Gehstrecke des Beschwerdeführers auf maximal 100-200 m selbst unter Verwendung einer Unterarmstützkrücke und einer Peronäusorthese rechts eingeschränkt und auch nur unter größter Kraftanstrengung bewältigbar. Nach dieser Gehstrecke müsse er zur Entlastung der Muskulatur bzw. aufgrund auftretender Krämpfe in den Beinen eine Sitzpause einlegen. Ferner sei es dem Beschwerdeführer aufgrund Sensibilitätsstörungen im rechten Arm und der Feinmotorikstörung der rechten Hand nicht möglich, sich in öffentlichen Verkehrsmitteln ausreichend sicher anzuhalten. Es wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sowie die Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fachbereich der Neurologie beantragt. Der Beschwerde wurden abermals der bereits vorgelegte ambulante Patientenbrief eines näher genannten Krankenhauses vom 14.12.2018 sowie eine vom Beschwerdeführer gezeichnete Vollmacht vom 08.03.2019 zugunsten des XXXX beigelegt.

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.07.2019, hg. GZ. W115 2216711-1/3E, wurde in Erledigung der Beschwerde der Bescheid vom 22.02.2019 behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückverwiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer bereits mit seinem Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses sowie seinem Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ in den Behindertenpass, medizinische Beweismittel in Vorlage gebracht habe, in denen dokumentiert sei, dass er an Multipler Sklerose leide. Obwohl somit bereits bei Antragstellung bekannt gewesen sei, dass beim Beschwerdeführer ein komplexes neurologisches Beschwerdebild in Form einer Multiplen Sklerose vorliege, habe die belangte Behörde zur Überprüfung der vorliegenden Gesundheitsschädigungen lediglich ein allgemeinmedizinisches Sachverständigengutachten eingeholt. Zwar bestehe kein Anspruch auf die Zuziehung von Sachverständigen eines bestimmten medizinischen Teilgebietes, jedoch sei im vorliegenden Fall das von der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten (inklusive der ergänzenden medizinischen Stellungnahme) zur Beurteilung des vorliegenden komplexen neurologischen Beschwerdebildes und dessen Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht geeignet. Zudem entspreche das im angefochtenen Verfahren eingeholte Sachverständigengutachten sowie die dazu ergänzend eingeholte medizinische Stellungnahme nicht den in der Judikatur festgelegten Anforderungen. Es würden zwar die Art und die Schwere der objektivierten dauernden Gesundheitsschädigungen durch Zuordnung zu der betreffenden Position der Einschätzungsverordnung und Feststellung des Grades der Behinderung beschrieben werden. Zur Frage der beschwerdegegenständlichen Zusatzeintragung sei jedoch keine ausreichende individualisierte Beurteilung erfolgt. Vor allem werde nicht konkret dargelegt, wie sich die dauernden Gesundheitsschädigungen des Beschwerdeführers auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirken. So lasse der Sachverständige Ausführungen darüber vermissen, wie lange die konkret vom Beschwerdeführer bewältigbare Wegstrecke sei. Dies wiege umso schwerer, als der Beschwerdeführer im Rahmen seines Einwandes zum Parteiengehör angegeben habe, dass er lediglich eine Wegstrecke von 100-200 Meter zurücklegen könne. Damit im Einklang stehe auch der im Rahmen dieses Parteiengehörs vorgelegte Patientenbrief vom 14.12.2018, in dem unter anderem ausgeführt werde, dass beim Beschwerdeführer bei Vorliegen einer Hemiparese rechts und einer Gangataxie eine massive Einschränkung der Gehstrecke vorliege und die selbstständig ohne Pause durchführbare Gehstreckendistanz bei 100-200 Metern liegt und teilweise nur mit Gehstock zu bewältigen sei. Eine Stellungnahme zu diesem medizinischen Beweismittel sei vom Sachverständigen völlig unterlassen worden. Vor diesem Hintergrund könne somit nicht von einer Schlüssigkeit des eingeholten Sachverständigengutachtens sowie der ergänzenden medizinischen Stellungnahme gesprochen werden. Aufgrund des vorliegenden Sachverhaltes würden konkrete Anhaltspunkte vorliegen, dass die Einholung eines Sachverständigengutachtens der Fachrichtung Neurologie unbedingt erforderlich sei, um eine vollständige und ausreichend qualifizierte Prüfung des Gesamtleidenszustandes des Beschwerdeführers und dessen Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zu gewährleisten. Die Heranziehung eines Sachverständigen der Fachrichtung Allgemeinmedizin durch die belangte Behörde sei somit offensichtlich sachwidrig erfolgt.

Im zweiten Verfahrensgang holte die belangte Behörde daraufhin ein Sachverständigengutachten eines Facharztes für Neurologie vom 24.09.2019 ein. Darin wurde auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung und Darstellung der Statuserhebung die Funktionseinschränkung der Leidensposition

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

1

Multiple Sklerose

zugeordnet. Es wurde festgestellt, dass dem Beschwerdeführer die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar sei.

Mit Schreiben vom 25.09.2019 räumte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer ein förmliches Parteiengehör gemäß § 45 AVG samt Möglichkeit zur Stellungnahme ein. Das eingeholte neurologische Gutachten wurde dem Beschwerdeführer als Beilage übermittelt. Dieses Schreiben wurde nicht dem bevollmächtigten XXXX , sondern dem Beschwerdeführer persönlich übermittelt.

Mit Schreiben vom 10.10.2019, bei der belangten Behörde eingelangt am 14.10.2019, brachte der Beschwerdeführer selbst eine umfangreiche Stellungnahme zum Parteiengehör ein. Darin führt er aus, dass aufgrund der vorliegenden - MS bedingten – Beeinträchtigungen die selbständig ohne Pause durchführbare Gehstrecke — abhängig von seiner Verfassung -bei ca. 100-200 Meter liege und sei diese für ihn mittlerweile nur mit Krucke sowie Orthese und unter größerer Kraftanstrengung bewältigbar. Nach dieser Distanz müsse er zur Entlastung der Muskulatur bzw. aufgrund auftretender Krämpfe in den Beinen eine Sitzpause einlegen. Unter „normalen Umständen" stelle sich seine körperliche Verfassung wie folgt dar: In der Früh bzw. am Vormittag sei ihm die Zurücklegung der oben angeführten Strecke meistens möglich. Seine Kraft nehme jedoch im Zeitverlauf ab, wobei sich ein drastisches körperliches Tief bzw. Fatigue-Syndrom ungefähr von Mittag bis zum frühen Nachmittag zeige. In diesem Zeitraum falle es ihm schwer manchmal selbst nur ca. 5 bis 10 Meter zurückzulegen. Normalerweise trete dann am Nachmittag eine gewisse Besserung des Zustandes im Vergleich zum Mittagstief ein, wobei jedoch sein körperlicher Zustand aufgrund der Ermüdung über den Tagesverlauf klar und eindeutig schlechter sei als in der Früh bzw. am Vormittag. Hitze, seine starke Wetterfühligkeit, sein angegriffenes Immunsystem sowie vorhergehende körperliche Anstrengung hätten jedoch teilweise eklatante nachteilige Auswirkung auf seine körperliche Verfassung und damit auf die zurücklegbare Gehstrecke. Aufgrund dieser vorliegenden Umstände sei ihm von seinem Arbeitgeber mittels Teleworking-Vereinbarung ermöglicht worden, an solchen Tagen auch von zu Hause aus zu arbeiten. Aus den oben angeführten Gründen beschränke sich somit seine Mobilität auf sein Auto bzw. auf Taxis. Die diesbezüglichen Kosten seien sehr hoch. Um die täglichen Wege von zu Hause zur Arbeit bzw. umgekehrt noch durchführbar zu gestalten habe er sich 2017 sowohl zu Hause als auch in der Arbeit einen Garagenplatz besorgt. Eine Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln zur Zurücklegung der Strecke von seinem Wohnort zur Arbeit und zurück sei ihm nicht mehr möglich. Der Weg zur bzw. von der Straßenbahnstation zum jeweiligen Zielort (Wohnort bzw. Arbeitsort bzw. Schule für seine Tochter) sei länger als 200 Meter und unter Berücksichtigung der sonstigen anfallenden Umstände daher mir nicht mehr möglich. Seit Ende September 2019 dürfe er aufgrund der gravierenden Probleme einen der wenigen Garagenplätze bei seiner Arbeitsstätte benutzen, sodass er keine Stiegen mehr steigen müsse. Sollte jedoch der Gästeparkplatz betriebsbedingt benötigt werden stehe er vor gravierenden Problemen. Da es gleich beim Eingang zu seiner Arbeitsstätte einen Behindertenparkplatz gebe, wäre ihm in diesem Fall mit der Benützung desselben erheblich geholfen. Im Alltag würden sich diese erheblichen Probleme beim Parken beim Einkaufen und bei öffentlichen Gebäuden stellen. Folglich seien die Ausführungen im ärztlichen Sachverständigengutachten vom 17.09.2019 nicht nachvollziehbar, auch vor dem Hintergrund, dass die Frage der für ihn noch zurücklegbaren Gehstrecke bei der ärztlichen Untersuchung vom 17.09.2019 mit keinem Wort thematisiert worden sei. Weiters stehe das Ergebnis dieses Gutachtens auch nicht im Einklang mit den vorgelegten Patientenbriefen vom 14.12.2018 sowie vom 07.10.2019. Das Abstellen seines Autos in unmittelbarer Nähe zum jeweiligen Ziel zwecks Reduktion der motorischen Belastung auf die unvermeidbaren täglichen Gehstrecken sei unerlässlich für ihn. Daher sei das Parken auf Behindertenparkplätzen bzw. an in § 29b StVO beschriebenen Straßenstellen unerlässlich für ihn. Der Stellungnahme wurden der erwähnte ambulante Patientenbrief eines näher genannten Krankenhauses vom 07.10.2019 sowie drei Rechnungen eines näher genannten Personenbeförderungsdienstes vom 17.09.2019 beigelegt.

Mit Schreiben vom 15.10.2019, bei der belangten Behörde eingelangt am 16.10.2019, teilte der XXXX mit, dass die Vertretungsvollmacht im gegenständlichen Verfahren nach wie vor aufrecht sei und wurde diesbezüglich um Zusendung allfälliger Bescheide oder Parteiengehöre direkt an den XXXX ersucht. Die bereits vorgelegte Vollmacht wurde abermals übermittelt.

Aufgrund der eingebrachten Stellungnahme holte die belangte Behörde eine Stellungnahme des Neurologen vom 22.10.2019 ein, welcher das Gutachten vom 24.09.2019 erstellt hatte. Darin hielt der Gutachter daran fest, dass dem Beschwerdeführer die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar sei.

Daher wies die belangte Behörde mit Bescheid vom 28.10.2019 abermals den Antrag des Beschwerdeführers auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ vom 05.12.2018 unter Hinweis auf das medizinische Beweisverfahren gemäß §§ 42 und 45 Bundesbehindertengesetz (BBG) ab.

Mit Schriftsatz vom 28.11.2019, bei der belangten Behörde eingelangt am 29.11.2019, erhob der durch den XXXX vertretene Beschwerdeführer gegen den Bescheid vom 28.10.2019 fristgerecht eine Beschwerde. Darin wird zusammengefasst ausgeführt, dass der Beschwerdeführer an Multipler Sklerose mit sekundär progredientem Verlauf, Hemiparese rechts, Gangataxie, Vorfußheberschwäche rechts und Feinmotorikstörung in der rechten Hand leide. Aufgrund der aufgezählten Leiden sei die Gehstrecke des Beschwerdeführers auf max. 100-200 m selbst unter Verwendung einer Unterarmstützkrücke und einer Peronäusorthese rechts eingeschränkt und auch nur unter größter Kraftanstrengung bewältigbar. Nach dieser Gehstrecke müsse der Beschwerdeführer zur Entlastung der Muskulatur bzw. aufgrund auftretender Krampfe in den Beinen eine Sitzpause einlegen. Ferner sei es dem Beschwerdeführer aufgrund Sensibilitätsstörungen im rechten Arm und der Feinmotorikstörung der rechten Hand nicht möglich, sich in öffentlichen Verkehrsmitteln ausreichend sicher anzuhalten. Weiters werde ausgeführt, dass sich bei Hitze die für den Beschwerdeführer zurücklegbare Gehstrecke auf wenige Meter reduziere und er selbst diese wenigen Meter nur extrem langsam unter größter Konzentration und mit größter Kraftanstrengung bewältigen könne und bei Hitze auch eine erhöhte Sturzgefahr bestehe. Aufgrund der ausgeprägten Wetterfühligkeit des Beschwerdeführers verschlechtere sich sein Zustand bei größeren herannahenden Temperaturschwankungen und bei aufziehenden Unwettern gravierend, weshalb er keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen könne. Auch leide der Beschwerdeführer unter einem angegriffenen Immunsystem, weshalb er selbst bei einem vergleichsweise geringen Infekt in seiner körperlichen Verfassung merkbar eingeschränkt sei und in weiterer Folge auch seine Gehstrecke eingeschränkt sei. Bei jeder vorübergehenden körperlichen Anstrengung, insbesondere wenn der Beschwerdeführer bereits eine gewisse Wegstrecke zurückgelegt habe und/oder bereits mehrere Minuten stehen habe müssen, sei jedenfalls eine längere Sitzpause unbedingt notwendig, da dem Beschwerdeführer ein weiteres Gehen bzw. Stehen nicht mehr möglich sei. Ferner werde nochmals auf die bereits vom Beschwerdeführer in der Stellungnahme vom 10.10.2019 gemachten Einwendungen verwiesen und darauf hingewiesen, dass auf die zuvor gemachten Einwendungen und eben auf die in der Stellungnahme vom 10.10.2019 gemachten Einwendungen im seitens der Behörde eingeholten neurologischen Sachverständigengutachten vom 24.09.2019 und auch in der Stellungnahme vom 22.10.2019 nicht explizit eingegangen worden sei. Ferner habe sich der Gutachter weder im eingeholten Sachverständigengutachten vom 24.09.2019 noch in der erstellten Stellungnahme vom 22.10.2019 explizit mit den Inhalten der Befunde vom 14.12.2018 und vom 07.10.2019 auseinandergesetzt. Es sei nicht schlüssig nachvollziehbar, wie der Gutachter zum Ergebnis komme, dass dem Beschwerdeführer die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar sei. Das Gutachten lasse auch Ausführungen dazu vermissen, welche Gehstrecke dem Beschwerdeführer überhaupt zuzumuten sei. Auch könne aus den Ausführungen in der Stellungnahme vom 22.10.2019 „das Gangbild war über eine längere Strecke (Gang im SMS) relativ flüssig" nicht gefolgert werden, dass dem Beschwerdeführer das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke (300— 400 m) möglich sei, da vom Wartebereich bis zum Büro des Gutachters lediglich einige Meter zurückzulegen gewesen seien. Da laut ständiger Rechtsprechung ein Gutachten bzw. eine Stellungnahme, welche Ausführungen vermissen lasse, aus welchen Gründen der ärztliche Sachverständige zu einer Beurteilung gelangt sei, keine taugliche Grundlage für die von der belangten Behörde zu treffende Entscheidung darstelle, sei das eingeholte neurologische Sachverständigengutachten nicht geeignet für die Beurteilung, ob dem Beschwerdeführer die Benützung öffentliche Verkehrsmittel zumutbar sei. Der Beschwerde wurden abermals der ambulante Patientenbrief vom 07.10.2019 sowie der ambulante Patientenbrief vom 14.12.2018 beigelegt. Es wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und die Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fachbereich der Neurologie beantragt.

Die belangte Behörde legte am 04.12.2019 dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde und den Bezug habenden Verwaltungsakt zur Entscheidung vor. Das Verfahren wurde der hg. Gerichtsabteilung W115 zugeteilt.

Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21.01.2020 wurde das gegenständliche Beschwerdeverfahren mit Wirksamkeit vom 07.02.2020 der Gerichtsabteilung W115 abgenommen und der Gerichtsabteilung W133 neu zugeteilt.

Mit Schreiben vom 08.05.2020 informierte das Bundesverwaltungsgericht mit eingehender Begründung die Parteien des Verfahrens darüber, dass aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes auf Grundlage der aktuell vorliegenden Ermittlungsergebnisse die Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel als dem Beschwerdeführer nicht mehr zumutbar zu erachten sei. Es wurde den Parteien des Verfahrens in Wahrung des Parteiengehörs die Gelegenheit eingeräumt, dazu eine Stellungnahme abzugeben.

Mit Schreiben vom 15.05.2020 teilte der durch den XXXX vertretene Beschwerdeführer mit, dass das Ergebnis der Beweisaufnahme zur Kenntnis genommen werde.

Die belangte Behörde erstattete keine Stellungnahme.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist aufgrund von dauerhaften Funktionseinschränkungen durch eine Multiple-Sklerose-Erkrankung Inhaber eines unbefristeten Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 50 v.H.

Er brachte am 05.12.2018 den gegenständlichen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" im Behindertenpass bei der belangten Behörde ein.

Er hat seinen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.

Beim Beschwerdeführer besteht folgende Funktionseinschränkung, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern wird und bereits auch im behördlichen Verfahren festgestellt worden ist:

?        Sekundär progrediente Multiple Sklerose, aktueller EDSS 6.0, wobei die Gehstrecke mit Hilfsmittel auf 100 bis 200 Meter limitiert ist.

Der Beschwerdeführer legte im Rahmen seiner Beschwerde gegen den Bescheid vom 28.10.2019, mit welchem sein Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ im zweiten Verfahrensgang nach Einholung eines neurologischen Sachverständigengutachtens abermals abgewiesen worden war, Befunde der Neurologischen Klinik eines näher genannten Krankenhauses vor, wo er seit vielen Jahren aufgrund seiner MS-Erkrankung in Behandlung steht. Diese Befunde (vom 14.12.2018 und insbesondere jener vom 07.10.2019) hat er auch bereits im behördlichen Verfahren in Vorlage gebracht.

In dem jüngsten Befund vom 07.10.2019 wird dokumentiert, dass der Beschwerdeführer an einer sekundär progredienten Multiplen Sklerose-Erkrankung leidet und es in den letzten Monaten zu einer weiteren Einschränkung der Gehstrecke gekommen sei. Der Patient könne nur noch 15 Meter ohne Krücke gehen, auch die Gehstrecke mit Hilfsmittel sei mittlerweile nur noch auf 100 bis 200 Meter limitiert. Der aktuelle EDSS betrage 6.0. Aus neurologischer Sicht sei die Benutzbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel nicht gegeben.

In Gesamtwürdigung ist aufgrund der aktuellen Sachverhaltslage davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer – entgegen den Ausführungen im gegenständlich eingeholten Sachverständigengutachten vom 24.09.2019 sowie in der ergänzend eingeholten Stellungnahme vom 22.10.2019 - die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht mehr zumutbar ist; diesbezüglich wird auch auf die beweiswürdigenden und rechtlichen Ausführungen verwiesen.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen über die Ausstellung eines Behindertenpasses, den aktuellen Grad der Behinderung und das Datum der Einbringung des gegenständlichen Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ im Behindertenpass basieren auf dem Akteninhalt.

Die Feststellung zum Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Inland ergibt sich aus einem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Auszug aus dem Zentralen Melderegister; konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer seinen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Inland hätte, sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Auch die belangte Behörde ging vom Vorliegen dieser Voraussetzung aus.

Die bestehende Funktionseinschränkung ergibt sich aus dem neurologischen Gutachten vom 24.09.2019 des behördlichen Verfahrens samt Ergänzung durch die vorgelegten neurologischen Fachbefunde. Deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ergeben sich aus den Befunden der Neurologischen Klinik eines näher genannten Krankenhauses, wo der Beschwerdeführer seit vielen Jahren aufgrund seiner MS-Erkrankung in Behandlung steht. Diese Befunde (vom 14.12.2018 und insbesondere jener vom 07.10.2019) hat der Beschwerdeführer bereits im behördlichen Verfahren vorgelegt.

In dem jüngsten Befund vom 07.10.2019 wird dokumentiert, dass der Beschwerdeführer an einer sekundär progredienten Multiplen Sklerose-Erkrankung leidet und es in den letzten Monaten zu einer weiteren Einschränkung der Gehstrecke gekommen ist. Dem Befund ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer nur noch 15 Meter ohne Krücke gehen könne, auch die Gehstrecke mit Hilfsmittel sei mittlerweile nur noch auf 100 bis 200 Meter limitiert. Der aktuelle EDSS betrage 6.0. Aus neurologischer Sicht wird die Benutzbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel als nicht gegeben erachtet.

Zu diesem Befund erfolgte eine ergänzende Befassung des Amtssachverständigen, welcher im Rahmen seiner ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 22.10.2019 zur Beurteilung gelangte, dass anlässlich der gutachterlichen Untersuchung am 17.09.2019 eine mäßige beinbetonte Hemiparese rechts objektiviert werden habe können, die mit Hilfsmitteln (1 Gehstock, Peroneusschiene) gut kompensiert werden könne. Das Gangbild sei über eine längere Strecke (Gang im Sozialministeriumservice) relativ flüssig gewesen. Eine Änderung der Einschätzung könne aus diesen Gründen nicht erfolgen.

Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes können die vom Beschwerdeführer vorgelegten Fachbefunde des ihn seit Jahren aufgrund seiner MS-Erkrankung behandelnden Facharztes nicht als „Gefälligkeitsbefunde“ erachtet werden. Auch vermag der vom Amtssachverständigen im Rahmen einer 15-minütigen Untersuchung gewonnene Eindruck, das Gangbild sei auf dem Gang im Sozialministeriumservice recht flüssig gewesen, bei dem vorliegenden Krankheitsbild einer sekundär progredienten Multiplen Sklerose-Erkrankung im Schweregrad eines aktuellen EDSS von 6.0 nicht die fachärztliche Beurteilung zu entkräften, dass der Beschwerdeführer nur noch 15 Meter ohne Krücke gehen könne und auch die Gehstrecke mit Hilfsmittel mittlerweile nur noch auf 100 bis 200 Meter limitiert sei.

Die belangte Behörde ist dem Ermittlungsergebnis nicht entgegengetreten, der rechtlich vertretene Beschwerdeführer stimmte dem Ermittlungsergebnis mit Schreiben vom 15.05.2020 vollinhaltlich zu.

In Gesamtbetrachtung erweisen sich daher die genannten Beweismittel, insbesondere der Befund vom 07.10.2019, in Bezug auf die Beurteilung der Auswirkungen der vorliegenden Funktionseinschränkung auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel als beweiskräftiger als die diesbezüglichen Beurteilungen des Amtssachverständigen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A)

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten auszugsweise:

„§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpass auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.

§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familiennamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

§ 46. Die Beschwerdefrist beträgt abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beträgt zwölf Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.

§ 47. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpaß und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen.“

§ 1 Abs. 4 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013 in der Fassung des BGBl. II Nr. 263/2016, lautet auszugsweise:

„§ 1 ...

(4) Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen: 
1. die Art der Behinderung, etwa dass der Inhaber/die Inhaberin des Passes
a)…
b)…

2. …         
3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und         
- erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder         
- erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder         
- erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder         
- eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder         
- eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach Abs. 4 Z 1 lit. b oder d vorliegen.

(5) Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

(6)..."

Gemäß § 1 Abs. 5 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen bildet die Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in § 1 Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH 23.02.2011, 2007/11/0142, und die dort zitierten Erkenntnisse vom 18.12.2006, 2006/11/0211, und vom 17.11.2009, 2006/11/0178, jeweils mwN.).

In den auf der Homepage des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz veröffentlichten Erläuterungen zur Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen zur Stammfassung BGBl. II 495/2013 wird - soweit im Beschwerdefall relevant - Folgendes ausgeführt:

Zu § 1 Abs. 2 Z 3 (auszugsweise) – (nunmehr seit der Novelle BGBl. II Nr. 263/2016 unter § 1 Abs. 4 Z. 3 geregelt):

„Mit der vorliegenden Verordnung sollen präzisere Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgelegt werden. Die durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher entwickelten Grundsätze werden dabei berücksichtigt.

Grundsätzlich ist eine Beurteilung nur im Zuge einer Untersuchung des Antragstellers/der Antragstellerin möglich. Im Rahmen der Mitwirkungspflicht des Menschen mit Behinderung sind therapeutische Möglichkeiten zu berücksichtigen. Therapierefraktion – das heißt keine therapeutische Option ist mehr offen – ist in geeigneter Form nachzuweisen. Eine Bestätigung des Hausarztes/der Hausärztin ist nicht ausreichend.

Durch die Verwendung des Begriffes „dauerhafte Mobilitätseinschränkung“ hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.

Nachfolgende Beispiele und medizinische Erläuterungen sollen besonders häufige, typische Fälle veranschaulichen und richtungsgebend für die ärztlichen Sachverständigen bei der einheitlichen Beurteilung seltener, untypischer ähnlich gelagerter Sachverhalte sein. Davon abweichende Einzelfälle sind denkbar und werden von den Sachverständigen bei der Beurteilung entsprechend zu begründen sein.

Die Begriffe „erheblich“ und „schwer“ werden bereits jetzt in der Einschätzungsverordnung je nach Funktionseinschränkung oder Erkrankungsbild verwendet und sind inhaltlich gleichbedeutend.

Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen. Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:

- arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option
- Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen
- hochgradige Rechtsherzinsuffizienz
- Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie
- COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie
- Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie
- mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss benützt werden.

Erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen umfassen im Hinblick auf eine Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel folgende Krankheitsbilder:

-        Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10 und nach Ausschöpfung des therapeutischen Angebotes und einer nachgewiesenen Behandlung von mindestens 1 Jahr,

-        hochgradige Entwicklungsstörungen mit gravierenden Verhaltensauffälligkeiten,

-        schwere kognitive Einschränkungen, die mit einer eingeschränkten Gefahreneinschätzung des öffentlichen Raumes einhergehen,

-        nachweislich therapierefraktäres, schweres, cerebrales Anfallsleiden – Begleitperson ist erforderlich.

Eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems, die eine Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel wegen signifikanter Infektanfälligkeit einschränkt, liegt vor bei:

-        anlagebedingten, schweren Erkrankungen des Immunsystems (SCID – sever combined immundeficiency),

-        schweren, hämatologischen Erkrankungen mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit (z.B: akute Leukämie bei Kindern im 2. Halbjahr der Behandlungsphase, Nachuntersuchung nach Ende der Therapie),

-        fortgeschrittenen Infektionskrankheiten mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit,

-        selten auftretenden chronischen Abstoßungsreaktion nach Nierentransplantationen, die zu zusätzlichem Immunglobulinverlust führen.

…“

Wie oben im Rahmen der Feststellungen und der Beweiswürdigung ausführlich dargelegt wurde, leidet der Beschwerdeführer an einer sekundär progredienten Multiplen Sklerose-Erkrankung und ist es in den letzten Monaten zu einer weiteren Einschränkung der Gehstrecke gekommen. Der Beschwerdeführer kann nur noch 15 Meter ohne Krücke gehen, auch die Gehstrecke mit Hilfsmittel ist nur noch auf 100 bis 200 Meter limitiert.

Unter Berücksichtigung der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, welche von der Voraussetzung einer ununterbrochenen Gehfähigkeit von 300 bis 400 Metern mit einfachem Hilfsmittel ausgeht, ist somit auf Grundlage der aktuell vorliegenden Ermittlungsergebnisse die Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel als dem Beschwerdeführer nicht mehr zumutbar zu erachten (vgl. VwGH 23.05.2012, 2008/11/0128, und das dort zitierte Erkenntnis vom 20.10.2011, 2009/11/0032).

In Gesamtwürdigung dieser aktuellen Ermittlungsergebnisse ist dem Beschwerdeführer die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aufgrund der belegten erheblichen Einschränkung nicht mehr zumutbar.

Die belangte Behörde ist dieser rechtlichen Beurteilung nicht entgegengetreten.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde, insbesondere den dort erliegenden medizinischen Befunden vom 14.12.2018 und speziell jenem vom 07.10.2019. Dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird. An dieser Stelle ist nochmals darauf hinzuweisen, dass weder die belangte Behörde noch der rechtlich vertretene Beschwerdeführer dem gegenständlichen Ermittlungsergebnis entgegengetreten sind.

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Behindertenpass Sachverständigengutachten Unzumutbarkeit Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W133.2216711.2.00

Im RIS seit

13.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

13.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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