TE Bvwg Beschluss 2020/7/28 W280 2227183-1

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Veröffentlicht am 28.07.2020
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Entscheidungsdatum

28.07.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs2
AsylG 2005 §57
BFA-VG §18 Abs2 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §53 Abs2 Z7
FPG §55 Abs4

Spruch

W280 2227183-1/7E

Beschluss

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. Wolfgang BONT über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX .1993, StA. Serbien, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .2019, Zl. XXXX :

A)

I. In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I.       Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin (BF), eine Staatsangehörige von Serbien, wurde am XXXX .2019 beim Diebstahl von Bekleidungsstücken in einem Einkaufszentrum in XXXX betreten. Der entstandene Schaden wurde von der BF durch Bezahlung der gestohlenen Waren behoben und erklärte sich diese mit einer von der Staatsanwaltschaft XXXX angeordneten Diversion in Höhe von EUR 100 einverstanden.

Am XXXX 2019 wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA oder belangte Behörde) hierauf gegen die BF eine aufenthaltsbeendende Maßnahme eingeleitet und dieser im Rahmen des Parteiengehörs Gelegenheit gegeben zur beabsichtigten Erlassung einer Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot Stellung zu nehmen, der die BF am XXXX 2019, übermittelt per Telefax, nachkam.

Am XXXX .2019 wurde die BF im Rahmen einer Kontrolle durch Beamte der Landespolizeidirektion XXXX , Fremdenpolizei, in einem Lokal in Wien angetroffen und wegen der Ausübung einer unerlaubten Beschäftigung zur Anzeige gebracht.

Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des BFA wurde sodann gegen die BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt I.), gegen die BF gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt II.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß 46 FPG nach Serbien zulässig ist (Spruchpunkt III.). Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Absatz 4 FPG nicht gewährt (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BVA-VG wurde die aufschiebende Wirkung wurde aberkannt (Spruchpunkt V) und gemäß § 53 Abs. 1 iVm. Abs. 2 Z 6 und 7 FPG gegen die BF ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV).

Am XXXX .2019 reiste die BF sodann freiwillig auf dem Landweg nach Serbien aus.

Mit Eingabe vom XXXX .2019 langte beim BFA fristgerecht die Beschwerde der BF ein, die dem Bundesverwaltungsgericht samt dem Bezug habenden Verwaltungsakt am XXXX 2020, eingelangt am XXXX .2020, vorgelegt wurde. Die BF begehrt mit ihrer Beschwerde die Aufhebung des gegenständlichen Bescheides, in eventu die Aufhebung des Spruchpunktes VI. bzw. in eventu den Spruchpunkt VI. dahingehend abzuändern, dass die Dauer des Einreiseverbotes reduziert wird.

Mit Beschluss des Geschäftsverteilungsausschusses des BVwG vom 04.03.2020 wurde die Beschwerdesache einer anderen Gerichtsabteilung neu zugewiesen.

II.      Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die volljährige, strafrechtlich unbescholtene BF, die nur unzureichend Deutsch spricht, ist Staatsangehörige von Serbien und somit Drittstaatsangehörige im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 10 FPG. Sie besitzt einen serbischen Reisepass, ausgestellt am XXXX 2012 mit Gültigkeit bis XXXX .2022. Ihre Identität steht fest.

Ihr Lebensmittelpunkt, wo auch ihre Eltern sowie ihr jüngerer Bruder und die Stiefschwester leben, und wo sie in der Qualitätskontrolle eines Produktionsbetriebes arbeitet, ist Serbien.

Die BF war im Zeitraum vom XXXX .2019 bis XXXX .2019 im Bundesgebiet behördlich bei einer Freundin gemeldet.

Festgestellt wird, dass die BF im Jahr Kalenderjahr 2019 immer wieder von Serbien in den Schengenraum einreiste und sich dort unterschiedlich lange aufhielt, sohin im Zeitraum vom XXXX 2019 bis XXXX 2019, von XXXX 2019 bis XXXX .2019, von XXXX .2019 bis XXXX 2019, von XXXX .2019 bis XXXX .2019, sowie von XXXX .2019 bis XXXX .2019.

Die BF wurde am XXXX .2019 in einem Einkaufszentrum in Wien beim Diebstahl von Kleidungsstücken im Werte von insgesamt EUR 195,96 betreten. Der entstandene Schaden von ihr beglichen und stimmte die BF einer von der zuständigen Staatsanwaltschaft vorgeschlagenen Diversion in Höhe von EUR 100 zu.

Am XXXX .2019 um 21:20 Uhr wurde die BF im Zuge einer finanzpolizeilichen Kontrolle in einer Pizzeria in XXXX angetroffen und wegen illegaler Beschäftigung angezeigt. Eine konkrete Beschreibung der Tätigkeit, bei der die BF hinter der Schank angetroffenen wurde, ist in der Anzeige nicht enthalten. Die BF hat gegenüber den kontrollierenden Beamten bestritten, dass sie in diesem Lokal arbeitet. Eine niederschriftliche Einvernahme unter Beziehung eines Dolmetschers erfolgte nicht.

Mangels entsprechender Ermittlungen der belangten Behörde konnte nicht festgestellt werden, ob die BF tatsächlich einer nach dem AuslBG zu qualifizierenden unerlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist und ob sie über ausreichende finanzielle Mittel zur Bestreitung ihres Unterhaltes verfügt hat.

Ein unrechtmäßigerer Aufenthalt im Bundesgebiet ab XXXX 2019 kann sohin ebenfalls nicht festgestellt werden.

Die BF reiste am XXXX .2019 freiwillig auf dem Landweg nach Serbien aus.

2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde, dort insbesondere in die Beschuldigtenvernehmung und den Abschlussbericht durch die Beamtin der Polizeiinspektion Gerasdorf bei Wien, die per Fax an die belangte Behörde übermittelte Stellungnahme der BF im Rahmen des Parteiengehörs sowie in die Anzeige der Landespolizeidirektion Wien, in den bekämpften Bescheid und in die Beschwerde. Ergänzend wurden Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister und der Grundversorgung zum vorliegenden Akt eingeholt.

Die Identität der BF steht aufgrund der Vorlage ihres Reisepasses gegenüber den Beamten der Landespolizeidirektion Wien fest.

Die Feststellungen zu ihren persönlichen, familiären und beruflichen Verhältnissen beruhen auf den Angaben der BF bei ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor der Polizeiinspektion Gerasdorf bei Wien im Nachhang zur Betretung beim Diebstahl und werden mangels entgegenstehender Anhaltspunkte als wahr unterstellt.

Die Feststellung zur Unbescholtenheit der BF sowie zur behördlichen Meldung im Bundesgebiet entspricht dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes (Einsicht in das Strafregister der Republik Österreich sowie das Zentrale Melderegister), jene zu den Ein- und Ausreisen von Serbien in bzw. aus dem Schengen-Raum ergeben sich aus den Sichtvermerken ihres Reisepasses.

Die Begehung eines Diebstahles, die Schadlosstellung sowie die Zustimmung zu einer Diversion ergibt sich aus dem Verfahrensakt der belangten Behörde.

Dass die BF am XXXX .2019 in einer Pizzeria in XXXX hinter der Schank angetroffen wurde ergibt sich aus der Anzeige an der XXXX . Eine konkrete Beschreibung der Tätigkeit, bei der die BF angetroffen wurde, ist der Anzeige nicht zu entnehmen. Das Bestreiten einer Beschäftigung durch die BF gegenüber den kontrollierenden Beamten wurde zwar in der Anzeige festgehalten. Die belangte Behörde, die - aufgrund der ihr bekannten Beschuldigtenvernehmung durch die Polizeiinspektion XXXX – von den unzureichenden Deutschkenntnissen der BF wissen musste, hat eine Befragung der BF hierzu unter Beiziehung eines Dolmetsches unterlassen. Eine Hinterfragung der Anzeige, die allein im Tatvorwurf gründet, dass die BF „ …. hinter der Schank arbeitend angetroffen (wurde)“ fand ebenfalls nicht statt.

Die Frage ob die BF genügend finanzielle Mittel zur Bestreitung ihres Aufenthaltes in Österreich dabei hatte, kann nicht beantwortet werden. Entsprechende Feststellungen der belangten Behörde zum Vorliegen der Mittelosigkeit im angefochtenen Bescheid beruhen auf dem Vorwurf der unerlaubten Erwerbstätigkeit, dem Ladendiebstahl, sowie in der Unterstellung des Nichtvorliegens eines Arbeitsverhältnisses auf Seiten der BF in ihrem Herkunftsland. Begründet wird Letzteres mit der Vielzahl von Reisen der BF in den Schengenraum bzw. dass die im Schengenraum verbrachte Zeit einen Jahresurlaub übersteige und dem Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses entgegenstehe.

Aus den im Reisepass der BF befindlichen Sichtvermerken ist ersichtlich, dass die BF im Kalenderjahr 2019 sich 78 Tage im Schengenraum aufgehalten hat. Abzüglich der in diese Zeiträume fallenden Samstage, Sonntage und Feiertage bleiben ca. 55 Werktage übrig. Der überwiegende Teil der Aufenthaltsdauer, sohin vom XXXX .2019 bis XXXX .2019 bzw. vom XXXX .2019 bis XXXX .2019 macht 51 Tage und bezieht sich auf einen zusammenhängenden Zeitraum. Die von der belangten Behörde getätigte Schlussfolgerung ist sohin – zumindest was den Zeitraum bis XXXX .2019 anbelangt, nicht nachvollziehbar.

Letztlich wurden auch keine Ermittlungen hinsichtlich der der BF zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel angestellt, sondern eine von der belangten Behörde festgestellte Mittellosigkeit mit dem Diebstahl von Kleidern und der angezeigten Schwarzarbeit begründet. Nicht hinterfragt wurde jedoch die dieser Annahme entgegenstehende Angabe der BF im Rahmen des Parteiengehör, wonach sie über EUR 200 an Barmitteln, über eine Bankomat- und Kreditkarte sowie über ein Konto verfüge und jederzeit auf dieses zugreifen und Geld abheben könne.

Anhaltspunkte, wonach die BF ohne die Verwirklichung des Tatbestands der illegalen Beschäftigung und der Mittelosigkeit sich unrechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat sind keine erkennbar und wurden solche auch nicht vorgebracht, weshalb die Unrechtmäßigkeit ihres Aufenthaltes im Bundesdienst nicht festgestellt werden kann.

Die Feststellung, wonach die BF freiwillig nach Serbien ausreiste ergibt sich aus dem Verfahrensakt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 9 Abs. 2 FPG und § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA.

Da sich die gegenständliche - zulässige und rechtzeitige - Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA richtet, ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem, dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen, Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

Staatsangehörige der Republik Serbien, die Inhaber eines biometrischen Reisepasses sind, sind nach Art. 1 Abs. 2 iVm Anlage II der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 vom 15.03.2001, ABl. L 81 vom 21.03.2001, S. 1, von der Visumpflicht für einen Aufenthalt, der 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen nicht überschreitet, befreit.

Gemäß § 31 Abs. 1 Z 1 FPG halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während des Aufenthaltes im Bundesgebiet die Befristung oder Bedingungen des Einreisetitels oder des visumfreien Aufenthaltes oder die durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, Bundesgesetz oder Verordnung bestimmte Aufenthaltsdauer nicht überschritten haben.

Gemäß Art. 20 Schengener Durchführungsübereinkommen können sich sichtvermerksbefreite Drittstaatsangehörige in dem Hoheitsgebiet der Vertragsstaaten frei bewegen, höchstens jedoch drei Monate innerhalb einer Frist von sechs Monaten von dem Datum der ersten Einreise an, sofern die Einreisevoraussetzungen des Art 5 lit. a bis e Schengener Grenzkodex vorliegen.

Gemäß Art 6 Abs. 1 lit. e Schengener Grenzkodex kann einem Drittstaatsangehörigen die Einreise in das Hoheitsgebiet der Vertragsstaaten gestattet werden, wenn er keine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die nationale Sicherheit oder die internationalen Beziehungen einer der Vertragsstaaten darstellt.

Die BF reiste unter Verwendung eines gültigen Reisepasses visumsfrei in das österreichische Bundesgebiet ein.

Auf Grund des Umstandes, dass die BF am XXXX .2019 während des visumfreien Aufenthaltes bei einem Ladendiebstahl betreten wurde ergibt sich nicht zwangsläufig eine Unrechtmäßigkeit ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet. Im gegenständlichen Fall wurde aufgrund der Schadenswiedergutmachung durch die BF seitens der zuständigen Staatsanwaltschaft dieser eine Diversion im Ausmaß von EUR 100 angeboten und von der BF angenommen.

Zur Diversion im Allgemeinen ist auszuführen, dass diese ein Absehen von der Verfolgung und Bestrafung einer Person, die erwiesenermaßen eine gerichtlich strafbare Handlung begangen hat und dafür auch verurteilt werden könnte, bedeutet. Die Tat bleibt dabei nicht straflos, weil der Verdächtige für gewöhnlich Leistungen erbringen muss, insbesondere muss dem Verletzten rasch Genugtuung und Entschädigung verschafft werden. Es soll keine Entkriminalisierung darstellen, obwohl mit der Diversion keine Bescholtenheitswirkung verbunden ist; überdies kann die Begegnung mit dem Verletzten bewirken, dass sich der Täter doch mit den Ursachen und Folgen seiner Tat auseinandersetzt. Spezial- und Generalprävention bleiben gewahrt (vgl. Dohr/Pollirer/Weiss/Knyrim, DSG2 3. Diversion, §§ 198-209 StPO, Stand 26.11.2015, rdb.at).

Auch wenn die Handlung der BF (Diebstahl) nicht geschmälert werden soll, war die Schuld der BF nicht als schwer anzusehen (dies als Voraussetzung für eine Diversion nach § 198 Abs. 2 StPO) und stellt sohin auch keinen Tatbestand für das Treffen einer Rückkehrentscheidung dar. Die belangte Behörde hat ihre Entscheidung im angefochtenen Bescheid richtigerweise auch nicht auf den von der BF begangenen Ladendiebstahl gestützt.

Hinsichtlich der Betretung der BF hinter der Schank eines Gastronomiebetriebes ist festzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, dass in einem Fall eines Gefälligkeitsdienstes, welcher nicht unter die bewilligungspflichtige Beschäftigung im Sinne der zitierten Bestimmung fällt, die Freiwilligkeit im Sinne des Fehlens einer rechtlichen Verpflichtung der Leistung ohne vertragliche Verpflichtung wesentlich ist.

So hat er etwa die stundenweise Aushilfe eines Ausländers (in der Landwirtschaft und im Gastbetrieb), der bei einem Arbeitgeber freies Quartier und freie Kost hat, als nicht ausreichend angesehen um vom Vorliegen einer Beschäftigung im Sinne des AuslBG auszugehen (Hinweis E vom 11. Juli 1990, Zl. 90/09/0062).

Bedenken hat der Verwaltungsgerichtshof aber dort als angebracht angesehen, wo die Tätigkeit in einem Gewerbebetrieb erfolgte.

Wenn die BF in einem Betrieb an einem Arbeitsplatz angetroffen wurde, der Betriebsfremden im Allgemeinen nicht zugänglich ist - und dazu gehört in einem Wirtshaus auch jener dem Personal vorbehaltene Bereich wo Getränke ausgeschenkt werden - ist daher vom Vorliegen einer bewilligungspflichtigen Beschäftigung auszugehen. Dies jedoch nur dann, wenn keine entgegenstehenden Anhaltspunkte vorliegen und diese entsprechend glaubhaft gemacht werden. Derartige Anhaltspunkte stellen zum Beispiel Tätigkeiten im Rahmen und wegen eines Verwandtschaftsverhältnisses zwischen Beschäftiger und Beschäftigtem dar, was auch als Freundschaftsdienst zählen kann (VwGH 25.04.2019, Ra 2019/09/0048).

Die belangte Behörde begründete die Rückkehrentscheidung und auch das darauf basierende Einreiseverbot damit, dass der Aufenthalt der BF unrechtmäßig geworden sei, weil sie unerlaubt im Bundesgebiet gearbeitet und somit gegen das AuslBG verstoßen habe. Für das Einreiseverbot wurde zudem die Begründung herangezogen, dass die BF die Mittel zu ihrem Unterhalt nicht nachweisen habe können.

Diese beiden Umstände werden aber durch die Ermittlungen und Feststellungen der belangten Behörde keineswegs getragen. Der erkennende Richter verkennt nicht, dass unter den Umständen, unter denen die BF am XXXX .2019 betreten wurde, augenscheinlich einiges dafür sprach, dass die BF einer unerlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen sein könnte.

Wenn die belangte Behörde in weiterer Folge - abseits der äußerst dürftigen Tatbeschreibung in der Anzeige der Landespolizeidirektion Wien, Fremdenpolizei, - jegliche eigene Ermittlungstätigkeit unterlässt, sich trotz des in der Anzeige festgehaltenen Bestreitens der illegalen Beschäftigung durch die BF keine eigenen Ermittlungsschritte unternimmt und auf eine niederschriftliche Einvernahme der BF unter Beiziehung eines Dolmetschers verzichtet, so ist sie offensichtlich vom „äußeren Erscheinungsbild“ ausgegangen.

Bei der Beurteilung, ob ein Freundschafts- /oder Gefälligkeitsdienst vorliegt oder ein konkreter Fall einer illegalen Beschäftigung, hat die Behörde eine Würdigung aller Umstände vorzunehmen. Bei der Beurteilung der Frage, ob im konkreten Fall ein Freundschafts-/oder Gefälligkeitsdienst anzunehmen ist, trifft die Partei – unabhängig von der grundsätzlichen Verpflichtung der Behörde zur amtswegigen Erforschung des für die Entscheidung notwendigen Sachverhaltes – eine entsprechende Mitwirkungspflicht, zumal es sich bei den zur Beantwortung der Frage, ob ein Freundschafts- oder Gefälligkeitsdienst vorliegt, erforderlichen Umständen um solche handelt, die zumeist der Privatsphäre der Partei zuzuordnen sind und der Behörde nicht ohne Weiteres zur Kenntnis gelangen. Es ist in diesen Fällen hauptsächlich Sache der Partei, entsprechend konkrete Behauptungen aufzustellen und Beweise anzubieten (s.a. VwGH 04.10.2012, 2012/09/0010). Im gegenständlichen Fall war es der beschwerdeführenden Partei jedoch schlichtweg unmöglich ihrer Mitwirkungspflicht nachzukommen, da die Behörde allein aufgrund der Anzeige den nunmehr angefochtenen Bescheid erlassen hat.

Dabei wäre es für die belangte Behörde ein leichtes gewesen die BF zu ihrem Widerspruch betreffend die im Raum stehende Schwarzarbeit zu befragen und sich persönlich ein Bild vom Vorliegen etwaiger Anhaltspunkte hinsichtlich des Vorliegens eines Gefälligkeits-/ oder Freundschaftsdienstes, oder anderweitiger, dem „äußeren Erscheinungsbild“ entgegenstehender, Gesichtspunkte zu machen.

Dies gilt auch für die Frage, ob die BF die Mittel zu ihrem Unterhalt nachweisen konnte. So hat die belangte Behörde die von der BF im Rahmen des Parteiengehörs getätigten Angaben negiert, sich auch diesbezüglich jeglicher weiteren Ermittlungstätigkeit enthalten und ihre Feststellungen zur Mittellosigkeit mit dem Ladendiebstahl und der Schwarzarbeit begründet. Es wäre der belangten Behörde leicht möglich gewesen der BF im Rahmen einer Ladung zu einer niederschriftlichen Einvernahme die Beibringung bzw. die Vorlage von Bankomat- und Kreditkarte respektive eines Kontoauszuges aufzutragen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Nach § 28 Abs. 2 leg.cit hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Zif. 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Zif. 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Zur Anwendung des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG durch die Verwaltungsgerichte hat der Verwaltungsgerichtshof ausgehend von einem prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht durch das Verwaltungsgericht ausgesprochen, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen beziehungsweise besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden könne. Diesbezüglich führte er aus, dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen insbesondere dann in Betracht komme, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gelte, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

Der Verwaltungsgerichtshof judiziert in mittlerweile ständiger Rechtsprechung, dass das Verwaltungsgericht prinzipiell nicht nur die gegen einen verwaltungsbehördlichen Bescheid eingebrachte Beschwerde, sondern auch die Angelegenheit zu erledigen hat, die von der Verwaltungsbehörde zu entscheiden war (vgl. VwGH 30.01.2019, Ra 2018/03/0131, mwN). Eine Auslegung des § 27 VwGVG dahingehend, dass die Prüfbefugnis der Verwaltungsgerichte stark eingeschränkt zu verstehen wäre, ist demnach unzutreffend (vgl. VwGH 09.09.2015, Ra 2015/03/0019, mit Hinweis auf VwGH 17.12.2014, Ro 2014/03/0066). Allerdings stellt die "Sache" des bekämpften Bescheides den äußersten Rahmen für die Prüfbefugnis des Verwaltungsgerichts dar. "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht ist jene Angelegenheit, die den Inhalt des Spruchs der vor dem Verwaltungsgericht belangten Verwaltungsbehörde gebildet hat (vgl. VwGH 17.10.2019, Ro 2019/18/0005, mwN). Jedenfalls durch die Anträge in der Beschwerde nicht beschränkt wird die Entscheidungsbefugnis des Verwaltungsgerichts iSe meritorischen Entscheidung oder einer Aufhebung und Zurückverweisung, soweit die Voraussetzungen dafür vorliegen (VwGH 27.01.2015, Ra 2014/22/0087).

Im vorliegenden Fall hätte die belangte Behörde den in der Anzeige betreffend den Vorwurf der Schwarzarbeit enthaltenen Widerspruch der BF überprüfen und die die Entscheidung tragende Frage des tatsächlichen Vorliegens oder Nicht-Vorliegens einer gegen das AuslBG verstoßenden Tätigkeit der BF ermitteln müssen. Die belangte Behörde unterließ trotz der äußerst kursorischen Tatbeschreibung, wonach die BF „hinter der Schank arbeitend angetroffen (wurde)“, jegliche Ermittlungsschritte zu dieser Aussage in der Anzeige.

Auch wurde der BF vom Bundesamt keinerlei Möglichkeit eingeräumt die Mittel zur Bestreitung ihres Unterhalts nachzuweisen, obwohl diese zuvor im Rahmen des Parteiengehörs angab, über entsprechende Barmittel, Bankomat- und Kreditkarte sowie ein Konto zu verfügen.

Da das Bundesamt den Sachverhalt somit gegenständlich nicht ordnungsgemäß ermittelt hat, ist auf der Grundlage des bisherigen Beweisverfahrens die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts nicht möglich; dieser ist vielmehr in wesentlichen Teilen erheblich ergänzungsbedürftig. Die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung durch das Gericht liegen in einer Gesamtschau somit nicht vor, weil es weder zu einer Kostenersparnis noch zu einer Verfahrensbeschleunigung führt, wenn das erkennende Gericht die notwendigen Erhebungen selbst vornimmt, zumal das Bundesamt - wie bereits ausgeführt - nur ansatzweise ermittelt hat und zu dem entscheidungswesentlichen Faktum des Gefälligkeitsdienstes (s. Bestreiten der Beschäftigung und das damit korrelierende Vorbringen in der Beschwerde) überhaupt keine erkennbaren Ermittlungen getätigt hat. Es liegt auch nicht im Sinne des Gesetzes, wenn das Bundesverwaltungsgericht erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und beurteilt, sodass es seine umfassende Kontrollbefugnis nicht wahrnehmen kann. Eine ernsthafte Prüfung des Sachverhaltes soll nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und - bis auf die eingeschränkte Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts - zugleich enden.

Der angefochtene Bescheid ist somit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt zurückzuverweisen. Das Bundesamt wird im fortgesetzten Verfahren die erörterten Ermittlungen und Feststellungen zum möglichen Vorliegen oder Nicht-Vorliegen eines Gefälligkeitsdienstes iSd AuslBG und zur Frage welche Barmittel der BF tatsächlich zur Verfügung standen zu treffen haben. Sollte die belangte Behörde im fortgesetzten Verfahren zum Ergebnis kommen, dass die Voraussetzungen für eine Rückkehrentscheidung und ein zu verhängendes Einreiseverbot vorliegen, so ist der von der BF begangene Ladendiebstahl bei der Beurteilung der Gefährdungsprognose mit zu berücksichtigen.

Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Da auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entfallen.

Zu B): Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

In der Beschwerde findet sich kein schlüssiger Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Die Entscheidung folgt der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W280.2227183.1.00

Im RIS seit

12.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

12.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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