TE Vfgh Erkenntnis 1995/11/27 B2116/94

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Veröffentlicht am 27.11.1995
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art83 Abs2
RechtsanwaltsprüfungsG §2 Abs1
RechtsanwaltsprüfungsG §6

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Nichtzulassung zur zweiten Teilprüfung der Rechtsanwaltsprüfung mangels Nachweis der erforderlichen praktischen Verwendung

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Schriftsatz vom 4. Mai 1992 beantragte der Beschwerdeführer beim Präses der Rechtsanwaltsprüfungskommission beim Oberlandesgericht Wien die Zulassung zur zweiten Teilprüfung der Rechtsanwaltsprüfung gemäß dem Rechtsanwaltsprüfungsgesetz 1985 (im folgenden: RAPG). Dieser Antrag wurde vom Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien mit Schreiben vom 1. Juli 1992 gemäß §6 leg.cit. an die Rechtsanwaltskammer Wien mit dem Ersuchen um Stellungnahme übermittelt. Mit Erklärung vom 8. Juli 1992 teilte deren Ausschuß mit, daß gegen die Zulassung des Beschwerdeführers zur zweiten Teilprüfung kein Einwand bestehe. Diese Zustimmung wurde jedoch mit Schreiben vom 3. September 1992 zurückgezogen. Begründend wurde ausgeführt, es sei übersehen worden, daß Herr Dr. E S die nach der ersten Teilprüfung zwingend zu absolvierende sechsmonatige Tätigkeit bei einem Rechtsanwalt (Finanzprokuratur) nicht aufweise. Er sei nach eigenen Eingaben in Karenz gewesen, sodaß diese Zeit nicht anrechenbar sei.

1.2. Mit Bescheid vom 1. Oktober 1993 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung zur zweiten Teilprüfung der Rechtsanwaltsprüfung durch den Präses der Rechtsanwaltsprüfungskommission als Behörde erster Instanz schließlich abgewiesen. Gegen diesen Bescheid wurde vom Beschwerdeführer Berufung erhoben, der jedoch mit Bescheid der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) vom 20. Dezember 1993 nicht Folge gegeben wurde. Die OBDK begründete ihre Entscheidung im wesentlichen wie folgt:

"Im Fall einer Rechtsänderung zwischen Antragstellung und Entscheidung ist grundsätzlich das im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides geltende materielle (Verwaltungs-)Recht maßgebend, sofern nicht Sonderregelungen (wie zB im Verwaltungsstrafrecht) oder Übergangsbestimmungen normiert sind, denenzufolge 'auf anhängige Verfahren noch das bisher geltende Recht anzuwenden' wäre (vgl Antoniolli/Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht2 200 f); sogar Rechtsänderungen, die zwischen der erst- und der zweitinstanzlichen Entscheidung eintreten, sind zu berücksichtigen (Walter/Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechtes5 Rz 541), sodaß im allgemeinen die Rechtsmittelbehörde daher das im Zeitpunkt der Erlassung ihres Bescheides geltende Recht anzuwenden hat.

Vorliegend hat sich die maßgebende Rechtslage zwischen Antragstellung (6. Mai 1992) und Erlassung des angefochtenen Bescheides (1. Oktober 1993) geändert: Während im Zeitpunkt der Antragstellung §2 Abs1 RAPG idF des ArtII des Bundesgesetzes BGBl 1992/176 gegolten hat, gilt seit 1. Jänner 1993 (und damit im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung) §2 Abs1 RAPG idF des ArtIII des Bundesgesetzes BGBl 1993/21.

...

Mangels einer Übergangsbestimmung des Inhalts, daß auf anhängige Verfahren noch die im Zeitpunkt der Antragstellung geltende Fassung des §2 Abs1 RAPG idF des ArtII BGBl 1992/176 anzuwenden sei, hat der Präses der Rechtsanwaltsprüfungskommission das Antragsvorbringen zutreffend nach der seit dem 1. Jänner 1993 geltenden Fassung der zitierten Bestimmung geprüft.

Weder §2 Abs1 RAPG idF des ArtIII BGBl 1993/21 noch ArtV Z5 BGBl 1993/21 schreiben vor, daß ein bestimmter Teil der praktischen Verwendung erst nach Ablegung der l. Teilprüfung iS der bisherigen Bestimmungen absolviert werden müßte. Um nach der im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides geltenden Rechtslage zur Rechtsanwaltsprüfung (iS ArtV Z5 BGBl 1993/21) zugelassen zu werden, müßte der Berufungswerber demnach insgesamt eine praktische Verwendung im Ausmaß von 3 Jahren, hievon mindestens 9 Monate bei Gericht und mindestens 2 Jahre bei einem Rechtsanwalt (wobei die Tätigkeit bei der Finanzprokuratur der bei einem Rechtsanwalt gleichzuhalten ist: §2 Abs1 Satz 2 RAO) nachweisen. Diesen Nachweis hat der Berufungswerber jedoch nicht erbracht:

Der Berufungswerber war in der Zeit vom 1.April 1987 bis zum 31. Dezember 1988, ds 21 Monate, bei der Finanzprokuratur tätig, wobei diese Tätigkeit der bei einem Rechtsanwalt gleichzuhalten ist. Demnach fehlen ihm aber weitere 3 Monate praktischer Verwendung bei einem Rechtsanwalt oder bei der Finanzprokuatur, um die seit dem l. Jänner 1993 erforderliche Mindestdauer von 2 Jahren praktischer Verwendung bei einem Rechtsanwalt nachzuweisen.

Es trifft zwar zu, daß der Berufungswerber außer einer Gerichtspraxis von 9 Monaten urd 14 Tagen auch noch über eine rechtsberufliche Tätigkeit bei einer Verwaltungsbehörde (Finanzlandesdirektion) - mit Rücksicht auf die voll angerechnete Gerichtspraxis im anrechenbaren Höchstausmaß von 14 Monaten und 16 Tagen - verfügt; rechnet man diese weitere Verwendung von zusammen 2 Jahren zu der anerkannten Finanzprokuratur-Praxis von 21 Monaten hinzu, kommt der Berufungswerber zwar auf eine praktische Verwendung von insgesamt mehr als 3 Jahren. Nach ständiger Judikatur der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission kann aber ein Übermaß einer bestimmten anderen, auch rechtsberuflichen Praxis nicht die auf das gesetzlich vorgeschriebene Mindestmaß einer Pflichtverwendung fehlende Verwendungsdauer ersetzen (AnwBl 1993, 336; 772 ua).

Der einjährige Karenzurlaub des Berufungswerbers, damals noch als Beamter der Finanzprokuratur, in der Zeit vom 1. Jänner 1989 bis zum 31. Dezember 1989 kann - entgegen der Ansicht des Berufungswerbers und übereinstimmend mit der Rechtsmeinung im angefochtenen Bescheid - nicht als Zeit einer praktischen Verwendung bei der Finanzprokuratur beurteilt werden. Eine Karenzierung, während der auch der Entgeltanspruch des Karenzierten ruht, unterscheidet sich wesentlich von Zeiten einer Erkrankung oder eines Gebührenurlaubs bei an sich aufrechter Tätigkeit des Betreffenden beim Rechtsanwalt bzw bei der Finanzprokuratur. Dazu kommt: Gemäß §2 Abs1 letzter Satz RAO ist für die praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt (und damit gleichermaßen auch bei der Finanzprokuratur) vorgeschrieben, daß diese Tätigkeit 'hauptberuflich' sein muß, um zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft anrechenbar zu sein. Der Berufungswerber war aber ab 1. Jänner 1989, somit ab Beginn seiner Karenzierung als Beamter der Finanzprokuratur, als Angestellter eines Unternehmens der Privatwirtschaft (Leiter der Rechtsabteilung) beschäftigt, mithin hauptberuflich anderweitig tätig, wobei diese anderweitige Tätigkeit nicht unter die im §2 Abs1 RAO taxativ angeführten, als Ersatz- oder Alternativpraxis geltenden Tätigkeiten fällt.

Dem angefochtenen Bescheid haftet somit, ausgehend von der im Zeitpunkt seiner Erlassung geltenden Rechtslage, eine inhaltliche Rechtswidrigkeit, wie sie der Berufungswerber behauptet, nicht an. Bei seiner Argumentation, die fehlenden 3 Monate praktischer Verwendung gingen nicht wesentlich über das mögliche Maß an 'normalem' Gebührenurlaub hinaus, verkennt der Berufungswerber den essentiellen Unterschied zwischen einer Karenzierung und einem Gebührenurlaub, auf den oben bereits verwiesen wurde. Der Hinweis hinwieder auf einen nach Ansicht des Berufungswerbers gleichgelagerten, aber seinerzeit anders entschiedenen 'Präzedenzfall' geht deshalb fehl, weil bei der Entscheidung über die Anträge des Berufungswerbers von der geltenden Rechtslage auszugehen ist und eine hievon allenfalls abweichende Beurteilung in einem anderen Fall als dem vorliegenden für die vorliegende Entscheidung ohne Belang zu bleiben hat. Auf die vom Berufungswerber schließlich geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken braucht nicht weiter eingegangen zu werden, weil die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission zu einer Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof nicht legitimiert ist. Daß aber der Präses der Rechtsanwaltsprüfungskommission die geltenden Bestimmungen nicht verfassungskonform ausgelegt habe, vermag die Berufung nicht darzutun.

Nur der Vollständigkeit halber sei beigefügt, daß im angefochtenen Bescheid auch zutreffend erkannt wird, daß auch nach der zur Zeit der Antragstellung geltenden Fassung des §2 Abs1 RAPG idF des ArtII BGBl 1992/176 die Zulassungsvoraussetzungen in Ansehung der

2. Teilprüfung nicht vorlagen, weil der Berufungswerber nach erfolgreich abgelegter l. Teilprüfung nur eine Praxiszeit von 17 Tagen bei der Finanzprokuratur zurückgelegt hat, womit er das Erfordernis einer sechsmonatigen Praxis bei einem Rechtsanwalt (bzw bei der Finanzproküratur) nicht erfüllt hat.

Was letztlich jene Berufungsauführungen betrifft, mit denen in Ansehung der Erklärungen der Rechtsanwaltskammer Wien vom 8. Juli 1992 und sodann vom 3. September 1992 ein Verfahrensmangel reklamiert wird, weil es an einer Rechtsgrundlage für ein 'Zurückziehen der zunächst erteilten Zustimmung zur Zulassung zur Rechtsanwaltsprüfung' fehle, so ist die Berufung auch damit nicht im Recht:

Richtig ist, daß der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer Wien dem Präses der Rechtsanwaltsprüfungskommission beim Oberlandesgericht Wien am 8. Juli 1992 zunächst mitteilte, es bestehe gegen eine Zulassung des Antragstellers zur 2. Teilprüfung nach dem RAPG kein Einwand, und daß der Ausschuß dem Präses am 3. September 1992 mitteilte, die 'Zustimmung werde zurückgezogen', weil übersehen worden war, daß der Antragsteller nach seinen eigenen Angaben bei der Finanzprokuratur in Karenz war, 'sodaß diese Zeit' (gemeint: vom 1. Jänner 1989 bis 31. Dezember 1989) nicht anrechenbar sei.

Gemäß §6 RAPG (idF des ArtIII Z2 BGBl 1993/21) entscheidet über die Zulassung zur Rechtsanwaltsprüfung auf Antrag des Prüfungswerbers der Präses der Kommission 'im Einvernehmen mit der Rechtsanwaltskammer, in deren Liste der Prüfungswerber eingetragen ist oder zuletzt war'. Das bedeutet, daß jedes Ansuchen um Zulassung zur Prüfung der zuständigen Rechtsanwaltskammer zur Äußerung zuzumitteln ist. Erhebt die Kammer Einwände, so sind diese vom Präses zu prüfen und es ist zu versuchen, zu einer einvernehmlichen Rechtsauffassung zu gelangen. Die Entscheidung über die Zulassung obliegt jedoch in jedem Fall ausschließlich dem Präses der Kommission; der Äußerung der zuständigen Rechtsanwaltskammer kommt dabei nur die Bedeutung einer, wenngleich qualifizierten, gutächtlichen Stellungnahme zu, die nicht in Ausübung eines die Entscheidungsbefugnis des Präses einschränkenden Zustimmungsrechts und damit nicht in Form eines der Rechtskraft fähigen Bescheides ergeht. Selbst wenn die ursprüngliche Stellungnahme (vom 8. Juli 1992) nicht 'zurückgenommen', dh abgeändert worden wäre, wäre der Präses bei seiner Entscheidung über die Zulassung an die ursprünglich geäußerte Rechtsmeinung der Rechtsanwaltskammer in keiner Weise gebunden gewesen, sondern hätte aus den im angefochtenen Bescheid angeführten Erwägungen die Zulassung des Antragstellers zur

2. Teilprüfung (bzw nach der neuen Rechtslage: zur Rechtsanwaltsprüfung mit den sich aus ArtV Z5 BGBl 1993/21 ergebenden Modifikationen) verweigern können (und bei der gegebenen Sachlage müssen). Von einem Verfahrensmangel in Ansehung der Erlassung des angefochtenen Bescheides kann somit keine Rede sein.

Dem angefochtenen Bescheid haftet demnach auch insoweit kein Mangel an.

Der angefochtene Bescheid entspricht aber auch, soweit es die Abweisung des Antrages auf Anrechnung von den im Antrag angeführten Fächern auf die Prüfungsfächer der Rechtsanwaltsprüfung betrifft, der Rechtslage; sieht doch weder das RAPG noch das BARG einen derartigen Antrag vor. Die Bezugnahme des Berufungswerbers auf ArtI §13 EWR-RAG 1992, BGBl 1993/21 geht im gegebenen Zusammenhang fehl, weil sich diese Bestimmung ausschließlich auf die Eignungsprüfung gemäß ArtI §§8 ff EWR-RAG BGBl 1993/21, nicht aber (auch) auf die Rechtsanwaltsprüfung nach den Vorschriften des ArtIII BGBl 1993/21 bezieht. Für eine analoge Anwendung des §13 EWR-RAG bleibt kein Raum, weil es sich im RAPG ersichtlich um keine ungewollte Regelungslücke handelt."

1.3. Dagegen richtet sich vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, namentlich der Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, sowie eventualiter die Verletzung in Rechten wegen Anwendung verfassungswidriger Gesetze geltend gemacht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

1.4. Die OBDK als belangte Behörde hat die Akten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie beantragt, der Beschwerde nicht Folge zu geben.

2. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

2.1. Der angefochtene Bescheid stützt sich im wesentlichen auf §2 Abs1 RAPG idF des ArtIII des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 21/1993. Dieser lautet:

"Die Rechtsanwaltsprüfung kann nach Erlangung des Doktorates der Rechte oder, für Absolventen des Diplomstudiums nach dem Bundesgesetz vom 2. März 1978, BGBl. Nr. 140, über das Studium der Rechtswissenschaften, des Magisteriums der Rechtswissenschaften und einer praktischen Verwendung im Ausmaß von drei Jahren, hievon mindestens neun Monate bei Gericht und mindestens zwei Jahre bei einem Rechtsanwalt, abgelegt werden."

Diese Bestimmung steht in engem Zusammenhang mit §2 Abs1 RAO, welcher lautet:

"Die zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft erforderliche praktische Verwendung hat in der rechtsberuflichen Tätigkeit bei Gericht und bei einem Rechtsanwalt zu bestehen; sie kann außerdem in der rechtsberuflichen Tätigkeit bei einem Notar oder, wenn die Tätigkeit für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich ist, bei einer Verwaltungsbehörde, an einer Hochschule oder bei einem beeideten Wirtschaftsprüfer und Steuerberater bestehen. Die Tätigkeit bei der Finanzprokuratur ist der bei einem Rechtsanwalt gleichzuhalten. Die praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt ist nur anrechenbar, soweit diese Tätigkeit hauptberuflich und ohne Beeinträchtigung durch eine andere berufliche Tätigkeit ausgeübt wird."

2.2. Der Verfassungsgerichtshof hegte bislang gegen §2 Abs1 RAO aus der Sicht des Gleichheitssatzes, darüber hinaus aber auch unter dem Blickwinkel der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Freiheit der Erwerbsbetätigung und der Berufsausbildung keine verfassungsrechtlichen Bedenken (siehe etwa VfSlg. 12337/1990, 12670/1991 und 13560/1993). Die für diese Rechtsprechung maßgeblichen Erwägungen - von der abzurücken sich der Verfassungsgerichtshof auch aus der Sicht des Beschwerdevorbringens nicht veranlaßt sieht - sind auch für den mit §2 RAO im engen Zusammenhang stehenden §2 Abs1 RAPG maßgeblich; auch anläßlich des vorliegenden Beschwerdefalles sieht sich der Verfassungsgerichtshof zur Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens hinsichtlich §2 Abs1 RAPG nicht veranlaßt.

Bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschriften ist es ausgeschlossen, daß der Beschwerdeführer wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde.

2.3. Zu den behaupteten Vollzugsfehlern:

2.3.1.1. Der Beschwerdeführer behauptet zunächst, daß die belangte Behörde §2 Abs1 zweiter Satz RAO denkunmöglich angewendet habe, indem sie ihm - "sowie den in unlösbaren Zusammenhang stehenden §§2 Abs1 RAPG und 2 Abs1 Satz 1 und 2 RAO - fälschlicherweise einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt (habe)". Die Auslegung der Behörde verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz und gegen das verfassungsrechtlich vorgegebene Berufsbild des Berufsbeamten. Hiezu bringt der Beschwerdeführer im wesentlichen vor:

"Wie der Verfassungsgerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat, hat der Verfassungs-Gesetzgeber ein historisch gewachsenes 'Begriffsbild des Berufsbeamten' vorgefunden, welches über die Art20 und 21 B-VG verfassungsrechtlich übernommen wurde und daher den verbindlichen Rahmen für Beamte betreffende Regelungen des einfachen Gesetzgebers abgibt (zB VfGH 3.12.1986, G117/86; VfSlg 8830/1980).

Zu diesem verfassungsrechtlich vorgegebenen Begriffsbild gehört neben der wirtschaftlichen Unabhängigkeit des Berufsbeamten nach innen (die einfachgesetzlich zB durch Versetzungsschutz und Unkündbarkeit gesichert wird) auch die Unabhängigkeit nach außen, gegenüber Dritten. Diensthoheit, Weisungs- und Aufsichtsrechte gegenüber Beamten dürfen danach ebenso wie die Ingerenz auf die - die innere Unabhängigkeit sichernde - gesetzlich festgelegte Beamtenlaufbahn nur den öffentlich-rechtlichen Vorgesetzten zugeordnet werden und keinesfalls Personen außerhalb der öffentlich-rechtlichen Verwaltung.

Mit diesen Grundsätzen wäre es zum einen unvereinbar gewesen, privaten 'Ausbildern' einen bestimmenden Einfluß auf Beamte der Republik einzuräumen (die sogar, wie oben schon erwähnt, in der Lage wären, durch Ablehnung der Beschäftigung eines bestimmten Prokuratursbeamten dessen Ausscheiden aus dem Bundesdienst zu erzwingen). Zum anderen gebietet dieses verfassungsrechtlich verankerte Begriffsbild des Berufsbeamten weiter, daß die Gestaltung seiner Tätigkeit und seines Dienstverhältnisses ausschließlich dem öffentlich-rechtlichen Dienstgeber obliegt und an den Interessen desselben auszurichten ist.

Aus diesen Erwägungen verbietet es sich, den Begriff 'Tätigkeit bei der Finanzprokuratur' iS des §2 Abs1 2. Satz RAO dahingehend auszulegen, daß hierunter nur eine bestimmten Kriterien, etwa jenen für die Praxis der Rechtsanwaltsanwärter, genügende Tätigkeit zu verstehen ist. Es muß dem öffentlich-rechtlichen Dienstgeber - ohne jede nachteiligen Auswirkungen für die betroffenen Beamten und deren, auch im Interesse des öffentlichrechtlichen Dienstgebers liegende, dienstrechtliche Stellung - unbenommen bleiben, den im Dienststand der Finanzprokuratur befindlichen Beamten für prozessuale Aufgaben oder für bloß verwaltende Tätigkeiten im Rahmen der Prokuratur einzusetzen, den Beamten zB zu Ausbildungszwecken mehrere Monate an die Verwaltungsakademie oder in ein Bundesministerium (die 'Mandantschaft'!) dienstzuzuteilen, dem Beamten zu Zwecken der Vorbereitung auf die Verwaltungsdienst- oder Prokuratursprüfung (auch mehrmonatigen) Sonderurlaub zu gewähren oder auch dem Beamten zum Zwecke der Gewinnung anderweitiger Berufserfahrungen Karenzurlaub einzuräumen. Es geht hier ja nicht um rechtsanwaltliche Ausbildung im eigentlichen Sinne, sondern um Ausbildung für Zwecke der Finanzprokuratur - und darüber hat der Präsident der Finanzprokuratur im wohlverstandenen Interesse des öffentlich-rechtlichen Dienstgebers zu entscheiden.

Jede nachträgliche Qualifikation (bzw besser: Disqualifikation) dieser vom öffentlich-rechtlichen Dienstgeber verfügten Gestaltung des Dienstrechtsverhältnisses des Prokuraturbeamten als nicht ausreichend für eine praktische Verwendung iS des §2 RAO wäre ein unzulässiger Eingriff in die Diensthoheit, da eine solche (Dis)Qualifikation angesichts ihrer Auswirkungen (Auscheiden des nicht zur Rechtsanwaltsprüfung zugelassenen Beamten! Jedenfalls aber Verhinderung dessen Vorrückung in höhere Dienstklassen) dazu führen müßte, daß derartige, als unzureichend qualifizierte Verwendungen eben unterbleiben.

Letztlich wird das so gewonnene Ergebnis noch durch eine weitere Überlegung unterstrichen: Im gesamten öffentlich-rechtlichen Dienstrecht ist Anknüpfungspunkt für Fragen der dienstrechtlichen Stellung, der Einstufung in die diversen Gehaltsschemata, der Vorrückung sowie natürlich auch der Ausbildung und der notwendigen Prüfungen (zB welche der zahlreichen Dienstprüfungen abzulegen ist, jene für den gehobenen Finanzdienst oder jene für den gehobenen Verwaltungsdienst usw usf) stets die (formale) dienstrechtliche Zugehörigkeit zum Dienststand einer bestimmten Behörde oder Beamtengruppe. Niemals haben Dienstzuteilungen welcher Art immer oder die konkrete Verwendung irgendeinen Einfluß hierauf. Dies muß dann aber natürlich auch für die als 'Dienstprüfung besonderer Art' für Prokuratursbeamte vorgesehene Rechtsanwaltsprüfung und deren Voraussetzungen gelten.

Aus diesen Überlegungen ergibt sich somit zwingend, daß die Anrechnungs-Regelung des §2 Abs1 2. Satz RAO - im Zusammenhalt mit den dienstrechtlichen Normen des §10 Abs2 ProkG und des Pkt 1.3. lite der Anlage 1 zum BDG - verfassungskonform - nur dahin verstanden werden kann - und darf - daß für die Qualifikation einer Zeit als 'Prokuraturszeit' und damit als Surrogat für die sonst zwingend bei einem Rechtsanwalt vorgeschriebene Verwendung ausschließlich das formale Kriterium der Zugehörigkeit zum Dienstand der Finanzprokuratur entscheidend ist, nicht hingegen die konkrete Verwendung des betreffenden Beamten durch seinen Dienstgeber."

Der Verfassungsgerichtshof teilt die Auffassung, daß die belangte Behörde dem Gesetz einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt hätte, nicht:

Der Rechtsansicht der belangten Behörde, daß die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anrechnung der Dienstzeiten während der Karenzierung bei der Finanzprokuratur auf die zu erbringende Praxiszeit vom Beschwerdeführer nicht erfüllt worden sind, vermag der Verfassungsgerichtshof nicht entgegenzutreten, weil der Beschwerdeführer - wie er selbst einräumt - während der Karenzierung überhaupt nicht bei der Finanzprokuratur gearbeitet hat. Da der Beschwerdeführer während der Zeit der Karenzierung nur formell im Dienststand der Finanzprokuratur geführt wurde, kann der belangten Behörde nicht angelastet werden, daß sie dem Gesetz, das die Zurücklegung von Praxiszeiten als Voraussetzung für die Zulassung zur zweiten Teilprüfung der Rechtsanwaltsprüfung anordnet, durch ihre Rechtsauffassung einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hätte.

2.3.1.2. Der Beschwerdeführer bringt zum Nachweis der behaupteten Verletzung des Gleichheitssatzes darüber hinaus zusammenfassend folgendes vor:

"Im vorliegenden Fall haben die Zulassungsbehörden

-

eine zunächst von der Rechtsanwaltskammer erteilte Zustimmung zur Zulassung von dieser wieder zurückziehen lassen und dann ohne Einvernehmensherstellung negativ entschieden (hierzu näher weiter unten);

-

das Verfahren mit dem offenkundigen Ziel einer Zermürbung des Beschwerdeführers jahrelang verschleppt und dabei die gesetzlichen (Höchst)Entscheidungsfristen um ein Mehrfaches überschritten;

-

die einzig wesentliche Rechtsfrage genau konträr zu der einzigen Vorentscheidung gelöst, ohne diese Abweichung auch nur ansatzweise zu begründen - und obwohl die Zulassungsbehörden offensichtlich nach wie vor die gegenteilige Entscheidung des Präzedenzfalles für rechtmäßig halten.

Daraus ergibt sich ein Gesamtbild des behördlichen Verhaltens, das eindeutig von Willkür geprägt ist.

Damit verletzt der angefochtene Bescheid auch wegen willkürlichen Vorgehens der belangten Behörde das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht des Beschwerdeführers auf ein dem Gleichheitsgrundsatz entsprechendes Verfahren."

Auch ein solcher Vorwurf kann der belangten Behörde im konkreten Fall jedoch nicht gemacht werden: Die Behörde hat eine bei der gegebenen Sach- und Rechtslage jedenfalls vertretbare Entscheidung getroffen. Hievon ausgehend vermag der Umstand, daß die Behörde in einem anderen, möglicherweise ähnlichen Fall zu einem anderen Ergebnis gekommen ist, für sich allein ein willkürliches Verhalten nicht nachzuweisen. Ein willkürliches Verhalten der belangte Behörde liegt somit nicht vor.

2.3.2. Der Beschwerdeführer erachtet sich weiters im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt. Dazu bringt er vor:

"Gemäß §6 RAPG ist über die Zulassung zur Rechtsanwaltsprüfung vom Präses der Rechtsanwaltsprüfungskommission im Einvernehmen mit der zuständigen Rechtsanwaltskammer zu entscheiden.

Im vorliegenden Fall hat die zuständige Rechtsanwaltskammer Wien mit Erklärung vom 8.7.1992, GZ 2980/92 ihre Zustimmung zur Zulassung des Beschwerdeführers zur 2. Teilprüfung der Rechtsanwaltskammerprüfung erteilt. Diese Zustimmung wurde dann - angeblich; dem Beschwerdeführer liegt diese Zurückziehung nicht vor, der angefochtene Bescheid beruft sich nur darauf - mit Erklärung vom 3.9.1992, GZ 2980/92 wieder zurückgezogen. Daraufhin hat dann der Präses der Rechtsanwaltsprüfungskommission den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung zur 2. Teilprüfung der Rechtsanwaltsprüfung abgewiesen.

Dieser, sich aus der Begründung des angefochtenen Bescheides (und des erstinstanzlichen Bescheides) ergebende Sachverhalt stellt eine eindeutige Verletzung der Bestimmungen über die Einvernehmensherstellung nach §6 RAPG dar. Zum einen ist die Erklärung der Rechtsanwaltskammer Wien über die Erteilung der Zustimmung ein öffentlich-rechtlicher Verwaltungsakt, der durch Abgabe gegenüber dem Präses der Rechtsanwaltsprüfungskommission bereits Rechtswirksamkeit nach außen (aus Sicht der RAK) erlangt hatte. Eine Rechtsgrundlage dafür, daß ein solcher Verwaltungsakt einfach formlos und offenbar auch ohne jede nähere Begründung widerrufen werden könnte, ist nicht zu sehen. Es ist daher davon auszugehen, daß diese 'Zurückziehung' der Zustimmung durch die Rechtsanwaltskammer Wien wirkungslos war, daher von einer nach wie vor aufrechten Zustimmung der RAK Wien auszugehen ist, weshalb das nach §6 RAPG erforderliche Einvernehmen (im Sinne einer Verweigerung der Zulassung) nicht hergestellt wurde.

Davon abgesehen ist aber dem angefochtenen Bescheid schon gar nicht zu entnehmen, daß die Rechtsanwaltskammer eine Erklärung dahingehend abgegeben hätte, daß die Zulassung zu verweigern wäre - nur dann könnte aber bei einem abweisenden Bescheid überhaupt von einem 'Einvernehmen' die Rede sein.

Tatsächlich sind die am Verfahren beteiligten Behörden einschließlich Rechtsanwaltskammer offenbar davon ausgegangen, daß die gesetzliche Regelung über die Herstellung eines Einvernehmens nur die Notwendigkeit der Einholung eines Kammergutachtens begründet und ohnehin nicht ernst zu nehmen ist - wie im angefochtenen Bescheid auch deutlich ausgeführt (S. 11). Hieraus erklärt sich die Großzügigkeit im Umgang mit dieser Zuständigkeitsnorm.

Damit setzt sich die belangte Behörde aber über die eindeutige Zuständigkeitsregelung des §6 RAPG hinweg und verletzt demnach die angefochtene Entscheidung das Recht des Beschwerdeführers auf Entscheidung durch den gesetzlichen Richter."

Der Verfassungsgerichtshof vermag auch diesen Ausführungen nicht zu folgen: Die Zulassungsbehörde erster Instanz hat nämlich im Einvernehmen mit dem Ausschuß der Rechtsanwaltskammer Wien gehandelt, der mit Schreiben vom 3. September 1992 die in einer ersten Äußerung bekanntgegebene Zustimmung zur Zulassung zur

2. Teilprüfung der Rechtsanwaltsprüfung zurückgezogen hat; in dieser nachfolgenden Äußerung hat er eine geänderte Ansicht bekundet, die sich mit der von der belangten Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides vertretenen Auffassung deckt. Eine Bindung der belangten Behörde an die zurückgezogene Stellungnahme ist schon im Hinblick darauf zu verneinen, daß ungeachtet der angeordneten Einvernehmensherstellung der belangten Behörde jedenfalls die Entscheidung letztlich, wie sich aus dem Gesetz offenkundig ergibt, obliegt. Eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter liegt hier somit keinesfalls vor.

2.3.3. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

2.4. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

2.5. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Rechtsanwälte, Berufsrecht Rechtsanwälte, Verwaltungsverfahren, Zuständigkeit Verwaltungsverfahren, Rechtsanwaltsprüfung Zulassung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1995:B2116.1994

Dokumentnummer

JFT_10048873_94B02116_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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