TE Bvwg Beschluss 2020/8/3 W133 2228958-1

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Veröffentlicht am 03.08.2020
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Entscheidungsdatum

03.08.2020

Norm

BBG §42
BBG §45
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W133 2228958-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Natascha GRUBER als Vorsitzende und den Richter Mag. Michael SCHWARZGRUBER sowie den fachkundigen Laienrichter Prof. Dr. Gerd GRUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich, vom 05.02.2020, betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in dem Behindertenpass, den Beschluss gefasst:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid im Hinblick auf den Abspruch betreffend die (Nicht-)Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in dem Behindertenpass (3. Absatz des Spruches) gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit in diesem Umfang zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich, zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin ist seit 02.05.2006 Inhaberin eines unbefristeten Behindertenpasses mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 60 von Hundert (v.H.). Die Ausstellung dieses Behindertenpasses erfolgte nach Einholung eines augenfachärztlichen Sachverständigengutachtens aufgrund der Aktenlage vom 26.04.2006. Die Funktionseinschränkung wurde der Leidensposition

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Position

GdB %

1

Schwachsichtigkeit links

Zustand nach Zentralvenenthrombose der Netzhaut rechts

Sehverminderung rechts auf 1/10 und links auf 1/5

Oberer Rahmensatz, da Anisometropie

637

Tabelle, Kolonne 6, Zeile 5

60

zugeordnet und nach der Richtsatzverordnung ein Gesamtgrad der Behinderung von 60 v.H. eingeschätzt.

Am 09.10.2019 stellte die Beschwerdeführerin unter Vorlage von medizinischen Befunden beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich (in der Folge als „belangte Behörde“ bezeichnet) einen Antrag auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung im Behindertenpass sowie auf Vornahme der Zusatzeintragungen „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ und „Der Inhaber/die Inhaberin des Passes bedarf einer Begleitperson“ in dem Behindertenpass.

Mit Schreiben der belangten Behörde vom 11.10.2019 wurde die Pensionsversicherungsanstalt ersucht, das aktuelle Pflegegutachten der Beschwerdeführerin zu übermitteln. Diesem Ersuchen wurde am 22.10.2019 entsprochen.

Die belangte Behörde holte in der Folge ein Sachverständigengutachten eines Facharztes für Augenheilkunde ein. In diesem Gutachten vom 07.01.2020 wurden auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung und Darstellung der Statuserhebung die Funktionseinschränkungen den Leidenspositionen

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Position

GdB %

1

Amblyopie linkes Auge sowie Zustand nach Zentralvenenthrombose, Netzhautablösung und Silikonölfüllung am rechten Auge mit Abfall der zentralen Sehschärfe links auf 0,05 und rechts auf 0,3

Zeile 4 Spalte 8 der Tabelle

11.02.01

50

2

Zustand nach Netzhautablösung am rechten Auge mit Ausfall der oberen Gesichtsfeld-Hälfte

fixer Rahmensatz

11.02.07

10

zugeordnet und nach der Einschätzungsverordnung ein Gesamtgrad der Behinderung von 60 v.H. eingeschätzt. Begründend führte der Gutachter aus, Leiden 2 erhöhe den Grad der Behinderung um eine Stufe, da ein ungünstiges Zusammenwirken vorliege. Im Vergleich zum Vorgutachten vom 26.04.2006 sei es zu einer Verminderung des Grades der Behinderung in Bezug auf das ehemalige Leiden 1 gekommen, da die zentrale Sehschärfe angestiegen sei, das Leiden 2 sei neu aufgenommen worden, der Gesamtgrad der Behinderung sei gleichbleibend. In dem Gutachten wurden die medizinischen Voraussetzungen für die Vornahme der beantragten Zusatzeintragung „Der Inhaber/die Inhaberin des Passes bedarf einer Begleitperson“ nicht geprüft. Weiters enthält das Gutachten keinerlei konkrete Ausführungen zu den Auswirkungen der Funktionseinschränkungen auf die beantragte Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“.

Mit Schreiben vom 07.01.2020 räumte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin ein förmliches Parteiengehör gemäß § 45 AVG samt Möglichkeit zur Stellungnahme ein. Das eingeholte Gutachten vom selben Tag wurde der Beschwerdeführerin als Beilage übermittelt.

Es langte innerhalb der gewährten Frist keine Stellungnahme bei der belangten Behörde ein.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 05.02.2020 wies die belangte Behörde zunächst den Antrag auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung (Absatz 1 des Spruches) ab. Im 3. Absatz des Spruches stellte die belangte Behörde fest, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung" gemäß §§ 41, 43 und 45 Bundesbehindertengesetz (BBG) nicht vorlägen.

Begründend stützte sich die belangte Behörde in diesem Bescheid auf das Sachverständigengutachten vom 07.01.2020, wonach der Grad der Behinderung weiterhin 60 v.H. betrage und die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ nicht gegeben seien. Über die beantragte Zusatzeintragung „Der Inhaber/die Inhaberin des Passes bedarf einer Begleitperson“ wurde in diesem Bescheid nicht abgesprochen.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin mit E-Mailschreiben vom 14.02.2020 fristgerecht eine Beschwerde. Darin führt die Beschwerdeführerin vorweg aus, dass ihre Stellungnahme zum Parteiengehör vom 14.01.2020 aufgrund eines Schreibfehlers ihrerseits nicht behoben und an sie retourniert worden sei. Weiters legt die Beschwerdeführer dar, dass sie bereits seit Geburt auf dem linken Auge schwachsichtig sei. Im Jahre 2001 habe sie eine Augenthrombose sowie ein Ödem erlitten, als Folge davon habe sie immer wieder Netzhautablösungen am rechten Auge. Seit dieser Zeit sei sie auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen, da sie nicht mehr Auto fahren könne. Sie beziehe Berufsunfähigkeitspension und Pflegegeld der Stufe 2. Im Jahre 2006 sei ihr ein Behindertenausweis mit dem Zusatz der Fahrpreisermäßigung ausgestellt worden. Seit diesem Eintrag im Jahr 2006 habe sich sowohl bei ihr selbst als auch bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel einiges verändert. Es sei ihr nicht mehr möglich, diese ohne Hilfe zu benützen. Sie könne aufgrund ihrer Sehschwäche die Kassenautomaten nicht bedienen, auch könne sie die Fahrplananzeigetafeln sowie Hinweistafeln in den Bahnhöfen nicht lesen und bringe sich, aber auch andere, durch ihre Sehschwäche und die fortschreitende Gesichtsfeldeinschränkung in Gefahr. Sie sehe Menschen, Gegenstände, Begrenzungen etc., die sich rechts von ihr befinden würden, nicht, was immer wieder zu Problemen und Gefährdungen führe. Da für sie Helligkeit eine wesentliche Rolle spiele, sei ihr Sehvermögen bei schlechten Lichtverhältnissen zusätzlich eingeschränkt. Ihr falle es schwer, sich alleine in unbekannter Umgebung zurecht zu finden und sie sei auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen. Die Kriterien zur Erlangung der Zusatzeintragung seien sehr allgemein gehalten und würden auf die vielen zusätzlichen Aspekte einer Behinderung nicht eingehen. Im Sachverständigengutachten sei angeführt, dass sie ohne Begleitperson zur Untersuchung gekommen sei. Das stimme jedoch nicht, ihr Gatte habe sie begleitet und sei auch bei der Untersuchung anwesend gewesen. Aufgrund ihrer Sehbehinderung sei es ihr nicht möglich, sich ohne Begleitperson in ihr nicht bekannter Umgebung alleine zurecht zu finden. Bei der Untersuchung habe der Gutachter auf eine Spiegelung des Augenhintergrundes verzichtet, da er gemeint habe, dass er ihre Argumente durch die Untersuchung bestätigt sehe. Der Beschwerde wurden die Stellungnahme zum Parteiengehör vom 14.01.2020, welche inhaltlich im Wesentlichen der Beschwerde entspricht, und drei (teilweise bereits vorgelegte) Augenbefunde beigelegt.

Die belangte Behörde legte dem Bundesverwaltungsgericht am 26.02.2020 die Beschwerde und den Bezug habenden Verwaltungsakt zur Entscheidung vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu A) Aufhebung des angefochtenen Bescheides im Hinblick auf den Abspruch betreffend die (Nicht-)Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung und Zurückverweisung in diesem Umfang:

Gemäß § 27 VwGVG (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz) hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Zur Klarstellung sei vorab darauf hingewiesen, dass sich die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde ausschließlich gegen die Abweisung ihres Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung" in dem Behindertenpass wendet. Darüber hat die Behörde im 3. Absatz des Bescheides vom 05.02.2020 abgesprochen. Gegen die beiden anderen Absprüche, womit die belangte Behörde den Antrag auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung abwies und einen Grad der Behinderung von 60 v.H. feststellte (Absatz 1) und die Zusatzeintragung der „Fahrpreisermäßigung“ gewährte (Absatz 2), erstattete die Beschwerdeführerin keinerlei Beschwerdevorbringen.

Auf Grundlage des § 27 VwGVG und der bisherigen Rechtsprechung (vgl. etwa die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 09.09.2015, Zl. Ra 2015/04/0012) besteht daher für das Bundesverwaltungsgericht nur eine Prüfungsbefugnis hinsichtlich des – trennbaren – Abspruches über die beantragte Zusatzeintragung der "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung" in dem Behindertenpass. Die unter den Absätzen 1 und 2 erfolgten Absprüche sind hingegen in Rechtskraft erwachsen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer eheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Nach dem klaren Wortlaut des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG ist Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung nach dieser Bestimmung das Fehlen notwendiger Ermittlungen des Sachverhaltes seitens der belangten Behörde.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, allerdings mit dem Unterschied, dass die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht erforderlich ist (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren 2013, § 28 VwGVG, Anm. 11.)

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, zur Auslegung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz ausgeführt hat, wird eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f).

Gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG somit insbesondere auch dann in Betracht, wenn die Behörde bloß ansatzweise ermittelt hat bzw. gravierende Ermittlungslücken im verwaltungsbehördlichen Verfahren bestehen (vgl. nochmals das oben zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063).

Der angefochtene Bescheid erweist sich betreffend den Abspruch über die Zusatzeintragung der "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung" in dem Behindertenpass in Bezug auf den zu ermittelnden Sachverhalt aus folgenden Gründen als gravierend mangelhaft:

Die im Beschwerdefall relevanten Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten auszugsweise:

"§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpass auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.

§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

§ 46. Die Beschwerdefrist beträgt abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beträgt zwölf Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.

§ 47. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpaß und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen."

§ 1 Abs. 4 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013 in der Fassung des BGBl. II Nr. 263/2016, lautet auszugsweise:

„§ 1 ...

(4) Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen: 

1. die Art der Behinderung, etwa dass der Inhaber/die Inhaberin des Passes

a)…

b)…

2. ...  

3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und 

- erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder 

- erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder 

- erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder 

- eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder 

- eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach Abs. 4 Z 1 lit. b oder d vorliegen.

(5) Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

(6)..."

Gemäß § 1 Abs. 5 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen bildet die Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in § 1 Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH vom 23.02.2011, 2007/11/0142, und die dort zitierten Erkenntnisse vom 18.12.2006, 2006/11/0211, und vom 17.11.2009, 2006/11/0178, jeweils mwN.).

Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde ein Sachverständigengutachten eines Facharztes für Augenheilkunde vom 07.01.2020 eingeholt. Dieses ist jedoch nicht schlüssig, da es betreffend die Beurteilung der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht nachvollziehbar begründet ist. Dieses Gutachten hätte von der belangten Behörde ohne entsprechende Ergänzungen durch den beigezogenen Gutachter der gegenständlichen Entscheidung betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in dem Behindertenpass nicht zugrunde gelegt werden dürfen. Nach der eben wiedergegebenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes hat die belangte Behörde ein ärztliches Sachverständigengutachten einzuholen, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist. Ein solches Gutachten liegt im gegenständlichen Fall jedoch nicht vor, findet sich darin doch – wie eben schon ausgeführt - betreffend die Beurteilung der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel keinerlei Begründung.

Der von der belangten Behörde beigezogene Gutachter hat unter Leiden 1 eine Amblyopie am linken Auge sowie einen Zustand nach Zentralvenenthrombose, Netzhautablösung und Silikonölfüllung am rechten Auge mit Abfall der zentralen Sehschärfe links auf 0,05 und rechts auf 0,3 festgestellt. Weiters wurde unter Leiden 2 ein Ausfall der oberen Gesichtsfeld-Hälfte am rechten Auge diagnostiziert.

Laut § 1 Abs. 4 Z. 3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013 in der Fassung des BGBl. II Nr. 263/2016, ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel insbesondere dann nicht zumutbar, wenn unter anderem eine hochgradige Sehbehinderung nach § 1 Abs. 4 Z. 1 lit. b der eben genannten Verordnung vorliegt, wobei die Eintragung der hochgradigen Sehbehinderung nach den inhaltlichen Voraussetzungen des Bundespflegegeldgesetzes (BPGG) zu erfolgen hat (vgl. insbesondere § 4a Abs. 4 BPGG). Vor diesem rechtlichen Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer hochgradigen Sehbehinderung ist es nach dem aktuell vorliegenden Sachverständigengutachten nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen der beigezogene Facharzt für Augenheilkunde zu seiner nicht näher begründeten Beurteilung gelangt, dass bei der Beschwerdeführerin keine erheblichen Funktionseinschränkungen vorliegen, welche die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar machen würden.

Das von der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten wird somit den Anforderungen an die Schlüssigkeit und Vollständigkeit eines Gutachtens in Bezug auf die im gegenständlichen Verfahren entscheidungserheblichen Fragen nicht gerecht, erweist sich als grob ergänzungsbedürftig und daher im gegebenen Zusammenhang nicht geeignet, einer abschließenden Entscheidung zugrunde gelegt zu werden.

Die belangte Behörde machte von der ihr gemäß § 14 VwGVG eingeräumten Möglichkeit der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung (die unter anderem auch dazu dienen kann, anlässlich des Beschwerdevorbringens bei allenfalls gleichbleibendem Bescheidergebnis wesentliche Sachverhalts- oder auch Begründungselemente nachzutragen) keinen Gebrauch und legte dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde mit dem Verwaltungsakt zur Entscheidung vor.

Im gegenständlichen Fall ist jedenfalls davon auszugehen, dass die belangte Behörde im Sinne der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes den Sachverhalt – bezogen auf den konkreten Verfahrensgegenstand der Frage der (Un)Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel – nur ansatzweise ermittelt hat bzw. die Ermittlung des Sachverhaltes in entscheidungswesentlichen Fragen an das Bundesverwaltungsgericht delegiert hat.

Die unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht läge angesichts des gegenständlichen mangelhaft geführten verwaltungsbehördlichen Ermittlungsverfahrens nicht im Interesse der Raschheit und wäre auch nicht mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden. Zu berücksichtigen ist auch, dass mit dem verwaltungsgerichtlichen Mehrparteienverfahren ein höherer Aufwand verbunden ist.

Die belangte Behörde wird daher im fortgesetzten Verfahren, sollte weiterhin eine Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass beabsichtigt werden, ein neues, vollständiges und nachvollziehbares Sachverständigengutachten unter Berücksichtigung der Beschwerdeeinwendungen einzuholen haben.

Im Übrigen scheint die Zurückverweisung der Rechtssache an die belangte Behörde auch vor dem Hintergrund der seit 01.07.2015 geltenden Neuerungsbeschränkung in Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 46 BBG als geboten.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall der Beschwerdeführerin noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rasch und kostengünstig festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid der belangten Behörde gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Sozialministeriumservice zurückzuverweisen.

Insoweit in der Beschwerde inhaltlich auch auf die Frage der ebenfalls am 09.10.2019 beantragten Zusatzeintragung „Der Inhaber/die Inhaberin des Passes bedarf einer Begleitperson“ Bezug genommen wird, ist darauf hinzuweisen, dass die belangte Behörde darüber gegenständlich nicht bescheidmäßig abgesprochen hat. Daher ist diese Frage auch nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung (vgl. die oben zitierten Entscheidungen des VwGH sowie auch etwa VwGH vom 25.01.2017, Ra 2016/12/0109), des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Schlagworte

Behindertenpass Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Sachverständigengutachten Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W133.2228958.1.00

Im RIS seit

12.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

12.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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