TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/4 W133 2226329-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.08.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

04.08.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
StVO 1960 §29b

Spruch

W133 2226329-2/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Natascha GRUBER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch den XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich, vom 27.12.2019, betreffend die Einziehung des Parkausweises für Menschen mit Behinderungen nach § 29b StVO, zu Recht:

A)

Der angefochtene Bescheid vom 27.12.2019 wird ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer bezieht seit 01.10.2016 Pflegegeld der Stufe 4.

Am 01.12.2016 stellte der Beschwerdeführer beim Sozialministeriumservice (in der Folge auch als belangte Behörde bezeichnet) einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO (Parkausweis für Menschen mit Behinderungen). Daraufhin holte die belangte Behörde ein neurologisches Sachverständigengutachten vom 09.03.2017 ein, in dem die Funktionseinschränkungen 1. „Multifaktorielle Gangstörung bei Verdacht auf Normaldruckhydrocephalus, Polyneuropathie, beginnende dementielle Entwicklung“, bewertet mit einem (Einzel)Grad der Behinderung von 90 v.H. nach der Positionsnummer 04.01.03 der Anlage zur Einschätzungsverordnung und 2. „Nicht insulinpflichtiger Diabetes mellitus“, bewertet mit einem (Einzel)Grad der Behinderung von 20 v.H. nach der Positionsnummer 09.02.01 der Anlage zur Einschätzungsverordnung, festgestellt und ein Gesamtgrad der Behinderung von 90 v.H. objektiviert wurden. Begründend wurde ausgeführt, Leiden 1 werde durch Leiden 2 nicht erhöht, da keine wechselseitige negative Leidensbeeinflussung vorliege, die PNP sei bereits unter Leiden 1 bewertet worden. Der Bluthochdruck und die Hypothyreose seien gut behandelbar und würden keine funktionellen Einschränkungen verursachen. Es wurde eine Nachuntersuchung für 02/2019 angeordnet, da die Abklärung des Zustandes des Beschwerdeführers noch nicht abgeschlossen sei. Es sei ein Liquorablassversuch geplant. Bei positivem Ansprechen wäre eventuell eine Behandlung erwägenswert/möglich und eine Besserung sei zumindest nicht ausgeschlossen. Es wurde festgestellt, dass dem Beschwerdeführer die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aktuell nicht zumutbar sei. Die belangte Behörde stellte dem Beschwerdeführer daher am 10.03.2017 einen Behindertenpass mit einem eingetragenen Grad der Behinderung von 100 von Hundert (v.H.) und den Zusatzeintragungen „Der Inhaber/die Inhaberin des Passes bedarf einer Begleitperson“, „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“, „Der Inhaber/die Inhaberin des Passes ist überwiegend auf den Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen“, „Der Inhaber/die Inhaberin kann die Fahrtpreisermäßigung nach dem Bundesbehindertengesetz in Anspruch nehmen“ und „Gesundheitsschädigung gem. § 2 Abs. 1 erster Teilstrich VO 303/1996 liegt vor“ aus. Da der Beschwerdeführer Bezieher von Pflegegeld der Stufe 4 sei, sei erlassgemäß ein Grad der Behinderung von 100 v.H. einzutragen gewesen sowie die Zusatzeintragungen „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“, „Bedarf einer Begleitperson“ sowie „Fahrtpreisermäßigung nach dem BBG“ vorzunehmen gewesen. Der Parkausweis werde gesondert übermittelt.

Im Sommer 2018 langte bei der belangten Behörde ein Schreiben eines Nachbarn des Beschwerdeführers ein. Darin wird zusammengefasst ausgeführt, dass der Beschwerdeführer ohne Stock über 20 Stufen gehe und auch mit dem Auto unterwegs sei.

Die belangte Behörde leitete daher ein Verfahren zur Neufestsetzung des Grades der Behinderung ein, das Gutachten zur Feststellung des Pflegebedarfs wurde beigeschafft. Außerdem wurde der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 24.08.2018 ersucht, binnen vier Wochen aktuelle Befunde vorzulegen. Am 18.09.2018 langte ein Befundkonvolut des Beschwerdeführers bei der belangten Behörde ein.

Die belangte Behörde gab in der Folge ein Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, welche bereits das Vorgutachten vom 09.03.2017 erstellt hatte, unter Anwendung der Bestimmungen der Einschätzungsverordnung vom 21.01.2019 in Auftrag. In diesem Gutachten wurden auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung und umfassender Darstellung der Statuserhebung die Funktionseinschränkungen den Leidenspositionen

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Position

GdB %

1

Gangbeeinträchtigung bei Normaldruckhydrocepahlus und Ableitung Hirnwasser (AV Shuntimplantation 05/2017)

2 Stufen über unterem Rahmensatz, da leichte Gangunsicherheit aber keine Lähmungen oder Bewegungsstörungen vorliegend.

04.01.01

30

2

Leichte kognitive Leistungsdefizite bei Normaldruckhydrocepahlus, Ableitung Hirnwasser (AV Shuntimplantation 05/2017)

2 Stufen über unterem Rahmensatz, da testpsychologisch nur geringe Auffälligkeiten (MMSE 30/32) und in weiten Bereichen unbeeinträchtigt.

03.03.01

30

3

Nicht insulinpflichtiger Diabetes mellitus

Oberer Rahmensatz, includiert auch die Nervenveränderungen (Polyneuropathie)

09.02.01

30

zugeordnet und nach der Einschätzungsverordnung ein Gesamtgrad der Behinderung von 40 v.H. eingeschätzt. Begründend führte die Gutachterin aus, Leiden 1 werde durch die Leiden 2 und 3 um eine Stufe erhöht, da eine wechselseitige negative Leidensbeeinflussung vorliege. Die Reduktion des Grades der Behinderung um fünf Stufen im Vergleich zum Vorgutachten aus dem Jahr 2017 wurde ausführlich begründet. Es wurde festgestellt, dass dem Beschwerdeführer die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nunmehr zumutbar sei.

Mit Schreiben vom 23.01.2019 räumte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer ein förmliches Parteiengehör gemäß § 45 AVG samt Möglichkeit zur Stellungnahme ein. Das neurologische Gutachten vom 21.01.2019 wurde dem Beschwerdeführer als Beilage übermittelt.

Der Beschwerdeführer erstattete keine Stellungnahme.

Mit Bescheid vom 09.09.2019 setzte die belangte Behörde den Grad der Behinderung von Amts wegen mit 40 v.H. neu fest. In der Begründung verwies die belangte Behörde auf die Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens, wonach der Grad der Behinderung nunmehr lediglich 40 v.H. betrage.

Gegen diesen Bescheid wurde mit Schriftsatz der rechtlichen Vertretung vom 02.10.2019 unter Vorlage neuer Beweismittel fristgerecht eine Beschwerde erhoben. Darin wird ausgeführt, dass von Seiten des Sozialministeriumsservice festgestellt worden sei, dass das Leiden 1 um sechs Stufen zu reduzieren sei, da eine deutliche Verbesserung zum Vorgutachten vorliege. Der Beschwerdeführer sei jedoch auch weiterhin auf einen Rollstuhl für Wege außer Haus angewiesen. Seine maximale Gehleistung liege bei 10-15 m in der Ebene. Auch das Überwinden von Stiegen sei dem Beschwerdeführer weiterhin nicht möglich. Hinzugekommen sei ein tachykardes Vorhofflimmern. Es wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sowie die Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fachbereich „Interne Medizin“ beantragt.

Am 09.10.2019 wurde eine vom Beschwerdeführer gezeichnete Vollmacht zugunsten der rechtlichen Vertretung vom 07.10.2019 nachgereicht.

Im Rahmen eines Beschwerdevorentscheidungsverfahrens holte die belangte Behörde ein Sachverständigengutachten aufgrund der Aktenlage unter Anwendung der Bestimmungen der Einschätzungsverordnung einer Fachärztin für Innere Medizin und Ärztin für Allgemeinmedizin vom 07.11.2019 ein. In diesem Gutachten wurden die Funktionseinschränkungen den Leidenspositionen

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Position

GdB %

1

Gangbeeinträchtigung bei Normaldruckhydrocepahlus und Ableitung Hirnwasser (AV Shuntimplantation 05/2017)

2 Stufen über unterem Rahmensatz, da leichte Gangunsicherheit aber keine Lähmungen oder Bewegungsstörungen vorliegend.

04.01.01

30

2

Leichte kognitive Leistungsdefizite bei Normaldruckhydrocepahlus, Ableitung Hirnwasser (AV Shuntimplantation 05/2017)

2 Stufen über unterem Rahmensatz, da testpsychologisch nur geringe Auffälligkeiten (MMSE 30/32) und in weiten Bereichen unbeeinträchtigt

03.03.01

30

3

Nicht insulinpflichtiger Diabetes mellitus

Oberer Rahmensatz, berücksichtigt die periphere Nervenschädigung

09.02.01

30

4

Verhofflimmern de novo 09/19

Unterer Rahmensatz, da keine Dekompensationszeichen beschrieben, berücksichtigt die blutverdünnende Therapie und die behandelte Hypertonie gz

05.02.01

30

zugeordnet und nach der Einschätzungsverordnung ein Gesamtgrad der Behinderung von 50 v.H. eingeschätzt. Begründend führte die Gutachterin aus, Leiden 1 werde durch die Leiden 2 und 3 um eine Stufe erhöht, da eine wechselseitige negative Leidensbeeinflussung vorliege, eine Erhöhung um eine weitere Stufe sei bei Multimorbidität gegeben. Die Schilddrüsenunterfunktion sei medikamentös gut behandelbar und erreiche daher keinen Grad der Behinderung. Leiden 1 – 3 seien entsprechend dem Vorgutachten vom 21.01.2019 unverändert eingeschätzt worden, Leiden 4 sei neu erfasst worden. Aufgrund des Vorliegens von Multimorbidität erhöhe sich der Gesamtgrad der Behinderung und betrage nun 50 v.H. Es wurde aus medizinischer Sicht festgestellt, dass dem Beschwerdeführer die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar sei.

Im Rahmen des Beschwerdevorentscheidungsverfahrens wurde dem Beschwerdeführer mit Schreiben der belangten Behörde vom 18.11.2019 aufgrund seiner Beschwerde vom 03.10.2019 mitgeteilt, dass laut Ergebnis des Ermittlungsverfahrens ein Grad der Behinderung von 50 v.H. festgestellt worden sei. Im Zuge einer Beschwerdevorentscheidung werde ihm deshalb in den nächsten Tagen ein neuer, unbefristeter Behindertenpass im Scheckkartenformat übermittelt werden. Der alte Behindertenpass sei ungültig und dem Sozialministeriumservice vorzulegen, dafür werde eine Frist von vier Wochen vorgemerkt. Das eingeholte Aktengutachten vom 07.11.2019 wurde dem Beschwerdeführer gemeinsam mit diesem Schreiben übermittelt.

Mit Begleitschreiben der belangten Behörde vom 19.11.2019 wurde dem Beschwerdeführer ein Behindertenpass mit einem eingetragenen Grad der Behinderung von 50 v.H. übermittelt. Diesem Behindertenpass kommt gemäß der Bestimmung des § 45 Abs. 2 BBG Bescheidcharakter zu.

In weiterer Folge wurde im Wege der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers der alte Behindertenpass vorgelegt.

Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid vom 27.12.2019 wurde dem Beschwerdeführer von der belangten Behörde gestützt auf die Bestimmung des § 29b Abs. 1 StVO idgF sein Parkausweis mit der Nr. 18814465800037 entzogen. Der Beschwerdeführer wurde zur unverzüglichen Vorlage seines Parkausweises verpflichtet. In der Begründung wies die belangte Behörde darauf hin, dass die Ausstellung des Parkausweises gestützt auf die Eintragung im Behindertenpass "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" erfolgt sei. Mit Bescheid vom 09.09.2019 sei festgestellt worden, dass der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses mit der genannten Zusatzeintragung nicht mehr erfülle. Der Parkausweis sei daher einzuziehen.

Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid im Wege seiner Rechtsvertretung mit Schriftsatz vom 24.01.2020 fristgerecht eine Beschwerde. Darin wird ausgeführt, das Sozialministeriumservice stütze sich in seiner Entscheidung darauf, dass mit Bescheid vom 09.09.2019 festgestellt worden sei, dass die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses mit der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ nicht erfüllt seien. Dazu werde vorgebracht, dass im genannten Bescheid vom 09.09.2019 der Grad der Behinderung des Beschwerdeführers mit 40 v.H. amtswegig neu festgesetzt worden sei und gegen diesen Bescheid beim Sozialministeriumservice fristgerecht eine Beschwerde eingebracht worden sei. In weiterer Folge sei dem Beschwerdeführer seitens des Sozialministeriumservice mit Schreiben vom 19.11.2019 ein neuer Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 50 v.H. und den Zusatzeintragungen „Fahrpreisermäßigung“ und „Gesundheitsschädigung gemäß § 2 Abs. 1 erster Teilstrich VO 303/1996 liegt vor“ ausgestellt und übermittelt worden. Das Schreiben des Sozialministeriumservice vom 19.11.2019 sei kein Bescheid, lediglich ein Begleitschreiben bezüglich erfolgter Zusendung des neu ausgestellten Behindertenpasses. Es liege kein Bescheid vor, mit welchem festgestellt worden sei, dass der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ nicht (mehr) erfülle. Die Ausstellung des Behindertenpasses habe keinen Bescheidcharakter im Hinblick auf die Streichung der genannten Zusatzeintragung. Diesbezüglich hätte die belangte Behörde einen gesonderten Bescheid erlassen müssen. Die Einziehung des Parkausweises des Beschwerdeführers sei somit nicht gerechtfertigt. Schließlich wurde unter Bezugnahme auf einen neurologischen Arztbrief vom 16.12.2019, welcher der Beschwerde beigelegt wurde, ausgeführt, dass beim Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Parkausweises nach wie vor vorliegen würden. Auch wurde darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer nach wie vor Pflegegeld der Stufe 4 beziehe. Es wurden die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und die Einholung eines orthopädischen Sachverständigengutachtens beantragt.

Die belangte Behörde legte dem Bundesverwaltungsgericht am 07.02.2020 die Beschwerde und den Bezug habenden Verwaltungsakt zur Entscheidung vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Dem Beschwerdeführer wurde von der belangten Behörde am 10.03.2017 ein unbefristeter Behindertenpass mit einem eingetragenen Grad der Behinderung von 100 v.H. und den Zusatzeintragungen „Der Inhaber/die Inhaberin des Passes bedarf einer Begleitperson“, „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“, „Der Inhaber/die Inhaberin des Passes ist überwiegend auf den Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen“, „Der Inhaber/die Inhaberin kann die Fahrtpreisermäßigung nach dem Bundesbehindertengesetz in Anspruch nehmen“ und „Gesundheitsschädigung gem. § 2 Abs. 1 erster Teilstrich VO 303/1996 liegt vor“ ausgestellt.

Der Parkausweis für Menschen mit Behinderung gemäß § 29b StVO wurde dem Beschwerdeführer von der belangten Behörde nach dem 10.03.2017 übermittelt.

Mit Schreiben vom 24.08.2018 leitete die belangte Behörde von Amts wegen ein Verfahren zur Neufestsetzung des Grades der Behinderung im Behindertenpass ein.

Die belangte Behörde holte ein neurologisches Sachverständigengutachten vom 21.01.2019 ein, in dem der Gesamtgrad der Behinderung mit 40 v.H. ermittelt und die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aufgrund einer dauernden Gesundheitsschädigung" aus medizinischer Sicht verneint wurden.

Mit Bescheid vom 09.09.2019 setzte die belangte Behörde den Gesamtgrad der Behinderung von Amts wegen mit 40 v.H. neu fest.

Gegen diesen Bescheid wurde vom rechtlich vertretenen Beschwerdeführer fristgerecht eine Beschwerde erhoben.

Im Rahmen eines Beschwerdevorentscheidungsverfahrens holte die belangte Behörde ein internistisches Sachverständigengutachten aufgrund der Aktenlage vom 07.11.2019 ein, in dem nunmehr der Gesamtgrad der Behinderung mit 50 v.H. ermittelt wurde. Die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aufgrund einer dauernden Gesundheitsschädigung" wurden medizinischerseits abermals verneint.

Im Rahmen der Beschwerdevorentscheidung wurde dem Beschwerdeführer mit Schreiben der belangten Behörde vom 18.11.2019 aufgrund seiner Beschwerde vom 03.10.2019 mitgeteilt, dass laut Ergebnis des Ermittlungsverfahrens ein Grad der Behinderung von 50 v.H. festgestellt wurde.

Mit Begleitschreiben der belangten Behörde 19.11.2019 wurde dem Beschwerdeführer ein Behindertenpass mit einem eingetragenen Grad der Behinderung von 50 v.H. und den Zusatzeintragungen „Der Inhaber/die Inhaberin kann die Fahrtpreisermäßigung nach dem Bundesbehindertengesetz in Anspruch nehmen“ und „Gesundheitsschädigung gem. § 2 Abs. 1 erster Teilstrich VO 303/1996 liegt vor“ übermittelt.

Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid vom 27.12.2019 entzog die belangte Behörde dem Beschwerdeführer seinen Parkausweis.

Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid vom 27.12.2019 im Wege seiner Rechtsvertretung mit Schriftsatz vom 24.01.2020 fristgerecht die vorliegende Beschwerde.

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang sowie die oben getroffenen und für die Entscheidung maßgeblichen Feststellungen ergeben sich aus dem unbedenklichen Inhalt des Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichts und des vorgelegten Verwaltungsaktes.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zur Einzelrichterzuständigkeit in der gegenständlichen Sache:

Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21.09.2018, Ro 2017/02/0019, wurde klargestellt, dass in Verfahren betreffend die Ausfolgung eines Parkausweises nach § 29b StVO ein Einzelrichter zu entscheiden hat.

Zu Spruchteil A)

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) lauten auszugsweise:

„§ 29b. (1) Inhabern und Inhaberinnen eines Behindertenpasses nach dem Bundesbehindertengesetz, BGBl. Nr. 283/1990, die über die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ verfügen, ist als Nachweis über die Berechtigungen nach Abs. 2 bis 4 auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen ein Ausweis auszufolgen. Die näheren Bestimmungen über diesen Ausweis sind durch Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz zu treffen.

(1a) (Verfassungsbestimmung) Die Ausfolgung und Einziehung eines Ausweises gemäß Abs. 1 kann unmittelbar durch Bundesbehörden besorgt werden.

(6) Ausweise, die vor dem 1. Jänner 2001 ausgestellt worden sind und der Verordnung des Bundesministers für Verkehr vom 16. November 1976, BGBl. Nr. 655/1976, zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 80/1990, entsprechen, verlieren ihre Gültigkeit mit 31. Dezember 2015. Ausweise, die nach dem 1. Jänner 2001 ausgestellt worden sind und der Verordnung des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie über den Ausweis für dauernd stark gehbehinderte Personen (Gehbehindertenausweisverordnung), BGBl. II Nr. 252/2000, entsprechen, bleiben weiterhin gültig.“

§ 3 Abs. 1 Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen lautet:

„Zum Nachweis, dass der Behindertenpassinhaber/die Behindertenpassinhaberin, der/die über die Eintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" verfügt, die im § 29b Abs. 2 bis 4 der Straßenverkehrsordnung 1960, BGBl. 159 (StVO), genannten Berechtigungen in Anspruch nehmen kann, ist ihm/ihr ein Parkausweis auszustellen. Die in einem gültigen Behindertenpass enthaltene Eintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung oder Blindheit" ist der Eintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" gleichzuhalten.“

Nach der klaren Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vom 21.09.2018, Ro 2017/02/0019, zur Frage der Einziehung eines Parkausweises gemäß § 29bStVO ist durch die Neufassung des § 29b Abs. 1 StVO mit BGBl. I Nr. 39/2013 die Verpflichtung entfallen, Ausweise, die nach der Gehbehindertenausweisverordnung oder davor ausgestellt worden waren, bei Wegfall der dauernd starken Gehbehinderung bei der Behörde abzuliefern. Ebenso ist die - erst durch die 20. StVO-Novelle geschaffene (vgl. hierzu auch VwGH 24.01.2006, 2005/02/0256) - Möglichkeit entfallen, derartige Ausweise zu entziehen (vgl. auch § 29b Abs. 1 StVO in der Fassung vor dem 1. Jänner 2014).

§ 29b StVO 1960 bietet somit – so die Ausführungen in der genannten Entscheidung des VwGH vom 21.09.2018 - keine gesetzliche Grundlage für die Einziehung des Parkausweises. Folglich enthält auch die (u.a.) aufgrund des § 29b Abs. 1 leg.cit. erlassene Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013 idgF keine Bestimmungen für die Einziehung des Parkausweises (vgl. auch Pürstl, StVO14 (2015) § 29b Anm 4b und 8). Die Bestimmung des § 29b StVO ist seit der genannten Entscheidung des VwGH vom 21.09.2018 auch nicht abgeändert worden.

Die Übergangsbestimmungen in § 29b Abs. 6 StVO sehen vor, dass Parkausweise, die seit dem 1. Jänner 2001 ausgestellt wurden, weiterhin gültig bleiben. Davor ausgestellte Parkausweise, das sind jene, die noch nicht den EU-Vorgaben entsprechen, verlieren mit 31. Dezember 2015 ihre Gültigkeit (vgl. ErläutRV 2109 BlgNR XXIV. GP 4). Der Ausweis gemäß § 29b StVO 1960 des Beschwerdeführers ist nach dem 10.03.2017, sohin jedenfalls nach dem 31.12.2000, ausgestellt worden.

Die Einziehung des Parkausweises des Beschwerdeführers ist daher bereits aus diesen genannten Gründen nicht zulässig.

Die belangte Behörde stellte weiters nach dem vorliegenden unbestrittenen Sachverhalt dem Beschwerdeführer auf dessen Antrag hin zunächst am 13.03.2017 einen Behindertenpass mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 100% und - unter anderem - mit der Zusatzeintragung der „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ aus. Dieser Behindertenpass wurde unbefristet ausgestellt.

Aufgrund eines Briefes eines Nachbarn des Beschwerdeführers entstand bei der belangten Behörde die Notwendigkeit, amtswegig die Voraussetzungen für eine Neufestsetzung des Grades der Behinderung zu überprüfen. Nach einem entsprechenden Ermittlungsverfahren betreffend die Neufestsetzung des Grades der Behinderung erließ die Behörde zunächst einen Bescheid vom 09.09.2019, worin sie feststellte, dass der Beschwerdeführer mit einem Grad der Behinderung von 40% die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht mehr erfülle. Dieser Bescheid enthielt keinerlei Aussage oder Abspruch betreffend die Zusatzeintragung der „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“.

Aufgrund einer erhobenen Beschwerde führte die belangte Behörde ein Beschwerdevorentscheidungsverfahren durch, ermittelte nun einen Grad der Behinderung von 50% und teilte dem Beschwerdeführer betreffend die Neufestsetzung des Grades der Behinderung schließlich mit Schreiben vom 18.11.2019 mit, dass ihm aus diesem Grund ein neuer, unbefristeter Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 50% übermittelt werde. Am 19.11.2020 übermittelte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer einen unbefristeten Behindertenpass mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 50% ohne die Zusatzeintragung der „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ vorzunehmen.

Als nächsten Schritt erließ die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid, worin sie die Einziehung des Parkausweises verfügte und als Rechtsgrundlage § 29b StVO nannte. In der Begründung dieses Bescheides führt die belangte Behörde aus, dass im Bescheid vom 09.09.2019 festgestellt worden sei, dass der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses mit der Zusatzeintragung der „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ nicht erfülle.

Diese tragende Feststellung in der Begründung des angefochtenen Bescheides ist - wie die Beschwerde zu Recht aufzeigt - aktenwidrig. Vielmehr wurde im Bescheid vom 09.09.2019 (und im Übrigen auch im Rahmen des Beschwerdevorentscheidungsverfahrens) nicht über die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ abgesprochen.

Dieser Mangel wurde auch nicht durch die schlichte Übersendung eines neuen Behindertenpasses ohne die genannte Zusatzeintragung saniert. Dem Beschwerdeführer war im vorangegangenen Verfahren nicht einmal die Möglichkeit eingeräumt worden, zur Frage der „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ Stellung zu nehmen, da das gesamte vorangegangene Verfahren ausschließlich die Neufestsetzung des Grades der Behinderung betroffen hatte (siehe Schreiben der belangten Behörde vom 24.08.2018/AS 22, vom 23.01.2019/AS65 und vom 18.11.2019/AS89 sowie den Bescheid vom 09.09.2019/AS70).

Nach dem vorliegenden Verwaltungsakt ist somit bislang kein rechtskräftiger Abspruch über eine Berichtigung bzw Änderung der Voraussetzungen für diese Zusatzeintragung durch die belangte Behörde erfolgt.

Entgegen der Begründung der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid erfüllt der Beschwerdeführer daher - aus rein rechtlicher Sicht - auch nach wie vor noch die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Parkausweises gemäß § 29b StVO. Es steht daher die Entziehung des Parkausweises und die Verpflichtung zur Vorlage des Parkausweises im angefochtenen Bescheid vom 27.12.2019 auch unter diesem Aspekt nicht im Einklang mit der gesetzlichen Bestimmung des § 29b StVO.

Maßgebend für die gegenständliche Entscheidung war ausschließlich die Klärung von Rechtsfragen, weshalb die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben konnte.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine klare Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (insbesondere VwGH vom 21.09.2018, Ro 2017/02/0019) bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Einziehung ersatzlose Behebung Gültigkeit Parkausweis Rechtsgrundlage

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W133.2226329.2.00

Im RIS seit

13.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

13.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten