TE Bvwg Beschluss 2020/8/4 I408 2176483-2

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Veröffentlicht am 04.08.2020
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Entscheidungsdatum

04.08.2020

Norm

BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §53
FPG §55 Abs1a
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs3 Satz2
VwGVG §31 Abs1

Spruch

I408 2176483-2/7E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Harald NEUSCHMID als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX , StA. Serbien, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, vom 09.07.2020, ZI. 1266108208-200580417, beschlossen:

A)

Der Beschwerde wird insofern Folge gegeben, als der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs 3 VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit wird zur allfälligen Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer ist serbischer Staatsbürger und wurde am 09.07.2020 einer Personenkontrolle unterzogen. Von der belangten Behörde wurde festgestellt, dass er sich seit 26.12.2019 ohne einen Aufenthaltstitel oder einer Beschäftigungsbewilligung in Österreich aufhielt und abgesehen von seinem Aufenthalt in Schubhaft bis zu seiner freiwilligen Ausreise am 20.07.2020 über keinen Wohnsitz verfügte. Bei seinem Aufgriff hatte er lediglich Barmittel in Höhe von EUR 41,82 bei sich und gab an, in Österreich bei seiner Mutter zu wohnen und von ihr und einer Tante finanziell unterstützt zu werden.

Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid, dem Beschwerdeführer im PAZ Wien am 10.07.2020 persönlich zugestellt, wurde ihm kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG erteilt (Spruchpunkt I.), gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt II.), festgestellt, dass die Abschiebung nach Serbien zulässig ist (Spruchpunkt III.), gegen ihn ein auf 5 Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV.), einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.) sowie eine Frist zur freiwilligen Ausreise nicht gewährt (Spruchpunkt VI.).

Mit Schriftsatz seiner Rechtsvertretung vom 23.07.2020 bekämpfte der Beschwerdeführer nur das Einreiseverbot.

Über einen im Zuge der Ausreise vorgenommenen SIS-AFIS Abgleich, der daktyloskopisch nicht verifiziert ist, wurde von der belangten Behörde die im Spruch genannte Alias-Identität ermittelt (AS 191).

Kommentarlos, ohne sich mit den neuen Sacherhalt auseinanderzustezen, wurde die gegenständliche Beschwerde mit dem Verwaltungsakt der Alias-Person (Zl. 1169133806-181235965) dem Bundesverwaltungsgericht am 28.07.2020 vorgelegt. Der verfahrensgegenständliche Behördenakt selbst wurde eingescannt am 30.07.2020 übermittelt (OZ 4 und OZ 6).

2. Beweiswürdigung:

Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem Inhalt der vorgelegten bzw. eingescannten Verwaltungsakte des BFA. und den durchgeführten Abfragen im IZR, ZMR und AJ-WEB. Entscheidungswesentliche Widersprüche liegen insoweit nicht vor, sodass sich eine eingehendere Beweiswürdigung erübrigt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 28 Abs 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über eine Bescheidbeschwerde iSd Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG wie die vorliegende dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder dessen Feststellung durch das Gericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2). Wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, hat das Gericht gemäß § 28 Abs 3 VwGVG dann meritorisch zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an die Behörde zurückverweisen, die dann an die rechtliche Beurteilung, von der das Gericht ausgegangen ist, gebunden ist.

Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Behörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Wenn die Behörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt unzureichend festgestellt hat, indem sie keine für die Sachentscheidung brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert hat, ist eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG zulässig (VwGH 28.03.2017, Ro 2016/09/0009). Von der Möglichkeit einer Zurückverweisung kann nur bei besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren2 § 28 VwGVG Anm 13), wie sie hier vorliegen.

Die belangte Behörde hat sich mit der Alias-Identität des Beschwerdeführers und den sich daraus ergebenden Konsequenzen in keiner Weise auseinandergesetzt und die entsprechenden Verwaltungsakte kommentarlos vorgelegt.

Da die belangte Behörde wird sich mit dem neu hinzugekommenen Sachverhalt auseinanderzusetzen, entsprechende Feststellungen zu treffen und auf dieser Basis eine Entscheidung zu treffen haben. Auf der Grundlage der bisherigen Ermittlungen ist noch keine abschließende rechtliche Beurteilung des Sachverhalts möglich; dieser ist vielmehr in wesentlichen Teilen ergänzungsbedürftig.

Da zu den tragenden Sachverhaltselementen noch keine zweifelsfreien Beweisergebnisse vorliegen und zur Klärung des relevanten Sachverhalts zusätzliche Ermittlungen notwendig sein werden, führt es weder zu einer Kostenersparnis noch zu einer Verfahrensbeschleunigung, zumal die belangte Behörde zwei Jahre lang nicht auf die Stellungnahme des Beschwerdeführers reagierte und dann, ohne erkennbare Ermittlungsschritte den Bescheid erließ.

Im Ergebnis ist der angefochtene Bescheid daher gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur allfälligen Erlassung eines neuen Bescheids an das BFA zurückzuverweisen.

Eine mündliche Verhandlung entfällt gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG, weil schon aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Die Revision ist wegen der Einzelfallbezogenheit der Entscheidung über die Anwendung des § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG, die keine grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG begründet, nicht zuzulassen (siehe z.B. VwGH 25.01.2017, Ra 2016/12/0109).

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht Interessenabwägung Kassation mangelhaftes Ermittlungsverfahren mangelnde Sachverhaltsfeststellung Mittellosigkeit öffentliche Interessen Privat- und Familienleben private Interessen Rückkehrentscheidung Zurückverweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I408.2176483.2.00

Im RIS seit

12.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

12.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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