TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/12 W278 2233791-1

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Veröffentlicht am 12.08.2020
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Entscheidungsdatum

12.08.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs1
BFA-VG §22a Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §76 Abs2 Z2
VwGVG §35

Spruch

W278 2233791-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. HABITZL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. SERBIEN, vertreten durch: ARGE Rechtsberatung gegen den Bescheid des BFA, Regionaldirektion Tirol (BAI) vom 09.06.2020, Zl. XXXX , sowie die Anhaltung in Schubhaft seit 09.06.2020 zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG als unbegründet abgewiesen und die Anhaltung in Schubhaft seit 09.06.2020 für rechtmäßig erklärt.

II. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

III. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Ersatz des Verfahrensaufwands wird gemäß § 35 VwGVG abgewiesen.

IV. Der Beschwerdeführer hat gemäß § 35 VwGVG dem Bund (Bundesministerium für Innneres) den Verfahrensaufwand in Höhe von 426,20 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

B)

Die Revision ist gem. Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt

1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge BF) stellte am 06.08.2013 einen Erstantrag auf einen Aufenthaltstitel Familienangehöriger, da er eine österreichische Staatsangehörige geehelicht hatte. Es wurde ihm ein Aufenthaltstitel Familienangehöriger gültig bis 09.09.2014 erteilt. Mit Urteil eines Bezirksgericht vom 12.03.2015, wurde der BF geschieden.

2. Der österreichische Attaché in Belgrad teilte mit Schreiben vom 17.11.2016 mit, dass in den serbischen kriminalpolizeilichen Evidenzen die Straftaten: Schwerer Diebstahl, Raubüberfall, Häusliche Gewalt, Unberechenbarkeit und Änderung der Entscheidung über Erziehungsmaßnahmen aufscheinen.

3. Der BF wurde durch österreichische Gerichte fünf Mal rechtskräftig verurteilt

4. Gegen den BF wurden insgesamt 34 Verwaltungsstrafen im Zeitraum von 2014 bis zu seiner Inhaftierung 2017 mit einer Strafsumme von mehr als 25.000 Euro verhängt. Der BF wurde dabei viermal wegen Lenken eines Kraftfahrzeuges ohne Lenkberechtigung, zweimal wegen Verweigerung des Alkomattests, dreimal wegen Lenken eines Fahrzeuges in alkoholisiertem Zustand, dreimal wegen Ordnungsstörung, dreimal wegen aggressiven Verhaltens, dreimal wegen Anstandsverletzung zweimal wegen Pflichtverletzungen als Zulassungsbesitzer, wegen Geschwindigkeitsübertretungen, Parkstrafen, Lärmerregung und viermalig wegen Ehrenkränkung bestraft.

5. Während seines Aufenthalts in Strafhaft wurde der BF insgesamt wegen neun Ordnungswidrigkeiten beanstandet.

6. Am 05.04.2019 wurde dem BF der Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.03.2019, Zl XXXX über die Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem unbefristeten Einreiseverbot ausgefolgt.

Gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl erhob der BF Beschwerde.

7. Am 30.04.2019 erging vom Bundesverwaltungsgericht unter der GZ XXXX eine Teilerkenntnis, worin der Beschwerde die aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt wurde.

8. Am 02.06.2020 stellte der BF einen Antrag auf bedingte Entlassung aus der Strafhaft. Am 08.06.2020 bewilligte ein Landesgericht die bedingte Entlassung.

9. Am 08.06.2020 wurden der BF aus der Strafhaft entlassen und mittels Festnahmeauftrag in ein PAZ eingeliefert. Am 09.06.2020 wurde der BF zur möglichen Anordnung der Schubhaft einvernommen.

Mit Bescheid vom 09.06.2020 wurde die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet. Begründet wurde die Fluchtgefahr im Wesentlichen mit dem der durchsetzbaren Rückkehrentscheidung nach Serbien und seiner mangelnden Vertrauenswürdigkeit aufgrund der von ihm begangenen Strafrechtsdelikten. Des Weiteren wurde begründend mit Hinweis auf das rechtskräftige Teilerkenntnis des BVwG vom 30.04.2019 ausgeführt, dass aufgrund des Vorverhaltens des BF sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sei. Die Schubhaft sei insbesondere aufgrund des strafrechtlichen Fehlverhaltens des BF verhältnismäßig. Mit der Unterkunftnahme in bestimmten Räumlichkeiten und die periodische Meldeverpflichtung könne daher nicht das Auslangen gefunden werden. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am selben Tag durch persönliche Übergabe (gemeinsam mit der Verfahrensanordnung betreffend die Beigabe eines Rechtsberaters) zugestellt.

10. Am 06.08.2020 langte beim Bundesverwaltungsgericht die nunmehr verfahrensgegenständliche Beschwerde ein. Darin wird im Wesentlichen vorgebracht, dass der BF über ein stark ausgeprägtes Netz (Familie und Freunde) verfüge und ausreisewillig sei. Bis zu seiner Ausreise könne er bei seinem Cousin wohnen und sich auch dort anmelden. Er verfüge über ein gültiges Reisedokument und hätte somit sofort nach Beendigung seiner Strafhaft abgeschoben werden müssen. Somit habe es das Bundesamt unterlassen, auf eine möglichst kurze Schubhaftdauer hinzuwirken. Diese Versäumnis der Behörde führe zur Unverhältnismäßigkeit. Dem Bundesamt werde zwar aufgrund der Kurzfristigkeit der Verständigung der Haftentlassung zu einem gewissen Grad entlastet, dennoch befindet sich der BF nunmehr unverhältnismäßig lange in Haft. Ebenso sei die Nichtanwendung eines gelinderen Mittels nicht ernsthaft geprüft worden.

Beantragt werde daher a) eine mündliche Verhandlung durchzuführen b) den angefochtenen Bescheid und die bisherige Anhaltung in Schubhaft als rechtswidrig zu erklären; c) auszusprechen, dass die Voraussetzungen für eine weitere Anhaltung nicht vorliegen; d) der belangten Behörde den Ersatz der Aufwendungen aufzuerlegen.

11. Am 07.08.2020 langte der Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht samt Stellungnahme (sowie eine ergänzende Stellungnahme vom 10.08.2020) des Bundesamtes ein. In der Stellungnahme wird ausgeführt, dass aufgrund der vom BF begangener Straftaten großenteils wegen Gewaltdelikten –zuletzt wegen versuchter Vergewaltigung und Nötigung – in Zusammenschau mit seinen etlichen Bestrafungen verwaltungsrechtlicher Natur und seinem Verhalten in Haft - eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Seit 30.04.2019 sei eine Rückkehrentscheidung samt unbefristetem Einreiseverbot durchsetzbar. Die aufschiebende Wirkung der Beschwerde wurde aberkannt und dieser Spruchpunkt mit Teilerkenntnis der BVwG bestätigt. Der Beschwerdeführer ist sohin verpflichtet, die Entscheidung über seine Beschwerde außerhalb des Schengenraums abzuwarten und unverzüglich das Schengengebiet zu verlassen. Eine Durchreise (Zwischenlandung) durch andere Schengenstaaten ist nicht mehr möglich. Die Abschiebung sei - nachdem begleitete Flugabschiebungen nach Serbien aufgrund von COVID 19 erst ab 24.06.2020 wieder möglich waren - für den 27.07.2020 fixiert worden, eine Flugbuchung sei erfolgt. Grundsätzlich ist es erforderlich, dass für das Begleitteam auch unverzüglich wieder ein Rückflug zur Verfügung steht. Daher benötigen Buchungen derzeit einen höheren Planungsaufwand Der Flug musste jedoch aufgrund von COVID 19 Landeverboten am 13.07.2020 storniert werden. Es sei daher unverzüglich die Umbuchung auf den nächstmöglichen Flug am 15.08.2020 erfolgt. Von der Behörde wurden rechtzeitig und zielführend Verfahren zur Erlangung eines Rechtstitels eingeleitet und geführt. Die Abschiebung stehe unmittelbar bevor.

Beantragt wurde a) die Beschwerde als unbegründet abzuweisen b) festzustellen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und c) den Beschwerdeführer zum Ersatz der entstandenen Kosten zu verpflichten.

12. Dem BF wurde am 06.08.2020 mittels Parteiengehör aufgetragen Nachweise über die Möglichkeit zur Unterkunftnahme bei seinem Cousin nachzureichen.

13. Am 10.08.2020 langte vom BF die Kopie der ersten Seite des Mietvertrages der Wohnung des Cousins, sowie eine Bestätigung des Cousins ein, dass er dem BF Unterkunft geben kann.

14. Am 10.08.2020 langten die angeforderten medizinischen Unterlagen des BF beim BVwG ein.

Aufgrund der Aktenlage wird folgender Sachverhalt der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt:

1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Serbien. Seine Identität steht fest. Er verfügt über einen gültigen Reisepass. Er verfügte zumindest bis zum 09.09.2014 einen gültigen Aufenthaltstitel als Familienangehöriger.

2. Gegen den BF wurde vom Bundesamt am 01.04.2019 eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Serbien zulässig ist, es wurde ein unbefristetes Einreiseverbot gegen den BF erlassen, und keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt. Gegen diesen Bescheid erhob der BF fristgerecht Beschwerde und beantragte die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.

Mit Teilerkenntnis des BVwG vom 30.04.2019, Zl XXXX wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt. Die Nichtzuerkennung der aufschiebenden Wirkung erfolgte, da die von ihm begangenen Delikte an schwere zugenommen haben. Der Beschwerdeführer wurde zuletzt wegen versuchter absichtlicher schwerer Körperverletzung und versuchter Vergewaltigung verurteilt. Auch während der Haftstrafe hat der BF Ordnungswidrigkeiten begangen, die teilweise auf der gleichen schädlichen Neigung beruhen. Die sofortige Ausreise des Beschwerdeführers ist im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich. Gegenständliches Teilerkenntnis wurde nicht bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts bekämpft.

Gegen den BF liegt eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung vor.

3. Der BF wurde durch österreichische Gerichte fünf Mal rechtskräftig verurteilt:

01) BG vom 15.09.2014 wegen Körperverletzung § 83 (1) StGB und Diebstahl § 127 StGB zu einer Geldstrafe von 120 Tags zu je 4,00 EUR (480,00 EUR) im NEF 60 Tage Ersatzfreiheitsstrafe

02) BG vom 02.12.2014 wegen Körperverletzung § 83 (1) StGB und Sachbeschädigung § 125 StGB zu einer Geldstrafe von 160 Tags zu je 4,00 EUR (640,00 EUR) im NEF 80 Tage Ersatzfreiheitsstrafe

03) LG vom 27.03.2017 wegen versuchter absichtlicher schweren Körperverletzung § 15 StGB § 87 (1) StGB und Sachbeschädigung § 125 StGB zu einer Freiheitsstrafe 18 Monate

04) LG vom 18.04.2018 wegen falscher Zeugenaussage § 288 (1) StGB zu einer Geldstrafe von 250 Tags zu je 4,00 EUR (1.000,00 EUR) im NEF 125 Tage Ersatzfreiheitsstrafe

05) LG vom 06.02.2018 wegen versuchter Vergewaltigung § 15 StGB § 201 (1) StGB und versuchter Nötigung § 15 StGB § 105 (1) StGB zu einer Freiheitsstrafe 3 Jahre 1 Monat 25 Tage.

Während seines Aufenthalts in Strafhaft wurde der BF wegen weiteren Ordnungswidrigkeiten beanstandet.

Der BF befand sich von 24.06.2017 bis 08.06.2020 in Untersuchungs- und Strafhaft. Der BF wurde aufgrund seines Antrages vom 02.06.2020 aus der Strafhaft entlassen. Das Bundesamt wurde am Tag der Entlassung über die vorzeitige Entlassung des BF informiert.

Gegen den BF wurden insgesamt 34 Verwaltungsstrafen im Zeitraum von 2014 bis zu seiner Inhaftierung 2017 mit einer Strafsumme von mehr als 25.000 Euro verhängt. Der BF wurde dabei viermal wegen Lenken eines Kraftfahrzeuges ohne Lenkberechtigung, zweimal wegen Verweigerung des Alkomattests, dreimal wegen Lenken eines Kraftfahrzeuges in alkoholisiertem Zustand, dreimal wegen Ordnungsstörung, dreimal wegen aggressiven Verhaltens, dreimal wegen Anstandsverletzung zweimal wegen Pflichtverletzungen als Zulassungsbesitzer, wegen Geschwindigkeitsübertretungen, Parkstrafen, Lärmerregung und viermalig wegen Ehrenkränkung bestraft

4. Ein für den 27.07.2020 gebuchter Flug zur begleiteten Abschiebung des BF wurde mangels Landeerlaubnis der Air Serbia in Wien storniert. Der BF ist für den nächstmöglichen Flug mit Austrian Airlines am 15.08.2020 gebucht.

5. Der BF war seit 05.06.2013 im Bundesgebiet gemeldet, in der Zeit vom 30.11.2013 bis zum 19.06.2017 war er an mehreren Arbeitsstellen in Österreich zum Teil geringfügig beschäftigt Seit dem 20.06.2017 ist der BF in Österreich nicht mehr sozialversichert. Er verfügt über einen Bargeldbetrag von 483,17 Euro.

Der BF ist in besonderem Ausmaß nicht vertrauenswürdig. Die Überwachung der Ausreise des BF ist aus Gründen der Aufrechterhaltung der Öffentlichen Ordnung und Sicherheit notwendig.

6. Der Cousin des BF würde ihm eine Wohnmöglichkeit zur Verfügung stellen. Der BF verfügt im Bundesgebiet über Cousins, Onkel und Tanten. Der BF ist mit einer deutschen Staatsangehörigen verlobt, die in Berlin lebt. Der BF ist zweimal geschieden und hat eine Tochter, die in Serbien lebt.

7. Der BF ist grundsätzlich gesund und haftfähig. Der BF trat am 31.07.2020 in Hungerstreik, beendete diesen freiwillig wieder am Abend des gleichen Tages.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Beweiswürdigung:

1.1. Der Verfahrensgang und der Sachverhalt ergeben sich aus dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes zur Zl. XXXX (aktuelle Schubhaft) sowie den weiteren Verwaltungsakten sowie dem Erkenntnis des BVwG G XXXX . Die Identität des BF steht fest, da er im Besitz eines gültigen Reisepasses ist.

1.2. Der Bescheid des Bundesamtes vom 01.04.2019 über die Rückkehrentscheidung sowie das unbefristete Einreiseverbot liegt im Gerichtsakt ein. Das Erkenntnis G XXXX betreffend die Nichtzuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde gegen diesen Bescheid liegt ebenfalls im Gerichtsakt ein. Aus diesem ergibt sich, dass die sofortige Ausreise des BF aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich ist. Der Umstand, dass gegen dieses Teilerkenntnis kein Rechtsmittel eingebracht wurde, ergibt sich aus einer Nachschau im Kanzleisystem und ist unstrittig.

1.3. Die rechtskräftigen Verurteilungen des BF in Österreich sind dem rezenten Strafregisterauszug entnommen. Der Zeitraum seiner Inhaftierung ist einem aktuellen ZMR Auszug entnommen. Der Begehung der zahlreichen Verwaltungsstrafen sowie der Ordnungswidrigkeiten während der Strafhaft wurde in der Beschwerde nicht entgegengetreten. Diese wurden auch bereits im Vorerkenntnis des BVwG festgestellt und sind unstrittig.

1.4. Der Nachweis, dass die Flugbuchung für die begleitete Abschiebung für 27.07.2020 erfolgt ist, ergibt sich aus dem Akt und wurde dem BF auch nachweislich zur Kenntnis gebracht. Die Flugabsage aufgrund der fehlenden Landeerlaubnis sowie die abermalige Flugbuchung für 15.08.2020 ist im Verwaltungsakt dokumentiert und wurde dem BF ebenfalls nachweislich zur Kenntnis gebracht.

1.5. Die Angaben zur behördlichen Meldung sowie zu seiner unregelmäßigen teilweise geringfügigen Beschäftigung des BF vor seiner Inhaftierung ergeben sich aus einer ZMR Anfrage sowie einer Sozialversicherungsanfrage. Der sich in seinem Besitz befindende Bargeldbetrag ergibt sich aus der Anhaltedatei. Seine mangelnde Vertrauenswürdigkeit ergibt sich aus der konsequenten Missachtung der österreichischen Rechtsordnung und seinem Vorverhalten, indem er wie durch ein Landesgericht (aus dem Urteil zu der versuchten Vergewaltigung und der versuchten Nötigung) festgestellt: … mit Gewalt, nämlich durch Herunterreißen der Hose, Versetzen von mehreren Faustschlägen in das Gesicht und Zerren an den Haaren, zur Duldung des Beischlafs zu nötigen versucht, wobei die Tat einen Nasenbeinbruch sowie Prellungen und Hämatome im Brust- und Gesichtsbereich zu Folge hatte;

[…] durch die Äußerung, dass er ihr die „Schnauze“ einschlagen werde, sollte sie ihn anzeigen, somit durch gefährliche Drohung zu einer Unterlassung, nämlich zur Abstandnahme einer Anzeigeerstattung, zu nötigen versucht. […] durch die wuchtigen Faustschläge wurde auch die Teilzahnprothese des Opfers herausgeschlagen […] Eine geständige Verantwortung des Angeklagten lag nicht vor, die durch Alkohol bzw. Suchtmittel verminderte Dispositions- und Diskretionsfähigkeit konnte nicht mildernd berücksichtigt werden, da der Angeklagte, wie ihm bekannt ist, gerade unter Einfluss von Alkohol zur Delinquenz im Hinblick auf fremde Personenwerte neigt[…]“

Der BF war auch im Zuge seiner Einvernahme durch das Bundesamt am 09.06.2020 nicht schuldeinsichtig, sondern gab an: „Ich fühle mich zu Unrecht verurteilt. Nur weil jemand behauptet hat, ich habe ihr auf den Arsch getascht. Ich habe die Schnauze voll von Österreich.“ Daraus ist zu erkennen, dass der BF zum einen nicht gewillt ist, die Illegalität seines Handelns einzusehen, und zum anderen die österreichische Rechtslage zu akzeptieren und sich danach zu verhalten. Zusätzlich zu weiteren einschlägigen Verurteilungen wegen Körperverletzung wurde der BF auch dreimalig wegen Lenken eines Kraftfahrzeuges in alkoholisiertem Zustand sowie zweimalig wegen Verweigerung der Atemalkoholuntersuchung und mehrfach wegen mehrfach wegen Ordnungsstörungen und aggressiven Verhaltens sowie Anstandsverletzungen rechtskräftig bestraft. Auch während der Strafhaft beging der BF weitere Ordnungswidrigkeiten und wurde diesbezüglich beanstandet. Der BF ist in einem besonderen Ausmaß nicht vertrauenswürdig und stellt aufgrund seines Vorverhaltens eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Den Feststellungen die die mangelnde Vertrauenswürdigkeit betreffen wurde in der Beschwerde nicht ausreichend substantiiert entgegengetreten.

1.6. Dass der BF Verwandte in Österreich hat ist unstrittig. Die mit Beschwerde vorgebrachte Wohnmöglichkeit bei seinem Cousin –mit dem er engeren Kontakt pflegt - konnte den Feststellungen zu Grunde gelegt werden. Dass der BF mit einer deutschen Staatsangehörigen verlobt ist, die in Berlin lebt wurde vom BF glaubhaft in seiner Einvernahme vorgebracht.

1.7. Gesundheitliche Probleme des Beschwerdeführers wurden in der Beschwerde nicht behauptet, aus den medizinischen Unterlagen ergibt sich die uneingeschränkte Haftfähigkeit. Der Hungerstreik des BF ist aus der Anhaltedatei ersichtlich.

2. Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchteil A)

2.1. Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005, lautet:

„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1.         dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,
2.         dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3.         die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1.         ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a.         ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2.         ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3.         ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4.         ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5.         ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6.         ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a.         der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b.         der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c.         es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7.         ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8.         ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9.         der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

2.2. Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

3. Zur Frage der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides und der Anhaltung in Schubhaft

3.1. Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung kann immer nur dann verhältnismäßig sein, wenn mit dem der Möglichkeit einer Abschiebung auch tatsächlich zu rechnen ist. Ergibt sich, dass diese fremdenpolizeiliche Maßnahme innerhalb der Schubhafthöchstdauer nicht durchführbar ist, so darf die Schubhaft nicht verhängt werden bzw. ist – wenn sich das erst später herausstellt – umgehend zu beenden (VwGH 28.08.2012, 2010/21/0517; vgl. VwGH 19.04.2012, 2009/21/0047).

Die „Fluchtgefahr“ ist in Österreich im § 76 Abs. 3 FPG (oben unter Punkt II.2. wiedergegeben) gesetzlich definiert. Über den Beschwerdeführer wurde nach Entlassung aus der Strafhaft die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet.

3.2. Die belangte Behörde begründete die festgestellte Fluchtgefahr im Wesentlichen mit der durchsetzbaren aufenthaltsbeendende Maßnahme, der mangelnden Vertrauenswürdigkeit des BF aufgrund der von ihm begangenen Strafrechtsdelikten und seines Vorverhaltens sowie dem Umstand, dass über keinen ordentlichen Wohnsitz verfügt. Das Bundesamt stützte sich dabei erkennbar auf die Ziffern 3 und 9 des § 76 Abs. 3 FPG und hat diese auch konkret begründet (Bescheid Seite 23f). Dem Vorliegen der Kriterien der Ziffern 3 wurde in der Beschwerde nicht entgegengetreten; vielmehr erweist sich deren Vorliegen auch im Zusammenhang mit der Beschwerde und der Aktenlage als unstrittig. Dem Vorbringen der Beschwerde, dass der BF lediglich aufgrund des Umstandes seiner dreijährigen Strafhaft über keine Meldeadresse verfügt ist grundsätzlich zuzustimmen, wird aber durch die hohe mangelnde Vertrauenswürdigkeit des BF relativiert. Wie das Bundesamt im gegenständlichen Bescheid ausführlich begründet und auch das BVwG mit Teilerkenntnis festgestellt hat, ist die sofortige Ausreise des BF im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich und in Zusammenschau mit der strafrechtlichen Delinquenz auch verhältnismäßig. Des Weiteren begründet das Bundesamt nachvollziehbar, dass beim BF ein beträchtliches Risiko des Untertauchens besteht, um zu seiner Verlobten nach Deutschland - trotz des durchsetzbaren schengenweiten Einreiseverbotes – zu reisen. Dieser Begründung für die Fluchtgefahr des BF wurde in der Beschwerde nicht entgegengetreten.

Es obliegt der Entscheidung der Behörde, ob im Einzelfall die Überwachung der Ausreise für notwendig erachtet wird.
„…§ 46. FPG (1) Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Anordnung zur Außerlandesbringung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, sind von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag des Bundesamtes zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung), wenn

1.       die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint,

…“

Die Behörde geht nachvollziehbar davon aus, dass der Beschwerdeführer aufgrund der Straftat und seines Vorverhaltens eine schwerwiegende Gefährdung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt. Dies wurde im titelgebenden Bescheid ausführlich dargelegt und es besteht eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung, samt – nicht rechtskräftigem – unbefristeten Einreiseverbot für die Schengenstaaten. Der Beschwerdeführer verfügte bei Haftentlassung über kein Aufenthaltsrecht und hätte sich somit unrechtmäßig in Österreich aufgehalten. Die Überwachung der Ausreise durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes wurde in Form einer begleiteten Flugabschiebung angeordnet. Aufgrund der unerwarteten Entlassung und der derzeitigen Pandemiesituation muss dem Bundesamt – in Zusammenschau mit der massiven strafrechtlichen Delinquenz des BF und seines Vorverhaltens - eine Vorlaufzeit für die Organisation einer begleiteten Abschiebung eingeräumt werden. Dass die für 27.07.2020 organisierte Abschiebung aufgrund eines Landeverbots nicht durchgeführt werden konnte, kann dem Bundesamt nicht zugerechnet werden.

In der Beschwerde wird ausgeführt, dass die Behörde bereits während der Strafhaft die Abschiebung organisieren hätte müssen und die Anhaltung in Schubhaft unverhältnismäßig lange andauert. Dies wird durch den Umstand relativiert, dass das Bundesamt erst – wie im Bescheid ausgeführt - am Tage der Entlassung des BF von der Justizanstalt von der Enthaftung informiert wurde und bedingt durch die pandemiebedingten Flugverkehrseinschränkungen dem Bundesamt eine gewisse Vorlaufzeit für Buchung von begleiteten Flugabschiebungen zuzugestehen ist, da für die Begleitteams auch unverzügliche Rückfluge verfügbar sein müssen.

Die Behörde geht auch richtigerweise von einer aufgrund strafrechtlicher Verurteilungen des Beschwerdeführers abgeleiteten mangelnden Vertrauenswürdigkeit und einem besonderen Interesse des Staates an der Sicherstellung der Ausreise aus.

Auf Grund dieser Erwägungen ging das Bundesamt im Ergebnis zutreffend davon aus, dass im Falle des Beschwerdeführers insgesamt Fluchtgefahr in einem die Anhaltung in Schubhaft rechtfertigenden Ausmaß besteht.

2.4 Auf Grund der festgestellten Fluchtgefahr konnte auch nicht mit der Anwendung gelinderer Mittel das Auslangen gefunden werden: Dem Bundesamt ist darin beizupflichten, dass sich im Falle des Beschwerdeführers weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen, da sich der Beschwerdeführer insbesondere durch sein vor Anordnung der Schubhaft gezeigtes kriminelles Verhalten und seiner mangelnden Tateinsichtigkeit als nicht vertrauenswürdig erwiesen hat – was aber Voraussetzung für die Anordnung des gelinderen Mittels ist. Auf Grund dieser Umstände und der bestehenden Fluchtgefahr, überwogen daher – wie im angefochtenen Bescheid richtig dargelegt - die öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und eines geordneten Fremdenwesens die Interessen des Beschwerdeführers an der Abstandnahme von der Anordnung der Schubhaft und war diese als ultima-ratio-Maßnahme notwendig.

Das Bundesamt konnte aus den oben dargelegten Gründen zudem davon ausgehen, dass die begleitete Überstellung des Beschwerdeführers, zeitnah möglich ist. Auch die absehbare Dauer der Schubhaft war nicht unverhältnismäßig: Mit der Durchführung der Überstellung war innerhalb der gesetzlichen Fristen zu rechnen.

2.5. Überdies gab es bei Anordnung der Schubhaft keine erkennbaren Hinweise auf eine Haftunfähigkeit des Beschwerdeführers und wurde sie auch im Beschwerdeverfahren nicht behauptet. Einen am 31.07.2020 begonnenen Hungerstreik beendete der BF am selben Tage wieder freiwillig.

2.6. Aus diesen Gründen ist die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid und die Anhaltung in Schubhaft ab 09.06.2020 abzuweisen. Die Stornierung des gebuchten Fluges am 27.07.2020 kann dem Bundesamt nicht zugerechnet werden. Das Bundesamt hat unverzüglich den nächstmöglichen Flug gebucht.

3. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ist festzustellen, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen:

3.1. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG hat das Bundesverwaltungsgericht, sofern die Anhaltung noch andauert, jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

Der VwGH hat zum Fortsetzungsausspruch gemäß § 83 Abs. 4 erster Satz FPG in der bis 31.12.2013 geltenden Fassung ausgesprochen, dass der Unabhängige Verwaltungssenat (UVS) im Rahmen seines Ausspruchs gemäß § 83 Abs. 4 FPG aF nicht an die im Schubhaftbescheid herangezogenen Rechtsgrundlagen gebunden ist, sondern die Zulässigkeit der Fortsetzung der Schubhaft nach allen Richtungen zu prüfen hat; er ist auch nicht nur „ermächtigt“, einen „weiteren bzw. neuen Anhaltegrund für die Fortsetzung der Schubhaft zu schaffen“, sondern bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens zu einem positiven und (nur) bei deren Fehlen zu einem negativen Fortsetzungsausspruch verpflichtet. Verneint der UVS daher das Vorliegen der Voraussetzungen für die weitere Anhaltung in Schubhaft, so bedeutet dieser Ausspruch von Gesetzes wegen die Unzulässigkeit der (Fortsetzung der) Schubhaft auf Grund jeglichen zum Bescheiderlassungszeitpunkt geltenden Schubhafttatbestandes, unabhängig davon, ob der UVS dessen Voraussetzungen (erkennbar) geprüft und dies seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat (VwGH 15.12.2011, Zl. 2010/21/0292; 28.08.2012, Zl. 2010/21/0388 mwN). Diese Rechtsprechung des VwGH ist unverändert auf den Fortsetzungsausspruch des Bundesverwaltungsgerichtes nach der inhaltlich gleichlautenden Bestimmung des § 22a Abs. 3 BFA-VG übertragbar.

3.2. Für die Durchsetzung der Außerlandesbringung ist die Anwesenheit des BF erforderlich. Es ist angesichts seines bisherigen Verhaltens jedoch davon auszugehen, dass er sich dem behördlichen Zugriff durch Untertauchen entziehen würde und sich eine Gelegenheit dazu bietet. Es, ist nicht ersichtlich, was den Beschwerdeführer im Falle einer Entlassung aus der Schubhaft von einem Untertauchen abhalten sollte. Seine begleitete Abschiebung ist bereits für den 15.08.2020 – somit in drei Tagen – geplant und gebucht.

3.3. Im gegenständlichen Fall sind die Kriterien der Ziffern 3 und 9 wie dargelegt weiterhin gegeben. Gegenüber dem BF, besteht nach wie vor eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung und aufgrund seiner massiven strafrechtlichen Delinquenz in Zusammenschau mit seinem Vorverhalten ist die Überwachung seiner Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit im Sinne des § 46 Abs. 1 Z1 FPG notwendig. Das Bundesamt hat den BF bereits auf den nächstmöglichen Flug für 15.08.2020 gebucht, die Abschiebung steht somit unmittelbar bevor.

In Zusammenschau mit den obigen Ausführungen besteht damit aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts kein Zweifel, dass im gegenständlichen Fall (weiterhin) eine zur Schubhaftanordnung hinreichende Fluchtgefahr seitens des Beschwerdeführers sowie ein besonders hohes staatliches Interesse an der Sicherstellung einer durchsetzbaren Außerlandesbringung zu bejahen ist.

Aus diesen Erwägungen ergibt sich auch, dass im gegenständlichen Fall die Anordnung des gelinderen Mittels nicht ausreichend ist, um den Sicherungsbedarf zu erfüllen. Dies insbesondere aufgrund der oben dargestellten exzeptionell beeinträchtigten Vertrauenswürdigkeit des Beschwerdeführers, der fortgesetzt Gewaltdelikte in Österreich setzte, nicht tateinsichtig ist und sich auch nicht während seiner Anhaltung in Strafhaft wohlverhalten hat. Damit liegt auch die geforderte „ultima-ratio-Situation“ für die Anordnung/Fortsetzung der Schubhaft vor und erweist sich diese zum gegenwärtigen Zeitpunkt im Hinblick auf die bereits in drei Tagen geplante Abschiebung – trotz der Wohnmöglichkeit bei seinem Cousin - auch als verhältnismäßig.

3.4. Die absehbare weitere Anhaltung in Schubhaft für wenige Tage ist – in Anbetracht der in besonderem Maß fehlenden Vertrauenswürdigkeit des Beschwerdeführers jedenfalls verhältnismäßig. Die massive Beeinträchtigung der Vertrauenswürdigkeit hat der Beschwerdeführer ausschließlich selbst zu verantworten und muss sie daher im Rahmen einer individuellen Verhältnismäßigkeitsabwägung auch entsprechend gegen sich gelten lassen.

3.5. An der Haftfähigkeit des Beschwerdeführers – der zuletzt drei Jahre in Untersuchungs- und Strafhaft verbrachte – bestehen keine Zweifel.

3.6. Es ist daher gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG festzustellen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

4. Entfall einer mündlichen Verhandlung

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn (Z 1) der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder (Z 2) die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist. Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben, da der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage und des Inhaltes der Beschwerde geklärt war und Widersprüchlichkeiten in Bezug auf die für die gegenständliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltselemente nicht vorlagen. Es wird im Übrigen auch nicht dargelegt, welche Sachverhaltselemente einer mündlichen Erörterung bedürften. Die mit der Beschwerde vorgebrachte Wohnmöglichkeit des BF bei seinem Cousin, konnte den Feststellungen zu Grunde gelegt werden.

In der Beschwerde finden sich auch keine substanziellen Hinweise auf einen sonstigen möglicherweise unvollständig ermittelten entscheidungsrelevanten Sachverhalt.

5. Kostenersatz

5.1. Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden nach dieser Bestimmung die für Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist (für die Zeit vor Inkrafttreten des § 22a Abs. 1a BFA-VG s. VwGH 23.04.2015, Ro 2014/21/0077).

5.2. Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei hat Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei. Die §§ 52 bis 54 VwGG sind gemäß Abs. 6 auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.

Die belangte Behörde hat als (vollständig) obsiegende Partei Anspruch auf Kostenersatz. Dem Beschwerdeführer gebührt als unterlegener Partei hingegen kein Kostenersatz.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Dies liegt im gegenständlichen Fall nicht vor. Die Berücksichtigung eines unstrittigen oder zweifelsfrei belegten Vorverhaltens entspricht der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes.

Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

Fluchtgefahr Fortsetzung der Schubhaft gelinderes Mittel Haftfähigkeit Kostenentscheidung - Gericht Kostenersatz Kostenersatz - Antrag Obsiegen öffentliche Interessen Ordnungswidrigkeit Pandemie Rückkehrentscheidung Schubhaft Schubhaftbeschwerde Schubhaftverfahren Sicherungsbedarf Straffälligkeit strafgerichtliche Verurteilung Strafhaft Verhältnismäßigkeit Vertreterbestellung Verwaltungsstrafe Verwaltungsübertretung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W278.2233791.1.00

Im RIS seit

13.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

13.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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