Entscheidungsdatum
18.08.2020Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W123 2203222-1/20E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Michael ETLINGER über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.07.2018, Zl. 1112004806-160556289, nach Durchführung einer öffentlich mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 stattgegeben und dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 19.04.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Im Rahmen der am selben Tag durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erfolgten Einvernahme gab der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund an, dass seine Brüder in Afghanistan sich für das Christentum interessiert hätten. Bewohner hätten das mitbekommen und seine beiden Brüder seien verhaftet worden. Der Beschwerdeführer sei wegen seiner Brüder, aber auch in der Zwischenzeit von Bewohnern seiner Gegend bedroht worden.
3. Am 09.07.2018 fand die Einvernahme des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde statt.
4. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Es wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.) und die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).
5. Gegen den obgenannten Bescheid der belangten Behörde richtete sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde vom 06.08.2018, in der insbesondere darauf hingewiesen wurde, dass aus der Schilderung des Beschwerdeführers bei der Einvernahme ersichtlich sei, dass der Beschwerdeführer vom Islam aus freiem Willen abgekehrt sei. Obwohl der Beschwerdeführer bei der Einvernahme davon berichtet habe, dass er Atheist sei, habe es die belangte Behörde unterlassen, den Beschwerdeführer diesbezüglich ausführlich zu befragen und den Sachverhalt ordnungsgemäß zu überprüfen.
6. Mit Schriftsatz vom 29.03.2019 erstattete der Beschwerdeführer eine Beschwerdeergänzung, in der insbesondere auf die Diskriminierung der religiösen Minderheit der Ahmadiyya hingewiesen wurde.
7. Mit Schriftsatz vom 20.03.2020 erstattete der Beschwerdeführer eine weitere Beschwerdeergänzung und brachte einleitend wiederum vor, dass er sich vom Islam abgewandt habe bzw. vom Islam abgefallen sei. Der Beschwerdeführer habe sich in Österreich der atheistischen Religionsgesellschaft (ARG) zugewandt und habe sich auch bei dieser Gesellschaft als Mitglied eintragen lassen. Diesbezüglich wurde eine Bestätigung der Mitgliedschaft vom 26.11.2019 der Stellungnahme beigelegt. Der Beschwerdeführer verwies ferner auf die ACCORD-Anfragebeantwortung vom 01.06.2017, aus welcher hervorgehe, dass Apostaten Verfolgung durch afghanische Behörden und durch Privatpersonen fürchten müssten, wenn ihr Abfall vom Islam bekannt werden sollte. Apostaten hätten in Afghanistan mit sozialer Ausgrenzung und Gewalt durch Familienangehörige und durch die Taliban sowie mit strafrechtlicher Verfolgung bis hin zur Todesstrafe zu rechnen.
8. Am 08.07.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt.
9. Am 14.07.2020 übermittelte der Beschwerdeführer – infolge der Aufforderung des Bundesverwaltungsgerichtes (vgl. Seite 30 Verhandlungsprotokoll) – ein Konvolut seiner Aktivitäten in den sozialen Medien.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt):
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Fluchtgründen:
Der Beschwerdeführer ist ein afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Paschtunen an. Der Beschwerdeführer ist in der Provinz Nangahar geboren und aufgewachsen und hielt sich in der Heimatprovinz bis zu seiner Flucht nach Europa auf. Der Beschwerdeführer verfügt in seinem Heimatland über den Maturaabschluss und absolvierte danach die Zulassungsprüfung für die Universität. Anschließend studierte er an der Universität Jalalabad über ein Jahr Energie-Ingenieurwesen.
Der Vater und der Onkel väterlicherseits des Beschwerdeführers leben im Heimatdorf des Beschwerdeführers. Ferner halten sich Tanten väterlicherseits in einem anderen Distrikt in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers auf. Die Mutter sowie die Schwester des Beschwerdeführers leben derzeit im Iran. Der Beschwerdeführer steht mit seiner Mutter und seiner Schwester in Kontakt.
Der Beschwerdeführer wurde von seinen Eltern streng nach den islamischen Regeln erzogen und erhielt von seinem Vater Religionsunterricht. Der Beschwerdeführer las bereits in seinem Heimatland den Koran und setzte sich ab dem 19. Lebensjahr kritisch mit dem Islam auseinander. Seit dem Aufenthalt in Österreich vertiefte der Beschwerdeführer seine kritische Denkweise zu den Religionen und eignete sich insbesondere ausführliche Kenntnisse über den Atheismus an. Der Beschwerdeführer ist seit 22.11.2019 ein Mitglied der religiösen Bekenntnisgemeinschaft „Atheistische Religionsgesellschaft in Österreich“, ARG (vgl. Beilage zu OZ 10). Der Beschwerdeführer scheint mit seinem Namen in Plattformen des Atheismus in den sozialen Medien auf (vgl. OZ 17).
Der Beschwerdeführer ist im Zuge seines Aufenthaltes vom islamischen Glauben abgefallen und bekennt sich zum Atheismus. Vom Glaubensabfall des Beschwerdeführers wissen die Mutter und die Schwester des Beschwerdeführers.
Die im Iran lebende Schwester des Beschwerdeführers steht mit ihrem Vater in regelmäßigen Kontakt. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass infolge dieses Kontakts der Vater Kenntnis vom Glaubensabfall des Beschwerdeführers erlangte.
1.2. Feststellungen zum Herkunftsstaat:
1.2.1. Auszug Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019 (aktualisiert am 21.07.2020)
15. Religionsfreiheit
Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt (CIA 30.4.2019; vgl. AA 2.9.2019). Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha´i und Christen machen weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus (AA 2.9.2019; vgl. CIA 30.4.2019, USDOS 21.6.2019); in Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan (UP 16.8.2019; vgl. BBC 11.4.2019). Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 21.6.2019; vgl. FH 4.2.2019, MPI 2004). Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist (USODS 21.6.2019; vgl. AA 9.11.2016). Im Laufe des Untersuchungsjahres 2018 gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen aufgrund von Blasphemie oder Apostasie (USDOS 21.6.2019). Auch im Berichtszeitraum davor gab es keine Berichte zur staatlichen Strafverfolgung von Apostasie und Blasphemie (USDOS 29.5.2018).
Konvertiten vom Islam zu anderen Religionen berichteten, dass sie weiterhin vor Bestrafung durch Regierung sowie Repressalien durch Familie und Gesellschaft fürchteten. Das Gesetz verbietet die Produktion und Veröffentlichung von Werken, die gegen die Prinzipien des Islam oder gegen andere Religionen verstoßen (USDOS 21.6.2019). Das neue Strafgesetzbuch 2017, welches im Februar 2018 in Kraft getreten ist (USDOS 21.6.2019; vgl. ICRC o.D.), sieht Strafen für verbale und körperliche Angriffe auf Anhänger jedweder Religion und Strafen für Beleidigungen oder Verzerrungen gegen den Islam vor (USDOS 21.6.2019).
Das Zivil- und Strafrecht basiert auf der Verfassung; laut dieser müssen Gerichte die verfassungsrechtlichen Bestimmungen sowie das Gesetz bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. In Fällen, in denen weder die Verfassung noch das Straf- oder Zivilgesetzbuch einen bestimmten Rahmen vorgeben, können Gerichte laut Verfassung die sunnitische Rechtsprechung der hanafitischen Rechtsschule innerhalb des durch die Verfassung vorgegeben Rahmens anwenden, um Gerechtigkeit zu erlangen. Die Verfassung erlaubt es den Gerichten auch, das schiitische Recht in jenen Fällen anzuwenden, in denen schiitische Personen beteiligt sind. Nicht-Muslime dürfen in Angelegenheiten, die die Scharia-Rechtsprechung erfordern, nicht aussagen. Die Verfassung erwähnt keine eigenen Gesetze für Nicht-Muslime (USDOS 21.6.2019).
Anmerkung: Zu Konversion, Apostasie und Blasphemie siehe Unterabschnitt Fehler! Textmarke nicht definiert..
Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsalierung gegenüber religiösen Minderheiten und reformerischen Muslimen behindert (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 21.6.2019).
Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 4.2.2019). Mitglieder der Taliban und des Islamischen Staates (IS) töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 21.6.2019; vgl. FH 4.2.2019). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 21.6.2019).
Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Konvertiten vom Islam riskieren die Annullierung ihrer Ehe (USDOS 21.6.2019). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind gültig (USE o.D.). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über das Religionsbekenntnis. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt. Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 21.6.2019).
Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 21.6.2019).
[…]
15.5. Apostasie, Blasphemie, Konversion
Glaubensfreiheit, die auch eine freie Religionswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan de facto nur eingeschränkt. Die Abkehr vom Islam (Apostasie) wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht (AA 2.9.2019).
Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtsprechung Missionierung illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtsprechung unter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 21.6.2019) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung „religionsbeleidigende Verbrechen“ verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323).
Es gibt keine Berichte über die Verhängung der Todesstrafe aufgrund von Apostasie (AA 2.9.2019); auch auf höchster Ebene scheint die afghanische Regierung kein Interesse zu haben, negative Reaktionen oder Druck hervorzurufen – weder vom konservativen Teil der afghanischen Gesellschaft, noch von den liberalen internationalen Kräften, die solche Fälle verfolgt haben (LIFOS 21.12.2017; vgl. USDOS 21.6.2019) und auch zur Strafverfolgung von Blasphemie existieren keine Berichte (USDOS 21.6.2019).
Es kann jedoch einzelne Lokalpolitiker geben, die streng gegen mutmaßliche Apostaten vorgehen und es kann auch im Interesse einzelner Politiker sein, Fälle von Konversion oder Blasphemie für ihre eigenen Ziele auszunutzen (LIFOS 21.12.2017).
Gefahr bis hin zur Ermordung droht Konvertiten hingegen oft aus dem familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld (AA 2.9.2019). Die afghanische Gesellschaft hat generell eine sehr geringe Toleranz gegenüber Menschen, die als den Islam beleidigend oder zurückweisend wahrgenommen werden (LIFOS 21.12.2017; vgl. FH 4.2.2019). Obwohl es auch säkulare Bevölkerungsgruppen gibt, sind Personen, die der Apostasie beschuldigt werden, Reaktionen von Familie, Gemeinschaften oder in einzelnen Gebieten von Aufständischen ausgesetzt, aber eher nicht von staatlichen Akteuren (LIFOS 21.12.2017). Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 4.2.2019).
Abtrünnige haben Zugang zu staatlichen Leistungen; es existiert kein Gesetz, Präzedenzfall oder Gewohnheiten, die Leistungen für Abtrünnige durch den Staat aufheben oder einschränken. Sofern sie nicht verurteilt und frei sind, können sie Leistungen der Behörden in Anspruch nehmen (RA KBL 1.6.2017).
1.2.2. Auszug ACCORD-Anfragebeantwortung zu Afghanistan vom 01.06.2017
Die US Commission on International Religious Freedom (USCIRF) schreibt, dass das Strafgesetzbuch den Gerichten ermögliche, Fälle, die weder im Strafgesetz noch in der Verfassung explizit erfasst seien, darunter Blasphemie, Apostasie und Konversion, gemäß dem Scharia-Recht der Hanafi-Rechtsschule und den sogenannten „hudud“-Gesetzen, die Vergehen gegen Gott umfassen würden, zu entscheiden (USCIRF, 26. April 2017). Die Scharia zähle Apostasie zu den sogenannten „hudud“-Vergehen (USDOS, 10. August 2016, Section 2) und sehe für Apostasie wie auch für Blasphemie die Todesstrafe vor (Landinfo, 26. August 2014, S. 2).
Die United States Commission on International Religious Freedom (USCIRF), eine staatliche Einrichtung der USA zur Beobachtung der Situation hinsichtlich der Meinungs- Gewissens- und Glaubensfreiheit im Ausland, schreibt in ihrem Jahresbericht vom April 2017, dass staatlich sanktionierte religiöse Führer sowie das Justizsystem dazu ermächtigt seien, islamische Prinzipien und das Scharia-Recht (gemäß Hanafi-Rechtslehre) auszulegen. Dies führe zuweilen zu willkürlichen und missbräuchlichen Auslegungen und zur Verhängung schwerer Strafen, darunter der Todesstrafe (USCIRF, 26. April 2017).
[...]
Auch der Bericht von Landinfo vom September 2013 behandelt unter Berufung auf verschiedene Quellen die rechtlichen Folgen von Apostasie. Das Strafrecht sehe gemäß Scharia die Todesstrafe für erwachsene zurechnungsfähige Männer vor, die den Islam freiwillig verlassen hätten. Diese Rechtsauffassung gelte sowohl für die schiitisch-dschafaritische als auch für die (in Afghanistan dominierende) sunnitisch-hanafitische Rechtsschule.
2. Beweiswürdigung:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben mittels Durchführung einer öffentlich mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, des bekämpften Bescheides und des Beschwerdeschriftsatzes sowie in die vom Beschwerdeführer vorgelegten Urkunden.
2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zu Identität, Sprachkenntnissen, Herkunft und Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf seine diesbezüglich gleichbleibenden und daher glaubhaften Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, der belangten Behörde, in dem Beschwerdeschriftsatz und in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Es ist im Verfahren nichts hervorgekommen, das Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers aufkommen lässt.
2.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Das Bundesverwaltungsgericht erachtet das Vorbringen des Beschwerdeführers zur Furcht vor Verfolgung im Fall der Rückkehr in den seinen Herkunftsstaat Afghanistan aufgrund seines Glaubensabfalles als glaubhaft:
2.2.1. Einleitend ist zunächst festzuhalten, dass das Bundesverwaltungsgericht zwar nicht verkennt, dass der Beschwerdeführer in der Erstbefragung noch kein explizites Fluchtvorbringen dahingehend erstattete, dass er seine Heimat aufgrund eines „Abfalls vom Islam“ verlassen habe. Der Beschwerdeführer konnte den entsprechenden Vorhalt des erkennenden Richters in der Verhandlung jedoch dahingehend (plausibel) aufklären, als er vorbrachte, dass der Abfall von seinem Glauben und die Hinwendung zum Atheismus ein schrittweiser Prozess gewesen sei (vgl. Seite 18f Verhandlungsprotokoll, arg. „R: Ich verstehe jetzt aber nicht, warum Sie sich in der Erstbefragung vor der Bundespolizei am 19.04.2016 noch als sunnitischer Paschtune ausgegeben haben? Auch haben Sie, befragt nach Ihrem Fluchtgrund, mit keinem Wort erwähnt, dass Sie kein gläubiger Moslem mehr sind. Was sagen Sie dazu? BF: Ich habe vorhin erwähnt, dass mein Glaube in AFG immer weniger wurde. Als ich dann hierhergekommen bin und die Gesellschaft hier kennenlernte, und auch andere Sachen mir bewusst wurden, und ich erfahren habe, dass man auch ein Atheist sein kann, und ich dann auch mit der Gesellschaft der Atheisten in Kontakt getreten bin, dann wurde mir bewusst, dass ich auch die Religion frei leben kann.“). Abgesehen davon wies der Beschwerdeführer auf seinen (zweiten) Fluchtgrund „Abfall vom Islam“ bereits in der Einvernahme vor der belangten Behörde am 09.07.2018 hin (vgl. AS 303, arg. „LA: Welcher Religion, Volksgruppe und Staatsangehörigkeit gehören Sie an? VP: Ich war sunnitischer Moslem, jedoch seit zweieinhalb Jahren, seit ich in Österreich bin gehe ich nicht mehr in die Moschee und bete auch nicht mehr und glaube an nichts mehr. Ich bin Paschtune und afghanischer Staatsangehöriger.“ bzw. AS 308f, „LA: Haben Sie sämtliche Gründe, die Sie veranlasst haben, Ihr Herkunftsland zu verlassen, vollständig vorbringen können? VP: Ich werde auch deshalb in Afghanistan verfolgt, weil ich jetzt keinen Glauben mehr habe. Wenn ich zurückkehre, werde ich sowohl von den Taliban als auch von der Regierung wegen meines Abfalls vom Glauben verfolgt. Mich erwartet ein islamisches Urteil dort. LA: Warum sind Sie jetzt nicht gläubig? Warum üben Sie Ihren Glauben jetzt in Österreich, wo es Religionsfreiheit gibt, nicht mehr aus? VP: Als ich gesehen habe, dass man hier auch ohne Religion leben kann, habe ich mich dazu entschlossen. […] LA: Was hätten Sie bei einer Rückkehr in Ihr Heimatland konkret zu befürchten?VP: Ich fürchte dass meine Familie mich findet, mich der Regierung oder den Taliban ausliefert, da ich meinen Brüdern geholfen haben und als Ungläubiger (Kafar) gelte. Auch aufgrund meiner jetzigen Konfessionslosigkeit werde ich verfolgt werden, ich werde das nicht geheim halten und stehe dazu.“). Die belangte Behörde unterließ in weiterer Folge aber (nahezu vollständig) den Beschwerdeführer über diese Umstände ausführlich zu befragen. Insoweit liegt nicht einmal ein Fall von einem sog. „Nachfluchtgrund“ (im Sinne eines erstmals vor dem Bundesverwaltungsgericht erhobenen Fluchtvorbringens) vor, sondern machte der Beschwerdeführer vielmehr bereits zum Zeitpunkt der Einvernahme durch die belangte Behörde einen weiteren Fluchtgrund geltend.
2.2.2. Der Beschwerdeführer hinterließ in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht einen glaubhaften Eindruck, nicht zuletzt aufgrund seines durchaus beachtlichen Kenntnisstandes über historische Begebenheiten (Stichwort: Hammurapi und Gilgamesch, vgl. Seite 17f Verhandlungsprotokoll) bzw. über bedeutende historische Vertreter des Atheismus und deren Aussagen (vgl. etwa die Seiten 19f bzw. 32f Verhandlungsprotokoll). Daher erscheint auch das Vorbringen glaubhaft, dass sich der Beschwerdeführer bereits in Afghanistan kritisch mit dem Islam auseinandersetzte (insbesondere durch das Studium des Korans) und dieses Wissen in Österreich noch weiter vertiefte. Das Bundesverwaltungsgericht geht aufgrund der religiösen Einstellung des Beschwerdeführers daher davon aus, dass sich der Beschwerdeführer glaubhaft zum Atheisten in Österreich entwickelte und diesem (geistigen) Schritt auch Taten folgen ließ (vgl. insbesondere seine Mitgliedschaft in der ARG sowie seine Tätigkeit in den sozialen Netzwerken).
2.2.3. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes ist aufgrund der vorliegenden Beweisergebnisse von einer ernsthaften Abwendung des Beschwerdeführers vom (muslimischen) Glauben sowie von einem entsprechenden inneren Entschluss des Beschwerdeführers auszugehen. Es ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer (auch bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat) beabsichtigt, "ohne Glauben" zu leben. Der Beschwerdeführer äußerte zudem bereits vor der belangten Behörde ausdrücklich die Befürchtung, sich dazu in Afghanistan nicht offen bekennen zu können (vgl. AS 308).
Unbeschadet dessen ist außerdem festzuhalten, dass der Beschwerdeführer glaubhaft vorbrachte, dass seine Mutter und seine Schwester Kenntnis von seiner nunmehrigen religiösen Einstellung haben (vgl. Seite 21f Verhandlungsprotokoll). Da die Schwester des Beschwerdeführers (vom Iran aus) mit ihrem in Afghanistan lebenden Vater in Kontakt steht, erscheint zudem nicht ausgeschlossen, dass auch der Vater des Beschwerdeführers von seinem Glaubensabfall erfahren haben könnte.
2.2.4. Den Länderberichten zufolge besteht in Afghanistan innerhalb der Bevölkerung eine starke Intoleranz gegenüber Menschen, die vom Islam zu einer anderen Religion konvertiert sind. Konvertierung oder Apostasie ist nach dem islamischen Recht Afghanistans ein Verbrechen und wird mit dem Tode bestraft. Folglich müssen Apostaten Verfolgung durch afghanische Behörden und Privatpersonen fürchten müssen, wenn ihr Abfall vom Islam bekannt wird. Apostaten haben in Afghanistan mit sozialer Ausgrenzung und Gewalt (insbesondere) durch Familien- und Gemeinschaftsangehörige und durch die Taliban sowie mit strafrechtlicher Verfolgung bis hin zur Todesstrafe zu rechnen. All dies kann nach den Länderberichten an keinem Ort Afghanistans ausgeschlossen werden, sodass dem Beschwerdeführer keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung steht.
2.2.5. Abschließend ist festzuhalten, dass aufgrund der glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers in Bezug auf seinen Glaubensabfall auf das ursprüngliche Fluchtvorbringen (erster Fluchtgrund) nicht mehr eingegangen werden musste.
2.3. Zum Herkunftsstaat:
Es wurde vor allem Einsicht genommen in folgende Erkenntnisquellen des Herkunftsstaates des Beschwerdeführers:
? Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019
? ACCORD-Anfragebeantwortung zu christlichen Konvertiten vom 01.06.2017
Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquelle sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Ausführungen zu zweifeln.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).
Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Begründete Furcht liegt vor, wenn diese objektiv nachvollziehbar ist und sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation ebenfalls aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0370). Relevant ist eine Verfolgungsgefahr auch nur dann, wenn diese aktuell ist (vgl. VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. etwa VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN).
Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist der Begriff der „Glaubhaftmachung“ im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd ZPO zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der [Beschwerdeführer] die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG, § 45, Rz 3, mit Judikaturhinweisen). Die „Glaubhaftmachung“ wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der „hierzu geeigneten Beweismittel“, insbesondere des diesen Feststellungen zugrunde liegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.05.1998, 97/13/0051).
Die Verfolgung kann gemäß § 3 Abs. 2 AsylG 2005 auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind. Ein in der Praxis häufiges Beispiel für sogenannte subjektive Nachfluchtgründe ist die im Zufluchtsstaat erfolgende Konversion zum Christentum insbesondere bei Asylwerbern aus islamischen Staaten. Auch wenn in einem solchen Fall der Nachweis einer (religiösen) Überzeugung, die bereits im Heimatstaat bestanden hat, nicht erbracht werden kann, drohen dem Antragsteller bei seiner Rückkehr in den Heimatstaat gegebenenfalls Sanktionen, die von ihrer Intensität und ihrem Grund her an sich asylrelevant sind. Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt in diesen Fällen nicht darauf ab, ob die entsprechende Überzeugung bereits im Heimatland bestanden hat (VwGH 17.09.2008, 2008/23/0675). Vielmehr ist maßgeblich, ob der Asylwerber bei weiterer Ausführung seines behaupteten inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsse, aus diesem Grund mit einer die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktion belegt zu werden (vgl. dazu VwGH 30.06.2005, 2003/20/0544, mwN). Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion kommt es auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist (VwGH 17.09.2008, 2008/23/0675; 14.11.2007, 2004/20/0485, sowie VfGH 12.12.2013, U 2272/2012).
Mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu seiner Abkehr vom Islam bzw. seines offenen Bekenntnisses zum Atheismus, macht der Beschwerdeführer einen subjektiven Nachfluchtgrund geltend (vgl. § 3 Abs. 2 AsylG 2005).
Der Verwaltungsgerichtshof hat zum Begriff der Religion im Sinne der GFK ausgesprochen (VwGH 21.09.2000, Zl. 98/20/0557): „Die allgemeine Erklärung der Menschenrechte und die Menschenrechtspakte verkünden das Recht auf Gedanken-, Gewissens-, und Religionsfreiheit; dieses Recht schreibt die Freiheit des Menschen, seine Religion zu wechseln, und die Freiheit, ihr öffentlich oder privat Ausdruck zu verleihen, mit ein. Ebenso das Recht, sie zu lehren und auszuüben, ihre Riten zu praktizieren und nach ihr zu leben (vgl. Handbuch des UNHCR über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, S. 20). Nach Kälin (Grundriss, 93) betrifft religiöse Verfolgung Maßnahmen, welche eine Organisation gegen ihre Gegner bei Konflikten über die richtige Anschauung in Fragen des Verhältnisses des Menschen zu (einem) Gott ergreift. Im Gemeinsamen Standpunkt des Rates der Europäischen Union vom 4. März 1996 betreffend die harmonisierte Anwendung der Definition des Begriffs "Flüchtling" in Art 1 der FlKonv sei der Begriff der "Religion" in einem weiten Sinn aufzufassen und umfasse theistische, nichttheistische oder atheistische Glaubensüberzeugungen. Eine Verfolgung aus religiösen Gründen könne danach auch dann vorliegen, wenn maßgebliche Eingriffe eine Person betreffen, die keinerlei religiöse Überzeugung hat, sich keiner bestimmten Religion anschließe oder sich weigere, sich den mit einer Religion verbundenen Riten und Gebräuchen ganz oder teilweise zu unterwerfen. In diesem Sinn gilt auch nach der Rechtsprechung in der Schweiz als religiöse Verfolgung das Vorgehen des Staates gegen Atheisten, Ungläubige etc., um sie für ihre Ungläubigkeit zu bestrafen oder zu einem bestimmten Glauben zu zwingen (vgl. Kälin, a.a.O.). Nach der von Rohrböck wiedergegebenen Literatur (vgl. Rohrböck, Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl, Rz 402) ist unter Religion ein in sich geschlossenes metaphysisches Gedankensystem, das durch eine wie auch immer geartete Gottesvorstellung gekennzeichnet ist bzw. auf einer solchen metaphysischen Vorstellung aufbaut, zu verstehen."
Der Konventionsgrund der Religion umfasst daher auch die Verfolgung wegen einer nicht-religiösen Weltanschauung oder wegen atheistischer Überzeugungen.
Dementsprechend stellte der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 13.12.2018, Zl. 2018/18/0235, klar:
„Eine begründete Furcht des Antragstellers vor Verfolgung liegt vor, sobald nach Auffassung der zuständigen Behörden im Hinblick auf die persönlichen Umstände des Antragstellers vernünftigerweise anzunehmen ist, dass er nach Rückkehr in sein Herkunftsland religiöse Betätigungen vornehmen wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen. Bei der individuellen Prüfung eines Antrags auf Anerkennung als Flüchtling können die Behörden dem Antragsteller nicht zumuten, auf diese religiösen Betätigungen zu verzichten (vgl EuGH 5.9.2012, Y und Z, C-71/11 und C-99/11). Nichts anderes kann gelten, wenn die "religiösen Betätigungen" darin liegen, den im Herkunftsstaat vorgeschriebenen Glauben nicht leben zu wollen, sondern sich - eben gerade durch das Unterlassen (erwarteter) religiöser Betätigungen - zu seiner Konfessionslosigkeit zu bekennen.“
Es ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer auch bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat beabsichtigt, seine Abwendung vom islamischen Dogmen offen zu zeigen. Wie die Quellen belegen, ist ein solches Verhalten jedoch keinesfalls möglich, ohne dass sich der Beschwerdeführer Verfolgung aussetzt. Die vom Beschwerdeführer dargelegte Abkehr erweist sich vor diesem Hintergrund und unter Bedachtnahme auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als asylrelevant. Nach islamischem Verständnis bedeutet der Abfall vom Islam einen hochverratsähnlichen Angriff auf das Staats- und Gesellschaftssystem und ist nicht auszuschließen, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan dort Verfolgungshandlungen bis hin zur Todesstrafe ausgesetzt ist.
Hinzu kommt, dass nicht ausgeschlossen werden konnte, dass der Glaubensabfall des Beschwerdeführers auch in Afghanistan bekannt wurde (vgl. Feststellungen und Beweiswürdigung) und auf Ablehnung stieß, sodass es maßgeblich wahrscheinlich ist, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr Apostasie jedenfalls zumindest unterstellt werden wird.
Die religiöse Haltung des Beschwerdeführers steht im völligen Gegensatz zu den in Afghanistan vorherrschenden religiösen Zwängen und ist für Dritte erkennbar, da sie diese durch ihre Lebensführung, die jeweils ein wesentlicher Bestandteil ihrer Identität geworden ist, nach außen getragen wird. Dem Beschwerdeführer kann auch nicht zugemutet werden, diese immer für sich zu behalten und seine innere Einstellung dauerhaft zu verleugnen.
Da nicht davon auszugehen ist, dass der Beschwerdeführer seine Abkehr widerrufen und dies ihm auch nicht zumutbar ist, sprechen im Fall des Beschwerdeführers, unter Einbeziehung der Situation von Konvertiten und Apostaten in Afghanistan, konkrete und substanzielle Anhaltspunkte für das Vorliegen einer aktuellen, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit vorliegenden Gefahr persönlich und konkret für sie beide. Laut den aktuellen Länderberichten ist der Islam in Afghanistan die Staatsreligion und nur Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben, wobei der politische Islam in Afghanistan die Oberhand behält. Die von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträge und Konventionen wie auch die nationalen Gesetze sind allesamt im Lichte des generellen Islamvorbehalts zu verstehen. Die Glaubensfreiheit, die auch die freie Religionsauswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan daher für Muslime nicht. Der islamische Klerus sowie viele Bürger sehen die Abkehr vom Islam als Verstoß gegen die Grundsätze des Islam an. Konversion – als ein Akt des Abfalls vom Glauben und als ein Verbrechen gegen den Islam – ist mit Todesstrafe bedroht, wenn der Konvertit nicht widerruft.
Die Gefahr einer Verfolgung des Beschwerdeführers ist daher im vorliegenden Fall auf mehrfache Weise gegeben wie sich vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen zeigt. Einerseits durch den afghanischen Staat und andererseits auch durch die einfache Bevölkerung, die von traditionell islamischen Vorstellungen geprägt ist; wobei insgesamt vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen davon ausgegangen werden kann, dass der afghanische Staat nicht willens und in der Lage ist, den Beschwerdeführer entsprechend zu schützen.
Es ist nicht davon auszugehen, dass der afghanische Staat – sofern er nicht selbst wegen des Verstoßes gegen die Scharia bzw. wegen Apostasie verfolgt – in der Lage wäre, Personen, die von Seiten nichtstaatlicher Akteure bedroht werden, ausreichend Schutz zu gewähren. Der afghanische Staat ist nur sehr beschränkt in der Lage, die Sicherheit der afghanischen Bevölkerung zu garantieren, die Zentralregierung verfügt nicht über das Machtmonopol, um die Bürger ausreichend zu schützen. Fallbezogen ist daher mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer angesichts des ihn treffenden Verfolgungsrisikos keinen ausreichenden Schutz im Herkunftsstaat finden kann.
Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt nur dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einen in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich jenen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung anknüpft. Im Fall des BF1 und des BF2 liegt jeweils das oben dargestellte Verfolgungsrisiko unzweifelhaft in ihrer Abkehr vom Islam begründet.
Aufgrund des in ganz Afghanistans gültigen islamischen Rechts (Scharia) und der in der Praxis angewendeten islamischen Rechtsprechung sowie aufgrund der in der afghanischen Gesellschaft bestehenden Traditionen und der Intoleranz gegenüber Apostaten bzw. Konvertiten gegenüber, ist davon auszugehen, dass sich die oben dargelegte Situation für den Beschwerdeführer im gesamten Staatsgebiet von Afghanistan gleichermaßen darstellt, weshalb keine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 AsylG 2005 besteht.
Da dem Beschwerdeführer aufgrund seiner wohlbegründeten Furcht vor einer Verfolgung in Afghanistan, Asyl gewährt wird, erübrigt sich eine nähere Auseinandersetzung mit etwaigen weiteren asylrelevanten Aspekten in seinem Vorbringen (vgl. dazu bereits Beweiswürdigung).
Da jeweils auch keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt, war dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen (siehe dazu insbesondere die unter A) zitierte Judikatur). Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Apostasie asylrechtlich relevante Verfolgung befristete Aufenthaltsberechtigung gesamtes Staatsgebiet Nachfluchtgründe Religion Schutzunfähigkeit staatliche Verfolgung wohlbegründete FurchtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W123.2203222.1.00Im RIS seit
13.11.2020Zuletzt aktualisiert am
13.11.2020