TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/20 W128 2196554-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.08.2020
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Entscheidungsdatum

20.08.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W128 2196554-1/18E

Schriftliche Ausfertigung des am 09.07.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses:

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Michael FUCHS-ROBETIN als Einzelrichter über die Beschwerde des afghanischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 23.04.2018, Zl. 1077389706-150821198, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX wird gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG) der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der 1986 geborene Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger (nunmehr) christlichen Glaubens und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, stellte am 09.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz ein.

Im Rahmen der Erstbefragung gab er Folgendes an: Als er zwei Jahre alt gewesen sei, sei er mit seinen Eltern in den Iran geflüchtet. Im Jahr 2014 sei er nach Kabul zurückgekehrt, um „die Situation abzuklären“. Da sich die Umstände jedoch nicht verändert hätten, habe er Afghanistan im März 2015 wieder verlassen.

2. Bei seiner Einvernahme vor dem BFA am 15.02.2018 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen Folgendes an:

Er stamme aus der Provinz Bamiyan, Distrikt XXXX , Dorf XXXX . Seine Eltern hätten Afghanistan aufgrund des Krieges vor etwa 40 Jahren verlassen. Der Beschwerdeführer sei im Iran aufgewachsen und habe vom 7. bis zum 12. Lebensjahr die Schule besucht. Seine Eltern seien 2005 für etwa 1 oder 1,5 Jahre nach Afghanistan zurückgekehrt. Dabei hätten sie Unterstützung von den Vereinten Nationen erhalten. Da die Sicherheit in Afghanistan jedoch sehr schlecht gewesen sei, sei seine Familie wieder in den Iran gegangen. Im Iran hätten sie jedoch keinen Aufenthaltstitel besessen. Er habe etwa 10 Jahre ohne Arbeitserlaubnis als Maler und Maurer gearbeitet. Als der Beschwerdeführer im Jahr 2014 in die Türkei habe ausreisen wollen, sei er von den iranischen Behörden „erwischt“ und nach Afghanistan abgeschoben worden. Nachfolgend habe er sich bis Anfang 2015 in Kabul aufgehalten, wo er einen Job bei einem Bekleidungsgeschäft für Hochzeitskleidung und Festtagsmode erhalten habe. Dort habe der Beschwerdeführer auch seine (zukünftige) Ehefrau XXXX kennengelernt. Seine Ehefrau sei eine Kundin des Geschäfts gewesen und sie hätten – da diese bereits einem anderen Mann versprochen gewesen sei – eine heimliche Beziehung geführt. Der Geschäftsführer des Modegeschäfts habe sie einmal ertappt, als der Beschwerdeführer mit seiner Ehefrau intim gewesen sei. Er habe ihnen gedroht, dass er die Familie seiner Ehefrau davon verständigen werde und sie aufgefordert, nicht wegzulaufen. Daraufhin habe der Beschwerdeführer mit dem Geschäftsführer gestritten und seine Ehefrau und er seien weggelaufen. Infolgedessen hätten vier Personen (der Geschäftsführer und drei Cousins seiner Ehefrau) den Beschwerdeführer abends aufgesucht und bedroht. Dem Beschwerdeführer sei es wieder gelungen, wegzulaufen. Ein Cousin habe den Beschwerdeführer daraufhin angerufen und mit dem Umbringen bedroht, falls er ihnen seine Ehefrau nicht übergebe. Die Familie seiner Ehefrau sei streng religiös. Seine Ehefrau habe durch ihr Verhalten „Schande“ über ihre Familie gebracht.

Seine Ehefrau befinde sich derzeit in Schweden, wo sie den Status der Asylberechtigten erhalten habe. Er habe etwa seit einem Jahr Kontakt zu seiner Ehefrau und sei im Jahr 2017 zu ihr nach Schweden gereist, jedoch sei er am 13.09.2017 wieder von Schweden nach Österreich überstellt worden.

Weiters legte der Beschwerdeführer seinen afghanischen Reisepass, seine Tazkira und zahlreiche Integrationsdokumente vor.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchteil I.) als auch des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchteil II.) ab. Unter einem sprach das BFA aus, dass dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt werde (Spruchteil III.), gegen ihn gestützt auf § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG und § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung erlassen werde (Spruchteil IV.) sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt werde, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchteil V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchteil VI.).

Begründend führte das BFA Folgendes aus:

Der Beschwerdeführer sei afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara. Er spreche Farsi, Dari, Englisch und Deutsch. Der Beschwerdeführer stamme aus der Provinz Bamiyan. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer mit XXXX verheiratet sei. Er habe keine Kinder. Der Beschwerdeführer verfüge über eine ca. 12-jährige Schulbildung und Berufserfahrung als Maurer und Maler. Er könne selbst für seinen Unterhalt aufkommen, sei arbeitsfähig und gesund. Der Beschwerdeführer verfüge auch über Angehörige im Iran und in Afghanistan.

Dem Beschwerdeführer drohe keine asylrelevante Verfolgung in Afghanistan: Es sei nicht glaubwürdig, dass der Beschwerdeführer von der Familie von XXXX bedroht würde. So habe sich der Beschwerdeführer diesbezüglich in zahlreiche Widersprüche verstrickt, weshalb dieses Fluchtvorbringen nicht glaubhaft sei. Abgesehen davon habe der Beschwerdeführer keine Dokumente über die Hochzeit mit XXXX vorlegen bzw. Angaben zum genauen Ort und Datum der Eheschließung tätigen können. Auch dass der Beschwerdeführer Vater des ungeborenen Kindes von XXXX sei, habe der Beschwerdeführer nicht belegen können.

Weiters habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr aus anderen Gründen asylrelevant verfolgt würde.

Zur Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten sei festzuhalten, dass sich der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr als volljähriger, arbeitsfähiger und junger Mann mit zwölfjähriger Schulbildung und Berufserfahrung selbst versorgen könne. Es könne somit nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in eine existenzgefährdende Notlage geraten würde, weshalb ihm kein subsidiärer Schutz zu gewähren sei. Die Sicherheitslage in seiner Heimatprovinz Bamiyan sei ausreichend sicher. Zudem sei es dem Beschwerdeführer möglich Bamiyan sicher zu erreichen. Zusätzlich stehe es dem Beschwerdeführer frei sich in anderen sicheren Regionen Afghanistans wie Herat oder Kabul niederzulassen.

Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen sei dem Beschwerdeführer nicht zu erteilen, da keiner der in § 57 AsylG genannten Gründe zutreffen würde.

Zur Rückkehrentscheidung sei festzuhalten, dass keine Integrationsverfestigung festgestellt werden könne. Der Beschwerdeführer habe keine Familienangehörigen oder Verwandte im Bundesgebiet. Es liege daher kein schützenswertes Familienleben in Österreich vor. Das Bestehen einer Ehe mit der in Schweden lebenden XXXX habe nicht festgestellt werden können. Ebenso habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer der Vater ihres ungeborenen Sohnes sei. Der Beschwerdeführer sei zudem in keinem Verein aktiv. Der Beschwerdeführer halte sich bereits seit dem 09.07.2015 in Österreich auf und es bestehe keine starke Bindung zu Österreich. Der Integrationswille des Beschwerdeführers sei daher nicht über die öffentlichen Interessen (illegale Einreise) einer geordneten Zuwanderung zu stellen.

Eine Abschiebung nach Afghanistan sei zulässig, da keine der in Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte oder die Protokolle Nr. 6 und 13 zur EMRK verletzt würden.

Sohin sei der Beschwerdeführer zu einer freiwilligen Ausreise binnen 14 Tagen ab Rechtskraft des Bescheides verpflichtet.

4. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde, in welcher zusammengefasst Folgendes vorbracht wurde:

Er habe sein Fluchtvorbringen bereits in der Erstbefragung kurz aber abschließend umrissen und in der Einvernahme vor dem BFA näher ausgeführt. Dass eine Verfolgung aufgrund von Blutrache grundsätzlich asylrelevant sein könne, gehe aus dem Bericht von UNHCR hervor. So führten Ehrverletzung in Form von außerehelichem Geschlechtsverkehr in Afghanistan zu Ehrenmorden und Blutrache. Hätte das BFA entsprechende Nachforschungen angestellt, wären auch die vermeintlichen Widersprüche aufgeklärt worden.

Weiters legte der Beschwerdeführer die schwedische Asylkarte seiner Ehefrau und den schwedischen Konventionsreisepass seiner Ehefrau vor.

5. Mit Schreiben vom 05.06.2019 legte der Beschwerdeführer ein Zeugnis zur Integrationsprüfung B1 vom 26.01.2019, Bestätigungen über Dolmetscherleistungen für die Polizeiinspektion XXXX vom 17.07.2018, eine Bestätigung über gemeinnützige Tätigkeiten für die Gemeinde XXXX 24.05.2019, ein Empfehlungsschreiben des Vereins für Mission und Asylantenintegration der Gemeinde Christi vom 27.05.2019 und ein Taufzertifikat der Gemeinde Christi vom 02.06.2018 vor.

6. Am 09.07.2020 fand eine öffentliche, mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, an der der Beschwerdeführer sowie seine Rechtsberaterin und ein Vertreter des BFA teilnahmen. Weiters wurde der Obmann des Vereins für Mission und Asylantenintegration der Gemeinde Christi XXXX als Zeuge zur Konversion des Beschwerdeführers zum Christentum einvernommen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara. Er trägt den im Spruch angeführten Namen, wurde am XXXX im Iran geboren und hielt sich zuletzt in Kabul auf.

Der Beschwerdeführer besuchte zwölf Jahre lang die Schule. Er verrichtete Gelegenheitsjobs als Maler, Maurer und als Verkäufer in einem Bekleidungsgeschäft.

Der Beschwerdeführer wurde in Afghanistan als Moslem geboren. Er interessiert sich jedoch nach außen wahrnehmbar seit Anfang 2018 für den christlichen Glauben. Er nimmt nach wie vor regelmäßig an Gottesdiensten in Salzburg teil und konvertierte am 02.06.2018 aus innerer Überzeugung zum Christentum. Insbesondere fährt er jeden Sonntag ca. 100 km hin und zurück, um an Gottesdiensten teilzunehmen, was auch mit erheblichen Kosten verbunden ist. Der Eindruck, dass die Konversion aus innerer Überzeugung getragen ist, bestätigte auch der in der mündlichen Verhandlung anwesende Zeuge (siehe dazu Punkt II.2.).

Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan besteht für den Beschwerdeführer aufgrund seiner Konversion zum Christentum die Gefahr, dass er massiven Einschränkungen und Diskriminierungen im persönlichen Bereich auf Grund seiner religiösen Überzeugung sowie einem erheblichen Verfolgungsrisiko sowohl von privater Seite – ohne dass ihm in dieser Hinsicht staatlicher Schutz zukäme – als auch von staatlicher Seite ausgesetzt wäre.

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zur hier relevanten Situation in Afghanistan

Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:

-        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019 mit Stand 29.06.2020 (LIB),

-        UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR),

-        EASO Country Guidance: Afghanistan vom Juni 2019 (EASO)

1.2.1.  Allgemeine Sicherheitslage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 2).

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen anderen gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren (LIB, Kapitel 2). Die Hauptlast einer unsicheren Sicherheitslage in der jeweiligen Region trägt die Zivilbevölkerung (UNHCR, Kapitel II. B).

Drei Ministerien verantworten die Sicherheit in Afghanistan: Das afghanische Innenministerium (Afghanistan’s Ministry of Interior - MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense - MoD) und der afghanische Geheimdienst (NDS). Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police). Die ANA untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit zuständig, ihre primäre Aufgabe ist jedoch die Bekämpfung der Aufständischen innerhalb Afghanistans. Das National Directorate of Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist auch für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen. Die Ermittlungsabteilung des NDS betreibt ein Untersuchungsgefängnis in Kabul (LIB, Kapitel 4).

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv, welche eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität in Afghanistan darstellen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und Angriffen auf staatliche Einrichtungen und gegen Gläubige und Kultstätten bzw. religiöse Minderheiten aus (LIB, Kapitel 2).

1.2.2.  Allgemeine Wirtschaftslage

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (LIB, Kapitel 21).

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB, Kapitel 21).

In den Jahren 2016-2017 lebten 54,5% der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Immer mehr Menschen greifen auf negative Bewältigungsmechanismen wie Kleinkriminalität, Kinderehen, Kinderarbeit und Betteln zurück, von denen insbesondere Binnenvertriebene betroffen sind. Der Zugang zu einer produktiven oder entgeltlichen Beschäftigung ist begrenzt, 80% der Beschäftigung gelten als anfällig und unsicher in Form von Selbst- oder Eigenbeschäftigung, Tagarbeit oder unbezahlter Arbeit. Der saisonale Effekt ist erheblich. Die Arbeitslosenquote ist in den Frühlings- und Sommermonaten relativ niedrig (rund 20%), während sie im Winter 32,5% erreichen kann (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In Afghanistan gibt es neben der Zentralbank auch mehrere kommerzielle Banken. Es ist mittlerweile auch relativ einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Geld kann auch über das Hawala System (Form des Geldtausches) transferiert werden. Dieses Systemfunktioniert schnell, zuverlässig und günstig. Spezielle Dokumente sind nicht notwendig und der Geldtransfer ist weltweit möglich und wird von verschiedenen Bevölkerungsschichten verwendet (LIB, Kapitel 21).

Im Zeitraum von 2016 bis 2017 waren 44,6% der afghanischen Bevölkerung sehr stark bis mäßig von Lebensmittelunsicherheit betroffen. In allen Wohnbevölkerungsgruppen war seit 2011 ein Anstieg festzustellen, wobei der höchste Anstieg in den ländlichen Gebieten zu verzeichnen war (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war das Zentrum des Wachstums, und der Rest der städtischen Bevölkerung konzentriert sich hauptsächlich auf vier andere Stadtregionen: Herat, Mazar-e Sharif, Kandahar und Jalalabad. Die große Mehrheit (72%, basierend auf ALCS-Zahlen für 2016-2017) der afghanischen Stadtbevölkerung lebt in Slums oder in ungenügenden Wohnungen. 86% der städtischen Häuser in Afghanistan können (gemäß der Definition von UN-Habitat) als Slums eingestuft werden. Der Zugang zu angemessenem Wohnraum stellt für die Mehrheit der Afghanen in den Städten eine große Herausforderung dar (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In den Städten besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum zu mieten. Darüber hinaus bietet die Städte die Möglichkeit von „Teehäusern“, die mit 30 Afghani (das sind ca. € 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. € 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. „Teehäuser“ werden von Reisenden, Tagesarbeitern, Straßenhändlern, jungen Menschen, alleinstehenden Männern und anderen Personen, die in der Gegend keine ständige Unterkunft haben, als vorübergehende Unterkunft genutzt (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V). Man muss niemanden kennen, um eingelassen zu werden (EASO Bericht Afghanistan Netzwerke, Kapital 4.2.).

Der Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie angemessenen sanitären Einrichtungen hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, wie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, war in den Städten im Allgemeinen besser als auf dem Land. Der Zugang zu Trinkwasser ist für viele Afghanen jedoch nach wie vor ein Problem, und die sanitären Einrichtungen sind weiterhin schlecht (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: der afghanischen Regierung zufolge lebt 52% der Bevölkerung in Armut, während 45% in Ernährungsunsicherheit lebt. Dem Lock down Folge zu leisten, "social distancing" zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan/innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (LIB, Kurzinformation 29.06.2020).

Gesellschaftliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Auswirkungen:

In Kabul, hat sich aus der COVID-19-Krise heraus ein "Solidaritätsprogramm" entwickelt, welches später in anderen Provinzen repliziert wurde. Eine afghanische Tageszeitung rief Hausbesitzer dazu auf, jenen ihrer Mieter/innen, die Miete zu reduzieren oder zu erlassen, die aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht arbeiten konnten. Viele Hausbesitzer folgten dem Aufruf (LIB, Kurzinformation 29.06.2020).

Bei der Spendenaktion „Kocha Ba Kocha“ kamen junge Freiwillige zusammen, um auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu reagieren, indem sie Spenden für bedürftige Familien sammelten und ihnen kostenlos Nahrungsmittel zur Verfügung stellten. In einem weiteren Fall startete eine Privatbank eine Spendenkampagne, durch die 10.000 Haushalte in Kabul und andere Provinzen monatlich mit Lebensmitteln versorgt wurden. Außerdem initiierte die afghanische Regierung das sogenannte „kostenlose Brot“-Programm; bei welchem bedürftigen Familien – ausgewählt durch Gemeindeälteste – rund einen Monat lang mit kostenlosem Brot versorgt werden. In dem mehrphasigen Projekt, erhält täglich jede Person innerhalb einer Familie zwei Stück des traditionellen Brots, von einer Bäckerei in der Nähe ihres Wohnortes. Die Regierung kündigte kürzlich an, das Programm um einen weiteren Monat zu verlängern. Beispielsweise beklagten sich bedürftige Familien in der Provinz Jawzjan über Korruption im Rahmen dieses Projektes (LIB, Kurzinformation 29.06.2020).

1.2.3.  Ethnische Minderheiten

In Afghanistan sind ca. 40 - 42% Paschtunen, rund 27 - 30% Tadschiken, ca. 9 - 10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen (LIB, Kapitel 17).

Ethnische Paschtunen sind mit ca. 40% der Gesamtbevölkerung die größte Ethnie Afghanistans. Sie sprechen Paschtu/Pashto; als Verkehrssprache sprechen viele auch Dari. Sie sind sunnitische Muslime. Die Paschtunen haben viele Sitze in beiden Häusern des Parlaments – jedoch nicht mehr als 50% der Gesamtsitze. Die Paschtunen sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 44% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (LIB, Kapitel 17.1).

Grundlage des paschtunischen Selbstverständnisses sind ihre genealogischen Überlieferungen und die darauf beruhende Stammesstruktur. Eng mit der Stammesstruktur verbunden ist ein komplexes System von Wertvorstellungen und Verhaltensrichtlinien, die häufig unter dem Namen Pashtunwali zusammengefasst werden, und die besagen, dass es für einen Paschtunen nicht ausreicht, Paschtu zu sprechen, sondern dass man auch die Regeln dieses Ehren- und Verhaltenskodex befolgen muss. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammlinienverband bedeutet viele Verpflichtungen, aber auch Rechte, weshalb sich solche Verbände als Solidaritätsgruppen verstehen lassen (LIB, Kapitel 17.1).

1.2.4.  Religionen

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon 80 - 89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB Kapitel 15).

Schiiten

Der Anteil schiitischer Muslime an der Bevölkerung wird auf 10 - 19% geschätzt. Zu der schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und die Jafari-Schiiiten (Zwölfer-Schiiten). 90% von ihnen gehören zur ethnischen Gruppe der Hazara. Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten, die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit ist zurückgegangen (LIB, Kapitel 15.1).

Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen. Einige schiitische Muslime bekleiden höhere Regierungsposten. Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime 25-30%. Des Weiteren tagen rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, regelmäßig, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern (LIB, Kapitel 15.1).

Christen - Konvertiten:

Ausländische Christen und die wenigen Afghanen, die originäre Christen und nicht vom Islam konvertiert sind, werden normal und fair behandelt. Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert (LIB, Kapitel 15.2).

Bei der Konversion vom Islam zum Christentum wird in erster Linie nicht das Christentum als problematisch gesehen, sondern die Abkehr vom und der Austritt aus dem Islam. Laut islamischer Rechtsprechung soll jeder Konvertit drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum der Abtrünnigen konfiszieren und deren Erbrecht einschränken. Konvertiten vom Islam zum Christentum werden von der Gesellschaft nicht gut behandelt, weswegen sie sich meist nicht öffentlich bekennen. In den meisten Fällen versuchen die Behörden Konvertiten gegen die schlechte Behandlung durch die Gesellschaft zu unterstützen, zumindest um potenzielles Chaos und Misshandlung zu vermeiden. Missionierungen sind illegal. Die öffentliche Meinung stehe Christen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber (LIB, Kapitel 15.2).

Apostaten (Abfall vom Islam):

Die Abkehr vom Islam (Apostasie) wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht. Es gibt keine Berichte über die Verhängung der Todesstrafe aufgrund von Apostasie oder der Strafverfolgung bei Blasphemie. Gefahr bis hin zur Ermordung droht Konvertiten hingegen oft aus dem familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld. Die afghanische Gesellschaft hat generell eine sehr geringe Toleranz gegenüber Menschen, die als den Islam beleidigend oder zurückweisend wahrgenommen werden.

Personen, die der Apostasie beschuldigt werden, sind Reaktionen von Familie, Gemeinschaften oder in einzelnen Gebieten von Aufständischen ausgesetzt, aber eher nicht von staatlichen Akteuren. Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (LIB, Kapitel 15.5).

1.2.5. Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB, Kapitel 11).

Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden nach wie vor in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betroffenen Gebiete tatsächlich kontrolliert (UNHCR, Kapitel II. C. 1).

Die Fähigkeit der Regierung, Menschenrechte zu schützen, wird durch die Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte untergraben. Insbesondere ländliche und instabile Gebiete leiden unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden (UNHCR, Kapitel II. C. 2).

1.2.6.  Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB, Kapitel 2).

Taliban

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB, Kapitel 2).

Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer, davon rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten und der Rest ist Teil der lokalen Milizen. Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB, Kapitel 2).

Zwischen 01.12.2018 und 31.05.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel – die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte (LIB, Kapitel 2).

1.2.7. Risikogruppen

In seinen „Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender“ vom 30. August 2018 geht UNHCR u.a. von folgenden „Risikoprofilen“ aus:

?        Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen (u.a. Konvertiten)

2. Beweiswürdigung

2.1. Zum Beschwerdeführer

Die Feststellungen zum Beschwerdeführer basieren auf seinen Angaben vor dem BFA und jenen im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 09.07.2020. Die Feststellung zur Identität des Beschwerdeführers und zu seinem Geburtsdatum gründen auf seinem afghanischen Reisepass, seiner afghanischen Tazkira und seinen (diesbezüglich glaubwürdigen) Angaben.

2.2. Zur Konversion

Die Feststellungen zum religiösen Hintergrund des Beschwerdeführers, zu seinem ersten Kontakt mit der Gemeinde Christi, zu seinen Besuchen von Gottesdiensten und kirchlichen Veranstaltungen in Österreich sowie zu seiner erfolgten Taufe stützen sich einerseits auf die vorgelegten Unterlagen (Taufzertifikat vom 02.06.2018, Empfehlungsschreiben der Gemeinde Christi vom 27.05.2019) sowie andererseits auf die vom Beschwerdeführer getätigten Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (siehe S 11ff. des Verhandlungsprotokolls). Weiters wurde der Obmann des Vereins für Mission und Asylantenintegration der Gemeinde Christi XXXX als Zeuge zur Konversion des Beschwerdeführers zum Christentum einvernommen.

Zwar gab der Beschwerdeführer in seiner niederschriftlichen Einvernahme vom 15.02.2018 noch an, dass er schiitischer Moslem sei (siehe AS 102), allerdings führte er im Verlauf der Einvernahme zur Familie seiner Ehefrau befragt Folgendes aus: „Es war eine traditionelle und sehr religiöse Familie. Die Familie war auch immer in der Moschee und ich nicht“ (siehe AS 111). Insbesondere aus diesen Angaben und dem Vorbringen, dass er eine außereheliche Beziehung zu seiner zukünftigen Ehefrau geführt habe, ist zu schließen, dass der Beschwerdeführer bereits in Afghanistan nicht streng nach den Werten des islamischen Glaubens gelebt hat.

Die vom Beschwerdeführer durch ein Taufzeugnis belegte Taufe ist grundsätzlich als Indiz für eine Konversion zu werten, allerdings ist zu prüfen, ob das Christentum tatsächlich zu einem wesentlichen Bestandteil seiner Identität geworden ist:

Die Gemeinde Christi ist keine in Österreich anerkannte Religionsgemeinschaft. Die Gemeinde Christi ist ein Ableger der „Churches of Christ“, eine christlich-protestantische Glaubensbewegung und besteht aus ca. 44.000 Gemeinden und etwa 2 Millionen Mitglieder auf der ganzen Welt (siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Gemeinden_Christi, abgerufen am 20.08.2020).

Dazu ist anzumerken, dass zwischen dem ersten Kontakt des Beschwerdeführers mit der Gemeinde Christi im März/April 2018 und seiner Taufe im Juni 2018 keine lange Zeitspanne verstrichen ist. Allerdings konnte sich das erkennende Gericht davon überzeugen, dass sich der Beschwerdeführer ein umfangreiches Wissen über den christlichen Glauben (insbesondere über Gebete, Figuren des Christentums, christliche Feiertage und die Taufe; vgl. S 11ff. der Verhandlungsschrift) aneignete und nach wie vor regelmäßig an Gottesdiensten und Seminaren teilnimmt sowie zuhause betet.

Der Beschwerdeführer führte auf Nachfrage des Richters wie er zu den Gottesdiensten anreise Folgendes aus: „In der Kirchen fangen die Gottesdienste um 10:00 Uhr oder 10:30 an. Ich mache mich schon um 07:00 Uhr auf den Weg. Es dauert ungefähr 2 bis 2,5 bis ich in Salzburg ankomme.“ Das Zugticket koste ungefähr 30,-- oder 40,-- Euro. Ab und zu reserviere er ein Gemeindeticket (vgl. S 12f. der Verhandlungsschrift). So konnte der Beschwerdeführer auch glaubhaft darlegen, dass er an Wochenenden 100 km von XXXX nach Salzburg fährt, was nicht nur mit einem Zeitaufwand von ca. 2,5 Stunden (Zugfahrt), sondern auch mit erheblichen Kosten verbunden ist (siehe dazu auch https://www.oebb.at/).

In Bezug auf den größten Unterschied zwischen dem Islam und dem Christentum führte der Beschwerdeführer u.a. an: „Im Islam hält man sich hauptsächlich an die Vorschriften der Scharia. Erst nach dem Tod wird man im nächsten Leben zur Rechenschaft gezogen. Beim Christentum ist es anders. Sobald man an Jesus Christus glaubt, erlöschen die Sünden und man fängt ein neues Leben an.“ (vgl. S. 14 der Verhandlungsschrift). Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan müsste er wieder an religiösen Ritualen teilnehmen, was er mit folgender Begründung ablehnt: „Im Heiligen Buch steht es, dass Jesus Christus gesagt hat: Ich werde jene im Himmel verleugnen, die mich auf der Erde verleugnet haben. Deswegen kann ich in Afghanistan meine Religion nicht verleugnen (vgl. S 15ff. der Verhandlungsschrift).

Somit konnte der Beschwerdeführer auch glaubhaft darlegen, dass er nicht nur ein fundiertes Wissen über das Christentum aufweist, sondern auch aus freier persönlicher Überzeugung zum Christentum konvertiert ist, diesen Glauben auch verinnerlicht hat und unter keinen Umständen bereit wäre, wieder an religiösen islamischen Ritualen in Afghanistan teilzunehmen.

Dies bestätigte auch der in der mündlichen Verhandlung anwesende Zeuge XXXX , der dem Beschwerdeführer seit über zwei Jahren kennt und angab, dass dieser regelmäßig an Gottesdiensten und einmal pro Monat an Seminaren (erst „letzten Sonntag“ hätte der Beschwerdeführer an einem Ganztagsseminar teilgenommen) in Salzburg teilnehme. Der in der mündlichen Verhandlung anwesende Zeuge führte zudem aus, dass er besonders auf die persönliche Einstellung und die Ernsthaftigkeit der Täuflinge achte (S. 23f. der Verhandlungsschrift). So konnte der Zeuge auch glaubhaft erklären, warum die Zeitspanne zwischen Erstkontakt des Beschwerdeführers zur Gemeinde Christi und der Taufe eher kurz war und führte u.a. an, dass „die Leute […] von selbst [kommen müssen]. Wir überprüfen dann durch Fragen, ob er weiß, was er wirklich tut. […] Wenn ein Schützling genug weiß, dann taufen wir ihn gleich. Es kommt auf das Wissen des Schützlings an. Der Schützling muss die Hauptdoktrin kennen“. Zum Beschwerdeführer gab der Zeuge insbesondere an, dass dieser ernsthaft den christlichen Glauben ausübe, sich „allgemein sehr interessiert“ verhalte und „häufiger als andere Asylwerber in die Kirche“ komme. Somit konnte der in der mündlichen Verhandlung anwesende Zeuge auch bestätigten, dass die Konversion des Beschwerdeführers von der nötigen Ernsthaftigkeit getragen ist und auf einer inneren Überzeugung beruht.

2.3. Dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr Gefahr läuft, aufgrund seiner Konversion zum Christentum eine unmenschliche Behandlung zu erfahren, basiert bereits auf den vom BFA herangezogenen Länderfeststellungen, wonach eine Konversion als Akt der Abtrünnigkeit und Verbrechen gegen den Islam, der mit dem Tod bestraft wird, gesehen wird. Laut islamischer Rechtsprechung soll jeder Konvertit drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Auch kann die Regierung das Eigentum der Abtrünnigen konfiszieren und deren Erbrecht einschränken

2.4. Zur Situation in Afghanistan

Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan beruhen auf den genannten Quellen, die schon das BFA seinem Bescheid zugrunde legte und die der Beschwerdeführer nicht entkräften konnte. Angesichts der Seriosität dieser Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an deren Richtigkeit zu zweifeln.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zur Abweisung des Status des Asylberechtigen (Spruchpunkt A I.)

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung i.S.d. Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht. Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat.

Flüchtling i.S.d. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.“

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl. VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Gemäß § 3 Abs. 3 Z 1 und § 11 Abs. 1 AsylG ist der Asylantrag abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann („innerstaatliche Fluchtalternative“). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliegen kann. Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen – mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates – im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (vgl. VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer „inländischen Flucht- oder Schutzalternative“ (vgl. VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal wirtschaftliche Benachteiligungen auch dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (vgl. etwa VwGH 08.09.1999, 98/01/0614; 29.03.2001, 2000/20/0539).

Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (vgl. VwGH 03.09.2018, Ra 2018/20/0314).

3.1.2. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan besteht – vor dem Hintergrund der aktuellen Länderberichte zu Afghanistan – für den Beschwerdeführer, bei weiterer Ausführung nach dem christlichen Glauben zu leben, eine asylrelevante Verfolgungsgefahr (vgl. dazu VwGH 30.06.2005, 2003/20/0544; VwGH 12.06.2020, Ra 2019/18/0440 mwN). So ist den Länderberichten zu entnehmen, dass Konvertiten in Afghanistan mit sozialer Ausgrenzung und Gewalt (insbesondere) durch Familien- und Gemeinschaftsangehörige und durch die Taliban sowie mit strafrechtlicher Verfolgung bis hin zur Todesstrafe zu rechnen haben, wenn ihr Abfall vom Islam und ihre Hinwendung zum Christentum bekannt werden.

Damit fällt der Beschwerdeführer auch in die von UNHCR angeführte Risikogruppe, „Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen (u.a. Konvertiten)“ (zur Indizwirkung von UNHCR-Positionen vgl. nochmals etwa VwGH 23.01.2019, Ra 2018/18/0521, m.w.N.).

Aufgrund des in ganz Afghanistan gültigen islamischen Rechts, der in der afghanischen Gesellschaft bestehenden Traditionen und Moralvorstellungen sowie der allgemein vorherrschenden Intoleranz gegenüber religiösen Minderheiten, insbesondere gegenüber Konvertiten und den damit zusammenhängenden benachteiligenden Auswirkungen des traditionellen Gesellschaftssystems, ist nicht davon auszugehen, dass der Staat willens ist den Beschwerdeführer vor einer auf diesem Grund beruhenden privaten Verfolgung zu schützen.

Da die dem Beschwerdeführer drohende Verfolgung somit nicht etwa auf einen bestimmten Landesteil beschränkt ist, kommt eine innerstaatliche Fluchtalternative für den Beschwerdeführer daher nicht in Betracht.

Da auch keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Aus-schlussgründe vorliegt, war dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen.

3.2. Zur Unzulässigkeit der Revision (Spruchpunkt B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes – siehe VwGH 12.06.2020, Ra 2019/18/0440 – ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung gesamtes Staatsgebiet Konversion Nachfluchtgründe Religion Schutzunwilligkeit wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W128.2196554.1.00

Im RIS seit

13.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

13.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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