TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/21 W159 2197282-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.08.2020
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Entscheidungsdatum

21.08.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W159 2197282-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX StA: Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.05.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 09.07.2020, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Absatz 1 Asylgesetz idgF der Status einer Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Absatz 5 Asylgesetz 2005 idgF wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133 Absatz 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer ein Staatsangehöriger von Afghanistan und Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken, gelangte (spätestens) am 15.12.2015 nach Österreich und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz. Am nächsten Tag erfolgte die Erstbefragung durch die Polizeiinspektion XXXX . Er brachte seinen afghanischen Reisepass Nr. 00496261, ausgestellt in Balkh am 26.10.2015 gültig bis zum 26.10.2020 in Vorlage.

Zu den Fluchtgründen führte er aus, dass sein Vater in Afghanistan regimekritische Filme gedreht habe. Der Beschwerdeführer habe in diesen Filmen als Schauspieler mitgewirkt. Aufgrund dessen seien sie von mehreren Seiten (Taliban, regimetreue Leute) bedroht worden. Da in Afghanistan Leute einfach getötet und verschwinden würden und auch Kinder nicht mehr sicher seien, hätte der Beschwerdeführer aus Angst sein Heimatland verlassen.

Am 25.07.2016 erfolgte eine Niederschrift im Verfahren vor der dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Erstaufnahmestelle Ost bezüglich der Außerlandesbringung nach Kroatien. Der Beschwerdeführer brachte vor, er sei in Kroatien nur auf der Durchreise gewesen. In Österreich seien seine Ehefrau, seine in Behandlung befindliche behinderte Tochter, seine Mutter, sein Onkel und zwei Brüder aufhältig.

Mit Erkenntnis vom BVwG Zl. XXXX wurde gem. § 21 Abs. 3 2. Satz BFA-VG idgF der Beschwerde stattgegeben und der bekämpfte Bescheid Zl. XXXX , mit dem die Zuständigkeit Kroatiens für die Führung des Asylverfahrens ausgesprochen wurde, vom 10.10.2016 behoben. Der Antrag auf internationalen Schutz vom 15.12.2015 wurde zugelassen und eine Abschiebung nach Kroatien sei nicht zulässig.

In der Niederschrift im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 13.12.2018 gab der Beschwerdeführer an, er sei afghanischer Staatsangehöriger, der Volksgruppe der Tadschiken zugehörig, sunnitischer Moslem und verheiratet. Der Beschwerdeführer brachte u.a. folgende Dokumente zur Vorlage:

- den Originalreisepass ausgestellt auf seinen Namen

- eine Original Teilnahmebestätigung in einer Filmausstellung, ohne Name, ausgestellt im September 2015

- Original Fotos, Screenshots von Facebook und You Toube

- Original Führungszeugnis, lautend auf XXXX , ausgestellt v. Afghan Films in Kooperation mit der amerikanischen Botschaft, ausgestellt am 20.12.1389 (11.03.2011)

- Original Certificate, lautend auf XXXX , ausgestellt v. USAID/AHEAD; ausgestellt 2013

- Original Certificate (Englischkenntnisse), lautend auf Farhad, ausgestellt v. XXXX

- Original Bestätigung, lautend auf XXXX , ausgestellt von XXXX

- Original Certificate, lautend auf XXXX , ausgestellt v. Dell Computer Academy

- Original Schulzeugnis, lautend auf XXXX , ausgestellt v. afghanisches Unterrichtsministerium, ausgestellt am 19.06.2017

- Original Heiratsurkunde inklusive Zeugenbestätigung, lautend auf XXXX und XXXX , ausgestellt v. afghanische Staatsanwaltschaft, Behörde für Dokumentenregistrierung, ausgestellt am 28.08.1394 (19.11.2015), Datum der Eheschließung: 21.09.1392 (12.12.2013), Nr. 70145

- Original Tazkira, lautend auf XXXX , ausgestellt v afghanisches Innenministerium, ausgestellt am 12.03.2013, Nr. 6946160

- Original Deutschkursbestätigungen, lautend auf XXXX , ausgestellt v. BFI, ausgestellt am 22.11.2017

- Original Deutschkursbestätigungen, lautend auf XXXX , ausgestellt v. Caritas Akademie, ausgestellt am 21.11.2016 und 29.12.2016

Der Beschwerdeführer sei in XXXX geboren worden und aufgewachsen. Er gab an nach 12 Jahren Grundschule, vier Jahr die Universität in XXXX besucht zu haben und das Jus-Studium abgeschlossen zu haben. Er könne jedoch keine Dokumente vorlegen. Danach habe er als Graphik-Designer im Unternehmen seines Vaters gearbeitet. So habe er den Lebensunterhalt für seine Familie problemlos finanzieren können.

Befragt zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer an, sein Vater hätte in Afghanistan ein Filmunternehmen gehabt. Sein Vater und er hätten einen Film über Mullahs gedreht und der Beschwerdeführer hätte in diesem Film die Hauptrolle gespielt. Er hätte die afghanische Bevölkerung davor warnen wollen, ihre Kinder den Mullahs anzuvertrauen und sie von diesen unterrichten zu lassen. Dieser Film hätte davon gehandelt, dass Mullahs die Kinder sexuell missbrauchen. Nachdem dieser Film fertiggestellt worden sei, wäre er in Schweden in der Öffentlichkeit gezeigt worden. Der Film sei auch in Mazar-e Sharif in einer Ausstellung sowie in den Sozialen Medien gezeigt worden. Dieser Film sei auch auf YouTube veröffentlich worden und über 200.000 mal geklickt worden. Zwei Wochen später sei der Beschwerdeführer telefonisch bedroht worden. Sie hätten sich danach zwei Wochen an einem geheimen Ort aufgehalten, bis der Beschwerdeführer die Ausreise organisiert hätte und Afghanistan verlassen hätte können.

Mit Bescheid XXXX vom 03.05.2018 wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der subsidiär Schutzberechtigten gem. § 8 Abs. 1 zuerkannt (Spruchpunkt II.). Es wurde eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 03.05.2019 erteilt (Spruchpunkt III.).

Die belangte Behörde führte beweiswürdigend aus, dass der Beschwerdeführer keine Bedrohung oder Verfolgung seiner Person in seinem Heimatland Afghanistan im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention geltend gemacht habe. Der Beschwerdeführer habe auch keine Bedrohung oder Verfolgung seiner Person in seinem Heimatland Afghanistan aus sonstigen Gründen geltend gemacht respektive habe er eine solche Verfolgung aus sonstigen Gründen nicht glaubhaft machen können. Der subsidiäre Schutz sei wegen der schweren Erkrankung bzw. Behinderung der Tochter auszusprechen gewesen.

In der Beschwerde, welche fristgerecht am 29.05.2018 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte, wurde die Bescheide des Beschwerdeführers, seiner Frau und der Tochter hinsichtlich Spruchpunkt I. angefochten. Eine Gesamtbeurteilung anhand der verfügbaren herkunftsstaatspezifischen Informationen, insbesondere jener der Herkunftsprovinz und entsprechend der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts seien verabsäumt worden.

An der öffentlich mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 26.05.2020 nahmen der Beschwerdeführer und seine Frau als Beschwerdeführer, die Rechtsvertretung des Ehepaares und ein Dolmetscher teil. Ein Vertreter der belangten Behörde ist entschuldigt nicht erschienen.

Es wurden das Erkenntnis des BVwG vom 13.12.2018 GZ XXXX , sowie die Niederschriften der mündlichen Verhandlungen des BVwG vom 10.01.2019 zu den Zahlen XXXX .

Es wurde ein Arztbrief des Landeskrankenhauses XXXX vom 13.05.2020 zur Tochter XXXX , ein Befund der Schielambulanz vom 19.12.2019 hinsichtlich der Tochter XXXX sowie ein Befund des XXXX betreffend des Sohnes Isa in Vorlage gebracht.

Der Beschwerdeführer gab an seine Beschwerde und das Vorbringen aufrecht zu erhalten. Es sei alles richtig protokolliert worden, er wolle keine Korrekturen oder Ergänzungen anbringen.

Er gab an, er sei afghanischer Staatsangehöriger, Tadschike und sunnitischer Moslem, er sei nur namentlich Moslem, weil er aus einem islamischen Land komme. Er erlaube sich nicht den Islam auf irgendeine Art zu kritisieren, aber er praktiziere den Islam nicht. Er sei in XXXX geboren worden und dort aufgewachsen. Als er in Österreich angekommen sei, habe man das Datum auf nach der afghanischen Rechnung falsch umgerechnet. „VR hält fest, dass auch im Pass AS 303 das Geburtsdatum als der XXXX vermerkt ist.“

Der Beschwerdeführer erzählte : „Ich bin in Afghanistan 12 Jahre zur Schule gegangen und habe maturiert. Ich habe auch ein Jus Studium fertig gemacht. Das ging 4 Jahre. Es gibt dort zwei Arten, entweder darf man noch weiter studieren oder man kann auch schon als Jurist arbeiten. Wir verwenden das Wort Licance.“ Er habe jedoch nie als Jurist in Afghanistan gearbeitet. Befragt gab er an: „Wir haben eine Werbefirma gehabt und außerdem hatten wir eine Filmproduktion. Eigentlich gehörte die Firma meinem Vater, aber ich habe dort als Grafiker gearbeitet.“ Der Beschwerdeführer verwies auf die vorliegenden Bestätigungen.

Seine Eltern würden beide noch leben, seine Mutter lebe hier in Österreich, sie sei eine Asylberechtigte. Sein Vater würde in der Türkei leben, er habe ein zweites Mal geheiratet. Er habe auch zwei Brüder, diese seien auch in Österreich und ebenfalls asylberechtigt. Sein Halbbruder und seine zwei Halbschwestern würden in der Türkei leben.

Befragt zu seinem Fluchtgrund, führte er aus: „Der Hauptgrund war die Angst und die Erfahrungen, die ich dort gemacht habe. Da ich aus diesem Land komme, kenne ich geographisch das ganze Land. Es war so, die Filme die wir produziert haben, waren kritische Filme. Bevor wir den letzten Film produziert haben, z.B. haben wir einen Film gemacht, mit dem wir zeigen wollten, dass die Verkehrspolizei zu Unrecht Schmiergeld nimmt. Dieser Film hat uns auch ein paar Probleme bereitet. Wir haben das am Rande der Straße den Leuten gezeigt und die Polizisten sind zu uns gekommen und haben uns das verboten. Sie haben meinen Vater mitgenommen und 24 Stunden angehalten. Wir mussten die ganze Geschichte des Filmes der Polizei erklären. Wir haben denen das gesagt, dass das nichts mit ihnen zu tun hat, sondern nur mit der Verkehrspolizei. … Wir hatten vor einen neuen Film zu machen. Es ging darum, dass wir mit diesem Film der Bevölkerung zeigen wollten, dass Leute unter dem Namen der Religion und des Glaubens die Jugendlichen oder die Kinder vom Weg abbringen, aber es ist logisch bei uns, dass fast jede Familie ihre Kinder zu den Mullahs schickten, um den Koran zu lernen. Aber ich muss sagen, alle Mullahs sind nicht schlecht, aber es gibt eben solche auch. Wir haben diesen Film gemacht und dieser hat uns wirklich große Probleme bereitet.“

Der Richter erkundigte sich nach dem Inhalt des Films. Der Beschwerdeführer erzählte: „Es geht darum, dass es eine Familie gibt. Die Tochter dieser Familie will das Lesen und das Schreiben lernen. Da sie in einem Dorf leben, gab es diese Möglichkeit nur beim Mullah. Die Familie schickt ihre Tochter dorthin um zu Lernen. Der Mullah hat leider versucht das Mädchen zu vergewaltigen und hat das dann auch getan. Als das Mädchen vor ihm flüchtete, komme ich als Bruder des Mädchens zum Mullah und frage ihn, was los ist. Der Mullah antwortet mir darauf, dass er das Mädchen, meine Schwester, mit einem Jungen in einer eindeutigen Position gesehen hat. Zufällig, nach Aussage des Mullahs, hat der Mullah den Jungen mit meiner Schwester gesehen hat. Der Film geht so weiter, dass ich ohne weiter nachzudenken nach Hause komme und fange an auf meine Schwester einzuschlagen, weil sie die Ehre der Familie befleckt hat und außerdem sperre ich sie in ein Zimmer ein. Im Laufe der Zeit stirbt sie an den Verletzungen, die sie von meinen Schlägen und die sie von der Vergewaltigung erlitten hat. Damit geht der Film zu Ende.“

Dieser Film sei in Schweden, in Stockholm gezeigt worden. Der Beschwerdeführer habe eine Bestätigung dafür. Im Internet sei dieser Film auch abrufbar gewesen. Auf die Frage, wer in diesem Film die verschiedenen Rollen gespielt habe, erzählte der Beschwerdeführer weiter: „Ich war der Bruder des Mädchens. Die Rolle des Mullahs hat mein Onkel vs namens Hashmatullah gespielt. Mein Bruder hat auch in diesem Film eine Rolle gespielt und das Mädchen war keine Familienangehörige.“ Der Beschwerdeführer gab, er habe sonst auch schon als Schauspieler gearbeitet. Früher sei er im Hintergrund tätig gewesen.

Angesprochen auf die Folgen dieses Filmes gab der Beschwerdeführer an: „Es war sehr schwer für uns, diesen Film zu produzieren, aber natürlich kann ich von diesem Film etwas Gutes berichten. Als wir gesehen haben, dass der Film im Internet abrufbar ist und auch im Ausland gezeigt wurde, bedeutet das, dass wir für die Menschen etwas gemacht haben, dass sie die Welt um sich herum besser verstehen. … Ja, ich bin bedroht worden. Ich habe das in meiner Einvernahme im BFA auch gesagt. Man hat mich direkt telefonisch bedroht. Draußen auf der Straße bin ich auch angesprochen und bedroht worden. Ich wurde als Ungläubiger bezeichnet. Es ging mir auch sehr schlecht ehrlich gesagt. Die Erfahrung, die ich von Afghanistan von vornherein gehabt habe, hat mir gesagt, dass man mich auch eines Tages töten könnte. … Nachdem die positive Reaktion von Schweden zurückkam, haben wir so etwas wie eine Vorstellung in Afghanistan gemacht, wo auch Leute eingeladen wurden.“

Der Richter fragte den Beschwerdeführer, ob er sich nicht bewusst gewesen sei, dass er sich damit in große Gefahr bringen würde. Der Beschwerdeführer antwortete: „Ich muss dazu sagen, ich bin ein Filmemacher. Ein Filmemacher, der nicht auch etwas Kritisches machen kann, ist kein Filmemacher. Wenn ich das gemacht habe, dann stehe ich dazu. ... Ich würde die Bevölkerung von Afghanistan zumindest zu 90 % als muslimische konservative Leute bezeichnen. Vor allem, die unter den Aussagen der Mullahs stehen, verstehen viele Sachen falsch. Diese erklären ihnen, wenn man etwas Kritisches produzieren würde, würde man sich gegen den Islam stellen. Ich kann gar nicht sagen, wie viele Leute es waren, mich haben viele Leute bedroht.“

Nachgefragt gab der Beschwerdeführer an, bevor es zu körperlichen Übergriffen gekommen sei, sei er ausgereist. Er habe sich etwa 40 bis 50 Tage nach der Vorführung dieses Filmes noch in Afghanistan aufgehalten. Danach habe er sich im Haus seines Schweigervaters, der in der Provinz Balkh am Land wohne, versteckt.

Auf die Frage, was der unmittelbare Anlass der Ausreise gewesen sei, antwortete der Beschwerdeführer: „Zu diesem Zeitpunkt ging meine Frau an die Uni und meinetwegen war meine Frau auch in Gefahr. Das, was ich gemacht habe, war, dass ich meiner Frau geraten habe, nicht weiter auf die Uni zu gehen. Jedes Mal wenn ich zur Arbeit ging, habe ich immer das Wort Ungläubiger gehört. Ich muss dazu sagen, es ist sehr leicht jemanden zu töten. Es gibt viele Berufskiller. Ich habe jeden Tag Angst gehabt, dass mich jemand erschießt. Deshalb sind wir auch zu dieser Entscheidung gekommen, das Land zu verlassen.“

In Österreich würde der Beschwerdeführer zurzeit bei XXXX als Koch arbeiten. Er sei selbsterhaltungsfähig, bekomme seinen Lohn und Familienbeihilfe, sowie Pflegegeld für seine Tochter. Der Beschwerdeführer gab an, er habe die Deutschprüfung für A2 abgelegt und wolle auch die B1 Prüfung absolvieren.

Er brachte ein Zeugnis zur Integrationsprüfung A2, sowie Teilnahme an einem Werte- und Orientierungskurs und eine Deutschprüfung A2 in Vorlage. Er gab auch an, er habe österreichische Freunde. Befragt zu den Veränderungen im Leben seiner Frau, gab er an: „Ich denke grundsätzlich, dass jeder Mensch darf und soll auch für sich entscheiden, wie er leben möchte. Meine Frau ist frei, sie arbeitet. Sie macht alles selber und ich mische mich nicht ein. Wenn wir eine Entscheidung treffen wollen, machen wir das gemeinsam.“

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat wie folgt festgestellt und erwogen:

1.Feststellungen:

1.1 Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Tadischiken, stammt aus XXXX , sunnitischer Moslem und verheiratet. Er wuchs in XXXX auf, ging dort zur Schule, studierte Jus und arbeitete zuletzt als Schauspieler im Filmunternehmen „ XXXX “ des Vaters. Der Vater drehte regimekritische Filme. Die Kurzfilme sind im Youtube-Profil des Vaters online abrufbar.

Einer der Kurzfilme trägt den Titel „ XXXX “, im Original: XXXX und handelt von einem Mädchen in Afghanistan, das gemeinsam mitanderen Kindern in einer Moschee im Koranlesen unterrichtet wird. Eines Tages wird das Mädchen in dieser Moschee vom dortigen Mullah, ihrem Lehrer, missbraucht (diese Szene wird nicht explizit gezeigt, erschließt sich aber eindeutig aus dem Zusammenhang). In weiterer Folge streitet der Mullah dies ab und verdächtigt andere. Das Mädchen wird schließlich vom eigenen Bruder zusammengeschlagen und erliegt den Verletzungen. Der Film richtet sich somit gegen die persönliche Integrität von geistigen Führen im Islam, die in der afghanischen Gesellschaft eine wichtige und vor allem einflussreiche Position einnehmen. Der Beschwerdeführer spielte den Bruder des Mädchens.

Der Kurzfilm wurde erstmals im September 2015 veröffentlicht und am 09.09.2015 auf die Plattform youtube.com geladen, war am 10.01.2019 unter XXXX abrufbar. Der Vater des Beschwerdeführers hatte versucht, den Film per USB-Stick nach XXXX zu schicken, dieses misslang und er veröffentlichte den Film auf seinem Youtube-kanal, wo auch seine weiteren Arbeiten abrufbar sind. Bis zumindest zum 18.07.2018 war er auch unter XXXX abrufbar, dort gab es auch eine lange Liste von Kommentaren. Der Film wurde auch auf mehreren internationalen Filmfestivals gezeigt, so ursprünglich auf dem „ XXXX " am 26. und am 27. September 2015, zuletzt im Oktober 2018 in XXXX Anfang Oktober 2015 wurde der Film in XXXX im kleinem Kreis gezeigt, am 30.10.2015 wurde der Film in mehreren Moscheen in Afghanistan im Rahmen des Freitagsgebetes von den Mullahs gegenüber den Moscheebesuchern erwähnt und im Zuge dessen wurden gegen die Mitwirkenden dieses Filmes Todesdrohungen ausgesprochen bzw. zu deren Tötung aufgerufen. Der Vater und die Onkel des Beschwerdeführers wurden hierüber am selben Tag durch Nachbarn in Kenntnis gesetzt. Der Beschwerdeführer erkannte den Ernst der Lage. Er versteckte sich bei seinen Schwiegereltern, ersuchte seine Frau die Universität zu verlassen und organisierte die Ausreise. Mit dem Beschwerdeführer, seiner Frau und seiner mj. behinderten Tochter verließen die Eltern, Geschwister und Onkel das Heimatland.

1.2 Zu Afghanistan wird folgendes verfahrensbezogen festgestellt (Auszüge aus den Länderberichten):

Politische Lage, Letzte Änderung: 18.5.2020

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).

Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019). Die unabhängige afghanische Wahlkommission (Afghanistan’s Independent Election Commission) hat mehr als vier Monate nach der Präsidentschaftswahl in Afghanistan Mohammed Ashraf Ghani zum Sieger erklärt (DW 18.2.2020). Der amtierende Präsident erhielt 50,64% der Stimmen, wie die Kommission verlautbarte (DW 18.2.2020; vgl. REU 25.2.2020; UNGASC 17.3.2020). Da Ghani im ersten Durchgang die Präsidentschaftswahl bereits gewonnen hat, ist keine Stichwahl mehr notwendig (DW 18.2.2020). CEO bzw. Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah, kam den Resultaten zufolge auf 39,52% (DW 18.2.2020; vgl. REU 25.2.2020). Die Präsidentenwahl hatte am 28. September stattgefunden. Nach monatelangem, erbittertem Streit um die Richtigkeit von Hunderttausenden von Stimmen waren nur noch 1,8 Millionen Wahlzettel berücksichtigt worden. Hingegen lag die Zahl der registrierten Wähler bei 9,6 Millionen. Afghanistan hat eine geschätzte Bevölkerung von 35 Millionen Einwohnern (DW 18.2.2020).

Wochenlang stritten der amtierende Präsident Ashraf Ghani und sein ehemaliger Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah um die Macht in Kabul und darum wer die Präsidentschaftswahl im vergangenen September gewonnen hatte. Abdullah Abdullah beschuldigte die Wahlbehörden, Ghani begünstigt zu haben, und anerkannte das Resultat nicht (NZZ 20.4.2020). Am 9.3.2020 ließen sich sowohl Ghani als auch Abdullah als Präsident vereidigen (NZZ 20.4.2020; vgl. TN 16.4.2020). Nach monatelanger politischer Krise (DP 17.5.2020; vgl. TN 11.5.2020), einigten sich der afghanische Präsident Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah auf eine Machtteilung: Abdullah wird die Friedensgespräche mit den Taliban leiten und Mitglieder seines Wahlkampfteams werden ins Regierungskabinett aufgenommen (DP 17.5.2020; vgl. BBC 17.5.2020; DW 17.5.2020).

Anm.: Weitere Details zur Machtteilungsvereinbarung sind zum Zeitpunkt der Aktualisierung noch nicht bekannt (Stand: 18.5.2020) und werden zu einem späteren Zeitpunkt bekannt gegeben (BBC 17.5.2020).

Präsidentschafts- und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für 5 Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.4.2019).

Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.4.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.3.2019).

Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 13.3.2019, Casolino 2011).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 2.9.2019).

Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21. Oktober 2018 – mit Ausnahme der Provinz Ghazni – Parlamentswahlen statt (AA 15.4.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28. September 2019 statt (RFE/RL 20.10.2019).

Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen (USDOS 13.3.2019).

Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.5.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als „Katastrophe“ und die beiden Wahlkommissionen als „ineffizient“ (AAN 17.5.2019).

Politische Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.5.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004; USDOS 29.5.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.1.2004).

Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 2.9.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.3.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 2.9.2019; vgl. AAN 6.5.2018, DOA 17.3.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 2.9.2019).

Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein partimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.3.2019).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Die afghanischen Regierungskräfte und die Amerikaner können die Taliban, die über rund 60 000 Mann verfügen, nicht besiegen. Auch die Islamisten sind nicht stark genug, um die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. In Afghanistan herrscht fast zwei Jahrzehnte nach dem Sturz des Taliban-Regimes durch die USA eine Pattsituation (NZZ 20.4.2020). Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet (AJ 7.5.2020; vgl. NPR 6.5.2020) – die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses. Diesem Abkommen zufolge hätten noch vor den für 10.03.2020 angesetzten inneren Friedensgesprächen, von den Taliban bis zu 1.000 Gefangene und von der Regierung 5.000 gefangene Taliban freigelassen werden sollen. Zum einen, verzögern die Unstimmigkeiten zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung über Umfang und Umsetzungstempo des Austauschs, die Gespräche (AJ 7.5.2020) [ Anm.: 800 Taliban-Gefangene entließ die afghanische Regierung, während die Taliban 100 der vereinbarten 1.000 Sicherheitskräfte frei ließen – (NPR 6.5.2020)], Andererseits stocken die Verhandlungen auch aufgrund des innerpolitischen Disputes zwischen Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah, die beide die Präsidentschaft für sich beanspruchten. Die Taliban haben seit dem unterzeichneten Abkommen im Februar mehr als 4.500 Angriffe verübt. Die von dieser Gewalt am stärksten betroffenen Provinzen sind auch jene Provinzen, die am stärksten von COVID-19-Fällen betroffen sind (AJ 7.5.2020). In den innerafghanischen Gesprächen wird es um die künftige Staatsordnung, eine Machtteilung und die Integration der Aufständischen gehen (NZZ 20.4.2020).

Das Abkommen mit den US-Amerikanern

Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nichtamerikanischen NATO-Truppen (Stand Ende 2019: rund 6.700 Mann) sollen abgezogen werden. In den ersten 135 Tagen nach der Unterzeichnung werden die US-Amerikaner ihre Truppen in Afghanistan auf 8.600 Mann reduzieren. Der Abzug der ausländischen Truppenangehörigen, von denen die meisten Beratungs- und Ausbildungsfunktionen wahrnehmen, ist abhängig davon, ob die Taliban ihren Teil der Abmachung einhalten. Sie haben im Abkommen zugesichert, terroristischen Gruppierungen wie etwa al-Qaida keine Zuflucht zu gewähren. Die Taliban verpflichteten sich weiter, innerhalb von zehn Tagen nach Unterzeichnung, Gespräche mit einer afghanischen Delegation aufzunehmen (NZZ 20.4.2020; vgl. USDOS 29.2.2020).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (2.9.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2015806/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_%28Stand_Juli_2019%29%2C_02.09.2019.pdf, Zugriff 11.9.2019

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Sicherheitslage, Letzte Änderung: 22.4.2020

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 17.3.2019). Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Nichtsdestotrotz, hat die afghanische Regierung wichtige Transitrouten verloren (USDOD 12.2019).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer "strategischen Pattsituation", die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann (SIGAR 30.1.2020). Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten (BBC 1.4.2020). Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens ist (TD 2.4.2020). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (BBC 1.4.2020).

Für den Berichtszeitraum 8.11.2019-6.2.2020 verzeichnete die UNAMA 4.907 sicherheitsrelevante Vorfälle – ähnlich dem Vorjahreswert. Die Sicherheitslage blieb nach wie vor volatil. Die höchste Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle wurden in der südlichen Region, gefolgt von den nördlichen und östlichen Regionen, registriert, die alle samt 68% der Zwischenfälle ausmachten. Die aktivsten Konfliktregionen waren in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden. Entsprechend saisonaler Trends, gingen die Kämpfe in den Wintermonaten – Ende 2019 und Anfang 2020 – zurück (UNGASC 17.3.2020).

Die Sicherheitslage im Jahr 2019

Die geographische Verteilung aufständischer Aktivitäten innerhalb Afghanistans blieb, im Vergleich der beiden Jahre 2018 und 2019, weitgehend konstant. Im Jahr 2019 fanden auch weiterhin im Süden und Westen Afghanistans weiterhin schwere Kampfhandlungen statt; feindliche Aktivitäten nahmen zu und breiteten sich in größeren Gebieten des Nordens und Ostens aus. Der Resolute Support (RS) Mision (seit 2015 die Unterstützungsmission der NATO in Afghanistan) zufolge, waren für das Jahr 2019 29.083 feindlich-initiierte Angriffe landesweit zu verzeichnen. Im Gegensatz waren es im Jahr 2018 27.417 (SIGAR 30.1.2020). Mit einer hohen Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen – speziell in den südlichen, nördlichen und östlichen Regionen – blieb die Sicherheitslage vorerst volatil, bevor ein Zeitraum der Reduzierung der Gewalt registriert werden konnte. Die UNAMA (Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan) registrierte für das gesamte Jahr 2019 10.392 zivile Opfer, was einem Rückgang von 5% gegenüber 2018 entspricht (UNGASC 17.3.2020).

Seit Ende des Jahres 2019 haben Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente erheblich zugenommen. Im September 2019 fanden die afghanischen Präsidentschaftswahlen statt, in diesem Monat wurde auch die höchste Anzahl feindlicher Angriffe eines einzelnen Monats seit Juni 2012 und die höchste Anzahl effektiver feindlicher Angriffe seit Beginn der Aufzeichnung der RS-Mission im Januar 2010 registriert. Dieses Ausmaß an Gewalt setzte sich auch nach den Präsidentschaftswahlen fort, denn im Oktober 2019 wurde die zweithöchste Anzahl feindlicher Angriffe in einem Monat seit Juli 2013 dokumentiert. Betrachtet man jedoch das Jahr 2019 in dessen Gesamtheit, so waren scheinbar feindliche Angriffe, seit Anfang des Jahres, im Zuge der laufenden Friedensgespräche zurückgegangen. Nichtsdestotrotz führte ein turbulentes letztes Halbjahr zu verstärkten Angriffen feindlicher Elemente von insgesamt 6% und effektiver Angriffe von 4% im Jahr 2019 im Vergleich zu den bereits hohen Werten des Jahres 2018 (SIGAR 30.1.2020).

Zivile Opfer

Für das Jahr 2019 registrierte die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) als Folge des bewaffneten Konflikts 10.392 zivile Opfer (3.403 Tote und 6.989 Verletzte), was einen Rückgang um 5% gegenüber dem Vorjahr, aber auch die niedrigste Anzahl an zivilen Opfern seit dem Jahr 2013 bedeutet. Nachdem die Anzahl der durch ISKP verursachten zivilen Opfer zurückgegangen war, konnte ein Rückgang aller zivilen Opfer registriert werden, wenngleich die Anzahl ziviler Opfer speziell durch Taliban und internationale Streitkräfte zugenommen hatte. Im Laufe des Jahres 2019 war das Gewaltniveau erheblichen Schwankungen unterworfen, was auf Erfolge und Misserfolge im Rahmen der Friedensverhandlungen zwischen Taliban und den US-Amerikanern zurückzuführen war. In der ersten Jahreshälfte 2019 kam es zu intensiven Luftangriffen durch die internationalen Streitkräfte und Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte – insbesondere der Spezialkräfte des afghanischen Geheimdienstes NDS (National Directorate of Security Special Forces) (UNAMA 2.2020).

Aufgrund der Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte, gab es zur Jahresmitte mehr zivile Opfer durch regierungsfreundliche Truppen als durch regierungsfeindliche Truppen. Das dritte Quartal des Jahres 2019 registrierte die höchste Anzahl an zivilen Opfern seit 2009, was hauptsächlich auf verstärkte Anzahl von Angriffen durch Selbstmordattentäter und IEDs (improvisierte Sprengsätze) der regierungsfeindlichen Seite – insbesondere der Taliban – sowie auf Gewalt in Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen zurückzuführen ist. Das vierte Quartal 2019 verzeichnete, im Vergleich zum Jahr 2018, eine geringere Anzahl an zivilen Opfern; wenngleich sich deren Anzahl durch Luftangriffe, Suchoperationen und IEDs seit dem Jahr 2015 auf einem Rekordniveau befand (UNAMA 2.2020).

Die RS-Mission sammelt ebenfalls Informationen zu zivilen Opfern in Afghanistan, die sich gegenüber der Datensammlung der UNAMA unterscheiden, da die RS-Mission Zugang zu einem breiteren Spektrum an forensischen Daten und Quellen hat. Der RS-Mission zufolge, ist im Jahr 2019 die Anzahl ziviler Opfer in den meisten Provinzen (19 von 34) im Vergleich zum Jahr 2018 gestiegen; auch haben sich die Schwerpunkte verschoben. So verzeichneten die Provinzen Kabul und Nangarhar weiterhin die höchste Anzahl ziviler Opfer. Im letzten Quartal schrieb die RS-Mission 91% ziviler Opfer regierungsfeindlichen Kräften zu (29% wurden den Taliban zugeschrieben, 11% ISKP, 4% dem Haqqani-Netzwerk und 47% unbekannten Aufständischen). 4% wurden regierungsnahen/-freundlichen Kräften zugeschrieben (3% der ANDSF und 1% den Koalitionskräften), während 5% anderen oder unbekannten Kräften zugeschrieben wurden. Diese Prozentsätze entsprechen in etwa den RS-Opferzahlen für Anfang 2019. Als Hauptursache für zivile Opfer waren weiterhin improvisierte Sprengsätze (43%), gefolgt von direkten (25%) und indirekten Beschüssen (5%) verantwortlich – dies war auch schon zu Beginn des Jahres 2019 der Fall (SIGAR 30.1.2020).

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl in den ersten fünf Monaten 2019, als auch im letzten Halbjahr 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 12.2019; vgl. USDOD 6.2019). Das Haqqani-Netzwerk führte von September bis zum Ende des Berichtszeitraums keine HPA in der Hauptstadtregion durch. Die Gesamtzahl der öffentlichkeitswirksamen Angriffe ist sowohl in Kabul als auch im ganzen Land in den letzten anderthalb Jahren stetig zurückgegangen (USDOD 12.2019). Zwischen 1.6.2019 und 31.10.2019 fanden 19 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 17) (USDOD 12.2019), landesweit betrug die Zahl 88 (USDOD 12.2019).

Öffentlichkeitswirksame Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente setzten sich im Berichtszeitraum (8.11.2019-6.2.2020) fort: 8 Selbstmordanschläge wurden verzeichnet; im Berichtszeitraum davor (9.8.-7.11.2019) wurden 31 und im Vergleichszeitraum des Vorjahres 12 Selbstmordanschläge verzeichnet. Der Großteil der Anschläge richtetet sich gegen die ANDSF (afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte) und die internationalen Streitkräfte; dazu zählte ein komplexer Angriff der Taliban auf den Militärflughafen Bagram im Dezember 2019. Im Februar 2020 kam es in Provinz Nangarhar zu einem sogenannten „green-on-blue-attack“: der Angreifer trug die Uniform der afghanischen Nationalarmee und eröffnete das Feuer auf internationale Streitkräfte, dabei wurden zwei US-Soldaten und ein Soldat der afghanischen Nationalarmee getötet. Zu einem weiteren Selbstmordanschlag auf eine Militärakademie kam es ebenso im Februar in der Stadt Kabul; bei diesem Angriff wurden mindestens 6 Personen getötet und mehr als 10 verwundet (UNGASC 17.3.2020). Dieser Großangriff beendete mehrere Monate relativer Ruhe in der afghanischen Hauptstadt (DS 11.2.2020; vgl. UNGASC 17.3.2020).

Die Taliban setzten außerdem improvisierte Sprengkörper in Selbstmordfahrzeugen gegen Einrichtungen der ANDSF in den Provinzen Kandahar, Helmand und Balkh ein (UNGASC 17.3.2020).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Nach Unterzeichnung des Abkommens zwischen den USA und den Taliban war es bereits Anfang März 2020 zu einem ersten großen Angriff des ISKP gekommen (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020). Der ISKP hatte sich an den Verhandlungen nicht beteiligt (BBC 6.3.2020) und bekannte sich zu dem Angriff auf eine Gedenkfeier eines schiitischen Führers; Schätzungen zufolge wurden dabei mindestens 32 Menschen getötet und 60 Personen verletzt (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020).

Am 25.3.2020 kam es zu einem tödlichen Angriff des ISKP auf eine Gebetsstätte der Sikh (Dharamshala) in Kabul. Dabei starben 25 Menschen, 8 weitere wurden verletzt (NYT 26.3.2020; vgl. TN 26.3.2020; BBC 25.3.2020). Regierungsnahe Quellen in Afghanistan machen das Haqqani-Netzwerk für diesen Angriff verantwortlich, sie werten dies als Vergeltung für die Gewalt an Muslimen in Indien (AJ 27.3.2020; vgl. TTI 26.3.2020). Die Taliban distanzierten sich von dem Angriff (NYT 26.3.2020). Am Tag nach dem Angriff auf die Gebetsstätte, detonierte eine magnetische Bombe beim Krematorium der Sikh, als die Trauerfeierlichkeiten für die getöteten Sikh-Mitglieder im Gange waren. Mindestens eine Person wurde dabei verletzt (TTI 26.3.2020; vgl. NYT 26.3.2020).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 12.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 12.2019):

Taliban

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) – Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub – Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar – und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018). Die Taliban sind keine monolithische Organisation (NZZ 20.4.2020); nur allzu oft werden die Taliban als eine homogene Einheit angesehen, während diese aber eine lose Zusammenballung lokaler Stammesführer, unabhängiger Warlords sowie abgekoppelter und abgeschotteter Zellen sind (BR 5.3.2020).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.8.2017; vgl. AAN 3.1.2017; AAN 17.3.2017).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll12 Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).

Haqqani-Netzwerk

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida (CRS 12.2.2019). Benannt nach dessen Begründer, Jalaluddin Haqqani (AAN 1.7.2010; vgl. USDOS 19.9.2018; vgl. CRS 12.2.2019), einem führenden Mitglied des antisowjetischen Jihad (1979-1989) und einer wichtigen Taliban-Figur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist dessen Sohn Serajuddin Haqqani, der seit 2015, als stellvertretender Leiter galt (CTC 1.2018).

Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk, seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt (NYT 20.8.2019) und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht (CRS 12.2.2019).

Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)

Erste Berichte über den Islamischen Staat (IS, auch ISIS, ISIL oder Daesh genannt) in Afghanistan gehen auf den Sommer 2014 zurück (AAN 17.11.2014; vgl. LWJ 5.3.2015). Zu den Kommandanten gehörten zunächst oft unzufriedene afghanische und pakistanische Taliban (AAN 1.8.2017; vgl. LWJ 4.12.2017). Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000 (USDOS 18.9.2018), bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern (UNSC 13.6.2019). Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Auch soll der Islamische Staat vom zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan sowie von aus Syrien geflohenen Kämpfern profitieren (BAMF 3.6.2019; vgl. VOA 21.5.2019).

Der ISKP geriet in dessen Hochburg in Ostafghanistan nachhaltig unter Druck (UNGASC 17.3.2020). Jahrelange konzertierten sich Militäroffensiven der US-amerikanischen und afghanischen Streitkräfte auf diese Hochburgen. Auch die Taliban intensivierten in jüngster Zeit ihre Angriffe gegen den ISKP in diesen Regionen (NYT 2.12.2020; vgl. SIGAR 30.1.2020). So sollen 5.000 Talibankämpfer aus der Provinz Kandahar gekommen sein, um den ISKP in Nangarhar zu bekämpfen (DW 26.2.2020; vgl. MT 27.2.2020). Schlussendlich ist im November 2019 die wichtigste Hochburg des islamischen Staates in Ostafghanistan zusammengebrochen (NYT 2.12.2020; vgl. SIGAR 30.1.2020). Über 1.400 Kämpfer und Anhänger des ISKP, darunter auch Frauen und Kinder, kapitulierten. Zwar wurde der ISKP im November 2019 weitgehend aus der Provinz Nangarhar vertrieben, jedoch soll er weiterhin in den westlichen Gebieten der Provinz Kunar präsent sein (UNGASC 17.3.2020). Die landesweite Mannstärke des ISKP wurde seit Anfang 2019 von 3.000 Kämpfern auf 300 Kämpfer reduziert (NYT 2.12.2020).

49 Angriffe werden dem ISKP im Zeitraum 8.11.2019-6.2.2020 zugeschrieben, im Vergleichszeitraum des Vorjahres wurden 194 Vorfälle registriert. Im Berichtszeitraum davor wurden 68 Angriffe registriert (UNGASC 17.3.2020).

Die Macht des ISKP in Afghanistan ist kleiner, als jene der Taliban; auch hat er viel Territorium verloren. Der ISKP war bzw. ist nicht Teil der Friedensverhandlungen mit den USA und ist weiterhin in der Lage, tödliche Angriffe durchzuführen (BBC 25.3.2020). Aufgrund des Territoriumsverlustes ist die Rekrutierung und Planung des ISKP stark eingeschränkt (NYT 2.12.2020).

Der ISKP verurteilt die Taliban als "Abtrünnige", die nur ethnische und/oder nationale Interessen verfolgen (CRS 12.2.2019). Die Taliban und der Islamische Staat sind verfeindet. In Afghanistan kämpfen die Taliban seit Jahren gegen den IS, dessen Ideologien und Taktiken weitaus extremer sind als jene der Taliban (WP 19.8.2019; vgl. AP 19.8.2019). Während die Taliban ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte beschränken (AP 19.8.2019), zielt der ISKP darauf ab, konfessionelle Gewalt in Afghanistan zu fördern, indem sich Angriffe gegen Schiiten richten (WP 19.8.2019).

Al-Qaida und ihr verbundene Gruppierungen

Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Beide Gruppierungen haben immer wieder öffentlich die Bedeutung ihres Bündnisses betont (UNSC 15.1.2019). Unter der Schirmherrschaft der Taliban ist al-Qaida in den letzten Jahren stärker geworden; dabei wird die Zahl der Mitglieder auf 240 geschätzt, wobei sich die meisten in den Provinzen Badakhshan, Ku

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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