TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/25 W142 2128842-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.08.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

25.08.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W142 2128842-1/37E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Dr. Irene HOLZSCHUSTER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.06.2016, Zl. 1088006601/151363520, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.09.2019, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 16.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Am 19.09.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des BF statt. Er gab an, am XXXX in XXXX (Afghanistan) geboren, verwitwet und Moslem zu sein sowie der Volksgruppe der Tajek anzugehören. Seine Muttersprache sei Farsi, er habe 3 Jahre lang die Grundschule in XXXX (Iran) besucht und danach den Beruf des Schneiders ausgeübt. Seine Schwester XXXX sei derzeit mit ihm in Österreich. Er sei mit etwa 5 Jahren in den Iran gezogen, dort würden derzeit auch seine Mutter und seine beiden anderen Schwestern leben.

Zu seinen Fluchtgründen befragt gab er an, dass die Familie seiner Frau gegen eine Heirat gewesen sei und es so sogar so weit gekommen sei, dass sich seine Frau vor 3 Jahren das Leben genommen habe. Die Brüder seiner Frau haben ihn umbringen wollen. Er habe auch mit anderen iranischen Leuten Probleme gehabt.

3. Am 17.05.2016 wurde der BF beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) niederschriftlich in der Sprache Farsi einvernommen. Zu seinen persönlichen Angaben führte er ergänzend aus, dass sein Geburtsdatum und sein Nachname auf der Karte für Asylwerber falsch seien. Nach islamischer Zeitrechnung sei er am XXXX geboren worden und heiße XXXX mit Nachnamen. Er sei Hazara und schiitischer Moslem. Er habe 5 Jahre lang die Grundschule besucht. Sein Leben habe er durch den Verkauf von Kleidung finanziert.

Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der BF wie folgt an (Schreibfehler korrigiert):

[…]

VP: Als meine Frau und ich heiraten wollten, war ihre Familie dagegen. Sie wollten nicht, dass wir heiraten. Obwohl meine Mutter mehrmals bei der Familie meiner Frau war, um sie zu „verlangen“. (Anm.: Lt. Dolmetscher wird der Begriff „khastgari“ dafür verwendet.) Dann hat meine Frau beschlossen, dass wir heiraten und dass die Familie danach evtl. einverstanden wäre. Als ihr Vater davon erfahren hat, war er dagegen. Ich wurde auch von ihrem Bruder mit dem Messer am Bein verletzt. Der Druck von ihrer Familie wurde immer größer. Wir wurden bedroht und ich wurde mit dem Messer verletzt. Weil der Druck ihrer Familie so groß war, hat sie Selbstmord begangen. Sie hat sich erhängt.

LA: Hatten Sie jemals Kontakt zum Onkel Ihrer Frau in Afghanistan?

VP: Nein.

LA: Sie gaben an, der Onkel Ihrer Frau würde Sie in Afghanistan finden und töten. Wie kommen Sie darauf, wenn Sie doch niemals Kontakt mit dem Onkel Ihrer Frau hatten?

VP: Die Familie meiner Frau kennt mich. Sie haben Fotos von mir. Früher oder später würden sie mich finden. Der Bruder des Vaters meiner Frau hätte mich in Afghanistan aufgespürt. Der Vater meiner Frau hat mir gesagt, dass er mich umbringen wird, egal was geschieht.

LA: Warum sollte Sie der Onkel Ihrer Frau umbringen, wenn Sie doch Kontakt mit dem Vater Ihrer Frau hatten und Ihnen nichts passiert ist?

VP: Der Vater meiner Frau wollte mich ja umbringen. Dank Gott bin ich noch am Leben. Ich habe ja versteckt gelebt. Ich bin nicht aus dem Haus hinausgegangen. Wenn ich auf den Straßen unterwegs war, war ich immer gestresst. Ich wurde ja von dem Bruder mit dem Messer verletzt und sie haben mein Geschäft verbrannt. Sie haben die Scheiben meines Geschäfts eingeschlagen und Benzin verschüttet und alles verbrannt. Das war gegen 23 Uhr in der Nacht. Ich hatte 10 bis 12 Angestellte.

Nachgefragt, wo sich das Geschäft befunden hat, gebe ich an, dass es sich in XXXX XXXX befunden hat. Das Geschäft hieß XXXX .

LA: Sie gaben an drei Jahre in Teheran gearbeitet und gelebt zu haben. Wie erklären Sie sich, dass Sie dort nicht von der Familie Ihrer Frau aufgespürt wurden?

VP: Dort wo ich gelebt habe, habe ich auch gearbeitet. Ich bin nie hinausgegangen. Das war eine schwierige Zeit für mich. Ich hatte, bevor ich die Probleme mit der Familie hatte, ein gutes Leben im Iran geführt. Ich hatte viele Mitarbeiter und gutes Geld verdient. Nach den Problemen hatte ich Angst um mein Leben. Ich konnte nichts mehr machen.

LA: Hat es jemals eine Bedrohung seitens des Onkels Ihrer Frau gegeben?

VP: Ja.

Nachgefragt, welche Bedrohung, gebe ich an, dass ich nie persönlich mit ihm gesprochen habe, aber der Vater meiner Frau hat mir gesagt, dass egal wo ich mich verstecke, sie mich finden und töten werden. Als ich in Teheran lebte, hatte ich ja keine Aufenthaltsberechtigung mehr. Darum wurde ich dann dort von den Behörden in Schubhaft genommen. Sie gaben mir zwei Möglichkeiten: die Abschiebung nach Afghanistan oder ich müsste in den Syrienkrieg ziehen.

Nachgefragt, wie lange ich in Schubhaft war, gebe ich an, dass sie mir gleich diese zwei Möglichkeiten nannten. Falls ich in den Syrienkrieg wollte, müsste ich ein dreimonatiges Training absolvieren. Ich sagte, dass ich abgeschoben werden wollte und deshalb wurde ich von ihnen nach Mashhad gebracht. Dort hielt ich mich eine Nacht auf und am nächsten Tag brachten Sie mich zur afghanischen Grenze.

Die Frage wird wiederholt.

2 Tage. Sie sammeln immer die ganzen Flüchtlinge. Es fahren dann immer 5 bis 10 Autobusse zur Grenze.

[…]

LA: Nennen Sie den Namen, das Geburtsdatum und das Sterbedatum Ihrer Frau.

VP: XXXX . Sie wurde in Wirklichkeit XXXX geboren. Ich glaube, der Vater hat bei Gericht ein falsches Geburtsdatum angegeben. Sie ist XXXX XXXX verstorben. Ich bin mir nicht sicher welches Geburtsdatum er bei Gericht angegeben hat. Ich habe es verwechselt. Wir haben im Jahr XXXX geheiratet ( XXXX ). Ich weiß nicht genau, wann sie verstorben ist. Meine Frau ist am XXXX verstorben. Anm.: AW liest dieses Datum von der Bescheinigung über die Beerdigung ab.

Nachgefragt, warum ich glaube, dass der Vater meiner Frau bei Gericht ein falsches Geburtsdatum angegeben hat, gebe ich an, dass ich glaube, er hat es nicht genau gewusst, und deshalb ein falsches Datum angegeben. Bei Gericht wurde er vieles gefragt. Ich denke er stand unter Stress.

Nachgefragt, wann meine Frau geboren ist, gebe ich an, dass ich es nicht genau weiß.

Nachgefragt, warum ich der Meinung bin, dass womöglich ein falsches Geburtsdatum vor Gericht angegeben wurde, gebe ich an, dass ich nur das Jahr kenne. Bei Gericht war sie jünger.

Nachgefragt, wie alt meine Frau den Angaben vor Gericht gemäß gewesen war, gebe ich an, dass sie behauptet haben, dass sie 19 Jahre alt gewesen wäre.

LA: Wann haben Sie Ihre Frau kennen gelernt?

VP: Beim Schneidern.

Die Frage wird wiederholt.
XXXX

LA: Wann haben Sie geheiratet?

VP: Im Jahr XXXX . Ich weiß nicht mehr genau wann das war, weil wir viele Probleme hatten. Wir standen sehr unter Druck und deshalb habe ich es vergessen. Es war eine schwierige Zeit für uns.

LA: Wie lief Ihre Eheschließung ab?

VP: Wir sind zur Behörde gegangen und haben geheiratet. Die Bestätigung habe ich verloren. Meine Frau hatte die Absicht, dann zu ihrem Vater zu gehen und ihm alles zu erzählen.

LA: Wer hat die Ehe geschlossen?

VP: Die Behörde hieß XXXX . (Anm.: Dolmetscher ist sich über die Schreibweise unsicher. Der Name wurde rein phonetisch wiedergegeben.)

LA: Wie lange waren Sie verheiratet?

VP: Nur einige Monate.

LA: Haben Sie mit Ihrer Gattin je zusammen in einem Haushalt gelebt?

VP: Nein, da ihr Vater dagegen war. Sie hat versucht ihn umzustimmen.

LA: Wo haben Sie gelebt und wo lebte Ihre Gattin?

VP: Wir lebten im selben Ort, XXXX . Sie lebte bei Ihren Eltern, 20 Minuten entfernt.

LA: Aus welchem Grund war die Familie Ihrer Gattin gegen die Heirat?

VP: Ihr Vater wollte sie mit einem anderen Mann verheiraten, der bereits verheiratet war, aber dessen Frau keine Kinder bekommen konnte. Daher wollte der Vater nicht, dass sie mich heiratet.

LA: Wie viele Verwandte hat die Familie Ihrer Gattin in Afghanistan?

VP: Sie hat sehr viele Verwandte, auch in Kabul. Das weiß ich, weil sie mir das erzählt hat. Die Familie ihrer Mutter lebte im Iran, weil die Mutter Iranerin ist.

Nachgefragt, ob ich die Verwandten meiner Frau in Afghanistan kenne, gebe ich an, dass ich nur die Verwandten kenne, die im Iran waren und dann zurückgekehrt sind. Den Onkel habe ich persönlich nicht gesehen, nur seinen Sohn habe ich im Iran gesehen.

Nachgefragt, wer die vielen Verwandten meiner Frau in Afghanistan sind und ob ich deren Namen nennen kann, gebe ich an, dass ich nicht alle Namen kenne. Ich weiß, dass zwei Onkel in Afghanistan leben. Ich weiß, dass die Familie Ihres Vaters in Afghanistan lebt.

Nachgefragt, wo die beiden Onkel leben, gebe ich an, dass sie beide in Kabul leben.

Nachgefragt, was ich mit dem Sohn des Onkels im Iran zu tun hatte, gebe ich an, dass ich ihn dort gesehen habe und er kannte mich. Wir haben uns dort nicht unterhalten.

Nachgefragt, wann ich den Sohn des Onkels getroffen habe, gebe ich an, dass ich ihn traf, nachdem Sie verstorben war.

LA: Wie heißen die Onkel Ihrer Frau in Afghanistan?

VP: Der älteste Onkel, von dem ich gehört habe, heißt XXXX und den Namen des anderen kenne ich nicht.

LA: Sie gaben an, dass ein Onkel Sie in Afghanistan aufspüren und töten würde. Welchen Onkel meinen Sie?

VP: Damit habe ich den ältesten Onkel, XXXX gemeint. Ich bin mir sicher, dass ihr Vater mich auch in Afghanistan aufspüren würde.

LA: Welchen Beruf hat der Onkel XXXX ?

VP: Das weiß ich nicht.

LA: Welche Möglichkeiten, glauben Sie, hat der Onkel XXXX , Sie ausfindig zu machen, wenn Sie in Afghanistan wären?

VP: Sein Sohn hat mich im Iran gesehen. Mit der Hilfe seines Bruders würde er mich früher oder später aufspüren.

LA: Wieso sollte Sie gerade dieser eine von Ihnen genannte Onkel verfolgen? – Wie kommen Sie auf diese Idee?

VP: Weil der Vater meiner Frau bzw. sein Bruder das so möchte.

Nachgefragt, woher ich weiß, dass die beiden das so möchten, dass der Onkel meiner Frau mich in Afghanistan verfolgt, gebe ich an, dass weil der Vater meiner verstorbenen Frau mir gesagt hat, dass egal wo ich mich aufhalte, in Afghanistan oder im Iran, sie mich aufspüren und umbringen werden. Er hat mich mehrmals beim Gericht mit dem Tod bedroht. Als er hinein ist und ich hinausgegangen bin, haben sich unsere Wege gekreuzt. Er sagte mir, dass er jetzt wisse, dass ich mich verstecken wolle, aber er werde mich finden, hier im Iran oder in Afghanistan. Er werde mich umbringen. Weshalb der Sohn ihres Onkels in den Iran gekommen ist, kann ich mir nicht genau erklären, aber ich glaube, er wollte wissen, wie ich aussehe.

LA: Wie oft kam es zu Gesprächen zwischen Ihnen und dem Vater Ihrer Gattin?

VP: Nur einmal, als ich um die Hand seiner Tochter anhalten wollte und die anderen Gespräche fanden vor Gericht statt. Dort hat er mich auch mit dem Tod bedroht.

Nachgefragt, wann die Gerichtsverhandlung war, gebe ich an, dass es drei oder vier Tage nach dem Tod meiner Frau war. Zu diesem Zeitpunkt war sie noch nicht beerdigt.

LA: Wann wurden Sie mit dem Messer verletzt? Haben Sie jetzt noch Spuren von dieser Verletzung?

VP: Bevor wir geheiratet haben. Ja, am Bein habe ich noch Spuren.

Nachgefragt, wann ich mit dem Messer verletzt wurde, gebe ich an, dass ich bevor wir geheiratet haben, verletzt wurde.

Nachgefragt, wann das gewesen war, gebe ich an, dass ich es nicht so genau weiß.

LA: Wie oft hatten Sie während Ihres Aufenthalts in Teheran Kontakt mit Ihrem Schwiegervater?

VP: In Teheran hatte ich keinen Kontakt zu meinem Schwiegervater. Es gab lediglich einen Vorfall auf der Straße, wo ich erkennen konnte, dass einige Leute auf der Suche nach mir waren. Mein Schwiegervater war aber nicht dabei.

Nachgefragt, wie ich erkennen konnte, dass die Leute auf der Suche nach mir waren, gebe ich an, dass sie bei meiner Arbeit nach mir fragten. Mein Arbeitgeber sagte mir, ich könne nicht mehr länger hier arbeiten. Nach dem Tod meiner Frau konnte ich keinen einzigen Tag ohne Angst leben. Als sie damals mein Geschäft verbrannt haben, konnte ich gegen meinen Schwiegervater nicht vorgehen.

Nachgefragt, wer die Leute waren, die mich suchten, gebe ich an, dass ich es nicht weiß.

Nachgefragt, wann mein Geschäft niedergebrannt wurde, gebe ich an, dass es zwei Monate nach dem Tod meiner Frau war.

LA: Was war das Ergebnis der Obduktion Ihrer Frau?

VP: Das es Selbstmord war. Nachdem die Obduktion durchgeführt wurde, haben sie mir erlaubt den Leichnam meiner Frau zu sehen. Ihr ganzer Körper wurde geöffnet.

[…]

LA: Wann teilte Ihre Frau ihrem Vater von Ihrer Hochzeit mit?

VP: Ich glaube ca. 10 bis 20 Tage vor ihrem Tod.

LA: Warum hat Ihr Schwiegervater Ihre Hochzeit nicht akzeptiert?

VP: Das weiß ich nicht. Meine Mutter ist mehrmals zu ihnen nach Hause gegangen. Er wollte es nicht.

LA: Können Sie den Inhalt der Bestätigung über Ihre Inhaftierung und die Ihrer Frau wiedergeben?

VP: Bevor wir geheiratet haben, wurden wir von der Sittenpolizei festgenommen, weil es uns nicht erlaubt war, alleine zu sein.

Nachgefragt, was ich mit alleine sein meine, gebe ich an, dass im Iran eine unverheiratete Frau mit einem anderen Mann nicht alleine sein darf.

Nachgefragt, wie die Sittenpolizei davon erfahren hat, gebe ich an, dass ich gerade dabei war mein Geschäft zu schließen. Es tauchte die Sittenpolizei auf und fragt uns, wie wir zueinander stehen würden. Es ist üblich, dass die Sittenpolizei unterwegs ist und junge Menschen kontrolliert.

Nachgefragt, wie lange wir in Haft waren, gebe ich an, dass wir ca. 20 Tage, weniger als einen Monat in Haft waren.

Nachgefragt, wann das gewesen ist, gebe ich an, dass wir bevor wir geheiratet haben inhaftiert waren.

Nachgefragt, ob ich einen Zeitraum benennen kann, gebe ich an, dass ich glaube, dass es ein bis zwei Monate vor der Hochzeit war. Ich weiß es nicht genau.

Nachgefragt, wo wir in Haft waren, gebe ich an, dass es in XXXX war.

LA: Bitte beschreiben Sie den Inhalt des Schriftstückes, welches Sie zuvor als Anzeige Ihres Schwiegervaters bezeichnet haben.

VP: Bevor sie meine Frau beerdigten, mussten sie das Einverständnis des Vaters bekommen. An dem Tag waren die Schwester, der Bruder und der Vater anwesend und der Vater hat sich einverstanden erklärt, dass sie beerdigt werden darf.

Nachgefragt, wie ich zu diesem Schriftstück gekommen bin, gebe ich an, dass mir mein Anwalt das Schriftstück gegeben hat, nachdem er es vom Gericht bekommen hat. Diese Unterlagen hat mein Anwalt vom Gericht bekommen und mir übergeben.

Nachgefragt, worum es sich nunmehr handelt, ob es sich nun um eine Einverständniserklärung für eine Beerdigung meiner Frau oder eine Anzeige handelt, gebe ich an, dass es zwei Seiten sind. Im oberen Teil ist eine Anzeige und im unteren Teil ist das Einverständnis, dass sie beerdigt werden darf. Ich glaube es gibt noch weitere Unterlagen, die ich im Original nachreichen werde.

LA: Bitte beschreiben Sie den Inhalt des Schriftstückes, welches Sie als Bestätigung für die Beerdigung Ihrer Frau benannten.

VP: Nachdem die Obduktion durchgeführt wurde, erlaubte das Gericht, dass der Leichnam meiner Frau beerdigt werden darf.

LA: Wo ist die Sterbeurkunde Ihrer Frau?

VP: Das müsste die Bestätigung sein.

Anm.: AW zeigt auf die Bestätigung vom Gericht für die Beerdigung seiner Frau.

Nachgefragt, worum es sich bei der Bestätigung tatsächlich handelt, gebe ich an, dass es bei meiner Frau anders aussieht, weil eine Obduktion durchgeführt wurde. Erst nach ihrer Obduktion hat das Gericht der Beerdigung zugestimmt.

[…]

4. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das BFA den gegenständlichen Antrag des BF auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.). Ferner wurde dem BF unter Spruchpunkt III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig ist. In Spruchpunkt IV. wurde festgehalten, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

Das BFA stellte fest, dass keine Fluchtgründe bezogen auf Afghanistan festgestellt werden konnten, da der BF nur im Kleinkindalter in Afghanistan aufhältig war. Es konnte von Seiten des BFA auch nicht festgestellt werden, dass dem BF im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan Verfolgung oder eine Gefährdung der Person drohe.

Beweiswürdigend führte das BFA im Wesentlichen aus, dass die Gründe des BF, nicht nach Afghanistan zurückkehren zu können, nicht nachvollziehbar bzw. glaubhaft gewesen seien. Das BFA kam zu dem Schluss, dass es sich lediglich um eine konstruierte Geschichte des BF handelt, die massive Widersprüche und Unglaubwürdigkeiten beinhaltet. Dem Vorbringen sei aufgrund der vagen Schilderungen, widersprüchlichen Aussagen und nicht plausiblen Ausführungen jegliche Glaubwürdigkeit abzusprechen.

5. Der BF erhob gegen den Bescheid fristgerecht vollumfänglich Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften und brachte im Wesentlichen vor, dass er zu seinen Fluchtgründen im Verfahren ausführlich Stellung genommen habe. Außerdem habe das Verfahren vor dem BFA nicht den Anforderungen eines amtswegigen Ermittlungsverfahrens gemäß §§ 37 ff AVG genügt. Der BF sei in Afghanistan einer nichtstaatlichen Verfolgung ausgesetzt. Der Staat Afghanistan könne den BF mangels staatlicher Schutzmechanismen und Strukturen nicht vor den Taliban schützen, daher sei eine asylrelevante Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure gegeben. Der BF gehöre jener Gruppe an, die von den Taliban zwangsrekrutiert werden würden und bei Weigerung Gefangennahme oder Ermordung ausgesetzt seien. Es bestehe daher eine zielgerichtete Verfolgung gegen den BF. Der BF laufe als (zum Tode verurteilter) Deserteur Gefahr, wiedererkannt und zur Rechenschaft gezogen zu werden.

6. Am 14.06.2018 langte eine Meldung der LPD Wien über den versuchten Erwerb von Cannabiskraut gem. § 27/1 SMG ein.

7. Am 20.03.2019 langte ein Abtretungsbericht der LPD Niederösterreich an die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt ein. Der BF soll gemeinsam mit einem subsidiär schutzberechtigten afghanischen Staatsbürger dabei beobachtet worden sein, wie sie 5 Baggies Cannabiskraut in den Thujen einer Liegenschaft versteckt haben. Der BF bestritt jeglichen Tatzusammenhang.

8. Am 21.05.2019 übermittelte die LPD Niederösterreich eine Berichterstattung, wonach der BF mit weiteren Insassen eines PKW am 16.05.2019 in Wiener Neustadt einer Kontrolle unterzogen wurde. Der BF führte eine Papiertragetasche mit sich, in welcher sich, in 44 Plastikbeutel verpackt, 469 g Cannabiskraut befanden. Der BF gab zu Protokoll, dass er das Cannabiskraut im Wiener Neustädter Stadtpark gefunden hätte. Es erfolgte eine Anzeige des BF gem. § 28 Abs. 1 SMG. Mit Abschluss-Bericht vom 29.05.2019 zeigte sich der BF geständig, die oben angeführte Menge an Cannabiskraut vorgefunden und sichergestellt zu haben. Er bestritt, mit Cannabiskraut zu handeln. Am 14.08.2019 langte die Verständigung der Behörde von der Anklageerhebung wegen § 28a Abs. 1 5. Fall SMG, § 28 Abs. 1 3. Fall SMG und § 127 StGB ein.

9. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 27.09.2019 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Farsi und im Beisein der Rechtsvertreterin des BF sowie eines Vertreters der belangten Behörde eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.

In der Verhandlung gab der BF an, aufgrund der bisherigen Ereignisse sehr vergesslich zu sein. Der Tod seiner Frau habe ihn schockiert und psychisch belastet. Außerdem habe er Probleme mit den Augen und solle operiert werden. Befragt zu seiner Situation im Iran gab der BF an, dass sowohl seine Mutter als auch zwei seiner drei Schwestern in Iran leben würden. Sein Vater sei vor ca. 10 oder 12 Jahren gestorben. Er sei mit 12 Jahren in den Iran gekommen. Er habe drei bis vier Jahre im Iran die Schule besucht, danach habe er als Schneider und Verkäufer von Bekleidung gearbeitet.

Befragt zu seiner Situation in Österreich führte der BF aus, dass er keine Deutschkurse besuchen könne, da er Probleme mit den Augen habe und daher nicht gut lesen könne. Er habe in Österreich eine slowakische Freundin, XXXX . Sie sei etwa 27 Jahre alt und Pflegerin. Er selbst arbeite zwei Tage pro Woche in einem chinesischen Restaurant in Wiener Neustadt. Dort verdiene er etwa 70 bis 80 Euro.

Zu seinen Fluchtgründen befragt gab er an (Schreibfehler korrigiert):

[…]

R: Wusste die Familie Ihrer verstorbenen Ehefrau nicht, dass Sie mit der Verstorbenen verheiratet waren?

BF: Wir haben heimlich geheiratet, niemand wusste etwas davon. Meine Frau hat mir gesagt, sie wird dann mit ihrem Vater darüber sprechen. 20 Tage nach unserer Eheschließung hat sie mit ihrer Familie gesprochen. Sie waren jedoch dagegen und machten ihr Druck. Ich habe dann Probleme mit ihrer Familie bekommen. Ihr Bruder hat mich bedroht und mit dem Messer angegriffen.

R: Wie hat der Bruder geheißen?

BF: XXXX .

R: Wissen Sie, wie alt der Bruder war?

BF: Er ist jetzt ca. 29/30 Jahr alt.

R: Der Vater und der Bruder Ihrer verstorbenen Frau leben im Iran?

BF: Sie leben im Iran, pendeln aber zwischen Afghanistan und dem Iran hin und her.

R: Der Vater und der Bruder Ihrer verstorbenen Ehefrau fahren zwischen Afghanistan und dem Iran hin und her. Wo halten sich diese dann in Afghanistan auf?

BF: Sie gehen in die Stadt Kabul. Im Iran leben sie im selben Wohnbezirk wie meine Mutter und meine Schwestern. In Afghanistan fahren sie nach Kabul, in die Stadt. XXXX , der Onkel der Verstorbenen lebt in der Stadt Kabul. Der Vater und der Bruder meiner verstorbenen Ehefrau gehen ihn besuchen.

R: Wo haben Sie gelebt, als Sie in Afghanistan waren?

BF: In XXXX , im Dorf XXXX .

R: Wieso können Sie dorthin nicht zurückgehen und dort leben?

BF: Ich kann dort nicht leben, denn ich habe Probleme mit dieser Familie.

R: Wieso können Sie nicht in Herat oder Mazar-e Sharif leben?

BF: Ich kann nicht jeden Tag in Stress und Angst leben. Wenn ich auf die Straße gehe habe ich Angst vor Personen, die ich nicht kenne. Da glaube ich immer, dass die von Seiten meines Schwiegervaters sind, weil sie mich bedroht haben. Ich bin mir sicher und weiß, dass sie mich nicht leben lassen.

R: Warum, was ist der Grund?

BF: Sie haben mich einmal mit dem Messer angegriffen. Sie haben mich ein paar Mal bedroht, auch im Gericht. Sie haben mein Geschäft im Iran angezündet. Ich habe meinen Arbeitsort gewechselt und bin von XXXX nach Teheran gegangen, wo sie mich auch gefunden haben. Der Geschäftsbesitzer hat gesagt, ich kann nicht mehr bei ihm bleiben, weil Personen wegen mir in das Geschäft reinkommen und das Geschäft kaputt machen könnten. Dieser Arbeitsplatz war in Teheran, XXXX . Es war ein Bekleidungsgeschäft. Sie haben Bekleidung gemacht und verkauft.

R: Sie haben gesagt, Sie wurden mit dem Messer angegriffen? Wann ist das gewesen?

BF: 2011.

R: Wissen Sie ein näheres Datum?

BF: Nein.

R: Wer hat Sie mit dem Messer angegriffen?

BF: XXXX , der Bruder meiner Frau. Ich war am Fuß verletzt. Ich habe ihn gesehen und bin weggelaufen und wollte über eine Mauer flüchten, da hat er mich erwischt und am Fuß verletzt.

R: Wieso war die Familie Ihrer verstorbenen Ehefrau gegen die Eheschließung mit Ihnen?

BF: Ich weiß nicht, warum sie dagegen waren. Meine Frau war einverstanden und wir haben auch geheiratet. Die Mutter meiner verstorbenen Frau war Perserin und sie hat gesagt, sie will ihre Tochter keinem Afghanen geben. Der Vater meiner verstorbenen Frau ist Afghane und die Mutter meiner Frau ist bereits verstorben.

R: Wieso ist der Vater Ihrer verstorbenen Frau, der selbst Afghane ist, dagegen, dass seine Frau einen Afghanen heiratet?

BF: Ich weiß es nicht. Sie haben mich auch angezeigt. Die Originaldokumente sind im Iran.

Dem BF wird aufgetragen, die Originaldokumente (AS 71, 73, 75 sowie Beilagen A und B) binnen drei Wochen dem Gericht vorzulegen.

R: Wieso haben Sie nur Kopien?

BF: Diese wurden mir gefaxt. Meine Mutter hat die Dokumente von meinem Anwalt genommen und hat sie mir gefaxt.

R: Sind Sie im Iran strafrechtlich verurteilt worden?

BF: Nein. Ich habe nur eine Strafe wegen Schwarzarbeit bekommen, sonst nichts.

R: Was befürchten Sie, wenn sie jetzt nach Afghanistan zurückkehren müssten?

BF: Ich würde getötet werden. 100-prozentig haben sie mich bedroht.

R: Wer würde Sie töten?

BF: Ihr Onkel lebt fix in Afghanistan. Ihr Vater und ihr Bruder pendeln zwischen Afghanistan und dem Iran hin und her.

R: Wo lebt der Onkel Ihrer verstorbenen Ehefrau?

BF: In Kabul, die genaue Adresse weiß ich nicht.

R: Wie heißt der Onkel Ihrer verstorbenen Ehefrau?

BF: Ich kann es nicht aufschreiben, denn ich habe Probleme mit meinen Augen. Ich werde operiert werden. Der Onkel heißt XXXX .

R: Wie viele Brüder hat Ihre verstorbene Ehefrau?

BF: Sie hat einen Bruder und der lebt im Iran.

R: Hatte sie noch einen anderen Bruder?

BF: Sie hat einen Bruder und eine Schwester, die im Iran leben und die haben mich angezeigt.

R: Wieso haben Sie bei Ihrer Erstbefragung angegeben, dass Sie von den „Brüdern“ Ihrer verstorbenen Frau getötet würden?

BF: Ich habe gesagt von ihrem Bruder.

BehV: Sie haben in der Einvernahme vor dem BFA am 17.05.2016 angegeben, dass der Vater Ihrer verstorbenen Ehefrau Sie angezeigt hätte, weil Sie verdächtigt wurden, die Verstorbene getötet zu haben. Wie kann es sein, dass in der von Ihnen vorgelegten Gerichtsentscheidung angeführt wurde, dass der Vater der Verstorbenen gegen niemanden Klage erheben wird?

BF: Ja, zu Beginn hat ihr Vater mich auch beschuldigt und hat das bei der Behörde auch angegeben, dass ich meine verstorbene Frau getötet habe. Das war auch der Grund, warum ich sieben Tage einvernommen worden bin. Deswegen wurde auch meine Frau von den Ärzten obduziert, dann wurde festgestellt, dass sich meine Frau selbst getötet hat. Sie haben mich deswegen zu Beginn angezeigt.

R: Waren Sie inhaftiert?

BF: Ich und meine Frau wurden beide inhaftiert vor unserer Eheschließung, weil die iranische Polizei dort gesagt hat, wir wären nicht Mann und Frau und deshalb hat man uns eingesperrt. Vor meinem Geschäft wurden wir dann festgenommen.

R: Was haben Sie mit der verstorbenen Frau gemacht, weshalb Sie beide festgenommen wurden?

BF: Es war spät in der Nacht, als ich mein Geschäft zusperren wollte und dort wurde eine Kontrolle durchgeführt. Als die Polizei dann vor meinem Geschäft stand und mich und meine Frau gemeinsam gesehen hat und uns gefragt hat, in welchem Verhältnis wir zueinander stehen würden. Ich habe gesagt, dass sie meine Freundin ist. Der Polizist hat gesagt, so etwas gäbe es hier nicht, wir müssten verheiratet sein. Dann wurden wir für ca. 20 bis 22 Tage inhaftiert, auf jeden Fall war es weniger als ein Monat.

R: Ab welchem Zeitpunkt hat der Vater Ihrer verstorbenen Frau gewusst, dass Sie geheiratet haben?

BF: 20 Tage nachdem wir die Eheschließung vollzogen haben. Irgendwie wollte ihm meine verstorbene Ehefrau sagen, dass wir jetzt verheiratet sind und er uns in Ruhe lassen sollte. Der Druck ist immer größer geworden und einige Zeit später hat sie sich das Leben genommen. Ihre Familie beschuldigt mich, an ihrem Tod Schuld zu sein, weil, wenn ich nicht in ihr Leben getreten wäre, wäre sie noch am Leben.

R: Wie viel Zeit ist vergangen vom Zeitpunkt an, als der Vater Ihrer verstorbenen Ehefrau gewusst hat, dass Sie beide geheiratet haben und dem Zeitpunkt des Todes Ihrer verstorbenen Frau?

BF: Ca. ein bis zwei Monate, genau kann ich es nicht angeben, weil es für mich auch sehr schwer war. Wenn Sie an meiner Stelle gewesen wären, hätten Sie sich auch vergessen.

R: Was meinen Sie mit „hätten Sie sich auch vergessen“?

BF: Damit meine ich, ich habe von einer Seite gehört, dass ich aufgehängt werde, inhaftiert werde und ich bin auch bedroht worden. Ich habe mit eigenen Augen die Leiche meiner Frau gesehen, wo sie überall Schnittwunden gehabt hat. Die Frau, die ich über alles geliebt habe und mit der ich leben wollte.

BehV: Wie sollte der Onkel oder der Vater der verstorbenen Ehefrau Sie in Afghanistan finden?

BF: Weil die Familie der Verstorbenen auch meine Familie kennt und sie immer wissen, wo ich bin. Sie haben mich auch in Teheran gefunden.

[…]

Der BF brachte folgende Unterlagen in Vorlage:

-        Kopie der Heiratsurkunde;

-        Kopie der Sterbeurkunde des Vaters;

-        Befund einer Universitätsklinik für Augenheilkunde und Optometrie vom 09.08.2017, wonach der BF einen Voruntersuchungstermin am 20.10.2017, eine Operation des 1. Auges am 30.10.2017 und eine Operation des 2. Auges am 02.11.2017 (wegen Grauem Star) habe;

-        Befundbericht vom 10.04.2018, wonach als Synopsis „Cat congenita OU“ vermerkt wurde;

-        Terminvereinbarung in einer Hornhaut-Ambulanz und der Refraktiven Chirurgie.

10. Am 18.10.2019 brachte der BF folgende Dokumente in Vorlage:

-        Ehebestätigung;

-        zwei Anklageschriften;

-        Freigabe der Gerichtsmedizin betreffend die Beerdigung;

-        Bestätigung, wonach der BF von August 2016 bis Juli 2017 in einer Gemeinde Aushilfstätigkeiten (Grünraumpflege) verrichtet habe;

-        Einstellungszusage, datiert mit 15.10.2019, wonach der BF bei Erhalt eines positiven Bescheides in einem Gasthof eingestellt werde.

11. Am 22.10.2019 wurden die vorgelegten Dokumente zur Übersetzung an eine Dolmetscherin übermittelt. Die Übersetzungen langten am 03.11.2019 bei Gericht ein. Inhalt der eingebrachten Dokumente ist eine Entscheidung des Amtsgerichts XXXX , Iran, über das Verbrechen der unehelichen Beziehung. Der BF werde zu sechzig Peitschenhieben verurteilt. Inhalt des zweiten Dokuments ist ein Endurteil der Justiz der Islamischen Republik Iran, wonach der Verdacht des Mordes ausgeschlossen werde und eine strafrechtliche Verfolgung untersagt werde. Der Vater der Verstorbenen habe angegeben, dass er keine Klage einbringen wolle und auch ohne Autopsie die Bestattungsgenehmigung beantrage. Das letzte der drei eingebrachten Dokumente ist eine Genehmigung über die Bestattung der Verstorbenen.

12. Am 12.11.2019 legte der BF die Sterbeurkunde des Vaters im Original sowie eine Ausweiskopie der Freundin vor.

13. Am 28.01.2020 wurde die gekürzte Urteilsausfertigung betreffend die rechtskräftige Verurteilung des BF hinsichtlich § 28 Abs. 1 3. Fall SMG und § 127 StGB vorgelegt.

14. Am 19.06.2020 wurden dem BF folgende aktuelle Berichte zur Situation in Afghanistan übermittelt und der BF aufgefordert zu diesen Berichten eine schriftliche Stellungnahme binnen einer Frist von zwei Wochen zu erstatten:

-        LIB der Staatendokumentation Afghanistan (Stand: 18.05.2020);

-        EASO Special Report Asylum Trends and Covid-19 vom 07.05.2020;

-        EASO COVID-19 emergency measures in asylum and reception vom 13.05.2020, Bulletin 11;

-        OCHA, Afghanistan: COVID-19 Multi-Sectoral Response, Operational Situation Report -vom 17.06.2020.

15. Mit Verfahrensanordnung vom 30.06.2020 wurde dem BF die aktuellste Kurzinformation der Staatendokumentation zur Situation in Afghanistan (Covid-19, Stand: 29.06.2020) übermittelt und er aufgefordert binnen einer Frist von zwei Wochen eine schriftliche Stellungnahme zu erstatten.

16. Am 03.07.2020 langte eine Stellungnahme des BF ein. Darin wird ausgeführt, dass der BF aufgrund der Covid-Schutzmaßnahmen der Spitäler seinen Termin für die Augenoperation verschieben habe müssen und er bisher noch keinen Termin erhalten habe. Sobald er einen Termin ein Termin für die Augenoperation feststehe, werde er umgehend eine Terminbestätigung vorlegen. Zu den Länderfeststellungen wurde ausgeführt, dass in Afghanistan keine finanzielle oder sonstige Unterstützung für Arbeitslosigkeit bestehe. Bei der Arbeitssuche würden vor allem persönliche Kontakte eine wichtige Rolle spielen. Der BF sei aufgrund seiner persönlichen Situation vulnerabel. Es handle sich bei ihm zwar um einen volljährigen Mann, er leide aber an einer gravierenden Augenerkrankung, welche ihm weder erlaube Deutschkurse zu absolvieren, noch über eine Schul- oder Berufserfahrung in Afghanistan zu verfügen, da er nur als Kind in Afghanistan aufhältig gewesen sei. Der BF würde angesichts der fehlenden Unterstützung und der prekären wirtschaftlichen Lage für Rückkehrer im Lichter der hohen Anzahl an Rückkehrern aus dem Iran und Pakistan bei einer Rückkehr nach Afghanistan Gefahr laufen grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung und Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine auswegslose bzw. existenzbedrohende Lage zu geraten. Dem BF sei daher der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen.

17. Am 07.07.2020 langte eine ergänzende Stellungnahme des BF ein. Darin wurde auf eine Entscheidung des VwGH vom 28.08.2019 mit Bezug auf den EASO-Bericht verwiesen, wonach eine IFA für alleinstehende Männer nicht zumutbar sei, wenn sie außerhalb Afghanistans ausgewachsen seien. Der BF zähle zu diesem speziellen Personenprofil, zumal er im Kindesalter Afghanistan verlassen habe und seitdem im Ausland gelebt habe. Auch in gleichgelagerten Fällen sei den BF vom BVwG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden. Zusätzlich erschwert werde die Situation bei der Rückkehr durch die aktuelle COVID-19-Pandemie. Die in Zusammenhang mit COVID-19 verhängten „Lock-Down-Maßnahmen“ würden die Situation am Arbeitsmarkt und die Unterkunftssituation verschärfen, dies besonders für geringqualifizierte Hilfsarbeiter wie den BF. Der BF würde weniger Chancen haben eine Arbeit zu finden und sei es ihm weder kurz- noch mittelfristig möglich in Herat oder Mazar-e Sharif das zum Überleben Notwendige zu finden. Zudem gehe aus dem Bericht von Friedericke Stahlmann vom 27.03.2020 hervor, dass Rückkehrer aus Europa aus Sicht lokaler Ärzte besonders vulnerabel seien und sich Konflikte mit Rückkehrern mit steigenden Corona-Zahlen verschärfen würden. Der BF zähle zwar nicht zur Risikogruppe; die gesundheitlichen Folgen bei einer Rückkehr seien jedoch, insbesondere hinsichtlich eine möglichen Mangelernährung aufgrund der nunmehr angespannten Situation und der steigenden Preise bei Lebensmitteln nicht absehbar. Dies, weil die Familie des BF im Iran lebe und er kein familiäres Netz in Afghanistan habe, auf welches er zurückgreifen könne. Der BF könne zwar Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen, wegen der zahlreichen Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan sei diese aber nur minimal verfügbar. Durch die COVID-Pandemie würden jedenfalls exzeptionelle Umstände vorliegen, die annehmen lassen würden, dass der BF zum jetzigen Zeitpunkt in Afghanistan keine Lebensgrundlage vorfinde und er seine Grundbedürfnisse nicht decken könne.

Weiters brachte der BF ein Schreiben einer Pizzeria in Vorlage, wonach man den BF aufgrund seiner Erfahrung im Gastro-Bereich gerne eingestellt hätte, man ihn aufgrund seines Aufenthaltes aber nicht aufnehmen dürfe.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des BF:

Der volljährige BF führt den Namen XXXX , ist am XXXX geboren und ein Staatsangehöriger Afghanistans. Er bekennt sich zum schiitisch-muslimischen Glauben und gehört der Volksgruppe der Hazara an. Der BF spricht Dari und Farsi.

Der BF hat keine Kinder und ist ledig.

Er reiste gemeinsam mit seiner Schwester, XXXX , illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und hält sich seit zumindest 16.09.2015 durchgehend in Österreich auf.

Der BF wurde in Afghanistan in der Provinz Sar-e Pol, im XXXX geboren. Er übersiedelte mit etwa 17 Jahren - gemeinsam mit seiner Familie - in den Iran. Der BF verfügt über Schulbildung. Er arbeitete im Iran als Schneider und Verkäufer von Kleidung. Seine Mutter und zwei seiner drei Schwestern leben nach wie vor im Iran. Der BF hat gelegentlich Kontakt mit seiner Familie. Der Vater des BF ist bereits verstorben.

Nachdem er aus dem Iran abgeschoben wurde, hielt sich der BF einmal für einige Tage in Herat, Afghanistan auf. Der BF ist danach in den Iran zurückgekehrt und von dort Richtung Europa gereist.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF Verwandte in Afghanistan hat.

Der BF ist mit der afghanischen Kultur vertraut und hat auch im Iran in einem afghanischen Familienverband gelebt.

Der BF ist jung, gesund, arbeitsfähig sowie leistungsfähig und kann bei einer Rückkehr Unterstützungsleistungen in Anspruch nehmen.

Der BF wurde in Österreich bereits einmal rechtskräftig verurteilt:

1.)       XXXX vom 02.12.2019 (RK 06.12.2019)

§ 127 StGB

§ 28 (1) 3. Fall SMG

Datum der (letzten) Tat:16.05.2019

Freiheitsstrafe 12 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

1.2. Zu den Fluchtgründen des BF:

Das Vorbringen des BF, wonach er ohne Einverständnis der Brauteltern/heimlich eine Frau geheiratet habe und deshalb von der Familie der Frau bedroht bzw. verletzt worden sei und sich seine Frau in weiterer Folge selbst das Leben nahm, hat sich als unglaubwürdig herausgestellt. Es ist nicht glaubwürdig, dass der BF aufgrund der Hochzeit Verfolgungshandlungen durch die Familie der Frau ausgesetzt war oder in Zukunft ausgesetzt sein wird.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in Afghanistan eine an seine Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seine politische Überzeugung anknüpfende aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität droht.

Es kann nicht festgestellt werden, dass konkret der BF als Angehöriger der Volksgruppe der Hazara bzw. dass jeder Angehörige in Afghanistan psychischer oder physischer Gewalt aus asylrelevanten Gründen ausgesetzt wäre bzw. eine solche im Falle seiner Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten hätte.

Der BF war in Afghanistan keiner Verfolgung bzw. Zwangsrekrutierung durch die Taliban ausgesetzt und ist im Falle der Rückkehr nach Afghanistan keiner konkreten gegen ihn gerichteten Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt.

Er wurde in seinem Herkunftsstaat niemals inhaftiert und hatte mit den Behörden seines Herkunftsstaates weder aufgrund seiner Rasse, Nationalität, seines Religionsbekenntnisses oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwo Probleme. Er war nie politisch tätig und gehörte keiner politischen Partei an.

Dem BF droht individuell und konkret, im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan, weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch die Taliban oder die afghanische Regierung.

Der BF hat auch im Iran keine Handlungen gesetzt, aufgrund derer er eine Verfolgung in seinem Herkunftsstaat Afghanistan ausgesetzt wäre.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:

Im Falle der Rückkehr in seine Herkunftsprovinz Sar-e Pol würde dem BF ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.

Der BF wäre im Falle der Rückkehr in die Stadt Mazar-e Sharif keiner konkret gegen ihn gerichteten Verfolgung ausgesetzt.

Der BF ist gesund, volljährig, anpassungsfähig, mobil, arbeitsfähig, hat keine Kinder und keine Sorgepflichten. Der BF hat die Schule besucht und hat im Iran als Schneider bzw. Kleiderverkäufer gearbeitet und sich so seinen Lebensunterhalt verdient. Er wurde – wie bereits festgestellt - in Afghanistan in der Provinz Sar-e Pol geboren und hat dort mit seiner Familie bis etwa zu seinem siebzehnten Lebensjahr gelebt. Danach ist er mit seiner Familie in den Iran gegangen, wo er - bis auf einen einmaligen Aufenthalt nach einer Abschiebung nach Herat – bis zu seiner Ausreise nach Europa lebte. Der BF ist mit den Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut und lebte auch im Iran in einem afghanischen Familienverband. Der BF spricht Dari und Farsi und ist somit auch mit einer in Afghanistan gesprochenen Sprache vertraut. Der BF lebte zwar nie in der Stadt Mazar-e Sharif und verfügt dort auch über keine familiären Anknüpfungspunkte, angesichts seiner Sprachkenntnisse und seiner gesammelten Berufserfahrung im Iran könnte er sich in der Stadt Mazar-e Sharif eine Existenz aufbauen und diese – zumindest anfänglich – mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Er ist in der Lage, in der Stadt Mazar-e Sharif eine einfache Unterkunft zu finden. Im Ergebnis ist von einer Selbsterhaltungsfähigkeit des BF in Afghanistan auszugehen. Er hat zudem die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen und sind die Mutter sowie die Schwestern des BF nach wie vor im Iran aufhältig. Zu seiner Familie im Iran hat der BF gelegentlich Kontakt. In einer Gesamtbetrachtung ist Mazar-e Sharif für Normalbürger, die nicht mit Ausländern zusammenarbeiten, eine vergleichsweise sichere und über den jeweiligen Flughafen gut erreichbare Stadt. Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des BF nach Mazar-e Sharif ausschließen, konnten nicht festgestellt werden. Der BF kann die Stadt Mazar-e Sharif auf dem Luftweg sicher erreichen.

Dem BF droht im Falle der Rückkehr in die Stadt Mazar-e Sharif somit kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit und er läuft auch nicht Gefahr, im Falle der Rückkehr in die Stadt Mazar-e Sharif grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Der BF leidet an grauem Star, er unterliegt keinen gesundheitlichen Einschränkungen, welche einer Rückkehr nach Afghanistan entgegenstehen.

Insbesondere ist im Hinblick auf die aktuell vorherrschende COVID-19-Pandemie festzuhalten, dass der BF mit Blick auf sein Alter und das Fehlen physischer (chronischer) Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 angehört. Es besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der BF bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine COVID-19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. einer Behandlung in einem Krankenhaus erleiden würde.

1.4. Zum (Privat) Leben des BF in Österreich:

Der BF hält sich seit September 2015 im Bundesgebiet auf. Er ist hier bereits einmal straffällig geworden (Suchtmitteldelikt). Der BF bezieht laufend Leistungen aus der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Er hat im Zeitraum August 2016 bis Juli 2017 in einer Gemeinde als Aushilfe in der Grünraumpflege gearbeitet und konnte (im Falle eines positiven Asylbescheides) eine Einstellungszusage vom 15.10.2019 in einem Gasthof vorlegen. Der BF hat keine Deutschprüfungen abgelegt und keine Bestätigungen über bereits absolvierte Deutschkurse vorgelegt. Der BF gehört keiner religiösen Verbindung und keiner sonstigen Gruppierung in Österreich an. Er hat in Österreich keine Schule und keine sonstige Fortbildung besucht.

Der BF hat laut seinen eigenen Angaben eine slowakische Freundin, die in Österreich als Pflegerin arbeitet und zwischen der Slowakei und Österreich hin und herpendelt. Mit dieser besteht kein gemeinsamer Haushalt und keine gegenseitige Abhängigkeit.

Die Schwester des BF XXXX , mit welcher der BF gemeinsam ins Bundesgebiet eingereist ist und der Ehemann sowie der Sohn der Schwester halten sich ebenfalls in Österreich auf. Der Schwester und dem Sohn der Schwester wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.10.2019 der Status von Asylberechtigten zuerkannt. Ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis zwischen den erwachsenen Geschwistern oder ein gemeinsamer Haushalt besteht nicht. Eine nachhaltige Integration des BF im Sinne einer tiefgreifenden Verwurzelung im Bundesgebiet kann nicht erkannt werden. Der BF führt mit seiner erwachsenen Schwester (bzw. mit ihrer Familie) kein Familienleben in Österreich und hat auch sonst keine sonstigen engen sozialen Bindungen.

1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Unter Bezugnahme auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019, letzte Kurzinfo vom 29.06.2020), die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018, den EASO-Leitlinien zu Afghanistan von Juni 2019, dem EASO Special Report Asylum Trends and Covid-19 von 07.05.2020, dem EASO COVID-19 emergency measures in asylum and reception vom 13.05.2020, Bulletin 11 und dem Bericht von OCHA, Afghanistan: COVID-19 Multi-Sectoral Response, Operational Situation Report -on 17.06.2020, werden folgende entscheidungsrelevante, die Person der BF individuell betreffende Feststellungen zu Lage in Afghanistan getroffen:

COVID-19:

Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.

Berichten zufolge, haben sich mehr als 30.000 Menschen in Afghanistan mit COVID-19 angesteckt (WP 25.5.2020; vgl. JHU 26.6.2020), mehr als 670 sind daran gestorben. Dem Gesundheitsministerium zufolge, liegen die tatsächlichen Zahlen viel höher; auch bestünde dem Ministerium zufolge die Möglichkeit, dass in den kommenden Monaten landesweit bis zu 26 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert werden könnten, womit die Zahl der Todesopfer 100.000 übersteigen könnte. Die COVID-19 Testraten sind extrem niedrig in Afghanistan: weniger als 0,2% der Bevölkerung – rund 64.900 Menschen von geschätzten 37,6 Millionen Einwohnern – wurden bis jetzt auf COVID-19 getestet (WP 25.6.2020).

In vier der 34 Provinzen Afghanistans – Nangahar, Ghazni, Logar und Kunduz – hat sich unter den Sicherheitskräften COVID-19 ausgebreitet. In manchen Einheiten wird eine Infektionsrate von 60-90% vermutet. Dadurch steht weniger Personal bei Operationen und/oder zur Aufnahme des Dienstes auf Außenposten zur Verfügung (WP 25.6.2020).

In Afghanistan sind landesweit derzeit Mobilität, soziale und geschäftliche Aktivitäten sowie Regierungsdienste eingeschränkt. In den größeren Städten wie z.B. Kabul, Kandahar, Mazar-e Sharif, Jalalabad, Parwan usw. wird auf diese Maßnahmen stärker geachtet und dementsprechend kontrolliert. Verboten sind zudem auch Großveranstaltungen – Regierungsveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, Sportveranstaltungen – bei denen mehr als zehn Personen zusammenkommen würden (RA KBL 19.6.2020). In der Öffentlichkeit ist die Bevölkerung verpflichtet einen Nasen-Mund-Schutz zu tragen (AJ 8.6.2020).

Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: der afghanischen Regierung zufolge, lebt 52% der Bevölkerung in Armut, während 45% in Ernährungsunsicherheit lebt (AF 24.6.2020). Dem Lockdown folge zu leisten, "social distancing" zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan/innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (AJ 8.6.2020).

Gesellschaftliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Auswirkungen

In Kabul, hat sich aus der COVID-19-Krise heraus ein "Solidaritätsprogramm" entwickelt, welches später in anderen Provinzen repliziert wurde. Eine afghanische Tageszeitung rief Hausbesitzer dazu auf, jenen ihrer Mieter/innen, die Miete zu reduzieren oder zu erlassen, die aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht arbeiten konnten. Viele Hausbesitzer folgten dem Aufruf (AF 24.6.2020).

Bei der Spendenaktion „Kocha Ba Kocha“ kamen junge Freiwillige zusammen, um auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu reagieren, indem sie Spenden für bedürftige Familien sammelten und ihnen kostenlos Nahrungsmittel zur Verfügung stellten. In einem weiteren Fall startete eine Privatbank eine Spendenkampagne, durch die 10.000 Haushalte in Kabul und andere Provinzen monatlich mit Lebensmitteln versorgt wurden. Außerdem initiierte die afghanische Regierung das sogenannte „kostenlose Brot“-Programm; bei dem bedürftige Familien – ausgewählt durch Gemeindeälteste – rund einen Monat lang mit kostenlosem Brot versorgt werden (AF 24.6.2020). In dem mehrphasigen Projekt, erhält täglich jede Person innerhalb einer Familie zwei Stück des traditionellen Brots, von einer Bäckerei in der Nähe ihres Wohnortes (TN 15.6.2020). Die Regierung kündigte kürzlich an, das Programm um einen weiteren Monat zu verlängern (AF 24.6.2020; vgl. TN 15.6.2020). Beispielsweise beklagten sich bedürftige Familien in der Provinz Jawzjan über Korruption im Rahmen dieses Projektes (TN 20.5.2020).

Weitere Maßnahmen der afghanischen Regierung

Schulen und Universitäten sind nach aktuellem Stand bis September 2020 geschlossen (AJ 8.6.2020; vgl. RA KBL 19.6.2020). Über Fernlernprogramme, via Internet, Radio und Fernsehen soll der traditionelle Unterricht im Klassenzimmer vorerst weiterhin ersetzen werden (AJ 8.6.2020). Fernlehre funktioniert jedoch nur bei wenigen Studierenden. Zum Einen können sich viele Familien weder Internet noch die dafür benötigten Geräte leisten und zum Anderem schränkt eine hohe Analphabetenzahl unter den Eltern in Afghanistan diese dabei ein, ihren Kindern beim Lernen behilflich sein zu können (HRW 18.6.2020).

Die großen Reisebeschränkungen wurden mittlerweile aufgehoben; die Bevölkerung kann nun in alle Provinzen reisen(RA KBL 19.6.2020). Afghanistan hat mit 24.6.2020 den internationalen Flugverkehr mit einem Turkish Airlines-Flug von Kabul nach Istanbul wieder aufgenommen; wobei der Flugplan aufgrund von Restriktionen auf vier Flüge pro Woche beschränkt wird (AnA 24.6.2020). Emirates, eine staatliche Fluglinie der Vereinigten Arabischen Emirate, hat mit 25.6.2020 Flüge zwischen Afghanistan und Dubai wieder aufgenommen (AnA 24.6.2020; vgl. GN 9.6.2020). Zwei afghanische Fluggesellschaften Ariana Airlines und der lokale private Betreiber Kam Air haben ebenso Flüge ins Ausland wieder aufgenommen (AnA 24.6.2020). Bei Reisen mit dem Flugzeug sind grundlegende COVID-19-Schutzmaßnahmen erforderlich (RA KBL 19.6.2020). Wird hingegen die Reise mit dem Auto angetreten, so sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Zwischen den Städten Afghanistans verkehren Busse. Grundlegende Schutzmaßnahmen nach COVID-19 werden von der Regierung zwar empfohlen – manchmal werden diese nicht vollständig umgesetzt (RA KBL 19.6.2020).

Seit 1.1.2020 beträgt die Anzahl zurückgekehrter Personen aus dem Iran und Pakistan: 339.742; 337.871 Personen aus dem Iran (247.082 spontane Rückkehrer/innen und 90.789 wurden abgeschoben) und 1.871 Personen aus Pakistan (1.805 spontane Rückkehrer/innen und 66 Personen wurden abgeschoben) (UNHCR 20.6.2020).

Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus Pakistan

Die Grenze zu Pakistan war fast drei Monate lang aufgrund der COVID-19-Pandemie gesperrt. Mit 22.6.2020 erhielt Pakistan an drei Grenzübergängen erste Exporte aus Afghanistan: frisches Obst und Gemüse wurde über die Grenzübergänge Torkham, Chaman und Ghulam Khan nach Pakistan exportiert. Im Hinblick auf COVID-19 wurden Standardarbeitsanweisungen (SOPs – standard operating procedures) für den grenzüberschreitenden Handel angewandt (XI 23.6.2020). Der bilaterale Handel soll an sechs Tagen der Woche betrieben werden, während an Samstagen diese Grenzübergänge für Fußgänger reserviert sind (XI 23.6.2020; vgl. UNHCR 20.6.2020); in der Praxis wurde der Fußgängerverkehr jedoch häufiger zugelassen (UN

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten